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Editorial MPU-Kritik * Laborwerte: man weiss nicht, was soll es bedeuten ...

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Rudolf Sponsel

unread,
Oct 29, 2007, 5:57:06 AM10/29/07
to
Info:

Editorial MPU-Gutachtenkritik
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm

Laborwertnormen in der Medizin. Normal- und Referenzbereiche:
man weiß nicht, was soll es bedeuten ...
http://www.sgipt.org/medppp/laborw0.htm

mit einem Glossar zu Begriffen aus der Mess- u. Testtheorie, Statistik,
Methodologie und Diagnostik:
http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm#Glossar,%20Anmerkungen%20und%20Endnoten:

Bessere Zeiten ...
Rudolf Sponsel, Erlangen

Rudolf Sponsel

unread,
Oct 29, 2007, 7:54:42 AM10/29/07
to
Rudolf Sponsel schrieb:

Korrektur (Entschuldigung):


Laborwertnormen in der Medizin. Normal- und Referenzbereiche:
man weiß nicht, was soll es bedeuten ...

http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm

Wolfram Heinrich

unread,
Oct 29, 2007, 7:53:07 AM10/29/07
to
Am Mon, 29 Oct 2007 10:57:06 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

> Info:
>
> Editorial MPU-Gutachtenkritik
> http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm
>

Es hat mich gefreut, daß ich in deiner Literaturliste gleich zweimal
auftauche.

Aber nun einige Anmerkungen zu deinen Ausführungen (säufts):

"Aber Betroffene haben keine echten Chancen, sich gegen schlechte,
fehlerhafte und fragwürdige MPU-Gutachten zu wehren."

Ei was. Natürlich sieht es grauenvoll aus, wenn ich gegen ein bestimmtes
Gutachten gerichtlich vorgehe, da es, selbst wenn ich gewinne, sehr lange
dauert, bis ich schließlich Recht bekomme. Aber, hm, ein halbes Jahr später
das nächste Gutachten und die Sache ist gelaufen (wenn denn das erste
Gutachten wirklich fehlerhaft war.

"Gelänge dieser 22jährigen "Gewohnheitstrinkerin" ein solcher Nachweis, so
könnte sie frühestens sechs Monate nach der Abstinenzentschließung -
inzwischen mit entsprechenden Alkoholmarkern wie z. B. Ethylglucuronid
belegbar - sowie entsprechenden Bestätigungen von Beratungsstellen oder
Selbsthilfegruppen ihren Führerschein wieder beantragen."

Ja, und? Die Sperrfrist ist doch meist eh länger.

"Woher weiss Stephan, dass z. B. ein junger Mensch (Lebenserwartung Männer
76,6 und Frauen 82,1 Jahre) nach einer Trunkenheitsauffälligkeit mit >= 1,6
Promille für seinen ganzen restlichen Lebenszeitraum von womöglich 50-60
Jahren nicht mehr zu bloßem Alkoholgenusstrinken fähig sein sollte?"

Das ist doch völlig irrelevant. Er muß ein halbes Jahr nachweisen, aus,
Äpfel, Amen. Dann kriegt er den Führerschein wieder und dann frägt kein
Schwein mehr weiter nach seinen Trinkgewohnheiten - wenn er nicht wieder
auffällig wird.

Du zitierst (zustimmend) Iffland: "Dadurch können einerseits mit einer BAK
von l,6‰ erstmals Auffällige ohne Alkoholproblematik entlastet,
andererseits aber Alkoholabhängige erkannt werden, die bei der
Trunkenheitsfahrt diese BAK zufällig nicht erreicht hatten."

Mit 1,6 Promille noch Autofahren - und dann keine Alkoholproblematik?

"Hier (im Komm. zu den Leitlinien) habe ich keine lebenslange
Abstinenzforderung für Auffällige mit >= 1,6 Promille BAK gefunden, woraus
ich den Schluss ziehe, dass Stephan - obwohl er einer der vier
Kommentatoren war - seine extreme Position nicht durchsetzen konnte."

Offizielle MPU-Philosophie ist, daß die MPU-Kandidaten mehrheitlich keine
Alkoholiker sind.

"Dennoch enthält auch der "Kommentar" teilweise die gleichen
wissenschaftlich untragbaren Mängel und Schwächen wie die Ausführungen von
Stephan (> 11 oben), wenn etwa nicht klipp und klar operational ausgeführt
wird, was unter "Ausfallserscheinungen" zu verstehen ist und wie diese
quantitativ bewertet werden - etwa durch eine entsprechende Evaluation der
Verhaltensmerkmale bei der Blutentnahme."

Wie wären die sinnvoll quantitativ zu bewerten? Es handelt sich um
Beobachtungen von Polizisten, bzw. dem blutentnehmenden Arzt.

"So mag es nicht verwundern, dass sich der eine oder andere an dieser
Stelle fragt, was dieser Kommentar soll, wenn die wesentlichen praktischen
Kriterien schwammig bleiben oder ganz "außen vor" gelassen werden wie etwa
die "Ausfallerscheinungen" und damit ins Reich der projektiven Phantasie
verbannt werden."

Bei weitem nicht alles, was nicht präzis erfaßt (erfaßbar) ist, ist
projektive Phantasie.

"Häufig vermitteln Gutachten eine blosse Auflistung aller negativ
bewerteten Faktoren. Selten werden die positiven Faktoren, Aspekte oder
Interpretationsmöglichkeiten offen dargestellt und abwägend erörtert."

Schrei nach dem Beweis meinerseits: Wie ist dies "selten" quantifiziert? Es
widerspricht meiner Erfahrung.

"In der Anlage 15 (zu § 11 Abs. 5) Grundsätze für die Durchführung der
Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten, Fundstelle des
Originaltextes: BGBl. I 1998, 2292 - 2293, heißt es: "Das Gutachten muß in
allgemeinverständlicher Sprache abgefaßt sowie nachvollziehbar und
nachprüfbar sein." [Q] Gegen diesen Grundsatz wird ständig verstoßen. Und
statt dass die Gerichte diese Unsitte verurteilen, unterstützen einige das
sogar noch, wie Kürti (1995, S.7) mitteilt, was auch die Kommission der
Sektion Verkehrspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und
Psychologen e.V. [Kroj (1995, Hrsg.) S. 27)] unkritisch übernimmt und damit
der Psychologenschaft keinen Gefallen tut."

Jesus, das sind Quellen aus dem Jahre 1995!

"Für die unterschiedlichen Bewertungen fehlen sehr häufig die - fundierten
- Begründungen. Und wenn sie nicht fehlen, werden sie oft nur global, im
psychologischen "Hochstaplerzitierstil", angegeben, indem nämlich der
Begründungssachverhalt gar nicht genannt und auch nicht seitengenau
mitgeteilt wird, auf welche Stelle sich die GutachterIn bezieht. Damit sind
Immunierungstendenzen und Ausweichmanövern Tür und Tor geöffnet: die
GutachterIn sagt und behauptet etwas, ohne dass man weiss, was, wodurch
eine Überprüfung nicht mehr möglich ist."

Das seitengenaue Zitieren ist in einem vorgefertigten Textblock möglich,
sonst nicht.

"Nicht zu beanstanden ist, dass im Einführungsteil auf die dem Gutachten
zugrundeliegenden wichtige Literatur allgemein Bezug genommen wird. Doch
ganz anders verhält es sich, wenn wir uns im Beurteilungs- und
Bewertungsabschnitt befinden. Dort genügt es keineswegs, allgemein
summarisch auf eine Forschungsarbeit zu verweisen. Dort ist es
unverzichtbar, genau den Sachverhalt, auf den zitierend Bezug genommen
wird, zu benennen und seitengenau zu zitieren, damit der Verwaltungsbeamte,
Obergutachter, verkehrspsychologischer Berater oder das Gericht die
Begründungslogik nachvollziehen und überprüfen kann."

Sehr komisch. Gutachten dieser Art wären derart aufwendig, daß sie nicht
mehr zu bezahlen wären.

"Was immer auch die ProbandIn für Leberwerte anbringt: es wird nie positiv
befundet."

Das ist doch klar. Eine erhöhte GGT ist nach kurzer Zeit der Trinkpause
wieder schön herunten. Unser MPU-Arzt hat mir aus seiner Hausarztpraxis
berichtet, er habe einem Patienten eine stationäre Alkoholentzugstherapie
empfohlen. Der Mann hatte eine GGT von weit über 1000 U/l. Wenigen Wochen
nach der Entgiftung war die GGT wunderschön im Normbereich.

"Häufig liest man in negativen Gutachten, dass die "Tiefe" der Einsichten
bezweifelt wird, wobei gewöhnlich völlig in der Luft hängt, woran denn dies
festgemacht wird und wozu dies überhaupt erforderlich sein soll."

Seit vielen Jahren ist im MPU-Gutachten eine ausführliche Darstellung des
Gesprächsverlaufes Standard. Das Geschwätz eines Kandidaten (wenn es denn
Geschwätz ist) ist vom Beamten der Führerscheinstelle sehr gut
nachzuvollziehen.

"Ein typischer Klassiker dieses Gutachtenfehlers ist die schwammige
Formulierung, dass eine Veränderung noch nicht hinreichend "stabil" sei,
wobei geflissentlich verschwiegen wird, wann oder unter welchen Bedingungen
die GutachterIn denn eine Veränderung als hinreichend "stabil" bewerten
möchte. Praktisch ist oft der Zeitraum von einem Jahr "gemeint". Hier fragt
man sich natürlich, warum die GutachterIn nicht klipp und klar, operational
wie man in den Sozialwissenschaften zu sagen pflegt, einen kalendarisch
fassbaren Zeitraum nennt?"

Weil dieser Zeitraum von einem halben oder einen Jahr auch nichts anderes
ist als eine Daumen-mal-Pi-Quadrat-Angabe. Und im übrigen wird dieser
Zeitraum fast immer genannt.

"Völlig - m. E. auch rechtlich - untragbar sind Zweitgutachten, die über
die Forderungen des Erstgutachtens nach Erfüllung der dort verlangten
Veränderungen hinausgehen, noch dazu, wenn auch noch weitere positive
Veränderungen vorliegen."

Wieso das denn? Zum einen kann sich die Befundlage in der Zwischenzeit
verschlechtert haben, zum anderen gibt es "strengere" und "laxere"
Gutachter. Und wenn mir ein Klient im Zweitgutachten denselben Dreck
erzählt, den er schon dem Erstgutachter erzählt hat, wenn ihm zudem der
Erstgutachter im Gutachten mitgeteilt hat, warum dies Dreck ist, dann ist
dies sehr wohl ein zu berücksichtender Befund, der das Gesamtergebnis
verschlechtern kann. Ein Gutachten ist ja kein juristisches Dokument,
sondern eine fachliche Beurteilung.

"Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass Selbsthilfegruppen höher bewertet
werden als verkehrspsychologische Beratung oder psychotherapeutische
Behandlung."

Ja, natürlich. Jemand, der bei einer Selbsthilfegruppe war, war mir als
Gutachter stets willkommener als einer, der "nur" eine
verkehrspsychologische Beratung gemacht hatte.

"Andere sehen ein großes Übel darin, wenn jemand zur Fastenzeit für sechs
Wochen lang bis Ostern völlige Abstinenz übt."

Es ist kein Übel, aber ein Zeichen dafür, daß mir Alkohol sehr wichtig ist.

"Das muss ein ganz ein Schlimmer sein, der sich beweisen muss, dass er
alkoholfrei leben kann."

So ist es, natürlich. Wobei ich das "Schlimmer" nicht unterschreiben würde,
weil es keine Frage der Moral ist.

"Ist eine ProbandIn besonders offen, so kann ihr dies sehr zum Nachteil in
der Bewertung gereichen, weil dann natürlich auch immer Sachverhalte zur
Sprache kommen können, die man so und so auslegen kann."

Offenheit kann nachteilig sein, wenn es eine naive, d. h. nicht
problembewußte Offenheit ist. Meistens aber ist Offenheit ein ganz fetter
Pluspunkt für den Klienten.

Ciao
Wolfram
--
Vaterland nennt sich der Staat immer dann, wenn er sich anschickt, auf
Menschenmord auszugehen.
FRIEDRICH DÜRRENMATT
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Rudolf Sponsel

unread,
Oct 30, 2007, 3:56:39 AM10/30/07
to
Wolfram Heinrich schrieb:

> Am Mon, 29 Oct 2007 10:57:06 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>
>> Info:
>>
>> Editorial MPU-Gutachtenkritik
>> http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm
>>
Potzblitz, bist wirklich flott.

> Es hat mich gefreut, daß ich in deiner Literaturliste gleich zweimal
> auftauche.
>

Fein, bei "Betrunken fahren" fehlt noch das Jahr der Veröffentlichung,
könntest Du das bitte nachliefern? Wenn Dir noch Literatur einfällt, bitte
mitteilen.

> Aber nun einige Anmerkungen zu deinen Ausführungen (säufts):

;-)


>
> "Aber Betroffene haben keine echten Chancen, sich gegen schlechte,
> fehlerhafte und fragwürdige MPU-Gutachten zu wehren."
>
> Ei was. Natürlich sieht es grauenvoll aus, wenn ich gegen ein bestimmtes
> Gutachten gerichtlich vorgehe, da es, selbst wenn ich gewinne, sehr lange
> dauert, bis ich schließlich Recht bekomme. Aber, hm, ein halbes Jahr später
> das nächste Gutachten und die Sache ist gelaufen (wenn denn das erste
> Gutachten wirklich fehlerhaft war.
>

Schön wäre es; ich sehr Du glaubst an das Gute ;-)

> "Gelänge dieser 22jährigen "Gewohnheitstrinkerin" ein solcher Nachweis, so
> könnte sie frühestens sechs Monate nach der Abstinenzentschließung -
> inzwischen mit entsprechenden Alkoholmarkern wie z. B. Ethylglucuronid
> belegbar - sowie entsprechenden Bestätigungen von Beratungsstellen oder
> Selbsthilfegruppen ihren Führerschein wieder beantragen."
>
> Ja, und? Die Sperrfrist ist doch meist eh länger.
>
> "Woher weiss Stephan, dass z. B. ein junger Mensch (Lebenserwartung Männer
> 76,6 und Frauen 82,1 Jahre) nach einer Trunkenheitsauffälligkeit mit >= 1,6
> Promille für seinen ganzen restlichen Lebenszeitraum von womöglich 50-60
> Jahren nicht mehr zu bloßem Alkoholgenusstrinken fähig sein sollte?"
>
> Das ist doch völlig irrelevant. Er muß ein halbes Jahr nachweisen, aus,
> Äpfel, Amen. Dann kriegt er den Führerschein wieder und dann frägt kein
> Schwein mehr weiter nach seinen Trinkgewohnheiten - wenn er nicht wieder
> auffällig wird.
>

Na ja, so steht es dort nicht und so meint es Stephan auch nicht.

> Du zitierst (zustimmend) Iffland: "Dadurch können einerseits mit einer BAK

> von l,60/00 erstmals Auffällige ohne Alkoholproblematik entlastet,


> andererseits aber Alkoholabhängige erkannt werden, die bei der
> Trunkenheitsfahrt diese BAK zufällig nicht erreicht hatten."
>
> Mit 1,6 Promille noch Autofahren - und dann keine Alkoholproblematik?
>

Das hängt von der Ausdeutung "Alkoholproblematik" ab.

> "Hier (im Komm. zu den Leitlinien) habe ich keine lebenslange
> Abstinenzforderung für Auffällige mit >= 1,6 Promille BAK gefunden, woraus
> ich den Schluss ziehe, dass Stephan - obwohl er einer der vier
> Kommentatoren war - seine extreme Position nicht durchsetzen konnte."
>
> Offizielle MPU-Philosophie ist, daß die MPU-Kandidaten mehrheitlich keine
> Alkoholiker sind.
>

Schon, aber mit der strikten - auch noch "zufriedenen" Abstinenzforderung
werden sie so behandelt, also für lernunfähig erklärt, kontrollierten und
verantwortlichen Umgang mit Alkohol zu lernen.

> "Dennoch enthält auch der "Kommentar" teilweise die gleichen
> wissenschaftlich untragbaren Mängel und Schwächen wie die Ausführungen von
> Stephan (> 11 oben), wenn etwa nicht klipp und klar operational ausgeführt
> wird, was unter "Ausfallserscheinungen" zu verstehen ist und wie diese
> quantitativ bewertet werden - etwa durch eine entsprechende Evaluation der
> Verhaltensmerkmale bei der Blutentnahme."
>
> Wie wären die sinnvoll quantitativ zu bewerten? Es handelt sich um
> Beobachtungen von Polizisten, bzw. dem blutentnehmenden Arzt.
>

Dabei könnte eine Habil herausspringen. Wenn Stephan das Argument bringt, soll
er es füllen.

> "So mag es nicht verwundern, dass sich der eine oder andere an dieser
> Stelle fragt, was dieser Kommentar soll, wenn die wesentlichen praktischen
> Kriterien schwammig bleiben oder ganz "außen vor" gelassen werden wie etwa
> die "Ausfallerscheinungen" und damit ins Reich der projektiven Phantasie
> verbannt werden."
>
> Bei weitem nicht alles, was nicht präzis erfaßt (erfaßbar) ist, ist
> projektive Phantasie.
>

Aber der Schwamm muss gedeutet werden. Wenn Gutachter nicht deutschen Klartext
sprechen lernen wollen, warum tun sie dann nichts anderes?

> "Häufig vermitteln Gutachten eine blosse Auflistung aller negativ
> bewerteten Faktoren. Selten werden die positiven Faktoren, Aspekte oder
> Interpretationsmöglichkeiten offen dargestellt und abwägend erörtert."
>
> Schrei nach dem Beweis meinerseits: Wie ist dies "selten" quantifiziert? Es
> widerspricht meiner Erfahrung.
>

Da hast Du recht; ich hoffe, ich kann dies im Laufe der Zeit nachliefern.


> "In der Anlage 15 (zu § 11 Abs. 5) Grundsätze für die Durchführung der
> Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten, Fundstelle des
> Originaltextes: BGBl. I 1998, 2292 - 2293, heißt es: "Das Gutachten muß in
> allgemeinverständlicher Sprache abgefaßt sowie nachvollziehbar und
> nachprüfbar sein." [Q] Gegen diesen Grundsatz wird ständig verstoßen. Und
> statt dass die Gerichte diese Unsitte verurteilen, unterstützen einige das
> sogar noch, wie Kürti (1995, S.7) mitteilt, was auch die Kommission der
> Sektion Verkehrspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und
> Psychologen e.V. [Kroj (1995, Hrsg.) S. 27)] unkritisch übernimmt und damit
> der Psychologenschaft keinen Gefallen tut."
>
> Jesus, das sind Quellen aus dem Jahre 1995!
>

Der liegt ein wenig weiter zurück ;-)

> "Für die unterschiedlichen Bewertungen fehlen sehr häufig die - fundierten
> - Begründungen. Und wenn sie nicht fehlen, werden sie oft nur global, im
> psychologischen "Hochstaplerzitierstil", angegeben, indem nämlich der
> Begründungssachverhalt gar nicht genannt und auch nicht seitengenau
> mitgeteilt wird, auf welche Stelle sich die GutachterIn bezieht. Damit sind
> Immunierungstendenzen und Ausweichmanövern Tür und Tor geöffnet: die
> GutachterIn sagt und behauptet etwas, ohne dass man weiss, was, wodurch
> eine Überprüfung nicht mehr möglich ist."
>
> Das seitengenaue Zitieren ist in einem vorgefertigten Textblock möglich,
> sonst nicht.
>

Das verstehe ich nicht.

> "Nicht zu beanstanden ist, dass im Einführungsteil auf die dem Gutachten
> zugrundeliegenden wichtige Literatur allgemein Bezug genommen wird. Doch
> ganz anders verhält es sich, wenn wir uns im Beurteilungs- und
> Bewertungsabschnitt befinden. Dort genügt es keineswegs, allgemein
> summarisch auf eine Forschungsarbeit zu verweisen. Dort ist es
> unverzichtbar, genau den Sachverhalt, auf den zitierend Bezug genommen
> wird, zu benennen und seitengenau zu zitieren, damit der Verwaltungsbeamte,
> Obergutachter, verkehrspsychologischer Berater oder das Gericht die
> Begründungslogik nachvollziehen und überprüfen kann."
>
> Sehr komisch. Gutachten dieser Art wären derart aufwendig, daß sie nicht
> mehr zu bezahlen wären.
>

Das glaube ich nicht. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist ziemlich gut und kann
ja auch noch, falls nötig, verbessert werden. Ich sehe da weder ein
grundlegendes noch ein technisches Problem. Es lassen sich leicht
entsprechende Textbausteine vorformulieren.

> "Was immer auch die ProbandIn für Leberwerte anbringt: es wird nie positiv
> befundet."
>
> Das ist doch klar. Eine erhöhte GGT ist nach kurzer Zeit der Trinkpause
> wieder schön herunten. Unser MPU-Arzt hat mir aus seiner Hausarztpraxis
> berichtet, er habe einem Patienten eine stationäre Alkoholentzugstherapie
> empfohlen. Der Mann hatte eine GGT von weit über 1000 U/l. Wenigen Wochen
> nach der Entgiftung war die GGT wunderschön im Normbereich.
>

Dann sollte man auf Leberwertdiagnostik verzichten, die Ärzte sind ja ohnehin
nicht in der Lage, ihre Normen vernünftig erklären, womöglich sind viele auch
fragwürdig. Deshalb habe ich dem Editorial ja die flankierende Arbeit über
Laborwertnormen beigegeben:
http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm

> "Häufig liest man in negativen Gutachten, dass die "Tiefe" der Einsichten
> bezweifelt wird, wobei gewöhnlich völlig in der Luft hängt, woran denn dies
> festgemacht wird und wozu dies überhaupt erforderlich sein soll."
>
> Seit vielen Jahren ist im MPU-Gutachten eine ausführliche Darstellung des
> Gesprächsverlaufes Standard. Das Geschwätz eines Kandidaten (wenn es denn
> Geschwätz ist) ist vom Beamten der Führerscheinstelle sehr gut
> nachzuvollziehen.
>

Das allein ist immer noch zu wenig.

> "Ein typischer Klassiker dieses Gutachtenfehlers ist die schwammige
> Formulierung, dass eine Veränderung noch nicht hinreichend "stabil" sei,
> wobei geflissentlich verschwiegen wird, wann oder unter welchen Bedingungen
> die GutachterIn denn eine Veränderung als hinreichend "stabil" bewerten
> möchte. Praktisch ist oft der Zeitraum von einem Jahr "gemeint". Hier fragt
> man sich natürlich, warum die GutachterIn nicht klipp und klar, operational
> wie man in den Sozialwissenschaften zu sagen pflegt, einen kalendarisch
> fassbaren Zeitraum nennt?"
>
> Weil dieser Zeitraum von einem halben oder einen Jahr auch nichts anderes
> ist als eine Daumen-mal-Pi-Quadrat-Angabe. Und im übrigen wird dieser
> Zeitraum fast immer genannt.
>

In den MPU-Gutachten, die mir vorliegen, leider nicht. Das ist Schwamm und
damit projektive Phantasie der LeserIn gefordert. Unerträglich ist, dass dann
hinterher gesagt werden kann, so war das aber nicht gemeint.

> "Völlig - m. E. auch rechtlich - untragbar sind Zweitgutachten, die über
> die Forderungen des Erstgutachtens nach Erfüllung der dort verlangten
> Veränderungen hinausgehen, noch dazu, wenn auch noch weitere positive
> Veränderungen vorliegen."
>
> Wieso das denn? Zum einen kann sich die Befundlage in der Zwischenzeit
> verschlechtert haben, zum anderen gibt es "strengere" und "laxere"

"... noch dazu ... "

> Gutachter. Und wenn mir ein Klient im Zweitgutachten denselben Dreck
> erzählt, den er schon dem Erstgutachter erzählt hat, wenn ihm zudem der
> Erstgutachter im Gutachten mitgeteilt hat, warum dies Dreck ist, dann ist
> dies sehr wohl ein zu berücksichtender Befund, der das Gesamtergebnis
> verschlechtern kann. Ein Gutachten ist ja kein juristisches Dokument,
> sondern eine fachliche Beurteilung.
>

Dieser Fall ist nicht meint.

> "Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass Selbsthilfegruppen höher bewertet
> werden als verkehrspsychologische Beratung oder psychotherapeutische
> Behandlung."
>
> Ja, natürlich. Jemand, der bei einer Selbsthilfegruppe war, war mir als
> Gutachter stets willkommener als einer, der "nur" eine
> verkehrspsychologische Beratung gemacht hatte.
>

Wieso das denn?

> "Andere sehen ein großes Übel darin, wenn jemand zur Fastenzeit für sechs
> Wochen lang bis Ostern völlige Abstinenz übt."
>
> Es ist kein Übel, aber ein Zeichen dafür, daß mir Alkohol sehr wichtig ist.
>

In der Zeit, wo er keinen trinkt und Verzichtfähigkeit beweist? Was ist denn
für eine Logik? Abstinenzzeiträume wird doch auch sonst verlangt. Hier wird
doch alles auf den Kopf gestellt. Ich denke daher, dass es an der Zeit, diesen
sektiererisch-immunisierenden Paradoxien aufzudecken.

> "Das muss ein ganz ein Schlimmer sein, der sich beweisen muss, dass er
> alkoholfrei leben kann."
>
> So ist es, natürlich. Wobei ich das "Schlimmer" nicht unterschreiben würde,
> weil es keine Frage der Moral ist.
>
> "Ist eine ProbandIn besonders offen, so kann ihr dies sehr zum Nachteil in
> der Bewertung gereichen, weil dann natürlich auch immer Sachverhalte zur
> Sprache kommen können, die man so und so auslegen kann."
>
> Offenheit kann nachteilig sein, wenn es eine naive, d. h. nicht
> problembewußte Offenheit ist. Meistens aber ist Offenheit ein ganz fetter
> Pluspunkt für den Klienten.
>
> Ciao
> Wolfram

Ich hoffe, ich kann Dich durch meine vollständige Analyse zweier 17-seitiger
GA etwas geneigter machen. Ansonsten finde ich es gut, dass wir uns
auseinandersetzen. Ich fände es im übrigen auch gut, wenn die GutachterInnen
mal den BeraterInnen sagten, was ihnen nicht passt. Dazu müssten sie
allerdings ihr Elfenbeintürmchen verlassen und elementares
Kommunikationsverhalten zeigen, nämlich Klartext sprechen (Du bist hier nicht
gemeint, bist ja da und sprichst auch Klartext).

Gute Zeit
Rudolf Sponsel, Erlangen

Wolfram Heinrich

unread,
Oct 30, 2007, 8:07:00 PM10/30/07
to
Am Tue, 30 Oct 2007 08:56:39 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

> Wolfram Heinrich schrieb:

>> Es hat mich gefreut, daß ich in deiner Literaturliste gleich zweimal
>> auftauche.
>>
> Fein, bei "Betrunken fahren" fehlt noch das Jahr der Veröffentlichung,
> könntest Du das bitte nachliefern?

Das wird schwierig, denn eigentlich ist "Betrunken fahren? Aber logisch!"
bisher noch nicht "richtig" veröffentlicht, nur im Netz an wenigen Stellen.
Aber wenn das auch als veröffentlicht gilt, dann ist es das Jahr 2003.
Geschrieben habe ich es aber schon etliche Jahre zuvor.

>> Aber nun einige Anmerkungen zu deinen Ausführungen (säufts):
> ;-)
>>
>> "Aber Betroffene haben keine echten Chancen, sich gegen schlechte,
>> fehlerhafte und fragwürdige MPU-Gutachten zu wehren."
>>
>> Ei was. Natürlich sieht es grauenvoll aus, wenn ich gegen ein bestimmtes
>> Gutachten gerichtlich vorgehe, da es, selbst wenn ich gewinne, sehr lange
>> dauert, bis ich schließlich Recht bekomme. Aber, hm, ein halbes Jahr später
>> das nächste Gutachten und die Sache ist gelaufen (wenn denn das erste
>> Gutachten wirklich fehlerhaft war.
>>
> Schön wäre es; ich sehr Du glaubst an das Gute ;-)
>

Also zunächst mal liebt der MPU-Gutachter positive Gutachten, weil ihm die
weniger Arbeit machen. Und nach meiner Erfahrung sind Zweitgutachten
deutlich häufiger positiv (oder wenigstens mit Kurszuweisung) als
Erstgutachten. Ja, ich weiß, das liegt an den bösen Gutachtern, die jeden
beim ersten Mal durchfallen lassen, damit er ein zweites Mal ein Geld ins
Haus bringt.

>> "Woher weiss Stephan, dass z. B. ein junger Mensch (Lebenserwartung Männer
>> 76,6 und Frauen 82,1 Jahre) nach einer Trunkenheitsauffälligkeit mit >= 1,6
>> Promille für seinen ganzen restlichen Lebenszeitraum von womöglich 50-60
>> Jahren nicht mehr zu bloßem Alkoholgenusstrinken fähig sein sollte?"
>>
>> Das ist doch völlig irrelevant. Er muß ein halbes Jahr nachweisen, aus,
>> Äpfel, Amen. Dann kriegt er den Führerschein wieder und dann frägt kein
>> Schwein mehr weiter nach seinen Trinkgewohnheiten - wenn er nicht wieder
>> auffällig wird.
>>
> Na ja, so steht es dort nicht und so meint es Stephan auch nicht.
>

Das ist doch ziemlich wurscht, was Stephan meint. Er ist jedenfalls kein
Idiot und es wird ihm klar sein, daß du allenfalls *bis* zur MPU eine
Entwicklung verfolgen kannst. Was danach kommt - tja. Einige von den Leuten
kann man durch eine MPU halt doch zu einem alkoholfreien Leben verführen
und wenn das nicht gelingt (oder nicht nötig ist), dann eben zu einem Leben
mit einem entspannten Verhältnis zum Alkohol.

>> Du zitierst (zustimmend) Iffland: "Dadurch können einerseits mit einer BAK
>> von l,60/00 erstmals Auffällige ohne Alkoholproblematik entlastet,
>> andererseits aber Alkoholabhängige erkannt werden, die bei der
>> Trunkenheitsfahrt diese BAK zufällig nicht erreicht hatten."
>>
>> Mit 1,6 Promille noch Autofahren - und dann keine Alkoholproblematik?
>>
> Das hängt von der Ausdeutung "Alkoholproblematik" ab.
>

Also meine Ausdeutung: Eine Alkoholproblematik liegt dann vor, wenn die
Person kein entspanntes Verhältnis mehr zum Alkohol hat, wenn sie nicht
mehr *jederzeit* nach Belieben mit dem Stoff Alkohol umgehen kann.

>> Offizielle MPU-Philosophie ist, daß die MPU-Kandidaten mehrheitlich keine
>> Alkoholiker sind.
>>
> Schon, aber mit der strikten - auch noch "zufriedenen" Abstinenzforderung
> werden sie so behandelt, also für lernunfähig erklärt, kontrollierten und
> verantwortlichen Umgang mit Alkohol zu lernen.
>

Zur zufriedenen Abstinenz - Natürlich ist das ein wünschenswerten Ziel für
einen Alkoholiker. Wenn allerdings "zufriedene Abstinenz" von außen als
Forderung an einen Menschen herankommt, dann wird die Sache sehr
theologisch und verzwickt, dann landen wir beim "Sei-spontan-Paradox". Du
*mußt* Abstinenz *wollen*.
Und zum verantwortlichen Umgang mit Alkohol - Abstinenz ist sehr viel
leichter zu praktizieren als kontrolliertes Trinken. Beim kontrollierten
Trinken mußt du ständig aufpassen wie ein Haftlmacher, du machst dir damit
das Leben unnötig schwer.

>>> "Dennoch enthält auch der "Kommentar" teilweise die gleichen
>>> wissenschaftlich untragbaren Mängel und Schwächen wie die Ausführungen von
>>> Stephan (> 11 oben), wenn etwa nicht klipp und klar operational ausgeführt
>>> wird, was unter "Ausfallserscheinungen" zu verstehen ist und wie diese
>>> quantitativ bewertet werden - etwa durch eine entsprechende Evaluation der
>>> Verhaltensmerkmale bei der Blutentnahme."
>>
>> Wie wären die sinnvoll quantitativ zu bewerten? Es handelt sich um
>> Beobachtungen von Polizisten, bzw. dem blutentnehmenden Arzt.
>>
> Dabei könnte eine Habil herausspringen. Wenn Stephan das Argument bringt, soll
> er es füllen.
>

Es muß doch nicht alles einer Zahl zugeordnet werden, bloß damit der
Eindruck entsteht, das sei Wissenschaft. Wenn der Arzt reinschreibt: "Trotz
seiner 2,4 Promille stand er da wie eine Brezen" dann ist das ein
verwertbarer Fakt.
Oder ein anderes Extrem, ein Trunkenheitsfahrer mit 2 Promille, der keine
sonderlich erhöhte Alkoholgewöhnung hatte: Der Mann hatte nach einer für
ihn sehr bekümmerlichen Nachricht bei einem Bekannten sehr schnell sehr
viel Alkohol getrunken und war dann sofort losgefahren, um - weil er
alleine sein wollte - auf einem Waldweg im Auto zu übernachten. Nach sehr
kurzer Fahrstrecke bereits begann der Alkohol zu wirken, er fuhr an den
Randstein, der Reifen platzte und er versuchte, den Reifen zu wechseln.
Nachdem die Alkoholwirkung immer stärker spürbar wurde, wurde er
schließlich unter dem Radwechseln auf dem Gehsteig bewußtlos, so wie er
dann auch von der Polizei gefunden wurde. Im - bei den Akten liegenden -
Polizeibericht wird genüßlich und liebevoll beschrieben, wie der Mann dann
im Polizeigewahrsam unter schwersten Ausfallserscheinungen litt, wie er
sich mehrmals - feucht und fest - in die Hosen machte etc. pp.
Das sagt doch mehr aus als: Der Patient hatte 7 Punkte auf der nach oben
offenen SCHLUCKSPECHT-Skala.

>> "Häufig vermitteln Gutachten eine blosse Auflistung aller negativ
>> bewerteten Faktoren. Selten werden die positiven Faktoren, Aspekte oder
>> Interpretationsmöglichkeiten offen dargestellt und abwägend erörtert."
>>
>> Schrei nach dem Beweis meinerseits: Wie ist dies "selten" quantifiziert? Es
>> widerspricht meiner Erfahrung.
>>
> Da hast Du recht; ich hoffe, ich kann dies im Laufe der Zeit nachliefern.
>

Ich bin skeptisch, ob du das schaffst. Es ist seit vielen Jahren Standard
in den Begutachtungslinien, daß auch positive Aspekte gewürdigt werden
sollen, was manchmal dazu führt, daß in wirklich katastrophalen Fällen der
Gutachter verzweifelt nach einem Pluspunkt sucht.

>> Das seitengenaue Zitieren ist in einem vorgefertigten Textblock möglich,
>> sonst nicht.
>>
> Das verstehe ich nicht.
>

Die vorgefertigten Textblöcke, die in der Regel die Gründe für die
Eignungszweifel darlegen, werden einmal von der Textblock-Kommission von
TÜV, DEKRA, PIMA etc. formuliert und dabei Belegstellen angeführt. Ich kann
mir als Gutachter auch selber Textblöcke basteln und hier ein bißchen mit
Zitaten protzen (und ich muß mir als Gutachter Textblöcke basteln, weil
anders diese Sklavenarbeit nicht zu bewältigen ist). Aber wenn ich mal
selber einen originellen Gedanken formuliere, dann kann ich es mir nicht
leisten, irgendwo nachzustöbern, ob irgendein Anderer schon mal denselben
genialen Gedanken hatte.

>> Sehr komisch. Gutachten dieser Art wären derart aufwendig, daß sie nicht
>> mehr zu bezahlen wären.
>>
> Das glaube ich nicht. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist ziemlich gut und kann
> ja auch noch, falls nötig, verbessert werden. Ich sehe da weder ein
> grundlegendes noch ein technisches Problem. Es lassen sich leicht
> entsprechende Textbausteine vorformulieren.
>

Ja, ja. Mit diesen Textblöcken kannst du ein umfangreiches,
wohldurchdachtes Gutachten - simulieren. Und du mußt es, weil der Druck da
ist, das Gutachten soll ja nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert
sein. Ha!
Ich bin zu faul, es umzuformulieren, deshalb ein - pardon - längeres Zitat
aus einer früheren Auflage des "Testknackers":

"In diesen Zeiten der elektronischen Daten- und Textverarbeitung kann es
Ihnen passieren (und die Wahrscheinlichkeit, daß es Ihnen tatsächlich
passiert, steigt mit jedem verstreichenden Monat), daß während des
Untersuchungsgespräches zwischen Ihnen und dem Psychologen ein
aufgeklappter Laptop liegt, einer dieser tragbaren Computer im Format einer
Aktenmappe. Während des Gespräches hackt der Psychologe mehr oder weniger
virtuos auf die Tastatur seines Laptop ein, schreibt seine Fragen und Ihre
Antworten nieder.
Die befangene Nervosität, die sich durch den Anblick des mitschreibenden
Gegenübers immer in ein solches Gespräch einschleicht (und die fairerweise
auch nie ganz verschwinden sollte, denn es ist kein freundlicher
Kaffeeplausch), ist jetzt auf die Spitze getrieben. Wo ich sonst als Klient
im Verlaufe des Gespräches das Mitschreiben stellenweise fast ignorieren
konnte, weil es im allgemeinen Gestenspiel des Psychologen unterging,
bekomme ich nun durch die beständig klappernde Computertastatur im wahrsten
Sinne des Wortes den jedem aus dem Krimi bekannten Satz eingehämmert:
"Alles, was Sie hier sagen, kann später gegen Sie verwendet werden!"
Im Untersuchungsgespräch einer MPU sitzt dem Psychologen, der in diesem
Moment eine erhebliche Macht über seinen Gesprächspartner hat, ein teils
verängstigter, teils aggressiv mißtrauischer Klient gegenüber. Dieser
Klient hat aber - verrückterweise - nur dann eine Chance, sein Ziel, ein
positives Gutachten, zu erreichen, wenn er sich vom Psychologen trotz der
einschüchternden Ausgangslage zu einem - wenigstens einigermaßen - offenen
und vertrauensvollen Gespräch "verleiten" läßt.
Wer auch nur ein wenig von bewußter, kontrollierter Gesprächsführung
versteht, weiß, daß es der helle Wahnsinn ist, eine solch kitzlige und
labile Gesprächssituation zusätzlich noch mit dieser klappernden Barriere
zwischen den beiden Gesprächspartnern zu belasten.
Bei den Untersuchungsstellen weiß man das natürlich auch, duldet aber bzw.
fördert sogar das direkte Mitprotokollieren in den Computer.
Früher war es Philosophie des TÜV, sorgfältige Gespräche zu führen, sich
bei den Gutachten dagegen mit knappen Charakteristiken zu begnügen. Das
hatte niemand weiter gestört, solange - bis weit in die Mitte der achtziger
Jahre hinein - die Gutachten zum überwiegenden Teil positiv ausfielen. Als
dann, vor allem wegen der enorm hohen Rückfallquoten bei den positiv
Begutachteten, die Untersuchungskriterien schärfer und die positiven
Gutachten seltener wurden, begannen Anwälte, ADAC und andere
Interessenvertreter der betroffenen Kraftfahrer, die hohen Durchfallquoten
zu kritisieren. Was sie wollten (und wollen), waren (und sind) positive
Gutachten: "Laßt die Leute halt wieder fahren!"
Was sie sagten (denn sie wollten ja "seriös" argumentieren) war: "Eure
Kurzgutachten mit den vielen pauschalen Textbausteinen sind zu wenig
nachvollziehbar. Schreibt bessere, sprich: längere Gutachten!"
Die Untersuchungsstellen reagierten auf den stetig steigenden Druck und
gingen in der Folgezeit mit sehr viel Aufwand an eine Verbesserung, sprich:
Verlängerung der Gutachten. Die Gutachten wurden deshalb nicht teurer, die
Psychologen (es sind in der überwiegenden Mehrzahl freiberufliche
Mitarbeiter, die pro Untersuchung bezahlt werden) bekommen für aufwendige
Gutachten auch nicht mehr Geld als früher für die Kurzgutachten. Das heißt,
sie müssen jetzt notgedrungen an anderer Stelle mit Ihrer Arbeitszeit
haushalten. Das Resultat sind die Laptop-Gespräche, bei denen tatsächlich
der Kernbereich des Gutachtens bereits während des Untersuchungsgespräches
geschrieben wird. Die Gutachten machen jetzt zwar optisch sehr viel mehr
her als früher, die Datenbasis, die ihnen zugrundeliegt, ist aber erheblich
unzuverlässiger geworden.
Die an sich in Ihrem Interesse als Betroffener geführten Attacken von ADAC
& Co. haben aber noch andere, weitaus fatalere Konsequenzen für Sie.
Positive Gutachten durften früher kürzer sein, denn jeder der Beteiligten
war mit ihnen zufrieden. Mit der Folge, daß ein im Zweifelsfall das Für und
Wider abwägender Psychologe immer wieder in Versuchung kam, mit einem
positiven "Gnadengutachten" sich und dem Klienten eine Freude zu machen.
Zum anderen war jenes Gutachten, das Sie in jedem Fall abgeben müssen,
erfreulich inhaltsleer, der Behörde also wenig über die dunkleren Flecken
Ihrer Lebensgeschichte verriet. Jetzt sind besonders schlaue Behördenleiter
draufgekommen, daß die positiven Gutachten besonders umfangreich sein
müssen, weil sie ja die Eignungszweifel widerlegen, also gegen die
statistische Erwartung argumentieren. Sie als Führerscheinbewerber sind
damit wieder ein Stück gläserner geworden und kein MPU-Psychologe kommt
mehr in Versuchung, sich durch ein positives Gutachten die Arbeit ein wenig
kürzer und damit angenehmer zu machen.
Die Positivquoten der Gutachten sind im übrigen seither eher noch ein Stück
weiter gefallen. Klar: Wenn ich als Gutachter viel schreiben muß, muß ich
mir viel Gedanken machen und wenn ich mir viel Gedanken machen muß, fallen
mir viele Sachen ein, die doch eher bedenklich sind..."

Zwei Jahre, nachdem ich dies geschrieben hatte, saß ich selber - für ein
Jahr - vor dem Laptop und klopfte das Gespräch mit, weil es anders nicht
mehr zu schaffen war. Oh Jahrhundert! Oh Wissenschaft!

>>> "Was immer auch die ProbandIn für Leberwerte anbringt: es wird nie positiv
>>> befundet."
>>
>> Das ist doch klar. Eine erhöhte GGT ist nach kurzer Zeit der Trinkpause
>> wieder schön herunten. Unser MPU-Arzt hat mir aus seiner Hausarztpraxis
>> berichtet, er habe einem Patienten eine stationäre Alkoholentzugstherapie
>> empfohlen. Der Mann hatte eine GGT von weit über 1000 U/l. Wenigen Wochen
>> nach der Entgiftung war die GGT wunderschön im Normbereich.
>>
> Dann sollte man auf Leberwertdiagnostik verzichten,

Die krassen Fälle kriegst du auf die Tour jedenfalls raus. Und wenn du
keine Leberwerte bestimmst, kannst du die medizinische Untersuchung bei der
MPU sowieso vergessen. Die körperliche Grobuntersuchung bringt doch bloß
was bei den Fällen, wo schon die Sekretärin beim Empfang merkt, daß der
gute Mann zusammengesoffen ist.
Und außerdem ist Medizin eine "harte" Wissenschaft, härter als die
Psychologie jedenfalls und so was brauchts fürs Renommee.

>> Weil dieser Zeitraum von einem halben oder einen Jahr auch nichts anderes
>> ist als eine Daumen-mal-Pi-Quadrat-Angabe. Und im übrigen wird dieser
>> Zeitraum fast immer genannt.
>>
> In den MPU-Gutachten, die mir vorliegen, leider nicht.

Ich hoffe, diese Gutachten sind nicht auch von 1995.

>> "Völlig - m. E. auch rechtlich - untragbar sind Zweitgutachten, die über
>> die Forderungen des Erstgutachtens nach Erfüllung der dort verlangten
>> Veränderungen hinausgehen, noch dazu, wenn auch noch weitere positive
>> Veränderungen vorliegen."
>>
>> Wieso das denn? Zum einen kann sich die Befundlage in der Zwischenzeit
>> verschlechtert haben, zum anderen gibt es "strengere" und "laxere"
>
> "... noch dazu ... "
>
>> Gutachter. Und wenn mir ein Klient im Zweitgutachten denselben Dreck
>> erzählt, den er schon dem Erstgutachter erzählt hat, wenn ihm zudem der
>> Erstgutachter im Gutachten mitgeteilt hat, warum dies Dreck ist, dann ist
>> dies sehr wohl ein zu berücksichtender Befund, der das Gesamtergebnis
>> verschlechtern kann. Ein Gutachten ist ja kein juristisches Dokument,
>> sondern eine fachliche Beurteilung.
>>
> Dieser Fall ist nicht meint.
>

Sondern?

>> Ja, natürlich. Jemand, der bei einer Selbsthilfegruppe war, war mir als
>> Gutachter stets willkommener als einer, der "nur" eine
>> verkehrspsychologische Beratung gemacht hatte.
>>
> Wieso das denn?
>

Weil eine *verkehrs*psychologische Beratung bei den Trunkenheitsfahrern
streng genommen Unfug ist (ich biete selber Verkehrspsychologische Beratung
an, dies zur Information für Mitlesende, dies nicht wissen). Wer zum
Verkehrspsychologen geht, ist noch der Meinung, sein Problem sei,
* daß er keinen Führerschein mehr habe und ihn zurück wolle
oder (immerhin einen Schritt weiter)
* daß er betrunken gefahren sei.
Das Problem ist aber, daß er zuviel trinkt (getrunken hat). Die
Trunkenheitsfahrt war die logische Folge dieses (ich drücke mich vorsichtig
aus) problematischen Umgangs mit Alkohol. Löst er sein Alkoholproblem, löst
sich das Führerscheinproblem von selbst, löst er das Alkoholproblem nicht,
wird er sehr wahrscheinlich wieder alkoholisiert fahren.
Mein Job als Verkehrspsychologischer Berater ist also, mich vor seinen
Augen von einem Verkehrspsychologen in einen Alkoholberater zu verwandeln.

>> "Andere sehen ein großes Übel darin, wenn jemand zur Fastenzeit für sechs
>> Wochen lang bis Ostern völlige Abstinenz übt."
>>
>> Es ist kein Übel, aber ein Zeichen dafür, daß mir Alkohol sehr wichtig ist.
>>
> In der Zeit, wo er keinen trinkt und Verzichtfähigkeit beweist?

Ja. Weil er damit klarmacht, daß er Verzicht nötig hat. Wenn ich mir
sowieso nichts aus Süßigkeiten mache, wäre es doch ein Kasperltheater,
würde ich zur Fastenzeit auf Schokolade und Bonbons verzichten, was ich
sowieso das ganze Jahr über mache.

> Was ist denn
> für eine Logik? Abstinenzzeiträume wird doch auch sonst verlangt.

Das ist keine Abstinenz, sondern eine Trinkpause. Das ist etwas fundamental
Verschiedenes. In den LEER-Kursen habe ich das den Leuten so klargemacht:
Wenn Sie sich zur Arbeit auf einer Bohrinsel entschließen, verzichten Sie
für - sagen wir mal - 10 Wochen auf eine Frau. Das ist eine Sache, eine
ganz andere Sache ist es, wenn Sie Ihr Mönchsgelübde ablegen und fortan
lebenslänglich auf Geschlechtsverkehr verzichten. Die ersten 10 Wochen als
Mönch sind vielleicht oberflächlich den 10 Wochen auf der Bohrinsel
vergleichbar, aber...
Als Kind habe ich in der Fastenzeit auf Süßigkeiten verzichtet. Was mich
aufgerichtet hat, war das Wissen, daß irgendwann Ostern kommt - und dann
gehts auf.

>> "Das muss ein ganz ein Schlimmer sein, der sich beweisen muss, dass er
>> alkoholfrei leben kann."
>>

Dazu fällt mir noch ein, was mir mal ein trockener Alkoholiker gesagt hat:
"Wenn du anfängst, die Gläser zu zählen, die du trinkst, ist dir eigentlich
schon klar, daß du ein Alkoholproblem hast."

Ciao
Wolfram
--
Der Franze hat gsagt, er lügt nie. Außer, sagt er, jetzt.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

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Wolfram Heinrich

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Oct 31, 2007, 3:25:02 PM10/31/07
to
Am Wed, 31 Oct 2007 15:36:26 +0100 schrieb Karl-Heinz Zeller:

> PS: schlampige Gutachten sind keine Spezialitaet der Psychologen,
> das Phaenomen zieht sich durch das gesamte deutsche Rechtswesen.
> Das wuerde sich nach meiner Meinung schlagartig aendern, wenn
> die Gerichte die von den Richtern wegen Qualitaetsmaengeln
> verworfenen Gutachten nicht mehr bezahlen wuerden.
>
MPU-Gutachten landen selten vor Gericht. Und: MPU-Gutachten sind
Fabrik-Ware, der MPU-Gutachter ein akademischer Fließbandarbeiter. Bei den
Untersuchungsstellen ist schon seit längerem von der BASt ein
Qualitätssicherungssystem vorgeschrieben. Wenn ein Gutachten vom Kunden,
dessen Rechtsanwalt oder gar von der Führerscheinstelle als schlampig
moniert wird, bei der Überprüfung sich rausstellt, daß es wirklich
schlampig war, dann gibt es Krach. Das macht ein Gutachter nicht lange.
Entweder er liefert künftig gute Gutachten oder er fliegt.

Ciao
Wolfram
--
Erleuchtung
Tausend Birnen / in hundert Hirnen / das möcht' mir gefallen, / ich wünsch'
es euch allen.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

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Nov 2, 2007, 2:08:27 AM11/2/07
to
Am Wed, 31 Oct 2007 20:25:02 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


> Entweder er liefert künftig gute Gutachten oder er fliegt.

Nur ein nicht geschriebenes Gutachten ist ein gutes Gutachten, weil
Entscheidungen auf Basis mathematischer Modelle (Regressionsgleichungen)
immer treffsicherer sind. Sogar wenn man die Entscheidungskriterien eines
einzelnen Gutachters mathematisch modelliert, sind die Entscheidungen auf
Basis des Modells valider als die Entscheidungen des Gutachters, auf
dessen Kriterien das Modell beruhte. Das Entscheidungsverhalten ist
nämlich nicht konsistent und wird von unreflektierten Emotionen bzw.
Voruteilen beeinflusst. All diese Zusammenhänge wurden von Psychologen
tausendfach untersucht und in einem weiten Feld von Anwendungsbereichen
immer wieder bestätigt. Es ist nun an der Zeit, dass Psychologen
beginnen, ihr eigenes Fach ernst zu nehmen.

Gruß
Ulrich
- -
http://blog.ppsk.de

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 2, 2007, 5:46:58 AM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 07:08:27 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Wed, 31 Oct 2007 20:25:02 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
> ...
>> Entweder er liefert künftig gute Gutachten oder er fliegt.
>
> Nur ein nicht geschriebenes Gutachten ist ein gutes Gutachten,

Die Alternativen zum nicht geschriebenen Gutachten (also den ganzen
MPU-Sums weglassen) sind:
- Jeder kriegt seinen Führerschein nach Ablauf der Sperrfrist wieder. Es
regiert die Hoffnung, daß sich der Betreffende den Führerscheinentzug
(wider jegliche Erfahrung) zu Herzen nimmt und künftig nicht mehr betrunken
fährt.
- Ich nehme die Erfahrung ernst, daß Trunkenheitsfahrer extrem
rückfallgefährdet sind und verhänge künftig nur noch lebenslange
Führerscheinentzüge.

> weil
> Entscheidungen auf Basis mathematischer Modelle (Regressionsgleichungen)
> immer treffsicherer sind. Sogar wenn man die Entscheidungskriterien eines
> einzelnen Gutachters mathematisch modelliert, sind die Entscheidungen auf
> Basis des Modells valider als die Entscheidungen des Gutachters, auf
> dessen Kriterien das Modell beruhte. Das Entscheidungsverhalten ist
> nämlich nicht konsistent und wird von unreflektierten Emotionen bzw.
> Voruteilen beeinflusst. All diese Zusammenhänge wurden von Psychologen
> tausendfach untersucht und in einem weiten Feld von Anwendungsbereichen
> immer wieder bestätigt. Es ist nun an der Zeit, dass Psychologen
> beginnen, ihr eigenes Fach ernst zu nehmen.
>

Das ist nun etwas sehr allgemein gehalten, so allgemein, daß ich nichts
damit anfangen kann. Kann man das, was du oben schreibst, auch irgendwie in
eine Handlungsanweisung umsetzen?

Ciao
Wolfram
--
Der Franze hat gsagt, der Chinese sagt, daß der, wo die Wahrheit spricht,
ein schnelles Pferd braucht. Er aber, sagt er, hat keins.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

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Nov 2, 2007, 8:17:05 AM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 10:46:58 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:


> Das ist nun etwas sehr allgemein gehalten, so allgemein, daß ich nichts
> damit anfangen kann. Kann man das, was du oben schreibst, auch irgendwie in
> eine Handlungsanweisung umsetzen?
>

Ganz einfach: Man entwickelt ein mathematisches Modell für den Rückfall
von Trunkenheitsfahrern. Meist genügt eine kleine Zahl von Kriterien, um
ein Zielverhalten valider vorherzusagen als ein "klinisches" Gutachten,
also eine mehr oder weniger subjektive, nicht standardisierte und
quantifizierte Einschätzung.
Welche Kriterien in Frage kommen, müsste man in einer Experimentierphase
herausfinden. Hat man nun die beste Regressionsgleichung gefunden, dann
legt man fest, dass eine so prognostizierte Rückfallgefahr, die einen
bestimmten Prozentsatz überschreitet, zur Verweigerung des Führerscheins
führt. Das ist ungeheuer praktisch, kostensparend und die mit Sicherheit
gerechteste, weil am wenigsten willkürliche Lösung.

Als Kriterien könnte ich mir vorstellen: Bisherige Häufigkeit von
Trunkenheitsfahrten, Promille, Geschlecht, Lebensalter,
Trinkverhalten, Selbstachtung, Narzissmus - das müsste man ausprobieren.
Meist genügt eine Handvoll von Prädiktoren.

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 2, 2007, 8:50:01 AM11/2/07
to

Ja, das ist nun wahrlich eine einfache Lösung des Problems. Aber...

Die Anzahl und Verteilung der Trunkenheitsfahrten ist schnell ermittelt,
desgleichen die Promille, das Geschlecht und das Lebensalter. Aber dann.
Selbstachtung und Narzissmus erfasse ich wie? Durch einen Fragebogen, klar,
multiple choice natürlich, weil sonst geht die ganze subjektive
Interpretiererei wieder von vorne los. Das funktioniert einen Monat lang,
dann sind die Fragebögen und deren Auswertungskriterien bei den
MPU-Beratern bekannt und die impfen ihre Klienten dann mit exakten
Vorgaben. "Bei Frage 4 mußt du Alternative 3 ankreuzen und bei Frage 5
Alternative 1, dann klappt das mit dem Führerschein."
Und dann das leidige Trinkverhalten. Muß ich das Problem dabei weiter
ausführen?
Bei der MPU hast du es nicht mit kooperativen Leuten zu tun, die irgendeine
Macke haben und gerne von ihrem Therapeuten davon befreit werden wollen und
also dem Therapeuten ihre Antworten nach bestem Wissen und Gewissen geben.
Bei der MPU dagegen sind die Leute - aus naheliegenden Gründen und
verständlicherweise - absolut nicht kooperativ.

Aber gut, gehen wir mal davon aus, daß sich das alles irgendwie lösen läßt.
Dann hat der Mensch also ein negatives Gutachten und latscht damit zum
Gericht. Und dort hat der Psychologe sein Gutachten, bzw. seinen
Testbericht zu erläutern.
"Bei der Anmeldung haben sie ihm den Fragebogen gegeben, den hat er
angekreuzelt und die Werte wurden automatisch in den Computer eingegeben,
der dann gemeint hat, daß nein. Was ich von der Rückfallgefahr bei Herrn
Schrömp halte? Ja, Sie sind gut, ich seh den heut zum ersten Mal."

Ciao
Wolfram
--
Die Grenzen Afrikas
In Lambare-he-ne, in Lambare-he-ne / Gibt's keine Hip-Hop-Szene / In
Lambarene gibt's das nicht.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

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Nov 2, 2007, 9:27:52 AM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 13:50:01 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
...
> Aber gut, gehen wir mal davon aus, daß sich das alles irgendwie lösen läßt.

Jo, davon können wir getrost ausgehen.

> Dann hat der Mensch also ein negatives Gutachten und latscht damit zum
> Gericht. Und dort hat der Psychologe sein Gutachten, bzw. seinen
> Testbericht zu erläutern.
> "Bei der Anmeldung haben sie ihm den Fragebogen gegeben, den hat er
> angekreuzelt und die Werte wurden automatisch in den Computer eingegeben,
> der dann gemeint hat, daß nein. Was ich von der Rückfallgefahr bei Herrn
> Schrömp halte? Ja, Sie sind gut, ich seh den heut zum ersten Mal."
>

Nun, du hattest mich um eine Handlungsanweisung gebeten, die habe ich
gegeben. Natürlich kann ich diese aber auch noch ergänzen, z. B. so:

1. Aufklärung von Richtern über die lächerlich geringe prognostische
Validität von Gutachten bzw. "klinischen Urteilen" im Bereich des
menschlichen Verhaltens. Es geht hier also keinesweg nur um die MPU,
sondern beispielsweise auch um die Rückfallgefahr von Straftätern im
Allgemeinen.
2. Aufklärung von Richtern über die wesentlich effektivere Prognostik
mittels mathematischer Modelle.
3. Aufklärung von Psychologen über die Ursachen der Neigung zur
Überschätzung der eigenen prognostischen Fähigkeiten.
4. Aufklärung von Politikern über die Notwendigkeit, derartige Gutachten
vor Gericht für unzulässig zu erklären und statt dessen Prognosen auf
Grundlage mathematischer Modelle zwingend vorzuschreiben.

Am Anfang des 21. Jahrhunderts sollten Kaffeesatz und Glaskugeln als
Instrumente der Prognostik vor Gericht eigentlich ausgedient haben - so
wie alle Verfahren, die sich auf diesem Niveau bewegen. Dazu gehört auch
die MPU.

Gruß
Ulrich
- -
http://blog.ppsk.de

PS: Es handelt sich hier nicht um einen akademischen Streit und auch nicht
um die Sonderwünsche eines Zahlenfetischisten, sondern es geht schlicht
und ergreifend um Menschenleben - ganz gleich, ob diese nun von
Trunkenheitsfahrern oder beispielsweise von Sexualstraftätern gefährdet
werden.

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 2, 2007, 11:00:27 AM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 14:27:52 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Fri, 02 Nov 2007 13:50:01 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
> ...
>> Aber gut, gehen wir mal davon aus, daß sich das alles irgendwie lösen läßt.
>
> Jo, davon können wir getrost ausgehen.
>

Da hätt ich jetzt aber schon gerne die eine oder andere Einzelheit gewußt.

>> Dann hat der Mensch also ein negatives Gutachten und latscht damit zum
>> Gericht. Und dort hat der Psychologe sein Gutachten, bzw. seinen
>> Testbericht zu erläutern.
>> "Bei der Anmeldung haben sie ihm den Fragebogen gegeben, den hat er
>> angekreuzelt und die Werte wurden automatisch in den Computer eingegeben,
>> der dann gemeint hat, daß nein. Was ich von der Rückfallgefahr bei Herrn
>> Schrömp halte? Ja, Sie sind gut, ich seh den heut zum ersten Mal."
>>
> Nun, du hattest mich um eine Handlungsanweisung gebeten, die habe ich
> gegeben. Natürlich kann ich diese aber auch noch ergänzen, z. B. so:
>
> 1. Aufklärung von Richtern über die lächerlich geringe prognostische
> Validität von Gutachten bzw. "klinischen Urteilen" im Bereich des
> menschlichen Verhaltens. Es geht hier also keinesweg nur um die MPU,
> sondern beispielsweise auch um die Rückfallgefahr von Straftätern im
> Allgemeinen.
> 2. Aufklärung von Richtern über die wesentlich effektivere Prognostik
> mittels mathematischer Modelle.
> 3. Aufklärung von Psychologen über die Ursachen der Neigung zur
> Überschätzung der eigenen prognostischen Fähigkeiten.
> 4. Aufklärung von Politikern über die Notwendigkeit, derartige Gutachten
> vor Gericht für unzulässig zu erklären und statt dessen Prognosen auf
> Grundlage mathematischer Modelle zwingend vorzuschreiben.
>

Was du hier machst ist eine Argumentation nach dem Muster: Also Leute, wie
schon erwähnt, ist es so, wie ich gesagt habe. Man muß das jetzt nur noch
verbreiten.
Auf die Gefahr hin, daß ich mich jetzt als Depp oute, der nicht mal sein
eigenes Fach versteht: Wie, um Himmels Willen wie bekomme ich derart harte
Daten, die ich dann in einem harten Verfahren verarbeiten kann, so daß ein
hartes Ergebnis rauskommt?
Bei Prof. Jan Drösler in Regensburg haben wir, vor nunmehr auch schon fast
40 Jahren, viel gelacht, als er statistische Verfahren, die er von
Wirtschaftswissenschaftlern abgeguckt hat, auf die Psychologie angewandt
hat. Nun sind ja 100 Mark ein hartes Faktum, wogegen es wenig einzuwenden
gibt, während 12 g Schizophrenie halt doch ein bisserl vage bleibt. Wie
also krieg ich das frühere und jetzige Trinkverhalten der Don Promillos in
dein mathematisches Modell integriert? Und zwar so integriert, daß die
gefütterten Daten wenigstens halbwegs mit der Härte der Methodik mithalten
können?



> Am Anfang des 21. Jahrhunderts sollten Kaffeesatz und Glaskugeln als
> Instrumente der Prognostik vor Gericht eigentlich ausgedient haben - so
> wie alle Verfahren, die sich auf diesem Niveau bewegen. Dazu gehört auch
> die MPU.
>

Das ist ein Seufzer, mehr nicht. Ich bin immer noch ratlos.

> PS: Es handelt sich hier nicht um einen akademischen Streit und auch nicht
> um die Sonderwünsche eines Zahlenfetischisten, sondern es geht schlicht
> und ergreifend um Menschenleben - ganz gleich, ob diese nun von
> Trunkenheitsfahrern oder beispielsweise von Sexualstraftätern gefährdet
> werden.

Na ja, nun.

Ciao
Wolfram
--
Gewiß ist der Mensch verrückt. Er kann keinen Wurm herstellen, aber Götter
macht er dutzendweise.
MONTAIGNE
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

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Nov 2, 2007, 11:50:57 AM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 16:00:27 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...
>>

> Da hätt ich jetzt aber schon gerne die eine oder andere Einzelheit gewußt.

Also machen wir es uns doch nicht unnötig schwer. Man bildet einfach
einen Pool gleichwertiger Items und stellt daraus mehrere reliable und
valide Fragebögen zusammen. Der Proband weiß natürlich nicht, welcher
Fragebogen ihm vorgelegt wird. Wer dann in der Lage ist, alle möglichen
Antwort-Kombinationen aller Fragebögen auswendig zu lernen und unter
Stress richtig zu reproduzieren, der hat den Führerschein wirklich
verdient, sofern ihm nicht die anderen Kriterien in der
Regressionsgleichung einen Strich durch die Rechnung machen.
>
...

> Auf die Gefahr hin, daß ich mich jetzt als Depp oute, der nicht mal sein
> eigenes Fach versteht: Wie, um Himmels Willen wie bekomme ich derart harte
> Daten, die ich dann in einem harten Verfahren verarbeiten kann, so daß ein
> hartes Ergebnis rauskommt?

So fürchterlich hart müssen die Daten für ein mathematisches Modell gar
nicht sein, um die subjektiven Gutachten um Längen zu schlagen. Das ist
doch der Witz dabei. Mathematische Modelle sind nicht darum besser, weil
sie bessere Daten haben, sondern weil sie die Unzulänglichkeiten von
Gutachtern bei der Auswertung vorhandener Daten ausschalten. Auch dies
wurde experimentell bewiesen: Wenn Gutachter alle Daten haben, die in das
mathematische Modell einfließen, ist die prognostische Validität ihrer
Gutachten dennoch geringer als die des mathematischen Modells. Ja, selbst
wenn das mathematische Modell dieselben Kriterien einbezieht wie die vom
Gutachter als relevant genannten, ist der Gutachter immer noch schlechter
als das Modell, das seinen Entscheidungsprozess abbildet.

> Bei Prof. Jan Drösler in Regensburg haben wir, vor nunmehr auch schon fast
> 40 Jahren, viel gelacht, als er statistische Verfahren, die er von
> Wirtschaftswissenschaftlern abgeguckt hat, auf die Psychologie angewandt
> hat. Nun sind ja 100 Mark ein hartes Faktum, wogegen es wenig einzuwenden
> gibt, während 12 g Schizophrenie halt doch ein bisserl vage bleibt.

Ich glaube kaum, dass Drösler versucht hat, Schizophrenie zu wiegen. Aber
bleiben wir bei diesem Thema. Auch die Differentialdiagnose von
Psychotikern gelingt mit Regressionsgleichungen deutlich zuverlässiger
als durch psychiatrische, also "klinische" Beurteilungsverfahren. Es ist
immer wieder dasselbe. Es liegen mitlerweile Hunderte von empirischen
Studien zu diesem Thema vor.

> Wie
> also krieg ich das frühere und jetzige Trinkverhalten der Don Promillos in
> dein mathematisches Modell integriert? Und zwar so integriert, daß die
> gefütterten Daten wenigstens halbwegs mit der Härte der Methodik mithalten
> können?

Das ist eine Frage der Kreativität. Vielleicht setzt man jemanden allein
vor eine Schnapspulle und schließt ihn dabei an allerlei
Bio-Feedback-Apparaturen an oder was auch immer. Das sind doch die
modernen Zeiten mit Computer-Tomographie und was es da nicht alles gibt.
Mir fällt da eine amerikanische Studie ein über Drogenabhängige, bei
denen eine suchtspezifische Reaktion angesichts von Drogen oder
entsprechenden Utensilien auf den Brain Scans deutlich abzulesen war.
Bei den aktiven Drogenabhängigen war sie stärker als bei den behandelten
und nun abstinenten. Man müsste nur ein wenig forschen und schauen,
welche Kriterien man für eine gute Prognose wirklich braucht und dann
gucken, wie man sie am besten / wirtschaftlichsten messen kann. Vielleicht
reicht es auch aus, eine Reihe von Trunkenheitsfahrern in so einer Art
Assessment Center unter Stress zu setzen und ihr Verhalten dann von
mehreren unabhängigen Beobachtern einschätzen zu lassen. Vielleicht
ergeben sich so ganz brauchbare Korrelate zum Trinkverhalten (validiert
über Blutproben zu einem späteren, unerwarteten Zeitpunkt. Wer sie
verweigert, gilt statistisch als rückfällig). Der Phantasie sind da
keine Grenzen gesetzt.

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Wolfram Heinrich

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Nov 2, 2007, 1:55:09 PM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 17:03:17 +0100 schrieb M. A. Specka:

> On Fri, 2 Nov 2007 13:50:01 +0100, Wolfram Heinrich
> <theodo...@freenet.de> wrote:
>
>>Die Anzahl und Verteilung der Trunkenheitsfahrten ist schnell ermittelt,
>>desgleichen die Promille, das Geschlecht und das Lebensalter. Aber dann.
>>Selbstachtung und Narzissmus erfasse ich wie? Durch einen Fragebogen, klar,
>>multiple choice natürlich, weil sonst geht die ganze subjektive
>>Interpretiererei wieder von vorne los.
>

> Es müssen keine "mechanisch" - zum Beispiel durch Fragebogen -
> zustandegekommenen Daten sein, Einschätzungen seitens des
> Beurteilers sind bei der vorgeschlagenen Vorgehensweise ebenso
> verwendbar. Der Gag an der vorgeschlagenen Vorgehensweise liegt
> nicht in der Datenbasis (Fragebogen, Interviewereischätzungen,
> Vergangenheitsdaten, medizinische Befunde etc.) , sondern in der
> Urteilsbildung durch ein mechanisches Verfahren, wie beispielsweise
> die vorgeschlagene gewichtete Summierung. Statt "klinischer"
> Urteilsbildung mit all ihren Fährnissen und Vagheiten.
>
Das mechanische Verfahren ist hart, aber die Ergebnisse können immer nur so
zuverlässig sein wie die Daten, die in dieses Verfahren einfließen.

> Die Beurteilung solch "weicher" Kriterien wie Persönlichkeitszüge
> liesse sich durch geeignete Methoden (klare Definitonen,
> Verhaltensanker, strukturierte Beurteilungsinstrumente oder
> dergleichen) womöglich reliabler und valider gestalten, aber das
> ist eben erstmal kein "muss". Unreliable Merkmale würden
> in der Regression zwangsläufig ein geringeres Gewicht erhalten.
>
Es sind aber gerade die unreliablen Daten, die den Unterschied zwischen
"positiven" und "negativen" Beurteilungen ausmachen. Die harten Fakts
sprechen allesamt und immer gegen eine Führerscheinwiedererteilung, sie
sind es, die gerade die Eignungszweifel der Behörde begründen. Was bleibt,
ist eine mögliche Veränderung in Einstellung und Verhalten. Und diese
zentralen Punkte werden geringer bewertet - pfff.

Ciao
Wolfram
--
ein deutsches schicksal
ich wor vobo / drundn am limbobo / speder wor ich knechd / bei döderlein &
brechd
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

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Nov 2, 2007, 1:55:09 PM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 17:07:54 +0100 schrieb M. A. Specka:

> On Fri, 2 Nov 2007 16:00:27 +0100, Wolfram Heinrich
> <theodo...@freenet.de> wrote:
>
>>Auf die Gefahr hin, daß ich mich jetzt als Depp oute, der nicht mal sein
>>eigenes Fach versteht: Wie, um Himmels Willen wie bekomme ich derart harte
>>Daten, die ich dann in einem harten Verfahren verarbeiten kann, so daß ein
>>hartes Ergebnis rauskommt?
>

> Arbeitet man in dem Feld tatsächlich völlig ohne Empirie? --

Nein, natürlich nicht. Natürlich gibt es Untersuchungen über die
Rückfallwahrscheinlichkeit und natürlich gibt es Untersuchungen über die
Bewährung von Gutachtensempfehlungen in der Realität. Diese Untersuchungen
ziehen sich zwangsläufig über eine geraume Zeit hin, was heißt, daß ihre
Ergebnisse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eigentlich schon wieder
veraltet sind.

Ciao
Wolfram
--
Limerick
Es war ein Landwirt aus Lam bei Cham, / den übermannte in Roding die Scham
/ Er genierte sich mächtig, / amüsierte sich prächtig, / wobei das zweite
(na klar) vor dem ersten kam
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

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Nov 2, 2007, 1:55:10 PM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 16:50:57 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Fri, 02 Nov 2007 16:00:27 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Auf die Gefahr hin, daß ich mich jetzt als Depp oute, der nicht mal sein
>> eigenes Fach versteht: Wie, um Himmels Willen wie bekomme ich derart harte
>> Daten, die ich dann in einem harten Verfahren verarbeiten kann, so daß ein
>> hartes Ergebnis rauskommt?
>
> So fürchterlich hart müssen die Daten für ein mathematisches Modell gar
> nicht sein, um die subjektiven Gutachten um Längen zu schlagen. Das ist
> doch der Witz dabei. Mathematische Modelle sind nicht darum besser, weil
> sie bessere Daten haben, sondern weil sie die Unzulänglichkeiten von
> Gutachtern bei der Auswertung vorhandener Daten ausschalten.

Der Schwachpunkt ist also nicht mehr (oder nicht mehr in erster Linie) der
Gutachter, sondern die mögliche Unzulänglichkeit des mathematischen
Modells.


>
>> Bei Prof. Jan Drösler in Regensburg haben wir, vor nunmehr auch schon fast
>> 40 Jahren, viel gelacht,

Äh, 30 Jahren. So alt bin ich denn doch noch nicht.

>> Wie
>> also krieg ich das frühere und jetzige Trinkverhalten der Don Promillos in
>> dein mathematisches Modell integriert? Und zwar so integriert, daß die
>> gefütterten Daten wenigstens halbwegs mit der Härte der Methodik mithalten
>> können?
>
> Das ist eine Frage der Kreativität. Vielleicht setzt man jemanden allein
> vor eine Schnapspulle und schließt ihn dabei an allerlei
> Bio-Feedback-Apparaturen an oder was auch immer. Das sind doch die
> modernen Zeiten mit Computer-Tomographie und was es da nicht alles gibt.

Hmnja, so müßte es gehen.

> Vielleicht
> reicht es auch aus, eine Reihe von Trunkenheitsfahrern in so einer Art
> Assessment Center unter Stress zu setzen und ihr Verhalten dann von
> mehreren unabhängigen Beobachtern einschätzen zu lassen.

Genau das geschieht jetzt im Untersuchungsgespräch, wenn auch nur mit einem
unabhängigen Beobachter.

Ciao
Wolfram
--
Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort
ist derselbe wie zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen.
MARK TWAIN
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 2, 2007, 3:58:17 PM11/2/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 18:55:10 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


>> Vielleicht
>> reicht es auch aus, eine Reihe von Trunkenheitsfahrern in so einer Art
>> Assessment Center unter Stress zu setzen und ihr Verhalten dann von
>> mehreren unabhängigen Beobachtern einschätzen zu lassen.
>
> Genau das geschieht jetzt im Untersuchungsgespräch, wenn auch nur mit einem
> unabhängigen Beobachter.

Ja, und genau das macht den Unterschied. Bei Bewerbungsgesprächen zum
Beispiel zeigt sich, dass die prognostische Validität /eines/
Interviewers kaum über dem Kaffesatzlesen liegt, wohingegen mehrere,
unabhängige Beobachter im Assessment-Center die höchste prognostische
Validität von allen gebräuchlichen Verfahren haben (Korrelation zwischen
Assessment-Center und Berufserfolg liegt zwischen .7 und .8).
Genau so dürfte es sich bei der Beurteilung der
Rückfallwahrscheinlichkeit von Trunkenheitsfahrern verhalten.

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 3, 2007, 9:12:44 AM11/3/07
to

Womit wir doch wieder beim Gespräch, bei der Verhaltensbeobachtung wären -
und bei der Ökonomie. Du kannst die MPU-Kandidaten nicht in einer
Gruppensituation in die Mangel nehmen, von wegen Diskretion. Also bliebe
die Einzelfalluntersuchung mit 3, 4, 5 beobachtenden bzw. agierenden
Psychologen.
Die jetzige Lösung ist halt ein an äußere Zwänge angepaßter Kompromiß.

Ciao
Wolfram
--
Ich werde stets wiederholen, daß ich Jude bin, solange es auf der Welt auch
nur einen Antisemiten gibt.
ILJA EHRENBURG
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 3, 2007, 9:13:11 AM11/3/07
to
Am Fri, 02 Nov 2007 18:55:09 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


> Es sind aber gerade die unreliablen Daten, die den Unterschied zwischen
> "positiven" und "negativen" Beurteilungen ausmachen. Die harten Fakts
> sprechen allesamt und immer gegen eine Führerscheinwiedererteilung, sie
> sind es, die gerade die Eignungszweifel der Behörde begründen. Was bleibt,
> ist eine mögliche Veränderung in Einstellung und Verhalten. Und diese
> zentralen Punkte werden geringer bewertet - pfff.
>

Unreliable Daten werden geringer bewertet, weil sie deswegen
selbstverständlich auch nur eine geringe prognostische Validität
besitzen (lies: sie taugen wenig zur Vorhersage) und das mathematische
Modell diesen Umstand korrekt und angemessen berücksichtigt. Es geht
schließlich darum, die Prognose zu optimieren und nicht darum, auf Teufel
komm raus irgend etwas zu berücksichtigen, dessen Berücksichtigung man
für wünschenwert oder sinnvoll hält. Letzteres dürfte wohl auch einer
der wichtigsten Gründe für die sehr geringe prognostische Validität
"klinischer" Urteile sind.

Pfff?

Gruss
Ulrich
- -
http://hugresch.wordpress.com

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 3, 2007, 9:27:42 AM11/3/07
to
Am Sat, 03 Nov 2007 14:12:44 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


> Womit wir doch wieder beim Gespräch, bei der Verhaltensbeobachtung wären -
> und bei der Ökonomie. Du kannst die MPU-Kandidaten nicht in einer
> Gruppensituation in die Mangel nehmen, von wegen Diskretion. Also bliebe
> die Einzelfalluntersuchung mit 3, 4, 5 beobachtenden bzw. agierenden
> Psychologen.
> Die jetzige Lösung ist halt ein an äußere Zwänge angepaßter Kompromiß.
>

Man muss den Kandidaten auch nicht in einer Weise in die Mangel nehmen,
die irgendwie die Diskretion gefährden könnte. Der Witz beim
Assessment-Center besteht darin, dass die Leute in Situationen getestet
werden, die den Zielsituationen möglichst ähnlich sind. Wenn man
beispielsweise eine Buchhalter sucht, dann lässt man ihn im
Assessment-Center buchhalterische Aufgaben verrichten und beobachtet ihn
systematisch dabei.

Ähnliches könnte man mit dem Trunkenheitsfahrer machen. Seine Aufgabe
besteht darin, in Zukunft nicht mehr trunken Auto zu fahren. Also erfindet
man Situationen, in denen er diese Fähigkeit unter Beweis stellen kann.
In einem entsprechenden Assessment Center könnte man z. B. eine Kneipe
simulieren, in der Gewährsleute ihn vor der Heimfahrt mit dem Auto zu
einem Gläschen zu animieren versuchen. Man beobachtet, wie überzeugend
er derartige Aufgaben meistert.

Solche Situationen müssten dann natürlich hinsichtlich ihrer
prognostischen Validität überprüft werden. Das ist zwar nicht ganz
einfach, aber mit ein bisschen Phantasie schon machbar. Mir fällt partout
kein Grund ein, warum ein derartiges Assessment Center irgend wessen
Diskretionsbedürfnisse beeinträchtigen sollte.

Es würden selbstverständlich Anbieter auf den Markt treten, die
Trunkenheitsfahrer auf derartige Center vorbereiten. Dies wäre in
jedem Fall ein Fortschritt gegenüber Anbietern, die den Leuten die
richtigen Antworten auf MPU-Fragen einpauken.

Gruß
Ulrich
- -
http://hugresch.wordpress.com

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 3, 2007, 9:51:44 AM11/3/07
to
Am Sat, 03 Nov 2007 14:13:11 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Fri, 02 Nov 2007 18:55:09 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Es sind aber gerade die unreliablen Daten, die den Unterschied zwischen
>> "positiven" und "negativen" Beurteilungen ausmachen. Die harten Fakts
>> sprechen allesamt und immer gegen eine Führerscheinwiedererteilung, sie
>> sind es, die gerade die Eignungszweifel der Behörde begründen. Was bleibt,
>> ist eine mögliche Veränderung in Einstellung und Verhalten. Und diese
>> zentralen Punkte werden geringer bewertet - pfff.
>>
> Unreliable Daten werden geringer bewertet, weil sie deswegen
> selbstverständlich auch nur eine geringe prognostische Validität
> besitzen

Das war mir schon klar.

> (lies: sie taugen wenig zur Vorhersage) und das mathematische
> Modell diesen Umstand korrekt und angemessen berücksichtigt. Es geht
> schließlich darum, die Prognose zu optimieren und nicht darum, auf Teufel
> komm raus irgend etwas zu berücksichtigen, dessen Berücksichtigung man
> für wünschenwert oder sinnvoll hält.

Schon klar. Es ist halt dummerweise so, daß die harten Fakts (aus den
Akten, mit Daten und Meßwerten etc.) bei einer MPU nur wenig zur Prognose
taugen. Sie zeigen mir lediglich das Ausmaß des Problems, das zum Zeitpunkt
der (letzten) Trunkenheitsfahrt bestanden hat. Nun soll ich armer Mensch
eine Veränderungsdiagnostik und darauf aufbauend eine Prognostik erstellen,
also den Wahrsager geben. Die Medizin hilft mir mit ihren schönen harten
Daten nur sehr begrenzt, sie kann behauptete Abstinenz (oder reduzierten
Konsum) widerlegen, aber nicht bestätigen.
Ich will aber rauskriegen, ob das, was er mir über Veränderungen erzählt
stimmt und wie tiefgehend und damit voraussichtlich stabil diese
Veränderungen sind. Ist es tatsächlich Abstinenz oder nur Trinkpause. Weiß
er, wie tief er in den Alkoholmißbrauch schon verstrickt war oder beißt er
nur mal für einige Monate die Zähne zusammen, damit er durch die Scheiß-MPU
rutscht?
Will sagen: Je zentraler das Problem wird, desto mehr läßt mich
(zwangsläufig) die mathematisch-naturwissenschaftliche Methodik im Stich.

> Pfff?
>
Pfff - heißt in diesem Zusammenhang so viel wie: "Es ist ein Kreuz mit der
Psychologie." Irgendeiner der ganz frühen Psychologen, ein Amerikaner und
Behaviorist, hat mal über sein Fach geseufzt: "Nasty little subject. All
one cares to know lies outside."

Ciao
Wolfram
--
Nachtigall
Ich wollt', ich wär 'ne Nachtigall, / das wär' so scheen, das wär' so tall.
/ Ich könnt' dann fliegen, vieles seh'n, / Das wär' so tall, das wär' so
scheen.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 3, 2007, 10:02:27 AM11/3/07
to
Am Sat, 03 Nov 2007 14:27:42 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Sat, 03 Nov 2007 14:12:44 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
> ...
>> Womit wir doch wieder beim Gespräch, bei der Verhaltensbeobachtung wären -
>> und bei der Ökonomie. Du kannst die MPU-Kandidaten nicht in einer
>> Gruppensituation in die Mangel nehmen, von wegen Diskretion. Also bliebe
>> die Einzelfalluntersuchung mit 3, 4, 5 beobachtenden bzw. agierenden
>> Psychologen.
>> Die jetzige Lösung ist halt ein an äußere Zwänge angepaßter Kompromiß.
>>
> Man muss den Kandidaten auch nicht in einer Weise in die Mangel nehmen,
> die irgendwie die Diskretion gefährden könnte.

Was? Thema eines "MPU-Assessment-Centers" wären dunkle Punkte oder Flächen
im Leben der Menschen, sehr peinliche Sachen also. Die zentrale Frage ist,
wie er mit diesen dunklen Punkten seines Lebens inzwischen umgeht, was er
aus Erfahrungen gelernt hat. Ein zentrales Kriterium für gelungene
Problemverarbeitung ist die Fähigkeit, das Problem überhaupt in
angemessener Schärfe zu sehen (sehen zu wollen, d. h. dem Anblick
standhalten zu können).
So etwas ist schon bei den LEER-Kursen nach der MPU nicht ganz einfach -
und da sind die Leute ja bereits "durch", da brauchen Sie sich nicht mehr
so günstig wie möglich zu präsentieren.

> Ähnliches könnte man mit dem Trunkenheitsfahrer machen. Seine Aufgabe
> besteht darin, in Zukunft nicht mehr trunken Auto zu fahren. Also erfindet
> man Situationen, in denen er diese Fähigkeit unter Beweis stellen kann.
> In einem entsprechenden Assessment Center könnte man z. B. eine Kneipe
> simulieren, in der Gewährsleute ihn vor der Heimfahrt mit dem Auto zu
> einem Gläschen zu animieren versuchen. Man beobachtet, wie überzeugend
> er derartige Aufgaben meistert.
>

Das ist jetzt aber nicht ernst gemeint? Du willst mich pflanzen, gib's zu?

> Solche Situationen müssten dann natürlich hinsichtlich ihrer
> prognostischen Validität überprüft werden. Das ist zwar nicht ganz
> einfach, aber mit ein bisschen Phantasie schon machbar. Mir fällt partout
> kein Grund ein, warum ein derartiges Assessment Center irgend wessen
> Diskretionsbedürfnisse beeinträchtigen sollte.
>

Mir schon, siehe oben.

> Es würden selbstverständlich Anbieter auf den Markt treten, die
> Trunkenheitsfahrer auf derartige Center vorbereiten. Dies wäre in
> jedem Fall ein Fortschritt gegenüber Anbietern, die den Leuten die
> richtigen Antworten auf MPU-Fragen einpauken.
>

Es soll ja auch seriöse MPU-Berater geben.

Ciao
Wolfram
--
Vertrauen heißt, an etwas glauben, obwohl man weiß, daß es nicht wahr ist.
CELIA FREMLIN
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Ulrich Gresch

unread,
Nov 3, 2007, 10:38:12 AM11/3/07
to
"Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
news:nfpuas4cjukm$.dlg@www.theodor-rieh.de...

> Am Sat, 03 Nov 2007 14:27:42 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
...

> Was? Thema eines "MPU-Assessment-Centers" wären dunkle Punkte oder Flächen
> im Leben der Menschen, sehr peinliche Sachen also. Die zentrale Frage ist,
> wie er mit diesen dunklen Punkten seines Lebens inzwischen umgeht, was er
> aus Erfahrungen gelernt hat.

Dunkle Punkte, huhuhu. Wie schaurig. Was soll es denn nützen, die zum
Gegenstand einer MPU zu machen? Dies ist doch genau der Grund, warum
Psychologen - zu recht - im Volke so unbeliebt sind.
Zum Glück geht es darum gar nicht. Halten wir uns an Goethe, den klaren
Geist. Er empfahl: Haltet euch an das Greifbare. Überprüfen wir das
Beobachtbare, das Konstruktive. Wie steht es mit der Abstinenz-Kompetenz?
Wäre er im Prinzip in der Lage, ein Gläschen in Ehren auszuschlagen. Verfügt
er in Stress-Situationen über entwickelte Coping-Strategien? Das sind
Fragen, die man operationalisieren kann. Es interessiert die Bohne nicht, ob
der Mann seinen "dunklen Punkten" ins Auge blicken kann. Das ist dieser
religiöse Umgang mit dem Alkohol-Problem. Das wollen wir aber nicht in der
wissenschaftlichen Psychologie. Es interessiert auch die Bohne nicht, ob der
Mensch nun wirklich abstinent ist oder gar tief innerlich dem Alkohol
entsagt hat. Entscheidend ist, dass er im richtigen Augenblick entweder das
Glas oder das Auto stehen lässt. Alles andere ist seine Privatsache, das
geht den Psychologen nix an. Gefragt sind konstruktive Fähigkeiten, keine
Gewissensregungen.

...

>> Ähnliches könnte man mit dem Trunkenheitsfahrer machen. Seine Aufgabe
>> besteht darin, in Zukunft nicht mehr trunken Auto zu fahren. Also
>> erfindet
>> man Situationen, in denen er diese Fähigkeit unter Beweis stellen kann.
>> In einem entsprechenden Assessment Center könnte man z. B. eine Kneipe
>> simulieren, in der Gewährsleute ihn vor der Heimfahrt mit dem Auto zu
>> einem Gläschen zu animieren versuchen. Man beobachtet, wie überzeugend
>> er derartige Aufgaben meistert.
>>
> Das ist jetzt aber nicht ernst gemeint? Du willst mich pflanzen, gib's zu?

Das ist verdammt ernst gemeint. Niemand kann anderen Leuten in die Seele
gucken. Man kann aber feststellen, ob jemand bestimmte, beobachtbare
Fähigkeit hat. Man kann feststellen, ob jemand Klavier spielen kann. Mann
kann feststellen, ob jemand ein Glas stehen lassen kann. Man kann die
entsprechenden Tests selbstverständlich durch Korrelation mit dem
Zielverhalten prognostisch validieren.

Natürlich werden Trunkenheitsfahrer versuchen, die Tester zu täuschen.
Allein, wem das in einem professionellen, also hundsgemeinen
Assessment-Center gelingt (das ist eine harte Schule, glaube mir), der
stellt damit einen hohen Grad von rationaler Auseinandersetzung mit dem
Problem des Trinkverhaltens und der Trinkentscheidungen unter Beweis.
Schließlich sind einige der angeblichen MPU-Kandidaten Spitzel und
Provokateure. Wer da durchkommt, hat sich die Pappe redlich verdient.

Gruß
Ulrich
- -
http://blog.ppsk.de

>


Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 3, 2007, 2:25:20 PM11/3/07
to
Am Sat, 03 Nov 2007 14:51:44 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

> Am Sat, 03 Nov 2007 14:13:11 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>
>> Am Fri, 02 Nov 2007 18:55:09 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>>

...


> Ich will aber rauskriegen, ob das, was er mir über Veränderungen erzählt
> stimmt und wie tiefgehend und damit voraussichtlich stabil diese
> Veränderungen sind. Ist es tatsächlich Abstinenz oder nur Trinkpause. Weiß
> er, wie tief er in den Alkoholmißbrauch schon verstrickt war oder beißt er
> nur mal für einige Monate die Zähne zusammen, damit er durch die Scheiß-MPU
> rutscht?

Man müsste die Gaben des Gedankenlesens und Hellsehens
besitzen, um solche Fragen beantworten zu können. Zum Glück müssen
solche Fragen gar nicht gestellt werden. Vielmehr geht es darum, ein
Verhalten Y zum Zeitpunkt t1 durch eine Reihe von - zum Zeitpunkt t0
gemessenen - Prädiktoren X1, X2... Xn vorherzusagen. Bei diesen
Prädiktoren muss es sich um beobachtbare Größen handeln. Dazu muss man
keineswegs tief in die Seele eines Menschen eintauchen und nach Motiven,
Verstrickungen und inneren Veränderungen fahnden.

> Will sagen: Je zentraler das Problem wird, desto mehr läßt mich
> (zwangsläufig) die mathematisch-naturwissenschaftliche Methodik im Stich.

Da liegst du heftig schief. Du suchst nach der Lösung des Problems, wo du
sie mit Sicherheit nicht finden wirst, nämlich im "seelischen" Innenraum.
Wenn beispielsweise das Lösen von Kreuzworträtseln zum Zeitpunkt t0
hoch mit Alkoholkonsum zum Zeitpunkt t1 korreliert, dann ist das Lösen
von Kreuzworträtseln ein guter Prädiktor - und du musst dir keine
Gedanken darüber machen, durch welche Verstrickungen, Verwicklungen und
Zähnezusammenbeißereien oder was auch immer für Mentalismen die
Beziehung zwischen Kreuzworträtsellösen und Alkoholtrinken im
Einzelfall vermittelt wird. Um die Prädiktoren zu finden, genügen ein
paar allgemeine theoretische Erwägungen als Grundlage für explorative
Studien. Bei der Verrechnung der relevanten Prädiktoren hilft dir die
mathematisch-naturwissenschaftliche Methodik, wohingegen dein Grübeln und
Nachsinnen über seelische Tiefen und Höhen dich gnadenlos im Stich
lässt. Und das sage ich nicht nur so. Dies kann man durch Hunderte von
empirischen Studien belegen. Wenn du beispielsweise in der ersten Klasse
eines Gymnasiums vorhersagen willst, mit welcher Note die Schüler einige
Jahre später das Abitur machen werden, so wird dir dies mit einer
Handvoll von Prädiktoren wie IQ, SÖS etc. relativ präzise auch
gelingen. Du musst dann nicht mit jedem Schüler sprechen, ihm tief in die
Seele leuchten, seine Irrungen und Wirrungen ergründen usw. Letzteres
würde deine Prognose nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Es
spielt dann auch keine Rolle, ob die von den Schülern in deinen
Gesprächen bekundete Lernbereitschaft nun echt oder nur vorgetäuscht
war. Vergiss es. Und so ist es überall im Leben. Die Psychologen müssen
endlich weg kommen von der irrigen Vorstellung, sie seien Spezialisten
für die menschlichen Seelentiefen.

Gruß
Ulrich
- -
http://hugr...@wordpress.com


Wolfram Heinrich

unread,
Nov 4, 2007, 6:03:09 AM11/4/07
to
Am Sat, 3 Nov 2007 15:38:12 +0100 schrieb Ulrich Gresch:

> "Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
> news:nfpuas4cjukm$.dlg@www.theodor-rieh.de...
>> Am Sat, 03 Nov 2007 14:27:42 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
> ...
>
>> Was? Thema eines "MPU-Assessment-Centers" wären dunkle Punkte oder Flächen
>> im Leben der Menschen, sehr peinliche Sachen also. Die zentrale Frage ist,
>> wie er mit diesen dunklen Punkten seines Lebens inzwischen umgeht, was er
>> aus Erfahrungen gelernt hat.
>
> Dunkle Punkte, huhuhu. Wie schaurig. Was soll es denn nützen, die zum
> Gegenstand einer MPU zu machen? Dies ist doch genau der Grund, warum
> Psychologen - zu recht - im Volke so unbeliebt sind.

Allmählich, scheint mir, wird die Diskussion schwierig. Ich habe nämlich
den Eindruck, als verstündest du von Alkohol und seiner Dynamik im
Allgemeinen und von Trunkenheitsfahrten im Speziellen so viel wie ich von
der heutigen mathematischen Methodik in der Psychologie, nämlich so gut wie
nichts. Diese wechselseitige Ahnungslosigkeit macht eine Diskussion über
ein Thema, bei dem beide Kenntnisse gefragt wären, natürlich etwas heikel.
Aber gut, probieren wir's trotzdem.

> Zum Glück geht es darum gar nicht. Halten wir uns an Goethe, den klaren
> Geist. Er empfahl: Haltet euch an das Greifbare. Überprüfen wir das
> Beobachtbare, das Konstruktive.

Dazu fällt mir ein alter Witz ein: Im Lichtkreis einer Straßenlaterne sucht
ein sichtlich betrunkener Mann mit großem Eifer den Boden ab. Ein des Weges
kommender Passant frägt, was er verloren habe, bietet Hilfe an. - "Ein
Fünfmarkstück", klagt der Betrunkene, "muß mir beim Pinkeln da hinten", er
deutet auf ein entferntes, dunkles Stück des Weges, "aus der Tasche
gefallen sein." - "Aber warum", frägt der Passant irritiert, "suchen Sie
dann hier und nicht dort hinten?" - "Na, Sie sind gut. Dort hinten ist es
zum Suchen doch viel zu dunkel."
Nun hinkt der Vergleich mit dem Betrunkenen in unserem Fall natürlich
insofern, als der Trunkenbold im Witz nur *eine* Münze verloren hat, diese
eine aber ganz sicher nicht dort, wo er sucht. Damit die Analogie wieder
stimmt, müßten wir den Betrunkenen einen ganzen Sack Münzen verlieren
lassen, von denen der Großteil dort hinten im unzugänglichen Dunkel liegen
muß. Ein Teil ein kleinerer Teil zwar, der aber immerhin liegt hier im
bequemen Schlaglicht der Laterne.

> Wie steht es mit der Abstinenz-Kompetenz?
> Wäre er im Prinzip in der Lage, ein Gläschen in Ehren auszuschlagen.

Was hätte ich davon, wenn ich wüßte, ob mein MPU-Kandidat ein Gläschen
ausschlagen kann? Natürlich kann er das, er ist ja auch nüchtern zur MPU
erschienen, er hat - damit er gute Leberwerte hat - geraume Zeit vor der
MPU keinen Alkohol getrunken und ich glaube ihm das sogar. Er will auch nie
wieder betrunken Auto fahren, auch das glaube ich ihm. Das Problem fängt
jetzt erst an.

> Das ist dieser religiöse Umgang mit dem Alkohol-Problem. Das wollen wir aber nicht
> in der wissenschaftlichen Psychologie.

Wer ist "wir"?

> Das ist verdammt ernst gemeint. Niemand kann anderen Leuten in die Seele
> gucken. Man kann aber feststellen, ob jemand bestimmte, beobachtbare
> Fähigkeit hat. Man kann feststellen, ob jemand Klavier spielen kann. Mann
> kann feststellen, ob jemand ein Glas stehen lassen kann.

Wie stellst du dir eigentlich einen Trunkenheitsfahrer vor? Als vor Gier
nach dem nächsten Schluck Alkohol zitterndes Bündel Mensch? Natürlich
können die alle ein Glas stehen lassen.

> Natürlich werden Trunkenheitsfahrer versuchen, die Tester zu täuschen.
> Allein, wem das in einem professionellen, also hundsgemeinen
> Assessment-Center gelingt (das ist eine harte Schule, glaube mir), der
> stellt damit einen hohen Grad von rationaler Auseinandersetzung mit dem
> Problem des Trinkverhaltens und der Trinkentscheidungen unter Beweis.

Die Entscheidung *für* die Trunkenheitsfahrt ist eine rationale
Entscheidung. Die Entscheidung für die Trunkenheitsfahrt fällt in aller
Regel nüchtern.

Ciao
Wolfram
--
Seht: ein großer Mann - sagen die Knienden vor ihm.
PETER MAIWALD
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 4, 2007, 6:21:34 AM11/4/07
to
Am Sun, 04 Nov 2007 12:03:09 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
> Allmählich, scheint mir, wird die Diskussion schwierig. Ich habe nämlich
> den Eindruck, als verstündest du von Alkohol und seiner Dynamik im
> Allgemeinen und von Trunkenheitsfahrten im Speziellen so viel wie ich von
> der heutigen mathematischen Methodik in der Psychologie, nämlich so gut wie
> nichts. Diese wechselseitige Ahnungslosigkeit macht eine Diskussion über
> ein Thema, bei dem beide Kenntnisse gefragt wären, natürlich etwas heikel.
> Aber gut, probieren wir's trotzdem.

Seltsam, auch mich beschlich der Eindruck, dass du vom Alkoholismus wenig
verstehst, wohingegen ich mein halbes Berufsleben für eine Organisation
gearbeitet habe, die Alkoholiker und Drogenabhängige behandelte und
betreute.
...

> Was hätte ich davon, wenn ich wüßte, ob mein MPU-Kandidat ein Gläschen
> ausschlagen kann? Natürlich kann er das, er ist ja auch nüchtern zur MPU
> erschienen, er hat - damit er gute Leberwerte hat - geraume Zeit vor der
> MPU keinen Alkohol getrunken und ich glaube ihm das sogar. Er will auch nie
> wieder betrunken Auto fahren, auch das glaube ich ihm. Das Problem fängt
> jetzt erst an.

Du willst es wohl nicht verstehen. Es geht hier nicht um ein mechanisches
Nein-Sagen zum Alkoholtrinken, sondern darum, ob der Trunkenheitsfahrer
die soziale und emotionale Kompetenz besitzt, in einer
Verführungssituation den Überredungsversuchen ehemaliger Saufkumpane zu
widerstehen, zum Beispiel.
...

> Wie stellst du dir eigentlich einen Trunkenheitsfahrer vor? Als vor Gier
> nach dem nächsten Schluck Alkohol zitterndes Bündel Mensch? Natürlich
> können die alle ein Glas stehen lassen.

Siehe oben. Die Frage lautet, ob sie eine solche Situation meistern oder
nur bewältigen oder gerade einmal über sich ergehen lassen können.
>
...


> Die Entscheidung *für* die Trunkenheitsfahrt ist eine rationale
> Entscheidung. Die Entscheidung für die Trunkenheitsfahrt fällt in aller
> Regel nüchtern.
>

Das eigentliche Zielverhalten erfolgt aber definitionsgemäß nicht mehr
im Zustand der Nüchternheit. Streng genommen müsste man testen, wie sie
sich im betrunkenen Zustand einer simulierten Verführungssituation zum
Autofahren stellen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie das Auto stehen
lassen, sondern wie sie es stehen lassen, wie sie beispielsweise einer
Diskussion mit Kumpels, die sie zum Fahren animieren, standhalten.

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 4, 2007, 6:50:34 AM11/4/07
to
Am Sun, 04 Nov 2007 12:21:34 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Sun, 04 Nov 2007 12:03:09 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>>
>> Allmählich, scheint mir, wird die Diskussion schwierig. Ich habe nämlich
>> den Eindruck, als verstündest du von Alkohol und seiner Dynamik im
>> Allgemeinen und von Trunkenheitsfahrten im Speziellen so viel wie ich von
>> der heutigen mathematischen Methodik in der Psychologie, nämlich so gut wie
>> nichts. Diese wechselseitige Ahnungslosigkeit macht eine Diskussion über
>> ein Thema, bei dem beide Kenntnisse gefragt wären, natürlich etwas heikel.
>> Aber gut, probieren wir's trotzdem.
>
> Seltsam, auch mich beschlich der Eindruck, dass du vom Alkoholismus wenig
> verstehst, wohingegen ich mein halbes Berufsleben für eine Organisation
> gearbeitet habe, die Alkoholiker und Drogenabhängige behandelte und
> betreute.
> ...

Wahrscheinlich gibts zwei Alkoholismen. Mindestens.

>> Was hätte ich davon, wenn ich wüßte, ob mein MPU-Kandidat ein Gläschen
>> ausschlagen kann? Natürlich kann er das, er ist ja auch nüchtern zur MPU
>> erschienen, er hat - damit er gute Leberwerte hat - geraume Zeit vor der
>> MPU keinen Alkohol getrunken und ich glaube ihm das sogar. Er will auch nie
>> wieder betrunken Auto fahren, auch das glaube ich ihm. Das Problem fängt
>> jetzt erst an.
>
> Du willst es wohl nicht verstehen. Es geht hier nicht um ein mechanisches
> Nein-Sagen zum Alkoholtrinken, sondern darum, ob der Trunkenheitsfahrer
> die soziale und emotionale Kompetenz besitzt, in einer
> Verführungssituation den Überredungsversuchen ehemaliger Saufkumpane zu
> widerstehen, zum Beispiel.
> ...

Es sauft doch keiner, weil er von einem anderen dazu überredet wird.

>> Die Entscheidung *für* die Trunkenheitsfahrt ist eine rationale
>> Entscheidung. Die Entscheidung für die Trunkenheitsfahrt fällt in aller
>> Regel nüchtern.
>>
> Das eigentliche Zielverhalten erfolgt aber definitionsgemäß nicht mehr
> im Zustand der Nüchternheit.

Das ist ziemlich wurscht. Wenn er besoffen ins Auto einsteigt, führt er nur
das aus, was er zuvor nüchtern geplant hat.

> Streng genommen müsste man testen, wie sie
> sich im betrunkenen Zustand einer simulierten Verführungssituation zum
> Autofahren stellen.

Die fahren doch nicht betrunken, weil irgendwer sie dazu verführt.

Ciao
Wolfram
--
zum kotzen
mutter mutter / sprach herr lutter / just alsbald als dieser kutter /
spendet für die fische futter
spend' ich auch / spend' ich auch
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 4, 2007, 12:31:43 PM11/4/07
to
Am Sun, 04 Nov 2007 12:50:34 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:


> Es sauft doch keiner, weil er von einem anderen dazu überredet wird.

Na ja, stell dir mal folgende Situation vor. Ein Mensch, der gerade seinen
Führerschein zurückbekommen hat, schwört sich, nie wieder besoffen Auto
zu fahren. Nun geht er mit Arbeitskollegen in die Kneipe, hat das Auto
dabei. Seinem guten Vorsatz entsprechend, bestellt er Mineralwasser. Die
Kumpels trinken natürlich Bier und lassen das eine oder andere Scherzwort
über ihren armen, armen Kollegen fallen, der nichts trinken darf. Nach
dem dritten Mineralwasser spätestens umschleicht ihn die Frage, ob nicht
ein Bierchen vielleicht doch nichts ausmacht. Er bestellt's. Die Kumpel
freuen sich, so manch Scherzwort macht die Runde. Es kommt, wie's kommen
muss. Es bleibt nicht bei einem Bierchen.

Was du hier zum Maßstab nimmst, sind die ganz Hartgesottenen, die den
Psycho-Fuzzies mit links den geläuterten AAler vorspielen, die Pappe
mühelos zurückbekommen und nicht anderes im Sinn haben, als wieder zu
saufen und mit dem Auto in die Kneipe zu fahren. Wenn alle
Trunkenheitsfahrer so sein sollten, dann müsste man allen
konsequenterweise den Führerschein verweigern. Ich meine, es sind nicht
alle so. Die Tests müssten also jenen eine gute Chance geben, die nicht
so sind, und gleichzeitig für die Hartgesottenen möglichst hohe Hürden
errichten.


>
>>> Die Entscheidung *für* die Trunkenheitsfahrt ist eine rationale
>>> Entscheidung. Die Entscheidung für die Trunkenheitsfahrt fällt in
>>> aller Regel nüchtern.
>>>
>> Das eigentliche Zielverhalten erfolgt aber definitionsgemäß nicht
>> mehr im Zustand der Nüchternheit.
>
> Das ist ziemlich wurscht. Wenn er besoffen ins Auto einsteigt, führt er
> nur das aus, was er zuvor nüchtern geplant hat.

Darum geht es gar nicht. Der "Idiotentest" sollte herausfinden, wer nicht
zu den nüchternen Planern zählt und nur diesen evtl. den Führerschein
zurückgeben. Ein Hinweis, dass es sich nicht um nüchterne Planer,
sondern um Leute mit ernstem Bemühen handelt, könnte darin bestehen,
dass sie sich um die Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenz in
kritischen Entscheidungssituationen bemüht haben. Dies müsste man
natürlich evaluieren und validieren. Wer, so lautet die Psychologik,
ohnehin wieder besoffen fahren will, koste es, was es wolle, der wird sich
nicht (besonders motiviert) auf Problemsituationen vorbereiten, in die er
aufgrund seiner Planung gar nicht erst kommen wird. Eine konkrete,
lebensnahe Auseinandersetzung mit den Gefahren des Rückfalls ist ein
(sicherlich nicht fehlerfreier) Indikator für die Ernsthaftigkeit des
Bemühens, nicht mehr alkoholisiert Auto zu fahren.


>
>> Streng genommen müsste man testen, wie sie sich im betrunkenen Zustand
>> einer simulierten Verführungssituation zum Autofahren stellen.
>
> Die fahren doch nicht betrunken, weil irgendwer sie dazu verführt.
>

Die Hartgesottenen freilich nicht. Die aber sollten den Führerschein ja
auch nicht zurück bekommen. Die ernsthaft Bemühten aber sind dennoch
verführbar. Darum sollten sie nur dann den Führerschein erhalten, wenn
sie bewiesen haben, dass sie wie auch immer gearteten Versuchungen zur
Trunkenheitsfahrt wiederstehen können. Sie müssen also Coping-Strategien
entwickelt haben.

Fazit. Du hast die falschen Leute im Auge. Jene, die du meinst, fallen in
einem gescheiten Test ohnehin durch. Es kommt nur darauf an, aus den
weniger hoffnungslosen Fällen jene auszusuchen, die nicht nur einen guten
Willen, sondern auch die Fähigkeit haben, sich im Alltag zu bewähren.

Natürlich wird es auch clevere Hartgesottene geben, die nur zum Schein
Coping-Strategien entwickeln. Es mag auch sein, dass sie damit sogar durch
ein knüppelhartes Assessment Center durchkommen. Dennoch wäre dies dann
keine völlig verlorene Mühe, weil nämlich, wer Kompetenzen sich
aneignen musste, diese evtl. auch einsetzt, obwohl er es zunächst gar
nicht vorhatte.

Die Ansprüche eines solchen Tests müssen natürlich sehr, sehr hoch sein.
Es muss richtig schwierig sein, sich die geforderten Kompetenzen
anzueignen. Es darf sich eigentlich nur für jene lohnen, sich dieser
Mühe zu unterziehen, die es ernst meinen. Da du dich ja, wie du sagst, so
gut mit Alkoholikern auskennst, weißt du ja auch, wie die hartgesottene
Variante auf derartige Anforderungen reagiert.

Ich wage mal die Behauptung, dass bei den heutigen MPUs clevere
Hartgesottene die besten Chancen haben, durchzukommen. So sollte es nicht
sein. Ich könnte mir vorstellen, dass diese unbelehrbaren Hartgesottenen
von ihrem meist sehr ausgeprägten Talent Gebrauch machen, mit den
berufsbedingten Narzissmen der Gutachter zu spielen wie auf einem Klavier.

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Rudolf Sponsel

unread,
Nov 5, 2007, 6:39:35 AM11/5/07
to
Rudolf Sponsel schrieb:
> Info:
>
> Editorial MPU-Gutachtenkritik
> http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm
>
> Laborwertnormen in der Medizin. Normal- und Referenzbereiche:
> man weiß nicht, was soll es bedeuten ...
http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm
>
> mit einem Glossar zu Begriffen aus der Mess- u. Testtheorie, Statistik,
> Methodologie und Diagnostik:
> http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm#Glossar,%20Anmerkungen%20und%20Endnoten:
>

Ergänzung: Die ersten zwei MPU-Gutachtenanalysen sind plaziert:
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/MPUGAK01.htm

Vorläufiges Ergebnis: Im Erstgutachten wurden über 100, im Zweitgutachten über
130 Fehler oder Mängel gefunden. Das Signierungssystem ist neu und von daher
sicher selbst nicht frei von Schwächen und Mängeln. Es wird daher in drei oder
fünf Jahren vermutlich anders aussehen und auch besser sein. Aber es ist nun
einmal ein Anfang gemacht. Ich denke, es war an der Zeit, dass die
MPU-GutachterInnen ein Echo aus der verkehrspsychologischen Beratungs-,
Coaching- und Psychotherapiepraxis hören. Alle Fachkundigen sind eingeladen,
das interdisziplinäre Gespräch zwischen den Beteiligten und den Betroffenen zu
suchen und zu verbessern.

Bessere Zeiten ...
Rudolf Sponsel, Erlangen

Rudolf Sponsel

unread,
Nov 5, 2007, 6:32:39 AM11/5/07
to
Wolfram Heinrich schrieb:
> Am Tue, 30 Oct 2007 08:56:39 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>
>> Wolfram Heinrich schrieb:
>
>>> Es hat mich gefreut, daß ich in deiner Literaturliste gleich zweimal
>>> auftauche.
>>>
>> Fein, bei "Betrunken fahren" fehlt noch das Jahr der Veröffentlichung,
>> könntest Du das bitte nachliefern?
>
> Das wird schwierig, denn eigentlich ist "Betrunken fahren? Aber logisch!"
> bisher noch nicht "richtig" veröffentlicht, nur im Netz an wenigen Stellen.
> Aber wenn das auch als veröffentlicht gilt, dann ist es das Jahr 2003.
> Geschrieben habe ich es aber schon etliche Jahre zuvor.
>
Ok, danke, ich trage dannn 2003 ein.

[...]

>> Schön wäre es; ich sehr Du glaubst an das Gute ;-)
>>
> Also zunächst mal liebt der MPU-Gutachter positive Gutachten, weil ihm die
> weniger Arbeit machen. Und nach meiner Erfahrung sind Zweitgutachten
> deutlich häufiger positiv (oder wenigstens mit Kurszuweisung) als
> Erstgutachten. Ja, ich weiß, das liegt an den bösen Gutachtern, die jeden
> beim ersten Mal durchfallen lassen, damit er ein zweites Mal ein Geld ins
> Haus bringt.
>
>>> "Woher weiss Stephan, dass z. B. ein junger Mensch (Lebenserwartung Männer
>>> 76,6 und Frauen 82,1 Jahre) nach einer Trunkenheitsauffälligkeit mit >= 1,6
>>> Promille für seinen ganzen restlichen Lebenszeitraum von womöglich 50-60
>>> Jahren nicht mehr zu bloßem Alkoholgenusstrinken fähig sein sollte?"
>>>
>>> Das ist doch völlig irrelevant. Er muß ein halbes Jahr nachweisen, aus,
>>> Äpfel, Amen. Dann kriegt er den Führerschein wieder und dann frägt kein
>>> Schwein mehr weiter nach seinen Trinkgewohnheiten - wenn er nicht wieder
>>> auffällig wird.
>>>
>> Na ja, so steht es dort nicht und so meint es Stephan auch nicht.
>>
> Das ist doch ziemlich wurscht, was Stephan meint. Er ist jedenfalls kein
> Idiot und es wird ihm klar sein, daß du allenfalls *bis* zur MPU eine
> Entwicklung verfolgen kannst. Was danach kommt - tja. Einige von den Leuten
> kann man durch eine MPU halt doch zu einem alkoholfreien Leben verführen

Das ist eine ziemliche Anmassung. Dafür kann man werben, aber die MPU darf
nicht als Instrument von antialkoholischen IdeologiemissionärrInnen
missbraucht werden (das sage ich, obwohl ich *persönlich* Stephans
Grundauffassung teile):
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#Grundauffassung%20Stephans

> und wenn das nicht gelingt (oder nicht nötig ist), dann eben zu einem Leben
> mit einem entspannten Verhältnis zum Alkohol.
>
Das klingt schon erheblich besser.

>>> Du zitierst (zustimmend) Iffland: "Dadurch können einerseits mit einer BAK
>>> von l,60/00 erstmals Auffällige ohne Alkoholproblematik entlastet,
>>> andererseits aber Alkoholabhängige erkannt werden, die bei der
>>> Trunkenheitsfahrt diese BAK zufällig nicht erreicht hatten."
>>>
>>> Mit 1,6 Promille noch Autofahren - und dann keine Alkoholproblematik?
>>>
>> Das hängt von der Ausdeutung "Alkoholproblematik" ab.
>>
> Also meine Ausdeutung: Eine Alkoholproblematik liegt dann vor, wenn die
> Person kein entspanntes Verhältnis mehr zum Alkohol hat, wenn sie nicht
> mehr *jederzeit* nach Belieben mit dem Stoff Alkohol umgehen kann.
>
Jederzeit nach Belieben schliesst ja nicht aus, dass jemand ab und zu
angeheitert oder, verschärfen wir es, z.B. vier Mal im Jahr betrunken ist?

Wie viel Promille sind denn nach Deiner Lehre höchstens wie oft zuzugestehen?

>>> Offizielle MPU-Philosophie ist, daß die MPU-Kandidaten mehrheitlich keine
>>> Alkoholiker sind.
>>>
>> Schon, aber mit der strikten - auch noch "zufriedenen" Abstinenzforderung
>> werden sie so behandelt, also für lernunfähig erklärt, kontrollierten und
>> verantwortlichen Umgang mit Alkohol zu lernen.
>>
> Zur zufriedenen Abstinenz - Natürlich ist das ein wünschenswerten Ziel für
> einen Alkoholiker. Wenn allerdings "zufriedene Abstinenz" von außen als
> Forderung an einen Menschen herankommt, dann wird die Sache sehr
> theologisch und verzwickt, dann landen wir beim "Sei-spontan-Paradox". Du
> *mußt* Abstinenz *wollen*.

Danke, sehr schön formuliert. Wurde das erstmals von Kroj et al.(1995) so
theo-epikuräisch apodiktiert?

> Und zum verantwortlichen Umgang mit Alkohol - Abstinenz ist sehr viel
> leichter zu praktizieren als kontrolliertes Trinken. Beim kontrollierten
> Trinken mußt du ständig aufpassen wie ein Haftlmacher, du machst dir damit
> das Leben unnötig schwer.

Wo ist das denn belegt? Kommt mir wie eine Stephan-Mär vor.
>
>>>> "Dennoch enthält auch der "Kommentar" teilweise die gleichen
>>>> wissenschaftlich untragbaren Mängel und Schwächen wie die Ausführungen von
>>>> Stephan (> 11 oben), wenn etwa nicht klipp und klar operational ausgeführt
>>>> wird, was unter "Ausfallserscheinungen" zu verstehen ist und wie diese
>>>> quantitativ bewertet werden - etwa durch eine entsprechende Evaluation der
>>>> Verhaltensmerkmale bei der Blutentnahme."
>>> Wie wären die sinnvoll quantitativ zu bewerten? Es handelt sich um
>>> Beobachtungen von Polizisten, bzw. dem blutentnehmenden Arzt.
>>>
>> Dabei könnte eine Habil herausspringen. Wenn Stephan das Argument bringt, soll
>> er es füllen.
>>
> Es muß doch nicht alles einer Zahl zugeordnet werden, bloß damit der
> Eindruck entsteht, das sei Wissenschaft. Wenn der Arzt reinschreibt: "Trotz
> seiner 2,4 Promille stand er da wie eine Brezen" dann ist das ein
> verwertbarer Fakt.

Diese Operationalisierung ohne Zweifel - falls man "Brezen" richtig
interpretiert und der Arzt valide ist.

> Oder ein anderes Extrem, ein Trunkenheitsfahrer mit 2 Promille, der keine
> sonderlich erhöhte Alkoholgewöhnung hatte: Der Mann hatte nach einer für
> ihn sehr bekümmerlichen Nachricht bei einem Bekannten sehr schnell sehr
> viel Alkohol getrunken und war dann sofort losgefahren, um - weil er
> alleine sein wollte - auf einem Waldweg im Auto zu übernachten. Nach sehr
> kurzer Fahrstrecke bereits begann der Alkohol zu wirken, er fuhr an den
> Randstein, der Reifen platzte und er versuchte, den Reifen zu wechseln.
> Nachdem die Alkoholwirkung immer stärker spürbar wurde, wurde er
> schließlich unter dem Radwechseln auf dem Gehsteig bewußtlos, so wie er
> dann auch von der Polizei gefunden wurde. Im - bei den Akten liegenden -
> Polizeibericht wird genüßlich und liebevoll beschrieben, wie der Mann dann
> im Polizeigewahrsam unter schwersten Ausfallserscheinungen litt, wie er
> sich mehrmals - feucht und fest - in die Hosen machte etc. pp.
> Das sagt doch mehr aus als: Der Patient hatte 7 Punkte auf der nach oben
> offenen SCHLUCKSPECHT-Skala.
>
Wenn es wie in disem Fall so ist.

>>> "Häufig vermitteln Gutachten eine blosse Auflistung aller negativ
>>> bewerteten Faktoren. Selten werden die positiven Faktoren, Aspekte oder
>>> Interpretationsmöglichkeiten offen dargestellt und abwägend erörtert."
>>>
>>> Schrei nach dem Beweis meinerseits: Wie ist dies "selten" quantifiziert? Es
>>> widerspricht meiner Erfahrung.
>>>
>> Da hast Du recht; ich hoffe, ich kann dies im Laufe der Zeit nachliefern.
>>
> Ich bin skeptisch, ob du das schaffst. Es ist seit vielen Jahren Standard
> in den Begutachtungslinien, daß auch positive Aspekte gewürdigt werden
> sollen, was manchmal dazu führt, daß in wirklich katastrophalen Fällen der
> Gutachter verzweifelt nach einem Pluspunkt sucht.
>
Warum verzweifelt? Dann hat er es doch ganz leicht, seine negative
Entscheidung zu vertreten.

>>> Das seitengenaue Zitieren ist in einem vorgefertigten Textblock möglich,
>>> sonst nicht.
>>>
>> Das verstehe ich nicht.
>>
> Die vorgefertigten Textblöcke, die in der Regel die Gründe für die
> Eignungszweifel darlegen, werden einmal von der Textblock-Kommission von
> TÜV, DEKRA, PIMA etc. formuliert und dabei Belegstellen angeführt. Ich kann

Hm, so ist es wohl zu vermuten.

> mir als Gutachter auch selber Textblöcke basteln und hier ein bißchen mit
> Zitaten protzen (und ich muß mir als Gutachter Textblöcke basteln, weil
> anders diese Sklavenarbeit nicht zu bewältigen ist). Aber wenn ich mal
> selber einen originellen Gedanken formuliere, dann kann ich es mir nicht
> leisten, irgendwo nachzustöbern, ob irgendein Anderer schon mal denselben
> genialen Gedanken hatte.
>
Darum geht es nicht. Es geht darum, eine Entscheidungsgrundlage genau zu
benennen und die Belegstelle anzuführen, und zwar seitengenau, damit keine
Suchprozesse nötig werden.

>>> Sehr komisch. Gutachten dieser Art wären derart aufwendig, daß sie nicht
>>> mehr zu bezahlen wären.
>>>
>> Das glaube ich nicht. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist ziemlich gut und kann
>> ja auch noch, falls nötig, verbessert werden. Ich sehe da weder ein
>> grundlegendes noch ein technisches Problem. Es lassen sich leicht
>> entsprechende Textbausteine vorformulieren.
>>
> Ja, ja. Mit diesen Textblöcken kannst du ein umfangreiches,
> wohldurchdachtes Gutachten - simulieren. Und du mußt es, weil der Druck da
> ist, das Gutachten soll ja nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert
> sein. Ha!

Es wäre mir lieber, man würde auf dieses weitgehende nomothetisch
Wissenschaftsspiel verzichten, sumal die Unifritzen das idiographische
Geschäft ja meist weder verstehen geschweige denn können (Ausnahme vielleicht
Plaum u. QualitativforscherInnen). Ein Gutachten muss nicht wissenschaftlich,
es muss stimmig, fundiert begründet und nachvollziehbar dargelegt für den
Einzelfall sein.

> Ich bin zu faul, es umzuformulieren, deshalb ein - pardon - längeres Zitat
> aus einer früheren Auflage des "Testknackers":
>
> "In diesen Zeiten der elektronischen Daten- und Textverarbeitung kann es
> Ihnen passieren (und die Wahrscheinlichkeit, daß es Ihnen tatsächlich
> passiert, steigt mit jedem verstreichenden Monat), daß während des
> Untersuchungsgespräches zwischen Ihnen und dem Psychologen ein
> aufgeklappter Laptop liegt, einer dieser tragbaren Computer im Format einer
> Aktenmappe. Während des Gespräches hackt der Psychologe mehr oder weniger
> virtuos auf die Tastatur seines Laptop ein, schreibt seine Fragen und Ihre
> Antworten nieder.
> Die befangene Nervosität, die sich durch den Anblick des mitschreibenden
> Gegenübers immer in ein solches Gespräch einschleicht (und die fairerweise
> auch nie ganz verschwinden sollte, denn es ist kein freundlicher
> Kaffeeplausch), ist jetzt auf die Spitze getrieben. Wo ich sonst als Klient
> im Verlaufe des Gespräches das Mitschreiben stellenweise fast ignorieren
> konnte, weil es im allgemeinen Gestenspiel des Psychologen unterging,
> bekomme ich nun durch die beständig klappernde Computertastatur im wahrsten
> Sinne des Wortes den jedem aus dem Krimi bekannten Satz eingehämmert:
> "Alles, was Sie hier sagen, kann später gegen Sie verwendet werden!"
> Im Untersuchungsgespräch einer MPU sitzt dem Psychologen, der in diesem
> Moment eine erhebliche Macht über seinen Gesprächspartner hat, ein teils
> verängstigter, teils aggressiv mißtrauischer Klient gegenüber. Dieser
> Klient hat aber - verrückterweise - nur dann eine Chance, sein Ziel, ein
> positives Gutachten, zu erreichen, wenn er sich vom Psychologen trotz der
> einschüchternden Ausgangslage zu einem - wenigstens einigermaßen - offenen
> und vertrauensvollen Gespräch "verleiten" läßt.
> Wer auch nur ein wenig von bewußter, kontrollierter Gesprächsführung
> versteht, weiß, daß es der helle Wahnsinn ist, eine solch kitzlige und
> labile Gesprächssituation zusätzlich noch mit dieser klappernden Barriere
> zwischen den beiden Gesprächspartnern zu belasten.
> Bei den Untersuchungsstellen weiß man das natürlich auch, duldet aber bzw.
> fördert sogar das direkte Mitprotokollieren in den Computer.
> Früher war es Philosophie des TÜV, sorgfältige Gespräche zu führen, sich
> bei den Gutachten dagegen mit knappen Charakteristiken zu begnügen. Das
> hatte niemand weiter gestört, solange - bis weit in die Mitte der achtziger
> Jahre hinein - die Gutachten zum überwiegenden Teil positiv ausfielen. Als
> dann, vor allem wegen der enorm hohen Rückfallquoten bei den positiv
> Begutachteten, die Untersuchungskriterien schärfer und die positiven
> Gutachten seltener wurden, begannen Anwälte, ADAC und andere
> Interessenvertreter der betroffenen Kraftfahrer, die hohen Durchfallquoten
> zu kritisieren. Was sie wollten (und wollen), waren (und sind) positive
> Gutachten: "Laßt die Leute halt wieder fahren!"
> Was sie sagten (denn sie wollten ja "seriös" argumentieren) war: "Eure
> Kurzgutachten mit den vielen pauschalen Textbausteinen sind zu wenig
> nachvollziehbar. Schreibt bessere, sprich: längere Gutachten!"
> Die Untersuchungsstellen reagierten auf den stetig steigenden Druck und
> gingen in der Folgezeit mit sehr viel Aufwand an eine Verbesserung, sprich:
> Verlängerung der Gutachten. Die Gutachten wurden deshalb nicht teurer, die
> Psychologen (es sind in der überwiegenden Mehrzahl freiberufliche
> Mitarbeiter, die pro Untersuchung bezahlt werden) bekommen für aufwendige
> Gutachten auch nicht mehr Geld als früher für die Kurzgutachten. Das heißt,
> sie müssen jetzt notgedrungen an anderer Stelle mit Ihrer Arbeitszeit
> haushalten. Das Resultat sind die Laptop-Gespräche, bei denen tatsächlich
> der Kernbereich des Gutachtens bereits während des Untersuchungsgespräches
> geschrieben wird. Die Gutachten machen jetzt zwar optisch sehr viel mehr
> her als früher, die Datenbasis, die ihnen zugrundeliegt, ist aber erheblich
> unzuverlässiger geworden.
> Die an sich in Ihrem Interesse als Betroffener geführten Attacken von ADAC
> & Co. haben aber noch andere, weitaus fatalere Konsequenzen für Sie.
> Positive Gutachten durften früher kürzer sein, denn jeder der Beteiligten
> war mit ihnen zufrieden. Mit der Folge, daß ein im Zweifelsfall das Für und
> Wider abwägender Psychologe immer wieder in Versuchung kam, mit einem
> positiven "Gnadengutachten" sich und dem Klienten eine Freude zu machen.
> Zum anderen war jenes Gutachten, das Sie in jedem Fall abgeben müssen,
> erfreulich inhaltsleer, der Behörde also wenig über die dunkleren Flecken
> Ihrer Lebensgeschichte verriet. Jetzt sind besonders schlaue Behördenleiter
> draufgekommen, daß die positiven Gutachten besonders umfangreich sein
> müssen, weil sie ja die Eignungszweifel widerlegen, also gegen die
> statistische Erwartung argumentieren. Sie als Führerscheinbewerber sind
> damit wieder ein Stück gläserner geworden und kein MPU-Psychologe kommt
> mehr in Versuchung, sich durch ein positives Gutachten die Arbeit ein wenig
> kürzer und damit angenehmer zu machen.
> Die Positivquoten der Gutachten sind im übrigen seither eher noch ein Stück
> weiter gefallen. Klar: Wenn ich als Gutachter viel schreiben muß, muß ich
> mir viel Gedanken machen und wenn ich mir viel Gedanken machen muß, fallen
> mir viele Sachen ein, die doch eher bedenklich sind..."
>
> Zwei Jahre, nachdem ich dies geschrieben hatte, saß ich selber - für ein
> Jahr - vor dem Laptop und klopfte das Gespräch mit, weil es anders nicht
> mehr zu schaffen war. Oh Jahrhundert! Oh Wissenschaft!
>
Die organisaotische Leistung der MPU-GutachterInnen wird von mir nicht nur
nicht bestritten, sondern bewundert. Das bemüht wörtliche
Explorationsprotokoll ist eine wirklich anständige Leistung.

>>>> "Was immer auch die ProbandIn für Leberwerte anbringt: es wird nie positiv
>>>> befundet."
>>>
>>> Das ist doch klar. Eine erhöhte GGT ist nach kurzer Zeit der Trinkpause
>>> wieder schön herunten. Unser MPU-Arzt hat mir aus seiner Hausarztpraxis
>>> berichtet, er habe einem Patienten eine stationäre Alkoholentzugstherapie
>>> empfohlen. Der Mann hatte eine GGT von weit über 1000 U/l. Wenigen Wochen
>>> nach der Entgiftung war die GGT wunderschön im Normbereich.
>>>
>> Dann sollte man auf Leberwertdiagnostik verzichten,
>
> Die krassen Fälle kriegst du auf die Tour jedenfalls raus. Und wenn du
> keine Leberwerte bestimmst, kannst du die medizinische Untersuchung bei der
> MPU sowieso vergessen. Die körperliche Grobuntersuchung bringt doch bloß
> was bei den Fällen, wo schon die Sekretärin beim Empfang merkt, daß der
> gute Mann zusammengesoffen ist.
> Und außerdem ist Medizin eine "harte" Wissenschaft, härter als die
> Psychologie jedenfalls und so was brauchts fürs Renommee.
>
Ganz gewiss nicht. Die beherrschen ja noch nicht einmal Elementarstatistik
http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm
und ihre Leberwerte können sie auch nicht richtig deuten, schau Dir mal meine
Kritik der Laborwertwürdigung der nun veröffentlichten MPU-Gutachtenanalysen
an (auf der Seite nach <Laborwerte Blutanalyse> suchen):
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/MPUGAK01.htm

>>> Weil dieser Zeitraum von einem halben oder einen Jahr auch nichts anderes
>>> ist als eine Daumen-mal-Pi-Quadrat-Angabe. Und im übrigen wird dieser
>>> Zeitraum fast immer genannt.
>>>
>> In den MPU-Gutachten, die mir vorliegen, leider nicht.
>
> Ich hoffe, diese Gutachten sind nicht auch von 1995.
>
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/MPUGAK01.htm

>>> "Völlig - m. E. auch rechtlich - untragbar sind Zweitgutachten, die über
>>> die Forderungen des Erstgutachtens nach Erfüllung der dort verlangten
>>> Veränderungen hinausgehen, noch dazu, wenn auch noch weitere positive
>>> Veränderungen vorliegen."
>>>
>>> Wieso das denn? Zum einen kann sich die Befundlage in der Zwischenzeit
>>> verschlechtert haben, zum anderen gibt es "strengere" und "laxere"
>> "... noch dazu ... "
>>
>>> Gutachter. Und wenn mir ein Klient im Zweitgutachten denselben Dreck
>>> erzählt, den er schon dem Erstgutachter erzählt hat, wenn ihm zudem der
>>> Erstgutachter im Gutachten mitgeteilt hat, warum dies Dreck ist, dann ist
>>> dies sehr wohl ein zu berücksichtender Befund, der das Gesamtergebnis
>>> verschlechtern kann. Ein Gutachten ist ja kein juristisches Dokument,
>>> sondern eine fachliche Beurteilung.
>>>
>> Dieser Fall ist nicht meint.
>>
> Sondern?
>
Der Fall b), das die Befundlage sich nicht verschlechtert oder sogar gebessert
hat:
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/MPUGAK01.htm

>>> Ja, natürlich. Jemand, der bei einer Selbsthilfegruppe war, war mir als
>>> Gutachter stets willkommener als einer, der "nur" eine
>>> verkehrspsychologische Beratung gemacht hatte.
>>>
>> Wieso das denn?
>>
> Weil eine *verkehrs*psychologische Beratung bei den Trunkenheitsfahrern
> streng genommen Unfug ist (ich biete selber Verkehrspsychologische Beratung
> an, dies zur Information für Mitlesende, dies nicht wissen). Wer zum
> Verkehrspsychologen geht, ist noch der Meinung, sein Problem sei,
> * daß er keinen Führerschein mehr habe und ihn zurück wolle
> oder (immerhin einen Schritt weiter)
> * daß er betrunken gefahren sei.
> Das Problem ist aber, daß er zuviel trinkt (getrunken hat). Die
> Trunkenheitsfahrt war die logische Folge dieses (ich drücke mich vorsichtig
> aus) problematischen Umgangs mit Alkohol. Löst er sein Alkoholproblem, löst
> sich das Führerscheinproblem von selbst, löst er das Alkoholproblem nicht,
> wird er sehr wahrscheinlich wieder alkoholisiert fahren.
> Mein Job als Verkehrspsychologischer Berater ist also, mich vor seinen
> Augen von einem Verkehrspsychologen in einen Alkoholberater zu verwandeln.
>
Vielen Dank für diese Aufklärung.

>>> "Andere sehen ein großes Übel darin, wenn jemand zur Fastenzeit für sechs
>>> Wochen lang bis Ostern völlige Abstinenz übt."
>>>
>>> Es ist kein Übel, aber ein Zeichen dafür, daß mir Alkohol sehr wichtig ist.
>>>
>> In der Zeit, wo er keinen trinkt und Verzichtfähigkeit beweist?
>
> Ja. Weil er damit klarmacht, daß er Verzicht nötig hat. Wenn ich mir

Wiesp beweist er das damit?

> sowieso nichts aus Süßigkeiten mache, wäre es doch ein Kasperltheater,
> würde ich zur Fastenzeit auf Schokolade und Bonbons verzichten, was ich
> sowieso das ganze Jahr über mache.
>
Ich hege den Verdacht, dass Du den Unterschied zwischen den Haupttypen Genuss,
Missbrauch, Abhängigkeit nicht so recht verstehst.

>> Was ist denn
>> für eine Logik? Abstinenzzeiträume wird doch auch sonst verlangt.
>
> Das ist keine Abstinenz, sondern eine Trinkpause. Das ist etwas fundamental

Ja, eine Trinkpause ist Abstinenzabschnitt. Im Begriff der Abstinenz ist nicht
automatisch "lebenslänglich" inbegriffen.

> Verschiedenes. In den LEER-Kursen habe ich das den Leuten so klargemacht:
> Wenn Sie sich zur Arbeit auf einer Bohrinsel entschließen, verzichten Sie
> für - sagen wir mal - 10 Wochen auf eine Frau. Das ist eine Sache, eine
> ganz andere Sache ist es, wenn Sie Ihr Mönchsgelübde ablegen und fortan
> lebenslänglich auf Geschlechtsverkehr verzichten. Die ersten 10 Wochen als
> Mönch sind vielleicht oberflächlich den 10 Wochen auf der Bohrinsel
> vergleichbar, aber...
> Als Kind habe ich in der Fastenzeit auf Süßigkeiten verzichtet. Was mich
> aufgerichtet hat, war das Wissen, daß irgendwann Ostern kommt - und dann
> gehts auf.
>
>>> "Das muss ein ganz ein Schlimmer sein, der sich beweisen muss, dass er
>>> alkoholfrei leben kann."
>>>
>
> Dazu fällt mir noch ein, was mir mal ein trockener Alkoholiker gesagt hat:
> "Wenn du anfängst, die Gläser zu zählen, die du trinkst, ist dir eigentlich
> schon klar, daß du ein Alkoholproblem hast."
>
> Ciao
> Wolfram

Bis demnächst
Rudolf Sponsel, Erlangen


Wolfram Heinrich

unread,
Nov 5, 2007, 7:58:46 PM11/5/07
to
Am Mon, 05 Nov 2007 10:37:47 +0100 schrieb M. A. Specka:

> On Fri, 2 Nov 2007 18:55:09 +0100, Wolfram Heinrich
> <theodo...@freenet.de> wrote:
>
>>> Die Beurteilung solch "weicher" Kriterien wie Persönlichkeitszüge
>>> liesse sich durch geeignete Methoden (klare Definitonen,
>>> Verhaltensanker, strukturierte Beurteilungsinstrumente oder
>>> dergleichen) womöglich reliabler und valider gestalten, aber das
>>> ist eben erstmal kein "muss". Unreliable Merkmale würden
>>> in der Regression zwangsläufig ein geringeres Gewicht erhalten.
>>>
>>Es sind aber gerade die unreliablen Daten, die den Unterschied zwischen
>>"positiven" und "negativen" Beurteilungen ausmachen. Die harten Fakts
>>sprechen allesamt und immer gegen eine Führerscheinwiedererteilung, sie
>>sind es, die gerade die Eignungszweifel der Behörde begründen. Was bleibt,
>>ist eine mögliche Veränderung in Einstellung und Verhalten. Und diese
>>zentralen Punkte werden geringer bewertet - pfff.
>

> Wenn diese "zentralen Merkmale" unreliabel erhoben werden, dann wäre
> das Ganze momentan ein Roulettespiel.
>
Den Terminus "unreliabel" habe ich vom Vorposter übernommen, ich hätte ihn
eigentlich in Gänsefüßchen setzen müssen. Es sind weiche Daten, die sich
nicht oder nur sehr schwer, sprich unzuverlässig quantifizieren lassen.
Aber es sind keineswegs willkürlich erhobene Daten (Motto: Is eh wurscht).

Ciao
Wolfram
--
Plattling - Stadt in Niederbayern, nicht die Bezeichnung für einen
garantiert arischen Disc-Jockey.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 5, 2007, 7:58:46 PM11/5/07
to
Am Sun, 04 Nov 2007 18:31:43 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Sun, 04 Nov 2007 12:50:34 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Es sauft doch keiner, weil er von einem anderen dazu überredet wird.
>
> Na ja, stell dir mal folgende Situation vor. Ein Mensch, der gerade seinen
> Führerschein zurückbekommen hat, schwört sich, nie wieder besoffen Auto
> zu fahren. Nun geht er mit Arbeitskollegen in die Kneipe, hat das Auto
> dabei. Seinem guten Vorsatz entsprechend, bestellt er Mineralwasser. Die
> Kumpels trinken natürlich Bier und lassen das eine oder andere Scherzwort
> über ihren armen, armen Kollegen fallen, der nichts trinken darf. Nach
> dem dritten Mineralwasser spätestens umschleicht ihn die Frage, ob nicht
> ein Bierchen vielleicht doch nichts ausmacht. Er bestellt's. Die Kumpel
> freuen sich, so manch Scherzwort macht die Runde. Es kommt, wie's kommen
> muss. Es bleibt nicht bei einem Bierchen.
>

Ich kann mir diese Situation sehr gut vorstellen, ich habe sie x-mal
erzählt bekommen und ich habe sie hier
www.theodor-rieh.de/heinrich/Betrunken.pdf relativ ausführlich beschrieben.
Was würdest du davon halten, wenn dieser von dir geschilderte Mensch seiner
Frau erzählen würde: "Weißt du, Schatzi, ich war noch mit den Kumpels im
Puff und ich hatte mir doch so fest vorgenommen, nie wieder von den Mädels
zu naschen. Aber dann ist es halt doch passiert..."

> Was du hier zum Maßstab nimmst, sind die ganz Hartgesottenen, die den
> Psycho-Fuzzies mit links den geläuterten AAler vorspielen, die Pappe
> mühelos zurückbekommen und nicht anderes im Sinn haben, als wieder zu
> saufen und mit dem Auto in die Kneipe zu fahren.

Du hast es in der MPU (fast) nur mit "ganz Hartgesottenen" zu tun. Ich weiß
nicht, ob dir klar ist, was es heißt, mit zwei Promille Auto zu fahren. Mit
zwei Promille ist der normale, sprich: wenig alkoholgewöhnte, Mensch in der
Intensivstation, bewußtlos, in bedrohlichem Zustand. Diese Leute fahren da
noch Auto und sie tun es nicht selten gar nicht mal so schlecht. Da hast du
es mit einer massiven Alkoholvorgeschichte zu tun, anders ist diese
Giftfestigkeit nicht zu erreichen.

> Wenn alle
> Trunkenheitsfahrer so sein sollten, dann müsste man allen
> konsequenterweise den Führerschein verweigern. Ich meine, es sind nicht
> alle so.

Es ist fast keiner so. Alle nehmen sich vor, nie wieder betrunken Auto zu
fahren, und sei es nur wegen des damit verbundenen Ärgers, der damit
verbundenen Kosten und - ja, natürlich - wegen der Scheiß-MPU, die sie
machen müssen.

> Die Tests müssten also jenen eine gute Chance geben, die nicht
> so sind, und gleichzeitig für die Hartgesottenen möglichst hohe Hürden
> errichten.
>>

Ja, so müßte das sein. Das ist die Intention, die annähernd leidlich
erreicht wird.

>>>> Die Entscheidung *für* die Trunkenheitsfahrt ist eine rationale
>>>> Entscheidung. Die Entscheidung für die Trunkenheitsfahrt fällt in
>>>> aller Regel nüchtern.
>>>>
>>> Das eigentliche Zielverhalten erfolgt aber definitionsgemäß nicht
>>> mehr im Zustand der Nüchternheit.
>>
>> Das ist ziemlich wurscht. Wenn er besoffen ins Auto einsteigt, führt er
>> nur das aus, was er zuvor nüchtern geplant hat.
>
> Darum geht es gar nicht. Der "Idiotentest" sollte herausfinden, wer nicht
> zu den nüchternen Planern zählt und nur diesen evtl. den Führerschein
> zurückgeben.

Aber es sind (fast) alle nüchterne Planer, es steckt Rationalität hinter
den Trunkenheitsfahrten. (Einzelheiten kannst du in dem Artikel lesen, den
ich vorhin mit Link angezeigt habe). Wenn ich weiß, daß ich am Stammtisch
gern was trinke, wenn ich weiß, daß ich dort meist auch ziemlich viel bis
sehr viel trinke und dann mit dem Auto vorfahre - dann ist die
Trunkenheitsfahrt bereits bei der Wegfahrt von zuhause beschlossene Sache.
Und sie geht ja (fast) immer gut, die Alkoholfahrt. Und der Mensch lernt am
Erfolg, erfolgreiches Handeln wiederholt gern und so wird das
Betrunken-Fahren zur Routine. Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden
oder einen Unfall zu bauen ist sehr, sehr gering, 1:1000, wahrscheinlich
eher noch niedriger. (Warum diese Dunkelziffer durchaus plausibel ist,
kannst du ebenfalls in dem erwähnten Artikel lesen.)

> Ein Hinweis, dass es sich nicht um nüchterne Planer,
> sondern um Leute mit ernstem Bemühen handelt,

Das ist kein Gegensatz, das sind dieselben Leute. Bei der MPU machst du
Veränderungsdiagnostik, die Ausgangssituation ist bei allen mies bis sehr
mies, wären sie bei der MPU so drauf wie zum Zeitpunkt der
Trunkenheitsfahrt, müßte ausnahmslos jeder durchfallen, klar. Mach dir
klar, daß nicht jeder, der mit Alkohol im Straßenverkehr erwischt wird, zur
MPU muß, es kommen "nur" die Wiederholungstäter und jene mit sehr viel
Promille. Die Frage, die sich dem Gutachter stellt ist, ob in der
Zwischenzeit eine Veränderung mit diesem Menschen in seiner Beziehung zum
Alkohol passiert ist.

> könnte darin bestehen,
> dass sie sich um die Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenz in
> kritischen Entscheidungssituationen bemüht haben. Dies müsste man
> natürlich evaluieren und validieren. Wer, so lautet die Psychologik,
> ohnehin wieder besoffen fahren will, koste es, was es wolle, der wird sich
> nicht (besonders motiviert) auf Problemsituationen vorbereiten, in die er
> aufgrund seiner Planung gar nicht erst kommen wird. Eine konkrete,
> lebensnahe Auseinandersetzung mit den Gefahren des Rückfalls ist ein
> (sicherlich nicht fehlerfreier) Indikator für die Ernsthaftigkeit des
> Bemühens, nicht mehr alkoholisiert Auto zu fahren.
>>

Im Großen und Ganzen Zustimmung, nur eine Anmerkung zum letzten Satz: Wenn
er sein Bemühen drauf konzentriert, nicht mehr betrunken Auto zu fahren,
hat er schon verspielt. Nicht zwangsläufig in der MPU, aber im Leben. Wenn
er sein Trinkverhalten nicht ändert, wenn er säuft, wie er vor dem
Führerscheinentzug gesoffen hat, wird er auch wieder betrunken fahren. Ob
er erwischt wird, ist eine andere Sache.

>>> Streng genommen müsste man testen, wie sie sich im betrunkenen Zustand
>>> einer simulierten Verführungssituation zum Autofahren stellen.
>>

Nein. Siehe oben. Das ist der Stand bei der MPU vor ca. 15 - 20 Jahren.
Damals hat man sich in den Nachschulungskursen LEER drum bemüht, den Leuten
Ablehnungsstrategien beizubringen. Das ist immer noch offizielles Konzept
von LEER, es macht aber längst kein Kursmoderator mehr. Der Alkohol ist das
Thema, nicht Alkohol im Straßenverkehr.

> Natürlich wird es auch clevere Hartgesottene geben, die nur zum Schein
> Coping-Strategien entwickeln. Es mag auch sein, dass sie damit sogar durch
> ein knüppelhartes Assessment Center durchkommen. Dennoch wäre dies dann
> keine völlig verlorene Mühe, weil nämlich, wer Kompetenzen sich
> aneignen musste, diese evtl. auch einsetzt, obwohl er es zunächst gar
> nicht vorhatte.

So ist es. Obwohl ich die Betonung anders legen würde. Wer wegen der
Leberwerte den Arsch zusammengekniffen hat und eine gewisse Zeit nichts
oder fast nichts mehr getrunken hat, erkennt vielleicht, daß das Leben mehr
zu bieten hat, als das Vergnügen, am Samstagabend das Pissoir beim Oberwirt
vollzukotzen.

> Die Ansprüche eines solchen Tests müssen natürlich sehr, sehr hoch sein.
> Es muss richtig schwierig sein, sich die geforderten Kompetenzen
> anzueignen. Es darf sich eigentlich nur für jene lohnen, sich dieser
> Mühe zu unterziehen, die es ernst meinen. Da du dich ja, wie du sagst, so
> gut mit Alkoholikern auskennst, weißt du ja auch, wie die hartgesottene
> Variante auf derartige Anforderungen reagiert.
>

Ausweichend, sehr ausweichend. Weniger, daß sie der Problemlösung
ausweichen sondern eher in dem Sinn, daß sie dem Problem ausweichen, daß
sie das Problem nicht sehen (wollen/können). Die Hartgesottenen sind im
Grunde Weicheier.

> Ich wage mal die Behauptung, dass bei den heutigen MPUs clevere
> Hartgesottene die besten Chancen haben, durchzukommen. So sollte es nicht
> sein. Ich könnte mir vorstellen, dass diese unbelehrbaren Hartgesottenen
> von ihrem meist sehr ausgeprägten Talent Gebrauch machen, mit den
> berufsbedingten Narzissmen der Gutachter zu spielen wie auf einem Klavier.
>

Du solltest dir MPU-Gutachter nicht grundsätzlich als Idioten vorstellen.

Ciao
Wolfram
--
Wundert euch nicht, daß jemand, der übel riecht, es gern hat, wenn man ihn
beweihräuchert.
STANISLAW JERZY LEC
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 5, 2007, 7:58:50 PM11/5/07
to
Am Mon, 05 Nov 2007 10:40:40 +0100 schrieb M. A. Specka:

> On Fri, 2 Nov 2007 18:55:09 +0100, Wolfram Heinrich
> <theodo...@freenet.de> wrote:
>
>>Nein, natürlich nicht. Natürlich gibt es Untersuchungen über die
>>Rückfallwahrscheinlichkeit und natürlich gibt es Untersuchungen über die
>>Bewährung von Gutachtensempfehlungen in der Realität. Diese Untersuchungen
>>ziehen sich zwangsläufig über eine geraume Zeit hin, was heißt, daß ihre
>>Ergebnisse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eigentlich schon wieder
>>veraltet sind.
>

> Ändert sich die Gutachtenpraxis (verwendete Prädiktoren, Art der
> Erhebung, Gewichtung der einzelnen Merkmale, was auch immer)
> denn derart schnell?

In letzter Zeit anscheinend nicht mehr so rasend. Von Ende der Achtziger
Jahre bis Ende der Neunziger Jahre hat sich allerdings einiges und
teilweise drastisch geändert.

> Und dabei auch noch ganz ohne Bezug auf
> empirische Forschung?

Nein.

> Was gibt denn den Anstoss zu so schneller
> Veränderung?

Der Sponsel Rudolf möge mir verzeichen, daß ich den folgenden Text schon
wieder poste (ich hatte ihn in meiner Antwort auf ihn schon mal verwendet).
Er ist relativ provokativ, ein Verantwortlicher bei einer
Untersuchungsstelle würde den Gedankengang strikt zurückweisen, irgendein
altgedienter Gutachter, der nicht für eine Institution steht, wird dagegen
wahrscheinlich still lächeln:

"Wissenschaft und Textverarbeitung

Wie sehr das menschliche Denken und Handeln von ganz elementaren
Bedürfnissen und Zwängen gesteuert wird, dafür gibt die Geschichte der MPU
selbst ein eindrucksvolles Beispiel.

Dramatischer Wandel

In den Siebzigern und bis in die Achtziger Jahre hinein war die
Medizinisch-Psychologische Untersuchung zum Thema Alkohol ein Papiertiger.
Eine Positivquote von 80 bis 90 Prozent ließ die MPU in den Köpfen der
Menschen fast zu einer bloßen Formalität werden. Wenn der Alkoholmißbrauch
bislang noch keine schwerwiegenden medizinischen Schäden hinterlassen
hatte, wenn der Kandidat sich einigermaßen reuig und änderungsbereit gab,
war der MPU-Gutachter optimistisch und schrieb ein positives Gutachten.
Diese Zeiten sind vorbei. Seit Mitte der Achtziger Jahre ist die
Positivquote sehr schnell gesunken und liegt heute bei allenfalls noch 30
Prozent.
Womit ist diese dramatische Veränderung zu erklären? Haben Medizin,
Biochemie oder klinische Psychologie auf dem Gebiet der Alkoholforschung im
Laufe von zehn, fünfzehn Jahren so gewaltige Fortschritte gemacht, daß
dadurch dieser enorme Wandel in den Beurteilungskriterien plausibel würde?
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, was auch nicht weiter verwunderlich ist.
Schließlich ist Alkohol in unserem Kulturkreis die verbreitetste
Rauschdroge, Alkoholiker die besterforschten Betäubungsmittelkonsumenten.
Man kennt die biochemischen, medizinischen und psychologischen Auswirkungen
des Alkohols schon zu lange, als daß wirklich große Überraschungen noch zu
erwarten wären.
Auch vor zwanzig Jahren schon wußte der Allgemeine und Klinische Psychologe
sehr gut um die Effekte der Alkoholgewöhnung, um die Hartnäckigkeit von
Gewohnheitsbildung und schließlich Sucht Bescheid. Nur der
Verkehrspsychologe tat, als hätte er nie davon gehört und verbreitete in
seinen Gutachten einen haarsträubenden Optimismus.

Der Einfluß des Computers

Die Erklärung für diese äußerst merkwürdige Gutgläubigkeit liegt in der
Schreibmaschine.
In den Siebziger Jahren, als Computer noch Ungetüme von den Ausmaßen eines
Schrankes waren und in der Preisklasse eines Mittelklassewagens lagen, war
die elektronische Textverarbeitung für ein normales Büro absolut
unerschwinglich. Eine IBM-Kugelkopfmaschine war noch Anfang der Achtziger
Jahre das höchste an Schreibkomfort.
In der guten alten Zeit der MPU bestand ein Positivgutachten aus einem
Formblatt, auf welchem der Gutachter lediglich einige Informationen
anzukreuzen hatte, ergänzt durch ein, zwei frei formulierte Sätze. Mehr
Platz war auf dem Formblatt für eine individuelle Beurteilung nicht. Auch
mit einer Schreibmaschine war ein positives Gutachten innerhalb weniger
Minuten fertig geschrieben.
Das Negativgutachten war im Gegensatz dazu eine wirklich individuell
abgefaßte mehrseitige maschinegeschriebene Beurteilung. Zwar standen ganze
Absätze dieser Beurteilung fertig formuliert in einem Aktenordner zur
Auswahl vor, aber auch diese immer wiederkehrenden Floskeln und
Standardformulierungen mußten von einer Schreibkraft jeweils neu abgetippt
werden.
Eine Heidenarbeit, die insgesamt Stunden in Anspruch nahm.
Seit Mitte der Achtziger Jahre wurde die elektronische Textverarbeitung
mittels PC in den Medizinisch-Psychologischen Untersuchungsstellen des TÜV
eingeführt. Für die vorgeschriebenen Formeln, die Floskeln und die immer
wiederkehrenden Argumentationslinien gab es nun Textblöcke, die aus dem
Computer mit wenigen Kennbuchstaben abzurufen waren. Negativgutachten waren
jetzt (fast) genauso schnell und ökonomisch zu schreiben wie
Positivgutachten. Und die Beurteilungskriterien verschärften sich.

Was nicht geht, gibt’s nicht

Eine Negativquote, wie sie jetzt üblich ist, wäre mit der Technologie der
Kugelkopfschreibmaschine nicht zu schaffen gewesen. 70 bis 85 Prozent
negative Gutachten oder Gutachten mit Kurszuweisung - die Arbeit einer
Medizinisch-Psychologischen Untersuchungsstelle wäre zusammengebrochen.
Kein praktisch tätiger Verkehrspsychologe hätte sich vor 15 oder 20 Jahren
die heute gängigen Erkenntnisse über Alkoholmißbrauch und Rückfallgefahr
leisten können, denn diese Erkenntnisse wären nicht in praktische Arbeit
umzusetzen gewesen. Man konnte sich damals die heutigen Erkenntnisse nicht
leisten - also leistete man sie sich ganz einfach nicht.
Von der Struktur her ist das derselbe Mechanismus, den wir beim Trinker
finden, der sein Alkoholproblem vor sich selbst verharmlost. Würde ich mir
mein Alkoholproblem schonungslos klarmachen, müßte ich etwas dagegen
unternehmen. Für Gegenmaßnahmen bin ich momentan aber noch zu schwach, also
gibt es kein Alkoholproblem bei mir."

Ciao
Wolfram
--
Wir plündern eure Stadt, / Wir brennen sie dann ab, / Denn wir sind edle
Ritter!/ Wir töten jeden Mann, / Wir ficken jede Frau, / Denn wir sind edle
Ritter!
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 5, 2007, 8:18:38 PM11/5/07
to
Am Mon, 05 Nov 2007 10:40:40 +0100 schrieb M. A. Specka:

> On Fri, 2 Nov 2007 18:55:09 +0100, Wolfram Heinrich
> <theodo...@freenet.de> wrote:
>
>>Nein, natürlich nicht. Natürlich gibt es Untersuchungen über die
>>Rückfallwahrscheinlichkeit und natürlich gibt es Untersuchungen über die
>>Bewährung von Gutachtensempfehlungen in der Realität. Diese Untersuchungen
>>ziehen sich zwangsläufig über eine geraume Zeit hin, was heißt, daß ihre
>>Ergebnisse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eigentlich schon wieder
>>veraltet sind.
>

> Ändert sich die Gutachtenpraxis (verwendete Prädiktoren, Art der
> Erhebung, Gewichtung der einzelnen Merkmale, was auch immer)
> denn derart schnell?

In letzter Zeit anscheinend nicht mehr so rasend. Von Ende der Achtziger
Jahre bis Ende der Neunziger Jahre hat sich allerdings einiges und
teilweise drastisch geändert.

> Und dabei auch noch ganz ohne Bezug auf
> empirische Forschung?

Nein.

> Was gibt denn den Anstoss zu so schneller
> Veränderung?

Den folgenden Text habe ich fertig vorgefunden, ich war zu faul, ihn
gezielt auf diese Diskussion abzuwandeln. Pardon.
Der Text ist relativ provokativ, ein Verantwortlicher bei einer

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Wolfram Heinrich

unread,
Nov 6, 2007, 7:12:35 AM11/6/07
to
Am Mon, 05 Nov 2007 12:32:39 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

> Wolfram Heinrich schrieb:

>> Das wird schwierig, denn eigentlich ist "Betrunken fahren? Aber logisch!"


>> bisher noch nicht "richtig" veröffentlicht, nur im Netz an wenigen Stellen.
>> Aber wenn das auch als veröffentlicht gilt, dann ist es das Jahr 2003.
>> Geschrieben habe ich es aber schon etliche Jahre zuvor.
>>
> Ok, danke, ich trage dannn 2003 ein.
>

Jou, tu das.

>> Das ist doch ziemlich wurscht, was Stephan meint. Er ist jedenfalls kein
>> Idiot und es wird ihm klar sein, daß du allenfalls *bis* zur MPU eine
>> Entwicklung verfolgen kannst. Was danach kommt - tja. Einige von den Leuten
>> kann man durch eine MPU halt doch zu einem alkoholfreien Leben verführen
>
> Das ist eine ziemliche Anmassung. Dafür kann man werben, aber die MPU darf
> nicht als Instrument von antialkoholischen IdeologiemissionärrInnen
> missbraucht werden

Ich schrieb hier in dem Thread schon mal, daß es offizielle MPU-Doktrin
ist, es sei das Alkoholproblem der meisten MPU-Kandidaten nicht so
schwerwiegend, daß sie abstinenzpflichtig wären. Du setzt dich als
Gutachter schnell in die Nesseln, wenn du hier zu scharfe Kriterien
anlegst. Bevor einer süffisant nachfrägt: Diese Kriterien sind eine
Mischung aus Wissenschaft und politischen Rahmenbedingungen.
Ich persönlich habe den meisten Leuten zur Abstinenz geraten, auch weil es
einfacher ist.

>> und wenn das nicht gelingt (oder nicht nötig ist), dann eben zu einem Leben
>> mit einem entspannten Verhältnis zum Alkohol.
>>
> Das klingt schon erheblich besser.
>

Na ja, mit Propaganda erreichst du eh nichts. Die wirkt allenfalls solange,
als die Leute noch in den Klauen der MPU sind. Im LEER-Kurs wollte ich die
Leute zu einem offenen Dialog bewegen und ich habe ihnen gleich am Anfang
gesagt, daß ich sie gemäß den Kursregeln eigentlich aus dem Kurs
ausschließen müßte, wenn mir im Laufe des Kurses Tatsachen bekannt würden,
die ein negatives Gutachten nach sich ziehen würden. Ich habe ihnen mein
Großes Indianerehrenwort gegeben, daß ich davon keinen Gebrauch machen
würde. Selbst wenn sie mir jetzt erzählen würden, daß sie, nun da die MPU
vorüber ist, das Gutachten geschrieben und bei der Behörde, wieder saufen
würden wie einst im Mai, würde ich dies einfach und für sie folgenlos zur
Kenntnis nehmen.

>> Also meine Ausdeutung: Eine Alkoholproblematik liegt dann vor, wenn die
>> Person kein entspanntes Verhältnis mehr zum Alkohol hat, wenn sie nicht
>> mehr *jederzeit* nach Belieben mit dem Stoff Alkohol umgehen kann.
>>
> Jederzeit nach Belieben schliesst ja nicht aus, dass jemand ab und zu
> angeheitert oder, verschärfen wir es, z.B. vier Mal im Jahr betrunken ist?
>

Jein. Wenn du "betrunken" in jedem beliebigen Ausmaß zuläßt, dann fielen
auch noch Dipsomanen in die harmlose Kategorie, was sie aber offensichtlich
nicht sind. Wenn einer ab und zu beschickert ist, was soll's - solange er
den Alkohol kontrolliert und nicht umgekehrt.

> Wie viel Promille sind denn nach Deiner Lehre höchstens wie oft zuzugestehen?
>

Bin ich Jesus? Ich habe den Leuten stets geraten, ihr kontrolliertes
Trinken zu quantifizieren. Sie sollten sich selber (sinnvolle) Obergrenzen
setzen. Und wenn sie dann ihre individuelle Obergrenze überschreiten,
sollten sie alle Alarmglocken bei sich schrillen lassen. Nicht, weil 6 Bier
eine Katastrophe wären, sondern weil sie sich eine Obergrenze von 4 gesetzt
hätten. Das Beunruhigende sind nicht die 6 Bier, sondern der Umstand, daß
sie sich was vorgenommen hatten und dies nun nicht mehr durchhalten können.

>> Zur zufriedenen Abstinenz - Natürlich ist das ein wünschenswerten Ziel für
>> einen Alkoholiker. Wenn allerdings "zufriedene Abstinenz" von außen als
>> Forderung an einen Menschen herankommt, dann wird die Sache sehr
>> theologisch und verzwickt, dann landen wir beim "Sei-spontan-Paradox". Du
>> *mußt* Abstinenz *wollen*.
>
> Danke, sehr schön formuliert. Wurde das erstmals von Kroj et al.(1995) so
> theo-epikuräisch apodiktiert?
>

Keine Ahnung. Ich fürchte, das habe ich mir selber ausgedacht.

>> Und zum verantwortlichen Umgang mit Alkohol - Abstinenz ist sehr viel
>> leichter zu praktizieren als kontrolliertes Trinken. Beim kontrollierten
>> Trinken mußt du ständig aufpassen wie ein Haftlmacher, du machst dir damit
>> das Leben unnötig schwer.
>
> Wo ist das denn belegt?

In der Lebenserfahrung. Die ist ja manchmal auch nicht schlecht, wenn's um
die Analyse von Lebensumständen geht. Denk dran, wir sprechen hier nicht
vom normalen Auch-mal-ein-Bier-Trinker, sondern von Leuten, die schon so
weit in den Alkoholmißbrauch verstrickt waren, die schon mal eine derart
hohe Giftfestigkeit erreicht hatten, daß sie mit zwei Promille noch
Autofahren konnten. Unter solchen Umständen Maß zu halten... Mein lieber
Schwan!
Ich rauche sehr viel, ich habe zwischendurch schon mal 7 Jahre lang nicht
geraucht, das hat so lang recht gut funktioniert, bis es eben nicht mehr
funktionierte. Die Versuche mit Rauchen einschränken sind aber jeweils
schon nach wenigen Tagen kläglich gescheitert.

>> Es muß doch nicht alles einer Zahl zugeordnet werden, bloß damit der
>> Eindruck entsteht, das sei Wissenschaft. Wenn der Arzt reinschreibt: "Trotz
>> seiner 2,4 Promille stand er da wie eine Brezen" dann ist das ein
>> verwertbarer Fakt.
>
> Diese Operationalisierung ohne Zweifel - falls man "Brezen" richtig
> interpretiert und der Arzt valide ist.
>

Wir wollen doch schwer hoffen, daß der Blut entnehmende Arzt nicht selber
besoffen ist (obwohl auch dies vorkommen mag. Ich hatte mal in der MPU
einen Arzt, der ist mit 2,5 Promille in seinem Notarzt-Porsche - im Einsatz
also - in den Graben gedonnert. Gottlob sollte er keinen Verletzten
versorgen, sondern sich nur einen Toten anschauen.)

>> Das sagt doch mehr aus als: Der Patient hatte 7 Punkte auf der nach oben
>> offenen SCHLUCKSPECHT-Skala.
>>
> Wenn es wie in disem Fall so ist.
>

Die Ärzte haben übrigens standardisierte Fragebögen, in der sie einige
Faktoren im Hinsicht auf Trunkenheitssymptome einschätzen, d. h. ankreuzeln
dürfen.

>> Ich bin skeptisch, ob du das schaffst. Es ist seit vielen Jahren Standard
>> in den Begutachtungslinien, daß auch positive Aspekte gewürdigt werden
>> sollen, was manchmal dazu führt, daß in wirklich katastrophalen Fällen der
>> Gutachter verzweifelt nach einem Pluspunkt sucht.
>>
> Warum verzweifelt? Dann hat er es doch ganz leicht, seine negative
> Entscheidung zu vertreten.
>

In wirklich katastrophalen Fällen schon, aber in ebenfalls eindeutigen,
aber nicht ganz so krassen Fällen... Man will ja dem
Untersuchungsstellenleiter und der Führerscheinstelle eine kleine Freude
machen und sich gelegentlich doch an die Begutachtungsleitlinien halten.

>> Die vorgefertigten Textblöcke, die in der Regel die Gründe für die
>> Eignungszweifel darlegen, werden einmal von der Textblock-Kommission von
>> TÜV, DEKRA, PIMA etc. formuliert und dabei Belegstellen angeführt. Ich kann
>
> Hm, so ist es wohl zu vermuten.
>

Aber freilich. Sowas saug ich mir doch nicht aus den Fingern, um mir
gegebenenfalls dieselben zu verbrennen.

>> mir als Gutachter auch selber Textblöcke basteln und hier ein bißchen mit
>> Zitaten protzen (und ich muß mir als Gutachter Textblöcke basteln, weil
>> anders diese Sklavenarbeit nicht zu bewältigen ist). Aber wenn ich mal
>> selber einen originellen Gedanken formuliere, dann kann ich es mir nicht
>> leisten, irgendwo nachzustöbern, ob irgendein Anderer schon mal denselben
>> genialen Gedanken hatte.
>>
> Darum geht es nicht. Es geht darum, eine Entscheidungsgrundlage genau zu
> benennen und die Belegstelle anzuführen, und zwar seitengenau, damit keine
> Suchprozesse nötig werden.
>

Muß ich denn, wenn ich schreibe, einer sei hingefallen und habe sich die
Fresse angehauen, seitengenau die Fallgesetze bei Galilei und die Gesetze
der Bewegungsdynamik bei Newton raussuchen?

>> Ja, ja. Mit diesen Textblöcken kannst du ein umfangreiches,
>> wohldurchdachtes Gutachten - simulieren. Und du mußt es, weil der Druck da
>> ist, das Gutachten soll ja nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert
>> sein. Ha!
>
> Es wäre mir lieber, man würde auf dieses weitgehende nomothetisch
> Wissenschaftsspiel verzichten, sumal die Unifritzen das idiographische
> Geschäft ja meist weder verstehen geschweige denn können (Ausnahme vielleicht
> Plaum u. QualitativforscherInnen). Ein Gutachten muss nicht wissenschaftlich,
> es muss stimmig, fundiert begründet und nachvollziehbar dargelegt für den
> Einzelfall sein.
>

Das sagst jetzt du. Dann aber kommt irgendein Rechtsanwalt hinter seinem
Pult vorgekrochen und brüllt: "Wo bleibt die Wissenschaft! Die
Wissenschaft!" Dann machst ihm halt eine Freud, damit er mit Schreien
aufhört. Dabei weiß der Narr nicht mal, daß er mit seinem Schrei nach
ausführlichen Gutachten die Positivquote gesenkt, seinem Mandanten also den
Führerschein versaut hat.

>> Und außerdem ist Medizin eine "harte" Wissenschaft, härter als die
>> Psychologie jedenfalls und so was brauchts fürs Renommee.
>>
> Ganz gewiss nicht. Die beherrschen ja noch nicht einmal Elementarstatistik
> http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm
> und ihre Leberwerte können sie auch nicht richtig deuten,

Trotzdem sind es Ärzte und tragen einen weißen Kittel. Ein bisserl Magie
muß schon sein und manchmal ist man als psychologischer Gutachter froh über
einige Zusatzinformationen vom Doc.
Was die Leberwertdeutung betrifft: Du hattest nach der alten Notation 18
U/l als Grenzwert bei Frauen und 28 U/l bei Männern. Eine Frau mit 23 U/l
bekam medizinisch ein negatives Gutachten, ein Mann mit dem gleichen Wert
rutschte dagegen durch. Ich sagte immer wieder mal, die Frau mit 23 trinkt
doch nicht mehr als der Mann mit 23, die Frau ist halt in einer
Vergleichsgruppe mit drin, in der generell weniger getrunken wird als bei
Männerns.

>> sowieso nichts aus Süßigkeiten mache, wäre es doch ein Kasperltheater,
>> würde ich zur Fastenzeit auf Schokolade und Bonbons verzichten, was ich
>> sowieso das ganze Jahr über mache.
>>
> Ich hege den Verdacht, dass Du den Unterschied zwischen den Haupttypen Genuss,
> Missbrauch, Abhängigkeit nicht so recht verstehst.
>

Den Verdacht habe ich auch. Bevor ich MPU machte konnte ich jedem, der das
wollte, ganz genau erklären, was ein Alkoholiker ist. Je länger ich diesen
MPU-Job gemacht habe, desto weniger konnte ich es.

>>> Was ist denn
>>> für eine Logik? Abstinenzzeiträume wird doch auch sonst verlangt.
>>
>> Das ist keine Abstinenz, sondern eine Trinkpause. Das ist etwas fundamental
>
> Ja, eine Trinkpause ist Abstinenzabschnitt. Im Begriff der Abstinenz ist nicht
> automatisch "lebenslänglich" inbegriffen.
>

Lebenslänglich nicht, aber zur Abstinenz gehört meines Erachtens schon der
bewußte Verzicht auf Alkohol.

Ciao
Wolfram
--
"Sich keine Illusionen mehr machen": da beginnen sie erst.
KARL KRAUS
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 6, 2007, 8:00:37 AM11/6/07
to
Am Tue, 06 Nov 2007 10:03:29 +0100 schrieb M. A. Specka:

> On Tue, 6 Nov 2007 01:58:46 +0100, Wolfram Heinrich
> <theodo...@freenet.de> wrote:
>
>>> Wenn diese "zentralen Merkmale" unreliabel erhoben werden, dann wäre
>>> das Ganze momentan ein Roulettespiel.
>>>
>>Den Terminus "unreliabel" habe ich vom Vorposter übernommen, ich hätte ihn
>>eigentlich in Gänsefüßchen setzen müssen. Es sind weiche Daten, die sich
>>nicht oder nur sehr schwer, sprich unzuverlässig quantifizieren lassen.
>

> Quantifizierbarkeit ist nicht das ausschlaggebende Moment. Eine
> Aussage "ist einsichtig/ist nicht einsichtig" wäre einfach kategorial.
> Von Belang ist, ob solche Aussagen zuverlässig sind (reliabel) oder
> stark fehlerhaft. Wenn sie stark fehlerhaft sind, wie es bei der
> Eindrucksbildung ja gerne der Fall sein kann, sind sie für profunde
> Entscheidungen keine Basis.
>
Es ist natürlich keine irgendwie gewonnene Eindrucksbildung, du hast schon
einen Kanon von Fragen, den du gerne loswerden möchtest, auch wenn das
Gespräch durchaus flexibel verläuft.
Wie auch immer: der Faktor "Problemsicht" ist zentral, ich kann ihn nicht
ausklammern, weil die Genauigkeit, mit der ich ihn ermitteln kann, nicht
hoch genug ist.

> Als nächstes wäre dann, wie von Ulrich angesprochen, die Frage zu
> benatworten, auf welche Art und Weise solche und andere Merkmale
> zu einer Gesamtbeurteilung verarbeitet werden. Das von Rudolf hier
> verlinkte Beispiel zeigt, dass die "klinische" Beurteilungsbildung nur
> mäßig transparrent und von Urteilsfehlern, wie man sie eigentlich im
> Psychologie-Grundstudium durchgekaut haben sollte, beileibe nicht
> frei ist.
>
Dazu nehme ich gesondert Stellung, wenn ich die Zeit gefunden habe, mit die
beiden Gutachten und deren Kritik durch Rudolf durchzulesen.

Ciao
Wolfram
--
Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für
das, was wir nicht tun.
MOLIÈRE
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Ulrich Gresch

unread,
Nov 6, 2007, 12:29:24 PM11/6/07
to
"Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
news:1fpp4apgihtqi$.dlg@www.theodor-rieh.de...
...

>
> Du hast es in der MPU (fast) nur mit "ganz Hartgesottenen" zu tun.

Fast nur! Das ist der entscheidende Punkt. Man kann durch relativ simple
Berechnungen zeigen, dass quantitative Tests umso effektiver werden
(verglichen mit dem klinischen Urteil) jene geringer der Anteil der
gesuchten Merkmalsträger (hier: der wieder führerscheinwürdigen
Trunkenheitsfahrer) in der Grundgesamtheit ist. Die Überlegenheit zeigt sich
in diesen Fällen auch bei nur mäßig validen Tests.

...

>> Die Tests müssten also jenen eine gute Chance geben, die nicht
>> so sind, und gleichzeitig für die Hartgesottenen möglichst hohe Hürden
>> errichten.
>>>
> Ja, so müßte das sein. Das ist die Intention, die annähernd leidlich
> erreicht wird.

Und hier hätte ich gern einen Beleg mit Beschreibung der angewandten
Methode.
>
...>


>
>> Ein Hinweis, dass es sich nicht um nüchterne Planer,
>> sondern um Leute mit ernstem Bemühen handelt,
>

... Die Frage, die sich dem Gutachter stellt ist, ob in der


> Zwischenzeit eine Veränderung mit diesem Menschen in seiner Beziehung zum
> Alkohol passiert ist.

Die Beziehung zum Alkohol ist nicht die entscheidende Sache. Ich kenne
Alkoholiker, die niemals betrunken Auto fahren, und ich kenne Alkoholiker,
die sogar, weil sie saufen wollen, ganz aufs Auto verzichten. Die
entscheidende Frage besteht darin, ob jemand betrunken Auto fährt oder
nicht. Das tut nicht zwangsläufig jeder Alkoholiker. Und auch ein
Alkoholiker, der es bisher getan hat und erwischt wurde, kann seine
Einstellung zum betrunkenen Autofahren dauerhaft ändern. Wichtiger als die
Beziehung zum Alkohol ist meines Erachtens die Beziehung zum Auto.
Die Forderung nach Abstinenz ist eine fragwürdige Sache. Wissen wir doch,
dass die abstinenzorientierten Fachkliniken keine klinisch signifikanten
Erfolgsquoten vorweisen können und dass es sich bei denen, die tatsächlich
dauerhaft abstinent werden, in aller Regel um sog. Selbstheiler handelt, die
aus den unterschiedlichsten Gründen trocken werden. Bei der gegebenen
Datenlage ist eine Vorhersage abstinenten Verhaltens pure Kaffeesatzleserei,
wenn nicht Schlimmeres. Daher würde ich, wie gesagt, nur testen, ob sich die
Trunkenheitsfahrer soziale, kognitive und emotionale Kompetenzen angeeignet
haben, die sie brauchen, um Trunkenheitsfahrten zu vermeiden. Wer sich hier
als Virtuose hervortut, dem würde ich, wenn auch andere Faktoren für ihn
sprechen, eine Chance geben. Die entsprechenden Daten müsste man auf
Grundlage eines sauberen mathematischen Modells verrechnen.

...

> Im Großen und Ganzen Zustimmung, nur eine Anmerkung zum letzten Satz: Wenn
> er sein Bemühen drauf konzentriert, nicht mehr betrunken Auto zu fahren,
> hat er schon verspielt. Nicht zwangsläufig in der MPU, aber im Leben. Wenn
> er sein Trinkverhalten nicht ändert, wenn er säuft, wie er vor dem
> Führerscheinentzug gesoffen hat, wird er auch wieder betrunken fahren. Ob
> er erwischt wird, ist eine andere Sache.

Freilich, von Hoher Warte aus betrachtet wäre es am besten, überhaupt nicht
zu saufen. Aber, wie bereits betont, das Trinkverhalten und dauerhafte
Abstinenz bekommt man in der Langzeitbetrachtung heute noch nicht empirisch
in den Griff. Man weiß einfach nicht, welche Indikatoren für eine dauerhafte
Abstinenz sprechen und welche dagegen.Man denke allein an das
Rückfallgeschehen. Rückfälle ereignen sich nicht selten aus heiterem Himmel,
hängen nicht von äußeren, beobachtbaren Prozessen ab, sind auch für den
Betroffenen rätselhaft. Klar: die "Alkohol-Experten" wissen alles besser,
die wissen's genau. Aber diesen Psycho-Gurus sollte man keinen Glauben
schenken, solange sie ihre Weisheiten nicht mit soliden Zahlen untermauern
können. Ich habe mir diese Schwätzer, die häufig selbst heftigst saufen, in
meinem Leben einfach schon zu oft anhören müssen. Es bleibt dabei:
Dauerhafte Abstinenz kann man nicht prognostizieren. Das geht schief. Und
wenn eine MPU sich dieses Ziel setzt, dann taugt sie nichts. Besoffenes
Autofahren aber ist keine zwangsläufige Folge des Alkoholkonsums und somit
auch nicht des Rückfalls. Der Verzicht auf Trunkenheitsfahrten ist einfacher
als der Verzicht auf Alkohol bei daran Gewöhnten. Wie gesagt: Das
Hauptproblem ist hier das Auto, nicht der Alkohol. Ein wichtiger Indikator
wäre für mich beispielsweise die Auseinandersetzung mit den Fahrplänen des
Öffentlichen Nahverkehrs.
>
...

> Du solltest dir MPU-Gutachter nicht grundsätzlich als Idioten vorstellen.
>

Naja, Idioten sind sie wohl nicht, aber sie laufen Gefahr, zum Idioten
gemacht zu werde bzw. sich dazu machen zu lassen.

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Wolfram Heinrich

unread,
Nov 6, 2007, 4:07:48 PM11/6/07
to
Am Tue, 06 Nov 2007 19:23:47 +0100 schrieb M. A. Specka:

> On Tue, 6 Nov 2007 14:00:37 +0100, Wolfram Heinrich
> <theodo...@freenet.de> wrote:
>
>>Wie auch immer: der Faktor "Problemsicht" ist zentral, ich kann ihn nicht
>>ausklammern, weil die Genauigkeit, mit der ich ihn ermitteln kann, nicht
>>hoch genug ist.
>

> Ich weiss nicht, wie zuverlässig oder unzuverlässig die Beurteilung
> von Problemeinsicht letztlich ist. Das müssten eigentlich die
> Beurteiler nachweisen.
>
Da gibt's schon einige Untersuchungen drüber, frag mich nicht welche.
Einige habe ich mal gelesen aber nicht so, daß was hängengeblieben wäre.
Wie üblich haben sie grandios nachgewiesen, daß...

Ciao
Wolfram
--
Du siehst Dinge und sagst: "Warum?" Ich aber träume von Dingen und sage:
"Warum nicht?"
GEORGE BERNARD SHAW
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 7, 2007, 1:01:43 AM11/7/07
to
Am Tue, 06 Nov 2007 22:07:48 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


>> Ich weiss nicht, wie zuverlässig oder unzuverlässig die Beurteilung
>> von Problemeinsicht letztlich ist. Das müssten eigentlich die
>> Beurteiler nachweisen.
>>
> Da gibt's schon einige Untersuchungen drüber, frag mich nicht welche.
> Einige habe ich mal gelesen aber nicht so, daß was hängengeblieben wäre.
> Wie üblich haben sie grandios nachgewiesen, daß...
>

Hmmm!

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 7, 2007, 7:06:38 PM11/7/07
to
Am Tue, 6 Nov 2007 18:29:24 +0100 schrieb Ulrich Gresch:

> "Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
> news:1fpp4apgihtqi$.dlg@www.theodor-rieh.de...
> ...
>>
>> Du hast es in der MPU (fast) nur mit "ganz Hartgesottenen" zu tun.
>
> Fast nur! Das ist der entscheidende Punkt.

So sieht es aus, so ist es aber nicht. Das Wörtchen "fast" bezog sich auf
die exotischen Ausnahmen, die mehr oder weniger aus Versehen in das
MPU-Raster gerutscht sind. Vergiß nicht, daß nicht jeder Trunkenheitsfahrer
zur MPU muß, sondern nur jene, die mit sehr viel Alkohol (1,6 Promille oder
mehr) gefahren sind, bzw. Wiederholungstäter sind. Das sind dann Leute, die
eine ganz erhebliche Alkoholvergangenheit haben (müssen), anderenfalls sie
nicht diese "Karriere" hätten machen können.
Die MPU ist aber Veränderungsdiagnostik und die Aufgabe ist, jene von den
Hartgesottenen herauszufiltern, die inzwischen, seit der (letzten)
Trunkenheitsfahrt, etwas dazugelernt haben.

>>> Die Tests müssten also jenen eine gute Chance geben, die nicht
>>> so sind, und gleichzeitig für die Hartgesottenen möglichst hohe Hürden
>>> errichten.
>>>>
>> Ja, so müßte das sein. Das ist die Intention, die annähernd leidlich
>> erreicht wird.
>
> Und hier hätte ich gern einen Beleg mit Beschreibung der angewandten
> Methode.
>>

Puh, Literatur suche ich jetzt nicht raus, dazu habe ich weder Zeit noch
Lust. Im Wikipedia-Artikel "MPU" findest du einige Anregungen zur
Literatursuche.

>>> Ein Hinweis, dass es sich nicht um nüchterne Planer,
>>> sondern um Leute mit ernstem Bemühen handelt,
>>
> ... Die Frage, die sich dem Gutachter stellt ist, ob in der
>> Zwischenzeit eine Veränderung mit diesem Menschen in seiner Beziehung zum
>> Alkohol passiert ist.
>
> Die Beziehung zum Alkohol ist nicht die entscheidende Sache. Ich kenne
> Alkoholiker, die niemals betrunken Auto fahren, und ich kenne Alkoholiker,
> die sogar, weil sie saufen wollen, ganz aufs Auto verzichten.

Die kommen aber logischerweise nie zur MPU.

> Die
> entscheidende Frage besteht darin, ob jemand betrunken Auto fährt oder
> nicht. Das tut nicht zwangsläufig jeder Alkoholiker. Und auch ein
> Alkoholiker, der es bisher getan hat und erwischt wurde, kann seine
> Einstellung zum betrunkenen Autofahren dauerhaft ändern. Wichtiger als die
> Beziehung zum Alkohol ist meines Erachtens die Beziehung zum Auto.

Das Auto ist in unseren Weltgegenden doch auch ein manchmal
lebensnotwendiger Gebrauchsartikel. Wenn du jetzt auf Leute mit - hüstel -
libidinöser Beziehung zum Auto anspielst, dann kann ich dir aus meiner
Gutachtenserfahrung sagen, daß Trunkenheitsfahrer und Punktetäter zwei
völlig verschiedene Personengruppen sind. Der normale Zwei-Promille-Fahrer
hat außer Trunkenheitsfahrten (und Unfallflucht, natürlich) so gut wie
nichts auf dem Kerbholz, der Punktetäter (speziell der "Raser") mag mal
eine Trunkenheitsfahrt mit 0,8 Promille gehabt haben, mehr aber nicht. Und:
Die beiden Gruppen mögen sich nicht. Der Trunkenheitsfahrer schimpft auf
den Raser, der so viel gefährlicher ist als er selber, der schließlich seit
30 Jahren unfallfrei fahre und der Raser schimpft auf den
Trunkenheitsfahrer, die man lieber aus dem Verkehr ziehen sollte, statt
arme Leute zu behelligen, die ab und an mal ein bisserl zu schnell fahren.

> Die Forderung nach Abstinenz ist eine fragwürdige Sache.

Die ist sowieso ein Kaschperltheater. Ich kann dem Trunkenheitsfahrer
allenfalls auferlegen, daß er bis zur MPU brav ist, nichts trinkt und zur
Selbsthilfegruppe latscht; was er danach macht, ist seine Sache. Wenn er
mit kontrolliertem Trinken klarkommt, umso besser. Wenn er allerdings säuft
wie zuvor, wenn seine sonstigen Lebensumstände gleich bleiben, wird er sehr
wahrscheinlich auch wieder besoffen fahren. Die Trunkenheitsfahrt ist
schließlich nicht aus heiterem Himmel über ihn gekommen, sie ist die
logische Folge einer Entwicklung.

> Daher würde ich, wie gesagt, nur testen, ob sich die
> Trunkenheitsfahrer soziale, kognitive und emotionale Kompetenzen angeeignet
> haben, die sie brauchen, um Trunkenheitsfahrten zu vermeiden.

Noch bis in die neunziger Jahre hinein hat man das in der MPU sehr gerne
gemacht. Ablehnungstraining im Kurs LEER war ein beliebter Programmpunkt,
hab ich als LEER-Lehrling selber noch gemacht.

>> Im Großen und Ganzen Zustimmung, nur eine Anmerkung zum letzten Satz: Wenn
>> er sein Bemühen drauf konzentriert, nicht mehr betrunken Auto zu fahren,
>> hat er schon verspielt. Nicht zwangsläufig in der MPU, aber im Leben. Wenn
>> er sein Trinkverhalten nicht ändert, wenn er säuft, wie er vor dem
>> Führerscheinentzug gesoffen hat, wird er auch wieder betrunken fahren. Ob
>> er erwischt wird, ist eine andere Sache.
>
> Freilich, von Hoher Warte aus betrachtet wäre es am besten, überhaupt nicht
> zu saufen. Aber, wie bereits betont, das Trinkverhalten und dauerhafte
> Abstinenz bekommt man in der Langzeitbetrachtung heute noch nicht empirisch
> in den Griff. Man weiß einfach nicht, welche Indikatoren für eine dauerhafte
> Abstinenz sprechen und welche dagegen.Man denke allein an das
> Rückfallgeschehen. Rückfälle ereignen sich nicht selten aus heiterem Himmel,
> hängen nicht von äußeren, beobachtbaren Prozessen ab, sind auch für den
> Betroffenen rätselhaft.

Das mit dem "heiteren Himmel" glaube ich nicht. Meteore fallen aus heiterem
Himmel herab und können mich gegebenenfalls erschlagen, meine eigenen
Tricks und Winkelzüge, mit denen ich mir selbst ein Bein stelle, sind
dagegen systematisch. Wenn du im Nachhinein (nach erneuter Trockenheit
also) mit einem Alkoholiker über seinen Rückfall sprichst, erzählt er dir
von diesem und jenem Hinweis, der ihm eigentlich eine Warnung hätte sein
müssen, den er damals aber nicht gesehen, bzw. weit unterschätzt hatte.
Nein, der Rückfall hat System, so wie auch die Sucht selber System hat. Es
wird niemals zufällig oder aus purer Lust am Leben Alkoholiker. Sag ich
einfach ganz frech.

> Klar: die "Alkohol-Experten" wissen alles besser,
> die wissen's genau. Aber diesen Psycho-Gurus sollte man keinen Glauben
> schenken, solange sie ihre Weisheiten nicht mit soliden Zahlen untermauern
> können.

Mit soliden Zahlen glaubst du ihnen?

> Ich habe mir diese Schwätzer, die häufig selbst heftigst saufen, in
> meinem Leben einfach schon zu oft anhören müssen.

Na, na, nun schnürst du aber eine Anstaltspackung Ressentiment auf.

> Es bleibt dabei:
> Dauerhafte Abstinenz kann man nicht prognostizieren. Das geht schief.

Sowieso.

> Besoffenes
> Autofahren aber ist keine zwangsläufige Folge des Alkoholkonsums und somit
> auch nicht des Rückfalls. Der Verzicht auf Trunkenheitsfahrten ist einfacher
> als der Verzicht auf Alkohol bei daran Gewöhnten.

Jetzt lehnst du dich aber sehr weit aus dem Fenster. Wir sprechen, wenn wir
von MPU-pflichtigen Trunkenheitsfahrern reden, schließlich nicht von
Alkoholkonsum, sondern von heftigem Alkoholmißbrauch. Wir sprechen von
Leuten, die häufig Alkohol und vor allem häufig sehr viel Alkohol trinken.
Wenn du einmal im Monat einen über den Durst trinkst, wirst du dir
wahrscheinlich ein Taxi leisten, bist du vier-, fünfmal die Woche, gar
täglich über der Grenze, wird das Taxifahren zum unbezahlbaren Luxus, wird
das Heimgehen, drei, vier, fünf Kilometer weit zur unerträglichen Strapaze.
Dann fährst du. Und machst die Erfahrung, daß es gut geht. Denk dran:
Besoffen fahren geht fast immer gut.

>> Du solltest dir MPU-Gutachter nicht grundsätzlich als Idioten vorstellen.
>>
> Naja, Idioten sind sie wohl nicht, aber sie laufen Gefahr, zum Idioten
> gemacht zu werde bzw. sich dazu machen zu lassen.
>

Mit der Gefahr müssen wir wohl alle leben. Das macht aber nichts.

Ciao
Wolfram
--
Der Franze hat gsagt, der Frangsä sagt "Löff" für aroa und "Dösö" für
zwoaroa. Da wundert's ihn nicht, sagt er, wenn den Frangsä keiner versteht.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 7, 2007, 7:06:40 PM11/7/07
to

Nicht? Weisen empirische Untersuchungen in der Psychologie nicht immer
grandios nach, daß irgendein Effekt existiert? Wieviel Untersuchungen gibt
es, in denen drinsteht: "Unser Teamleiter, Prof. Schnaltz-Gerold, hatte die
geniale Idee, es müsse die Intensität des Schwulmens bei einer Person mit
der jeweiligen Erhöhung des Kosilat-Koeffizienten zunehmen. Wir haben dies
unter seiner Leitung empirisch überprüft und festgestellt, daß die Idee ein
Dreck ist."

Als Schüler war Hans-Jürgen Eysenck für mich der erste Psychologe, von dem
ich ein Buch gelesen habe, das Buch ("Wege und Abwege der Psychologie")
hatte mich beeindruckt. Als Student lese ich dann, Eysenck habe eine
Untersuchung über den Erfolg von traditionellem und programmiertem Lernen
gemacht. Das programmierte Lernen habe sich als deutlich effektiver
erwiesen. Dann lese ich weiter, der Lernerfolg bei den Versuchspersonen sei
durch Multiple-Choice-Fragebögen ermittelt worden. Wie bescheuert kann ein
Mensch sein?

Und als ich dann in einer Zeitung zwei Aufsätze von Eysenck über Astrologie
las, in denen er sich energisch für die Astrologie aussprach, habe ich eine
Menge über Psychologie und ihre Abwege gelernt.

Ciao
Wolfram
--
Wer mit 15 Kommunist ist, ist wahrscheinlich nur sentimental. Wer es mit 50
immer noch nicht ist, ist entweder schwachsinnig oder Unternehmer.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 8, 2007, 11:27:46 AM11/8/07
to
Am Thu, 08 Nov 2007 01:06:38 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

> Am Tue, 6 Nov 2007 18:29:24 +0100 schrieb Ulrich Gresch:
>
>> "Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
>> news:1fpp4apgihtqi$.dlg@www.theodor-rieh.de...
>> ...
>

>>>> Die Tests müssten also jenen eine gute Chance geben, die nicht
>>>> so sind, und gleichzeitig für die Hartgesottenen möglichst hohe Hürden
>>>> errichten.
>>>>>
>>> Ja, so müßte das sein. Das ist die Intention, die annähernd leidlich
>>> erreicht wird.

Daran zweifele ich, solange ick keine methodisch sauberen Studien, am
besten Meta-Analysen dazu mit eigenen Augen gesehen habe.

>>
>> Und hier hätte ich gern einen Beleg mit Beschreibung der angewandten
>> Methode.
>>>
> Puh, Literatur suche ich jetzt nicht raus, dazu habe ich weder Zeit noch
> Lust. Im Wikipedia-Artikel "MPU" findest du einige Anregungen zur
> Literatursuche.

Dort konnte ich beim Überfliegen nichts finden, was für die
Fragestellung relevant erschien.
>
...


>
>> Die
>> entscheidende Frage besteht darin, ob jemand betrunken Auto fährt oder
>> nicht. Das tut nicht zwangsläufig jeder Alkoholiker. Und auch ein
>> Alkoholiker, der es bisher getan hat und erwischt wurde, kann seine
>> Einstellung zum betrunkenen Autofahren dauerhaft ändern. Wichtiger als
>> die Beziehung zum Alkohol ist meines Erachtens die Beziehung zum Auto.
>
> Das Auto ist in unseren Weltgegenden doch auch ein manchmal
> lebensnotwendiger Gebrauchsartikel.

Eher selten. Millionen Menschen beweisen, dass man auch ohne Auto
überleben kann. Und noch leichter ist es zu überleben, wenn man das Auto
gelegentlich einmal stehen lässt und andere Alternativen der Mobilität
wählt.

> Wenn du jetzt auf Leute mit -
> hüstel - libidinöser Beziehung zum Auto anspielst,

Nein, daran habe ich nicht im Traum gedacht. Ich weiß, man darf so etwas
einem Psychologen eigentlich nicht schreiben, aber ich wag's dennoch: Denk
doch einfach einmal an das Greifbare, das Praktische. Man muss doch nicht
alle Wege mit dem Auto zurücklegen. Die meisten Stammkneipen kann man
doch auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar zu Fuß erreichen.
Dazu braucht man, wenn's hoch kommt, eine halbe Stunde, und ein Fußweg
mit einem dicken Kopf ist doch ganz erfrischend, oder nicht?
Und hier haben wir das Problem, und darum sage ich, dieses Problem ist
eigentlich nicht der Alkohol, sondern die heilige Kuh, das Auto. Viele
Trunkenheitsfahrer kriegen es einfach nicht in den Schädel rein, dass sie
auch zu Fuß gehen könnten, sagen wir, ein Viertel-, eine halbe Stunde,
wenn sie knülle sind. Ich weiß, für Psychologen ist das Einfache häufig
nicht so einfach, und darum halten sie die Problemsicht und die dunklen
Punkte im Leben des Alkoholikers für so zentral. Dabei ist alles ganz
anders, viel, viel simpler. Selbst auf dem Lande, wo die öffentlichen
Verkehrsbverbindungen häufig recht schlecht sind, kann man mit einigem
guten Willen die meisten Ziele auch ohne selbst Auto zu fahren erreichen,
u. U. durch Bilden von Fahrgemeinschaften. Dennoch wird meist das Auto
benutzt, selbst wenn es bessere Alternativen gibt. Um das zu verstehen,
braucht man nicht mit Libido hantieren oder mit sonst was Schwerem. ...

>> Die Forderung nach Abstinenz ist eine fragwürdige Sache.
>

...

> Das mit dem "heiteren Himmel" glaube ich nicht. Meteore fallen aus
> heiterem Himmel herab und können mich gegebenenfalls erschlagen, meine
> eigenen Tricks und Winkelzüge, mit denen ich mir selbst ein Bein
> stelle, sind dagegen systematisch. Wenn du im Nachhinein (nach erneuter
> Trockenheit also) mit einem Alkoholiker über seinen Rückfall sprichst,
> erzählt er dir von diesem und jenem Hinweis, der ihm eigentlich eine
> Warnung hätte sein müssen, den er damals aber nicht gesehen, bzw. weit
> unterschätzt hatte.

Ja, ja, hinterher ist man immer schlauer. Daher erinnern sich ja auch die
meisten Hellseher erst hinterher daran, dass sie etwas vorhergesehen haben.

> Nein, der Rückfall hat System, so wie auch die
> Sucht selber System hat. Es wird niemals zufällig oder aus purer Lust
> am Leben Alkoholiker. Sag ich einfach ganz frech.

Mag ja sein, aber es gibt dennoch keine allgemein akzeptierte und
empirisch abgesicherte Theorie der Suchtursachen. Statt dessen gibt es
jede Menge Sucht-Experten mit einer Vielzahl von Hypothesen, die sich zum
Teil erheblich widersprechen.


>
>> Klar: die "Alkohol-Experten" wissen alles besser, die wissen's genau.
>> Aber diesen Psycho-Gurus sollte man keinen Glauben schenken, solange
>> sie ihre Weisheiten nicht mit soliden Zahlen untermauern können.
>
> Mit soliden Zahlen glaubst du ihnen?

Hätten sie solide Zahlen, dann müsste ich ihnen nicht glauben, dann
gäbe es ja Wissen zu diesem Thema. Allein, wir wissen nichts.
>
...


>
>> Besoffenes
>> Autofahren aber ist keine zwangsläufige Folge des Alkoholkonsums und
>> somit auch nicht des Rückfalls. Der Verzicht auf Trunkenheitsfahrten
>> ist einfacher als der Verzicht auf Alkohol bei daran Gewöhnten.
>
> Jetzt lehnst du dich aber sehr weit aus dem Fenster. Wir sprechen, wenn
> wir von MPU-pflichtigen Trunkenheitsfahrern reden, schließlich nicht
> von Alkoholkonsum, sondern von heftigem Alkoholmißbrauch. Wir sprechen
> von Leuten, die häufig Alkohol und vor allem häufig sehr viel Alkohol
> trinken. Wenn du einmal im Monat einen über den Durst trinkst, wirst du
> dir wahrscheinlich ein Taxi leisten, bist du vier-, fünfmal die Woche,
> gar täglich über der Grenze, wird das Taxifahren zum unbezahlbaren
> Luxus, wird das Heimgehen, drei, vier, fünf Kilometer weit zur
> unerträglichen Strapaze.

Nun ja, irgend wo habe ich eine Statistik gelesen, dass die überwiegende
Zahl aller Autofahrten sich in einem Umkreis von drei Kilometern vom
Ausgangspunkt bewegt. Drei Kilometer, mehr nicht. Das heißt, dass eine
große Zahl der Trunkenheitsfahrten durch Fußwege von einer
Dreiviertelstunde und oft deutlich weniger ersetzt werden könnten. Man
könnte sich ja auch eine Stammkneipe um die Ecke aussuchen. Und selbst
wenn man das nicht will: Mit ein bisschen guten Willen könnte man auch
durch geschickte Lebensplanung das zweite Wohnzimmer so wählen, dass man
es mit Bus oder Straßenbahn erreichen kann.

Noch einmal: Nicht der Alkohol, das Verhältnis zum Auto ist das Problem.
Ich räume selbstverständlich ein, dass hier jetzt mancher Einödbauer
aufschreit und mich fragt, ob er den täglich zum Saufa zehn Kilometer hin
und zurück gehen soll. Da sag ich: Na freilich, Bauer! Na freilich.

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 8, 2007, 1:05:55 PM11/8/07
to
Am Thu, 08 Nov 2007 01:06:40 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


> Nicht? Weisen empirische Untersuchungen in der Psychologie nicht immer
> grandios nach, daß irgendein Effekt existiert? Wieviel Untersuchungen gibt
> es, in denen drinsteht: "Unser Teamleiter, Prof. Schnaltz-Gerold, hatte die
> geniale Idee, es müsse die Intensität des Schwulmens bei einer Person mit
> der jeweiligen Erhöhung des Kosilat-Koeffizienten zunehmen. Wir haben dies
> unter seiner Leitung empirisch überprüft und festgestellt, daß die Idee ein
> Dreck ist."
>
> Als Schüler war Hans-Jürgen Eysenck für mich der erste Psychologe, von dem
> ich ein Buch gelesen habe, das Buch ("Wege und Abwege der Psychologie")
> hatte mich beeindruckt. Als Student lese ich dann, Eysenck habe eine
> Untersuchung über den Erfolg von traditionellem und programmiertem Lernen
> gemacht. Das programmierte Lernen habe sich als deutlich effektiver
> erwiesen. Dann lese ich weiter, der Lernerfolg bei den Versuchspersonen sei
> durch Multiple-Choice-Fragebögen ermittelt worden. Wie bescheuert kann ein
> Mensch sein?
>
> Und als ich dann in einer Zeitung zwei Aufsätze von Eysenck über Astrologie
> las, in denen er sich energisch für die Astrologie aussprach, habe ich eine
> Menge über Psychologie und ihre Abwege gelernt.
>

Nun ja, ich lasse das ungekürzt so stehen, weil ich einfach nicht weiß,
was ich zitieren, wo ich da einhaken soll. Du beklagst offenbar zweierlei:
Erstens, dass zu wenig Misserfolge publiziert werden und zweitens, dass
ein gewisser Eysenck nach deiner Meinung eine methodisch fehlerhafte
Arbeit abgeliefert und zu allem Übel sich drittens auch noch positiv
über Astrologie geäußert hat.

Gut, das lasse ich einmal so stehen. Der zweite Punkt mag stimmen, aber ob
man das verallgemeinern kann? Der dritte Punkt ist natürlich unerhört,
kaum zu glauben, aber auch hier möchte ich meinen, dass vermutlich einige
andere Psychologen, die nicht an Astrologie glauben, diese Scharte wieder
auswetzen, so dass insgesamt kein Schaden an der Psychologie
zurückbleibt, oder? Und dann noch der erste Punkt - das ist allerdings
wirklich ein Problem.

Man stelle sich vor, von hundert Studien können 95 keinen Zusammenhang
zwischen A und B finden, und zwar auf einem Signifikanz-Niveau von 5
Prozent. Fünf Studien entdecken diesen Zusammenhang. Nun werden aber nur
diese zuletzt genannten Studien veröffentlicht. Fünf Scheinsignifikanzen
sind aber bei hundert Studien zu erwarten. Dies bedeutet, dass die
Hypothese eines Zusammenhangs zwischen A und B grandios gescheitert ist,
obwohl sie im Spiegel der Veröffentlichungen als eindeutig bestätigt
erscheint. Inzwischen geht man allerdings zunehmend dazu über, auch
Misserfolge zu publizieren und die wachsende Zahl von Meta-Analysen trägt
ihr Teil dazu bei, der Unsitte des Rosinenpickens entgegen zu wirken.

Gut, also, es gibt methodische Probleme. Klar, sicher, es gibt auch
schlechte Forscher. Doch, bitte, sag mir, was soll denn an die Stelle
treten, deiner Meinung nach?

Soll die psychologische Wahrheit von Psycho-Gurus verkündet werden, die
sich auf ihren gewaltigen Erfahrungsschatz berufen, der nur leider nicht
überprüfbar ist? Soll die Forschung durch seelenkundliche
Besinnungsaufsätze vorangetrieben werden, die weniger auf Fakten und umso
mehr auf der Phantasie ihrer Autoren beruhen? Hättest du gern
Einzelfallstudien aufgeblasener "Praktiker", die ihre Klienten als
Staffage für ihre Schauermärchen benutzen?
Dies darf doch wohl, wäre es so, nicht dein Ernst sein. Da nehme ich
wirklich lieber die Mängel der empirischen, quantitativen psychologischen
Forschung hin.

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 8, 2007, 1:48:11 PM11/8/07
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Am Thu, 08 Nov 2007 17:27:46 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Thu, 08 Nov 2007 01:06:38 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Wenn du jetzt auf Leute mit -
>> hüstel - libidinöser Beziehung zum Auto anspielst,
>
> Nein, daran habe ich nicht im Traum gedacht. Ich weiß, man darf so etwas
> einem Psychologen eigentlich nicht schreiben, aber ich wag's dennoch: Denk
> doch einfach einmal an das Greifbare, das Praktische. Man muss doch nicht
> alle Wege mit dem Auto zurücklegen. Die meisten Stammkneipen kann man
> doch auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar zu Fuß erreichen.
> Dazu braucht man, wenn's hoch kommt, eine halbe Stunde, und ein Fußweg
> mit einem dicken Kopf ist doch ganz erfrischend, oder nicht?
> Und hier haben wir das Problem, und darum sage ich, dieses Problem ist
> eigentlich nicht der Alkohol, sondern die heilige Kuh, das Auto. Viele
> Trunkenheitsfahrer kriegen es einfach nicht in den Schädel rein, dass sie
> auch zu Fuß gehen könnten, sagen wir, ein Viertel-, eine halbe Stunde,
> wenn sie knülle sind.

Nachts um zwei, wenn die ganzen Besoffenen unterwegs sind?

> Ich weiß, für Psychologen ist das Einfache häufig
> nicht so einfach, und darum halten sie die Problemsicht und die dunklen
> Punkte im Leben des Alkoholikers für so zentral. Dabei ist alles ganz
> anders, viel, viel simpler. Selbst auf dem Lande, wo die öffentlichen
> Verkehrsbverbindungen häufig recht schlecht sind, kann man mit einigem
> guten Willen die meisten Ziele auch ohne selbst Auto zu fahren erreichen,
> u. U. durch Bilden von Fahrgemeinschaften.

Und es fährt der, der am wenigsten besoffen ist? Die Limo-Trinker gehen
doch schon spätestens um 11.00 Uhr heim...

>> Nein, der Rückfall hat System, so wie auch die
>> Sucht selber System hat. Es wird niemals zufällig oder aus purer Lust
>> am Leben Alkoholiker. Sag ich einfach ganz frech.
>
> Mag ja sein, aber es gibt dennoch keine allgemein akzeptierte und
> empirisch abgesicherte Theorie der Suchtursachen.

Soll ich warten, bis es eine gibt? Und wie soll die entstehen ohne
Stochern? Ist je Wissenschaft entstanden ohne die Methode "Schaumer mal,
dann seh'ma schon"?

> Statt dessen gibt es
> jede Menge Sucht-Experten mit einer Vielzahl von Hypothesen, die sich zum
> Teil erheblich widersprechen.

Die anderen sind sowieso alles Deppen.

>>> Klar: die "Alkohol-Experten" wissen alles besser, die wissen's genau.
>>> Aber diesen Psycho-Gurus sollte man keinen Glauben schenken, solange
>>> sie ihre Weisheiten nicht mit soliden Zahlen untermauern können.
>>
>> Mit soliden Zahlen glaubst du ihnen?
>
> Hätten sie solide Zahlen, dann müsste ich ihnen nicht glauben, dann
> gäbe es ja Wissen zu diesem Thema. Allein, wir wissen nichts.
>>

Es gibt viel zu tun. Warten wir ab. Kommt Zeit, kommt Wissenschaft.

>>> Besoffenes
>>> Autofahren aber ist keine zwangsläufige Folge des Alkoholkonsums und
>>> somit auch nicht des Rückfalls. Der Verzicht auf Trunkenheitsfahrten
>>> ist einfacher als der Verzicht auf Alkohol bei daran Gewöhnten.
>>
>> Jetzt lehnst du dich aber sehr weit aus dem Fenster. Wir sprechen, wenn
>> wir von MPU-pflichtigen Trunkenheitsfahrern reden, schließlich nicht
>> von Alkoholkonsum, sondern von heftigem Alkoholmißbrauch. Wir sprechen
>> von Leuten, die häufig Alkohol und vor allem häufig sehr viel Alkohol
>> trinken. Wenn du einmal im Monat einen über den Durst trinkst, wirst du
>> dir wahrscheinlich ein Taxi leisten, bist du vier-, fünfmal die Woche,
>> gar täglich über der Grenze, wird das Taxifahren zum unbezahlbaren
>> Luxus, wird das Heimgehen, drei, vier, fünf Kilometer weit zur
>> unerträglichen Strapaze.
>
> Nun ja, irgend wo habe ich eine Statistik gelesen, dass die überwiegende
> Zahl aller Autofahrten sich in einem Umkreis von drei Kilometern vom
> Ausgangspunkt bewegt. Drei Kilometer, mehr nicht. Das heißt, dass eine
> große Zahl der Trunkenheitsfahrten durch Fußwege von einer
> Dreiviertelstunde und oft deutlich weniger ersetzt werden könnten. Man
> könnte sich ja auch eine Stammkneipe um die Ecke aussuchen.

Die richtigen Leute sitzen aber beim Oberwirt und der ist sechs Kilometer
weit weg.

> Noch einmal: Nicht der Alkohol, das Verhältnis zum Auto ist das Problem.
> Ich räume selbstverständlich ein, dass hier jetzt mancher Einödbauer
> aufschreit und mich fragt, ob er den täglich zum Saufa zehn Kilometer hin
> und zurück gehen soll. Da sag ich: Na freilich, Bauer! Na freilich.
>

Verdammt! Auf das einfachste kommt man eben nur durch einen Psychologen.

Ciao
Wolfram
--
Der Franze hat gsagt, er wär immer schon ein leidenschaftlicher Anarchist
gewesen, in dem Fall aber, sagt er, Befehl ist halt Befehl.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 8, 2007, 2:15:16 PM11/8/07
to
Am Thu, 08 Nov 2007 19:05:55 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Thu, 08 Nov 2007 01:06:40 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
> ...
>> Nicht? Weisen empirische Untersuchungen in der Psychologie nicht immer
>> grandios nach, daß irgendein Effekt existiert? Wieviel Untersuchungen gibt
>> es, in denen drinsteht: "Unser Teamleiter, Prof. Schnaltz-Gerold, hatte die
>> geniale Idee, es müsse die Intensität des Schwulmens bei einer Person mit
>> der jeweiligen Erhöhung des Kosilat-Koeffizienten zunehmen. Wir haben dies
>> unter seiner Leitung empirisch überprüft und festgestellt, daß die Idee ein
>> Dreck ist."
>>
>> Als Schüler war Hans-Jürgen Eysenck für mich der erste Psychologe, von dem
>> ich ein Buch gelesen habe, das Buch ("Wege und Abwege der Psychologie")
>> hatte mich beeindruckt. Als Student lese ich dann, Eysenck habe eine
>> Untersuchung über den Erfolg von traditionellem und programmiertem Lernen
>> gemacht. Das programmierte Lernen habe sich als deutlich effektiver
>> erwiesen. Dann lese ich weiter, der Lernerfolg bei den Versuchspersonen sei
>> durch Multiple-Choice-Fragebögen ermittelt worden. Wie bescheuert kann ein
>> Mensch sein?
>>
>> Und als ich dann in einer Zeitung zwei Aufsätze von Eysenck über Astrologie
>> las, in denen er sich energisch für die Astrologie aussprach, habe ich eine
>> Menge über Psychologie und ihre Abwege gelernt.
>>
> Nun ja, ich lasse das ungekürzt so stehen, weil ich einfach nicht weiß,
> was ich zitieren, wo ich da einhaken soll. Du beklagst offenbar zweierlei:
> Erstens, dass zu wenig Misserfolge publiziert werden

Na ja, ein bisserl verdächtig ist es schon. Eigentlich sollte sich ja die
eine oder andere Theorie doch als Unfug herausstellen und es sollte dies
eigentlich am fundiertesten der Urheber der Theorie nachweisen können.

> und zweitens, dass
> ein gewisser Eysenck nach deiner Meinung eine methodisch fehlerhafte
> Arbeit abgeliefert und zu allem Übel sich drittens auch noch positiv
> über Astrologie geäußert hat.
>
> Gut, das lasse ich einmal so stehen. Der zweite Punkt mag stimmen, aber ob
> man das verallgemeinern kann?

Nur wenn man exakte Zahlen hätte.

> Der dritte Punkt ist natürlich unerhört,
> kaum zu glauben, aber auch hier möchte ich meinen, dass vermutlich einige
> andere Psychologen, die nicht an Astrologie glauben, diese Scharte wieder
> auswetzen, so dass insgesamt kein Schaden an der Psychologie
> zurückbleibt, oder?

An der Psychologie sowieso nicht. Und daß Schwarmköpfe wie der C. G. Jung
an Astrologie glauben mag ja unmittelbar einleuchten, aber dann einer der
Obergurus der sauberen Methodik. Derselbe Eysenck übrigens, der seinen
Lehrer Cyril Burt rührend verteidigt hat, als ruchbar wurde, daß selbiger
Burt etliche Untersuchungen (Intelligenzforschung anhand von
Zwillingspaaren) massiv gefälscht hatte. Aber klar, Eysenck ist Eysenck und
insofern eh nicht ganz ernst zu nehmen.

> Und dann noch der erste Punkt - das ist allerdings
> wirklich ein Problem.
>
> Man stelle sich vor, von hundert Studien können 95 keinen Zusammenhang
> zwischen A und B finden, und zwar auf einem Signifikanz-Niveau von 5
> Prozent. Fünf Studien entdecken diesen Zusammenhang. Nun werden aber nur
> diese zuletzt genannten Studien veröffentlicht. Fünf Scheinsignifikanzen
> sind aber bei hundert Studien zu erwarten. Dies bedeutet, dass die
> Hypothese eines Zusammenhangs zwischen A und B grandios gescheitert ist,
> obwohl sie im Spiegel der Veröffentlichungen als eindeutig bestätigt
> erscheint.

Tja.

> Inzwischen geht man allerdings zunehmend dazu über, auch
> Misserfolge zu publizieren und die wachsende Zahl von Meta-Analysen trägt
> ihr Teil dazu bei, der Unsitte des Rosinenpickens entgegen zu wirken.
>

Schön zu hören, daß saubere Methodik sich so ganz allmählich entwickelt.

> Gut, also, es gibt methodische Probleme. Klar, sicher, es gibt auch
> schlechte Forscher. Doch, bitte, sag mir, was soll denn an die Stelle
> treten, deiner Meinung nach?
>

Bin ich Jesus?

> Soll die psychologische Wahrheit von Psycho-Gurus verkündet werden, die
> sich auf ihren gewaltigen Erfahrungsschatz berufen, der nur leider nicht
> überprüfbar ist? Soll die Forschung durch seelenkundliche
> Besinnungsaufsätze vorangetrieben werden, die weniger auf Fakten und umso
> mehr auf der Phantasie ihrer Autoren beruhen? Hättest du gern
> Einzelfallstudien aufgeblasener "Praktiker", die ihre Klienten als
> Staffage für ihre Schauermärchen benutzen?
> Dies darf doch wohl, wäre es so, nicht dein Ernst sein. Da nehme ich
> wirklich lieber die Mängel der empirischen, quantitativen psychologischen
> Forschung hin.
>

Die ja, wie du schreibst, in jüngster Zeit, zunehmend methodisch sauber
wird. Es bleibt also Hoffnung im Elend, vielleicht werden in nächster
Zukunft auch brauchbare Studien veröffentlicht.

Ciao
Wolfram
--

Jede Erscheinung beweist ihre Nowendigkeit durch ihr Dasein.
BARUCH DE SPINOZA
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Rudolf Sponsel

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Nov 9, 2007, 2:54:30 AM11/9/07
to
Wolfram Heinrich schrieb:

> Am Mon, 05 Nov 2007 12:32:39 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>> Wolfram Heinrich schrieb:
>
[...]

>
>> Wie viel Promille sind denn nach Deiner Lehre höchstens wie oft zuzugestehen?
>>
> Bin ich Jesus? Ich habe den Leuten stets geraten, ihr kontrolliertes

Du vielleicht nicht, aber Stephan und seine antialkoholischen RitterInnen
scheinen da einen touch abbekommen zu haben.

> Trinken zu quantifizieren. Sie sollten sich selber (sinnvolle) Obergrenzen
> setzen. Und wenn sie dann ihre individuelle Obergrenze überschreiten,
> sollten sie alle Alarmglocken bei sich schrillen lassen. Nicht, weil 6 Bier
> eine Katastrophe wären, sondern weil sie sich eine Obergrenze von 4 gesetzt
> hätten. Das Beunruhigende sind nicht die 6 Bier, sondern der Umstand, daß
> sie sich was vorgenommen hatten und dies nun nicht mehr durchhalten können.
>

M.E. gehören klare Grenzen, klare Regeln, eine klare Sprache, ein klares
Begründungsreglement und eine klare Forschung her - für alle
Verantwortungslosen im Straßenverkehr, nicht nur für die Alkohol- und
Drogenauffälligen: 5300 Tote, 425.000 Verletzte und die vielen betroffenen
Bezugspersonen sind einfach nicht hinnehmbar.

Ich habe leider den Eindruck gewonnen, dass die Verteufelung von Alkohol und
Drogen im Straßenverkehr - sie sind für "höchstens" 20% der Getöteten und
Verletzten verantwortlich - der Sündenbockbildung und Ablenkung vom viel
schlimmeren und größeren Skandal dient. Ca. 90% der Unfälle gehen auf
menschliches Versagen zurück. Von den Opfern gehen also ungefähr ein Fünftel
auf das AlkoDrogen Konto, d.h. rund 70% geht demnach auf die - statistisch
gesehen - ganz "normale Verantwortungslosigkeit" zurück.

Warum muss nicht JEDE, die einen Schwerverletzten oder gar Toten schuldhaft
herbeiführt zur MPU?

>>> Zur zufriedenen Abstinenz - Natürlich ist das ein wünschenswerten Ziel für
>>> einen Alkoholiker. Wenn allerdings "zufriedene Abstinenz" von außen als
>>> Forderung an einen Menschen herankommt, dann wird die Sache sehr
>>> theologisch und verzwickt, dann landen wir beim "Sei-spontan-Paradox". Du
>>> *mußt* Abstinenz *wollen*.
>> Danke, sehr schön formuliert. Wurde das erstmals von Kroj et al.(1995) so
>> theo-epikuräisch apodiktiert?
>>
> Keine Ahnung. Ich fürchte, das habe ich mir selber ausgedacht.
>

Kompliment.

>>> Und zum verantwortlichen Umgang mit Alkohol - Abstinenz ist sehr viel
>>> leichter zu praktizieren als kontrolliertes Trinken. Beim kontrollierten
>>> Trinken mußt du ständig aufpassen wie ein Haftlmacher, du machst dir damit
>>> das Leben unnötig schwer.
>> Wo ist das denn belegt?
>
> In der Lebenserfahrung. Die ist ja manchmal auch nicht schlecht, wenn's um

Obwohl ich die Lebenserfahrung auch schätze, ist mir das für einen solch
rabiat-dubiosen Eingriff zu wenig.

> die Analyse von Lebensumständen geht. Denk dran, wir sprechen hier nicht
> vom normalen Auch-mal-ein-Bier-Trinker, sondern von Leuten, die schon so
> weit in den Alkoholmißbrauch verstrickt waren, die schon mal eine derart
> hohe Giftfestigkeit erreicht hatten, daß sie mit zwei Promille noch
> Autofahren konnten. Unter solchen Umständen Maß zu halten... Mein lieber
> Schwan!

Stephans Vorgehen hat doch mit Wissenschaft nicht das geringste zu tun. Der
hat sich unter den Baum der Erkenntnis gelegt. Dort ist ihm der Mittelwert von
1,5 Promille auf den Kopf gefallen, den er dann großzügig mit einer
Fehlerquote von 0,1 auf 1,6 angereichert hat und das hat er dann in einer Art
Erleuchtung zum Kriterium gemacht. Er hat einen gruppenstatistischen
MITTELWERT zum generellen Einzellfallkriterium g e s c h a u t (da passt Dein
Jesus von oben ganz gut). Und nun verkünden sie das neue Evangelium: ab 1,6
Promille im EINZELFALL liegt eine hohe Alkoholtoleranz und "Giftfestigkeit"
vor, die Abstinenz erfordert.

Was hältst Du denn von folgender Regel: ab einem schuldhaft zu verantwortendem
Schwerverletzten ist Abstinenz von Verantwortlosigkeit zu fordern?

[...]


>>
> Die Ärzte haben übrigens standardisierte Fragebögen,

So, welchen denn? Meinst Du das Blutentnahmeprotokoll?
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#Verhalten%20bei%20der

> in der sie einige
> Faktoren im Hinsicht auf Trunkenheitssymptome einschätzen, d. h. ankreuzeln
> dürfen.
>

[...]


>>
> Muß ich denn, wenn ich schreibe, einer sei hingefallen und habe sich die
> Fresse angehauen, seitengenau die Fallgesetze bei Galilei und die Gesetze
> der Bewegungsdynamik bei Newton raussuchen?
>

Das sollte Dir bei Bedarf der Textblock - ich habe nichts gegen Textblöcke,
wenn sie richtige Sachverhalte nennen und korrekt zitieren können -
abnehmen ;-)

>>> Ja, ja. Mit diesen Textblöcken kannst du ein umfangreiches,
>>> wohldurchdachtes Gutachten - simulieren. Und du mußt es, weil der Druck da
>>> ist, das Gutachten soll ja nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert
>>> sein. Ha!
>> Es wäre mir lieber, man würde auf dieses weitgehende nomothetisch
>> Wissenschaftsspiel verzichten, sumal die Unifritzen das idiographische
>> Geschäft ja meist weder verstehen geschweige denn können (Ausnahme vielleicht
>> Plaum u. QualitativforscherInnen). Ein Gutachten muss nicht wissenschaftlich,
>> es muss stimmig, fundiert begründet und nachvollziehbar dargelegt für den
>> Einzelfall sein.
>>

Die heutigen Gutachten sind sicher meist viel besser als die zu meiner Zeit,
aber sie könnten noch viel besser sein ohne zusätzlichen Aufwand, wenn ich
auch denke, die MPU-KollegInnen sollten für ihre Arbeit auch ein anständiges
und besseres Honorar bekommen.

> Das sagst jetzt du. Dann aber kommt irgendein Rechtsanwalt hinter seinem
> Pult vorgekrochen und brüllt: "Wo bleibt die Wissenschaft! Die

Na ja, gerade die Juristen sind doch die Protagonisten und am besten
entwickelten idiographische Wissenschaft. Wissenschaft ist ja gerade nicht
das, was einige Universitätsprofessoren meinen. Idiographische Wissenschaft
fängt genau dort an, wo die nomologische meist aufhört. Wenn 35% der
Ersttäter nach Stephan - bei Haffner waren es 19,3% in 10 Jahren - in den
ersten 5 Jahren einen Rückfall produzieren, dann stellt sich für die
GutachterIn die Frage: gehört mein Proband nun zu den 35%, die abzulehnen
wären oder zu den 65%, die positiv zu machen wären? Dafür sind in der
Untersuchung *individuelle* Argumente zu sammenln (lass Dich hier nicht von UG
verwirren, der hat das selbst nicht verstanden) und das ist echte
EINZELFALLWISSENSCHAFT, die die Unileute meist nicht können, weil sie dort oft
nicht verstanden, nicht angenommen und infolgedessen auch nicht gelehrt wird.
So macher Prof. macht vor Gericht unserm Fach nicht gerade Ehre und stammelt
sein Stichprobenwissen zusammen - womit die RichterIn nichts anfangen kann.
Ich würde sagen, die Forensiker- aber auch die VerkehrspsychologInnen haben
das Zeug dazu. Auf Deinem Klientenstuhl sitzt nämlich keine Stichprobe und
auch keine Population, sondern ein individueller Mensch, der individuell und
mit aussagepsychologischer bzw. vernehmungspsychologischer Schulung ordentlich
exploriert werden sollte (sog. psychometrische Verfahren ausserhalb des
Leistungsbereichs wären hier wohl meist ein Kunstfehler). Die beiden großen
Künste der PsychologInnen bestehen doch in sachgerechter Exploration und
Konstruktion - subsummieren könnte auch ein Automat oder ein Programm - eines
ordentlichen experimentellen Designs.

> Wissenschaft!" Dann machst ihm halt eine Freud, damit er mit Schreien
> aufhört. Dabei weiß der Narr nicht mal, daß er mit seinem Schrei nach
> ausführlichen Gutachten die Positivquote gesenkt, seinem Mandanten also den
> Führerschein versaut hat.
>
>>> Und außerdem ist Medizin eine "harte" Wissenschaft, härter als die
>>> Psychologie jedenfalls und so was brauchts fürs Renommee.
>>>
>> Ganz gewiss nicht. Die beherrschen ja noch nicht einmal Elementarstatistik
>> http://www.sgipt.org/medppp/Labor/laborw0.htm
>> und ihre Leberwerte können sie auch nicht richtig deuten,
>
> Trotzdem sind es Ärzte und tragen einen weißen Kittel. Ein bisserl Magie
> muß schon sein und manchmal ist man als psychologischer Gutachter froh über
> einige Zusatzinformationen vom Doc.

Hm, hört sich so an, als funktionierten sie (auch) als Autoritätsplacebo ;-)

> Was die Leberwertdeutung betrifft: Du hattest nach der alten Notation 18
> U/l als Grenzwert bei Frauen und 28 U/l bei Männern. Eine Frau mit 23 U/l
> bekam medizinisch ein negatives Gutachten, ein Mann mit dem gleichen Wert
> rutschte dagegen durch. Ich sagte immer wieder mal, die Frau mit 23 trinkt
> doch nicht mehr als der Mann mit 23, die Frau ist halt in einer
> Vergleichsgruppe mit drin, in der generell weniger getrunken wird als bei
> Männerns.

Dass die Leberwerte falsch valdidiert - zu Gunsten der "Alkis" wurden ist
allgemein bekannt:
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#Leberwerte

Aber die ganze Labormedizin ist ziemlich undurchsichtig und fragwürdig. Es hat
bei mir auch lange gedauert, bevor ich das glauben konnte; inzwischen habe ich
es dokumentiert, man kann es nun also wissen - obwohl sich auch bei mir der
Glaube nachwievor dagegen sträubt (interessantes psychologisches Phänomen).


>
>>> sowieso nichts aus Süßigkeiten mache, wäre es doch ein Kasperltheater,
>>> würde ich zur Fastenzeit auf Schokolade und Bonbons verzichten, was ich
>>> sowieso das ganze Jahr über mache.
>>>
>> Ich hege den Verdacht, dass Du den Unterschied zwischen den Haupttypen Genuss,
>> Missbrauch, Abhängigkeit nicht so recht verstehst.
>>
> Den Verdacht habe ich auch. Bevor ich MPU machte konnte ich jedem, der das
> wollte, ganz genau erklären, was ein Alkoholiker ist. Je länger ich diesen
> MPU-Job gemacht habe, desto weniger konnte ich es.
>

Klammern wir die Dipsomanen mal aus, dann sind ziemlich verschiedene Typen zu
unterscheiden und relativ zu diesen wären entsprechende, die ersten sieben
z.B. (1) abstinent; (2) fast-Abstinenz (ich trinke z.B. pro Jahr 2-3 Glas
Sekt) (3) GenusstrinkerIn (bis 0,8 Promille max.); (4) Missbrauch bis 1.
Grenze,z.B. 1.3; (5) Missbrauch bis 2. Grenze, z.B. 1.6; (6) Missbrauch bis
völliger Kontrollverlust, z.B. > 1.6; (7) Abhängigkeit. Kombiniert mit Dauern
und Häufigkeiten schwillt das schnell an.

>>>> Was ist denn
>>>> für eine Logik? Abstinenzzeiträume wird doch auch sonst verlangt.
>>> Das ist keine Abstinenz, sondern eine Trinkpause. Das ist etwas fundamental
>> Ja, eine Trinkpause ist Abstinenzabschnitt. Im Begriff der Abstinenz ist nicht
>> automatisch "lebenslänglich" inbegriffen.
>>
> Lebenslänglich nicht, aber zur Abstinenz gehört meines Erachtens schon der
> bewußte Verzicht auf Alkohol.
>

Hm, unbewusst wirds wohl kaum gehen. Aber wie viele Jahre dann? 2 Jahre und 4
Monate? Oder drei und 7 Monate? Gibt es Bewährungsnachlass bei besonders
guter Führung, etwa bei glücklicher Abstinenz mindestens 14 Tage alle drei
Monate? ;-)

> Ciao
> Wolfram

Servus
Rudolf Sponsel, Erlangen

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 9, 2007, 7:46:19 AM11/9/07
to
Am Thu, 08 Nov 2007 19:48:11 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...Viele


>> Trunkenheitsfahrer kriegen es einfach nicht in den Schädel rein, dass sie
>> auch zu Fuß gehen könnten, sagen wir, ein Viertel-, eine halbe Stunde,
>> wenn sie knülle sind.
>
> Nachts um zwei, wenn die ganzen Besoffenen unterwegs sind?

Ja, warum nicht. Ich schrieb bereits, das eigentliche Problem sei das
Auto. Das muss ich noch präzisieren. Das ureigentliche Problem der
meisten Trunkenheitsfahrers ist der eigene Körper und dessen Bewegung in
Raum und Zeit. Wer es nicht in seinen Schädel kriegt, dass er durchaus
auch einmal eine Viertel- bis eine halbe Stunde zu Fuß gehen kann, der
braucht auch keine Führerschein, sofern er Trunkenheitsfahrer ist.
Und hier müsste man, so meine ich, in der Prognostik ansetzen.
>
...


> Und es fährt der, der am wenigsten besoffen ist? Die Limo-Trinker gehen
> doch schon spätestens um 11.00 Uhr heim...

Wie gesagt: Trunkenheitsfahrer, die ihren Führerschein wieder haben
wollen, sollten in der Lage sein, nachzuweisen, dass sie aushäusigen
Alkoholkonsum auch ohne Auto zu organisieren in der Lage und willens sind.
Da ist es mir eigentlich egal, wann die Limo-Trinker heim gehen.
>
...


>> Mag ja sein, aber es gibt dennoch keine allgemein akzeptierte und
>> empirisch abgesicherte Theorie der Suchtursachen.
>
> Soll ich warten, bis es eine gibt? Und wie soll die entstehen ohne
> Stochern? Ist je Wissenschaft entstanden ohne die Methode "Schaumer mal,
> dann seh'ma schon"?

Was mich stört, ist die Neigung mancher Alkoholismus-Experten, ihren
Glauben für eine höhere Form des Wissens zu halten. Besonders ätzend
sind trockene Alkoholiker, die sich zu Helfern gemausert haben und die
sich auf ihre Erfahrungen berufen, aber dann doch nur die Dogmen der AA
oder anderer Sekten propagieren. Mitunter noch ätzender sind die heimlich
saufenden Fachleute, meist Ärzte oder Psychologen, die dank ihrer
Psychotherapieausbildung oder gar irgend welcher Wochenendkurse eine
wissenschaftliche Fundierung ihrer Glaubenswelten zu besitzen
beanspruchen. Am schlimmsten von allen sind jene Experten, die sich über
die meist vorsichtig und hypothetisch argumentierenden Wissenschaftler an
den Universitäten erhaben fühlen und sich auf die "Erkenntnisse" der
eigenen Sonderlings- oder auch Querulanten-Wissenschaft berufen. Kurz: Man
ist - so sehe ich das - in diesem Felde gut beraten, wenn man sich auf die
an den Universitäten gewonnenen hypothetischen Erkenntnisse stützt und
sich ansonsten an das Greifbare hält, also die theoretischen
Heißluftballons nicht beachtet. Letztlich sollte man sogar das Konzept
Alkoholismus streichen. Das bringt nichts. Das hat keinen konkreten
Inhalt. Alkoholkonsum ist Risikoverhalten. Autofahren ist Risikoverhalten.
Wer gelernt hat, die Risiken in sozialverträglicher Weise kontrollieren,
der soll fahren. Die anderen nicht.

PS: Manche besonders Schlaue meinen ja, man könne die Fahreignung eines
Trunkenheitsfahrers durch eine Einzelfallanalyse prognostizieren. Wir
kennen dieses Phänomen aus allen Bereichen des Lebens. Leute meinen, ihr
Sachverstand sei der Statistik weit überlegen. Personaler meinen, sie
könnten geeignete Mitarbeiter durch ein Interview sicherer herausfiltern
als mit quantitativen Verfahren. Psychiater meinen, sie könnten
rückfallgefährdete Sexualdelinquenten besser erkennen als die
Statistiker mit ihren Regressionsgleichungen. Architekten meinen, sie
könnten die Wirkung von Bauwerken auf Passanten besser einschätzen als
Markt- und Meinungsforscher. Ich könnte eine lange Liste weiterer
Beispiele nennen. All das ist empirisch untersucht worden. Ausnahmslos,
immer und überall waren die quantitativen Verfahren prognostisch valider
als das Urteil der Experten. Da beißt die Maus keinen Faden ab, da nutzen
auch keine hochgezüchteten "Einfallanalysen". Wir haben es hier mit
maßloser Selbstüberschätzung zu tun. Dies ist nur nur durch Eitelkeit
oder gar durch Narzissmus bedingt. Es liegt daran, dass die meisten
Menschen auch in naturwissenschaftlich-technisch dominierten
Zivilisationen immer noch zahlenlose Wesen sind. Manche plustern sich
sogar mit ihrem mathematischen Wissen auf, sind aber dennoch nicht in der
Lage, das quantitative Denken stringent auf das Verhalten und Erleben
anzuwenden. Sie fühlen sich, oft uneingestandenermaßen, unbehaglich bei
dem Gedanken an eine vollständige Quantifizierung der "Seele". Laß dich
nicht von solchen Leuten verwirren, die haben nicht verstanden, um was es
geht: Effizienz nämlich. Ohne Quantifizierung aber gibt es keine
Effizienz.
...

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 9, 2007, 11:11:42 AM11/9/07
to
Am Thu, 08 Nov 2007 20:15:16 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

> Am Thu, 08 Nov 2007 19:05:55 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>

...


> Na ja, ein bisserl verdächtig ist es schon. Eigentlich sollte sich ja die
> eine oder andere Theorie doch als Unfug herausstellen und es sollte dies
> eigentlich am fundiertesten der Urheber der Theorie nachweisen können.

Der sog. Publication Bias wurde früher sogar durch die Politik der
Fachzeitschriften forciert, keine nicht-signifikanten Ergebnisse zu
veröffentlichen. Diese Politik wurde inzwischen zwar weitgehend
aufgegeben, dennoch werden immer noch mehrheitlich Studien mit
signifikanten Ergebnissen veröffentlicht. Die meisten Menschen, und da
machen Wissenschaftler keine Ausnahme, möchten eben lieber Erfolge
präsentieren. Durch die Meta-Analysen, also durch Totalerhebungen aller
relevanten Studien zu einem Thema, ergeben sich aber Hinweise auf einen
eventuellen Publication Bias.
Dabei sollte man bedenken, dass nicht das Ergebnis einer empirischen
Studie allein wichtig ist. Man erfährt ja auch, wie die Forscher zu ihrem
Ergebnis gelangt sind. Dadurch werden das Experiment oder Quasi-Experiment
bzw. die Feldstudie reproduzierbar und überprüfbar. Ganz anders die
"Einzelfall-Wissenschaft". Da der Einzelfall nicht wiederholbar ist, kann
man auch die Ergebnisse des Einzelfall-Wissenschaftlers nicht
überprüfen. Das ist natürlich eine Spielwiese für notorische
Gurus und deren Anhänger.

...

> Schön zu hören, daß saubere Methodik sich so ganz allmählich entwickelt.

Ja, sie entwickelt sich aber nur in Bereich der empirischen, quantitativen
Psychologie. In allen anderen Bereichen beobachte ich eher eine Zunahme
von Hokuspokus und Guru-Gehabe.
...


>>
> Die ja, wie du schreibst, in jüngster Zeit, zunehmend methodisch sauber
> wird. Es bleibt also Hoffnung im Elend, vielleicht werden in nächster
> Zukunft auch brauchbare Studien veröffentlicht.

Es gibt jede Menge brauchbare Studien, auch jetzt schon. Man muss sich
allerdings die Mühe machen, sich in den Stoff zu vertiefen, um die
Stärken und Schwächen dieser Studien im Detail beurteilen und den
größten Nutzen aus ihnen ziehen zu können.
Natürlich, das ist mitunter ein zähes Brot. Es mundet vielen nicht. Sie
möchten lieber im wehenden Zaubermantel des Psycho-Magiers durch die
Lande ziehen und Kasse machen. Für manche Marketing-Genies mag sich das
auch rentieren, die Reputation der Psychologenzunft insgesamt leidet
darunter natürlich erheblich.

Gruß
ulrich
- -
http://blog.ppsk.de

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 9, 2007, 12:24:26 PM11/9/07
to
Am Fri, 09 Nov 2007 17:11:42 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Thu, 08 Nov 2007 20:15:16 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Am Thu, 08 Nov 2007 19:05:55 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>>
> ...
>> Na ja, ein bisserl verdächtig ist es schon. Eigentlich sollte sich ja die
>> eine oder andere Theorie doch als Unfug herausstellen und es sollte dies
>> eigentlich am fundiertesten der Urheber der Theorie nachweisen können.
>
> Der sog. Publication Bias wurde früher sogar durch die Politik der
> Fachzeitschriften forciert, keine nicht-signifikanten Ergebnisse zu
> veröffentlichen. Diese Politik wurde inzwischen zwar weitgehend
> aufgegeben, dennoch werden immer noch mehrheitlich Studien mit
> signifikanten Ergebnissen veröffentlicht. Die meisten Menschen, und da
> machen Wissenschaftler keine Ausnahme, möchten eben lieber Erfolge
> präsentieren.

Ein festgestellter Nicht-Zusammenhang (oder seien wir vorsichtiger: ein
Hinweis auf einen möglichen/wahrscheinlichen Nicht-Zusammenhang) wäre aber
doch auch ein Erfolg oder doch zumindest ein Wissensfortschritt.

> Durch die Meta-Analysen, also durch Totalerhebungen aller
> relevanten Studien zu einem Thema, ergeben sich aber Hinweise auf einen
> eventuellen Publication Bias.

Vorausgesetzt, die Studien sind veröffentlicht worden.



> Dabei sollte man bedenken, dass nicht das Ergebnis einer empirischen
> Studie allein wichtig ist. Man erfährt ja auch, wie die Forscher zu ihrem
> Ergebnis gelangt sind. Dadurch werden das Experiment oder Quasi-Experiment
> bzw. die Feldstudie reproduzierbar und überprüfbar. Ganz anders die
> "Einzelfall-Wissenschaft". Da der Einzelfall nicht wiederholbar ist, kann
> man auch die Ergebnisse des Einzelfall-Wissenschaftlers nicht
> überprüfen.

Wiederholbar ist der Einzelfall natürlich nicht. Aber wenn der Einzelfall
vom entsprechenden Wissenschaftler sauber dokumentiert ist (inkl. möglicher
Fehlerquellen bei der Datenerhebung), wenn er die Schlüsse, die er aus dem
Einzelfall zieht, ordentlich und nachvollziehbar begründet, dann kann ich
damit sehr wohl etwas anfangen. Ich kann dem betreffenden Wissenschaftler
Mängel bei der Datenerhebung nachweisen, ich kann vor allem seine Schlüsse
aus dem geschilderten Einzelfall anzweifeln oder doch modifizieren.
Und sag jetzt nicht, ich müßte mich bei Einzelfallanalysen auf die
Ehrlichkeit des betreffenden Wissenschaftlers verlassen. Das muß ich auch
bei psychologischen Experimenten und statistischen Analysen ständig. Und
manchmal zu Unrecht, wie immer wieder mal aufgedeckte Schwindeleien oder
Schönheitskorrekturen am Datenmaterial zeigen (den massiven Fall von
Datenfälschung durch Cyril Burt hatte ich ja schon angerissen).

> Das ist natürlich eine Spielwiese für notorische
> Gurus und deren Anhänger.
>

Ja, die Gurus, ja ja. Da gibts immer eine Menge zu spötteln, da schließe
ich mich ggf. gerne an. An der Uni Regensburg hattest du bei den
Psychologiestudenten die Diplomanden von Prof. Drösler, erkennbar an den
Computerausdrucken des Rechenzentrums, die sie ständig unterm Arm
spazierentrugen und dem strengen, wissenschaftlichen Blick. Und dann waren
da die Diplomanden von Prof. Vukovich, die in einer Hand ein Buch über
Humanistische Psychologie trugen, in dem ein Zeigefinger die Seite
markierte, an der sie gerade am Lesen waren. Sie hatten gerne diesen
abwesenden, sanften Philosophienblick im Gesicht, so sanft, daß du sie am
liebsten gewatscht hättest.
Das sind natürlich Karikaturen, aber so ganz anders war die Wirklichkeit
nicht.



>> Schön zu hören, daß saubere Methodik sich so ganz allmählich entwickelt.
>
> Ja, sie entwickelt sich aber nur in Bereich der empirischen, quantitativen
> Psychologie. In allen anderen Bereichen beobachte ich eher eine Zunahme
> von Hokuspokus und Guru-Gehabe.
> ...

Ah, mir scheint, der Hokuspokus bleibt konstant.

>> Die ja, wie du schreibst, in jüngster Zeit, zunehmend methodisch sauber
>> wird. Es bleibt also Hoffnung im Elend, vielleicht werden in nächster
>> Zukunft auch brauchbare Studien veröffentlicht.
>
> Es gibt jede Menge brauchbare Studien, auch jetzt schon. Man muss sich
> allerdings die Mühe machen, sich in den Stoff zu vertiefen, um die
> Stärken und Schwächen dieser Studien im Detail beurteilen und den
> größten Nutzen aus ihnen ziehen zu können.
> Natürlich, das ist mitunter ein zähes Brot. Es mundet vielen nicht. Sie
> möchten lieber im wehenden Zaubermantel des Psycho-Magiers durch die
> Lande ziehen und Kasse machen. Für manche Marketing-Genies mag sich das
> auch rentieren, die Reputation der Psychologenzunft insgesamt leidet
> darunter natürlich erheblich.
>

Das freut mich jetzt aber, daß ich als (ehemaliger) MPU-Gutachter nicht
unter dein Verdikt falle. Kasse machen ist bei der MPU nicht (nicht für den
Gutachter), das ist akademische Fließbandarbeit für geringen Lohn.

Ciao
Wolfram
--
Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 9, 2007, 1:16:01 PM11/9/07
to
Am Fri, 09 Nov 2007 18:24:26 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

> Am Fri, 09 Nov 2007 17:11:42 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>
>> Am Thu, 08 Nov 2007 20:15:16 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>>
>>> Am Thu, 08 Nov 2007 19:05:55 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>>>
>> ...

> Ein festgestellter Nicht-Zusammenhang (oder seien wir vorsichtiger: ein


> Hinweis auf einen möglichen/wahrscheinlichen Nicht-Zusammenhang) wäre aber
> doch auch ein Erfolg oder doch zumindest ein Wissensfortschritt.

Nun ja, meistens propagiert die im Schweiße des Angesichts
zusammengebastelte Theorie halt den Zusammenhang, und wenn sich dieser
dann nicht bestätigen lässt, dann ätzt das schon am Ego -
Wissenschaftsfortschritt hin oder her. Sicher, es ist auch ein
Erkenntnisgewinn, wenn man feststellt, dass man ein Blödel ist, aber...


>
>> Durch die Meta-Analysen, also durch Totalerhebungen aller
>> relevanten Studien zu einem Thema, ergeben sich aber Hinweise auf einen
>> eventuellen Publication Bias.
>
> Vorausgesetzt, die Studien sind veröffentlicht worden.

Im Gegenteil: Wenn keine oder wenig nicht-signifikante Ergebnisse
veröffentlicht wurden, dann ist das ein Hinweis auf einen Publication
Bias.
>
...


> Wiederholbar ist der Einzelfall natürlich nicht. Aber wenn der Einzelfall
> vom entsprechenden Wissenschaftler sauber dokumentiert ist (inkl. möglicher
> Fehlerquellen bei der Datenerhebung), wenn er die Schlüsse, die er aus dem
> Einzelfall zieht, ordentlich und nachvollziehbar begründet, dann kann ich
> damit sehr wohl etwas anfangen. Ich kann dem betreffenden Wissenschaftler
> Mängel bei der Datenerhebung nachweisen, ich kann vor allem seine Schlüsse
> aus dem geschilderten Einzelfall anzweifeln oder doch modifizieren.

Mich erinnert diese Haltung an die Gepflogenheiten in esoterischen Kreisen
und unter Anhängern der Naturheilkunde bzw. Alternativmedizin. Dort
bevorzugt man ja auch das n=1-Design. Konkret: Der Wundergläubige nimmt
ein Wundermittel, stellt fest, das es ihm geholfen hat und schreitet
munter aus hinaus in die Welt um die Frohe Botschaft zu verkünden. Die
beste Freundin erzählt es ihrer besten Freundin weiter... und dann dauert
es nicht lange, bis im Grunde jeder eine Tante hat, deren Freundin von
einem Nachbarn hörte, dass dieses Wundermittel bei allerlei Gebresten
wohltätige Wirkungen entfaltet.
Das Problem bei diesen n=1-Designs besteht aber bekanntlich darin, dass
man aus ihnen keine Ursachen ableiten kann. Wenn dem Herrn Y (Einzelfall
23) nun das Ereignis E widerfahren ist und er dann das Verhalten V gezeigt
hat, dann lässt der Einzelfall in keinem Fall den Kausalschluss von E auf
V zu. Und darum kann die Sequenz E(t1) V(t1) auch nicht zur Prognose von
V unter der Bedingung von E zum Zeitpunkt t2 dienen. Diese Pseudologik
"Nachher, also deswegen" war doch schon immer die Brutstätte des
Aberglaubens und ich vermag nicht einzusehen, warum dieser Aberglaube nun
unter der hehren Bezeichnung "Einzelfall-Wissenschaft" Anerkennung finden
sollte.
Hier liegt ein Spezialfall der weitverbreiteten menschlichen Tendenz vor,
die eigene Erfahrung überzubewerten und vor lauter Begeisterung über
diese jede Logik fahren zu lassen. Diese Tendenz führt dazu, dass
Wunderdoktoren Konjunktur haben, absolut wirkungslose oder gar schädliche
"Medikamente" sich wachsender Beliebtheit erfreuen, Psycho-Gutachter
ohne quantitative Absicherung ihrer Prognosen vor Gericht ernst genommen
werden, Politiker, die sich wirtschaftlichen Aufschwung zuschreiben,
wiedergewählt und nicht als Logik-Kretins abgewählt werden - kurz: ein
breites, buntschillerndes Spektrum des aberwitzigsten Aberglaubens
verdankt seine Beliebtheit dem n=1-Design, der Einzelfall-Wissenschaft.
Und, lieber Wolfram, bitte bedenke: Wir leben im 21. Jahrhundert.

...

werner stangl

unread,
Nov 9, 2007, 1:19:01 PM11/9/07
to
Wolfram Heinrich schrieb:

> ... aber so ganz anders war die Wirklichkeit nicht.

8-}) w<schonwiederweg>s

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 9, 2007, 1:37:16 PM11/9/07
to

Das wird auch gut sein, daß du schon wieder weg bist, Herr Professor. A so
was hundsgemeines, ich sitz und denk mir: "Hab ich das geschrieben?" Dann
schau ich nach und finde:
"Das sind natürlich Karikaturen, aber so ganz anders war die Wirklichkeit
nicht."

Der Franze sieht die Sache noch viel radikaler:
"Der Franze hat gsagt, er hat nix gegen Karikaturen. Aber, sagt er, in der
Kunst dürfen sie natürlich nicht so überzeichnet sein wie im Leben."

Ciao
Wolfram
--
Der Franze hat gsagt, er freut sich auf den Winter. Weil dann, sagt er, der
Frühling bald kommt.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 10, 2007, 2:32:09 PM11/10/07
to
Am Fri, 09 Nov 2007 08:54:30 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

> Wolfram Heinrich schrieb:
> [...]
>>> Wie viel Promille sind denn nach Deiner Lehre höchstens wie oft zuzugestehen?
>>>
>> Bin ich Jesus? Ich habe den Leuten stets geraten, ihr kontrolliertes
>
> Du vielleicht nicht, aber Stephan und seine antialkoholischen RitterInnen
> scheinen da einen touch abbekommen zu haben.
>

Nun kenn ich Stephan nicht persönlich. Die MPU-Gutachter, die ich kenne,
sind aber (bis auf ein paar bemerkenswerte Ausnahmen) keine verkniffenen
Anti-Alkoholiker oder sektiererische Abstinenzprediger für jedermann (Jeder
Schluck Alkohol tötet Millionen von Hirnzellen).

> M.E. gehören klare Grenzen, klare Regeln, eine klare Sprache, ein klares
> Begründungsreglement und eine klare Forschung her - für alle
> Verantwortungslosen im Straßenverkehr, nicht nur für die Alkohol- und
> Drogenauffälligen: 5300 Tote, 425.000 Verletzte und die vielen betroffenen
> Bezugspersonen sind einfach nicht hinnehmbar.
>
> Ich habe leider den Eindruck gewonnen, dass die Verteufelung von Alkohol und
> Drogen im Straßenverkehr - sie sind für "höchstens" 20% der Getöteten und
> Verletzten verantwortlich - der Sündenbockbildung und Ablenkung vom viel
> schlimmeren und größeren Skandal dient. Ca. 90% der Unfälle gehen auf
> menschliches Versagen zurück.

Da sind dann wohl die Alkohol-Unfälle mit enthalten, oder?

> Von den Opfern gehen also ungefähr ein Fünftel
> auf das AlkoDrogen Konto, d.h. rund 70% geht demnach auf die - statistisch
> gesehen - ganz "normale Verantwortungslosigkeit" zurück.
>
> Warum muss nicht JEDE, die einen Schwerverletzten oder gar Toten schuldhaft
> herbeiführt zur MPU?
>

Ach, ist das nicht mehr so? Zu meiner Zeit war das eine klare Sache, wer
den Führerschein wegen einer Verkehrsstraftat (eben fahrlässige Tötung oder
fahrlässige Körperverletzung) verloren hatte, mußte auf jeden Fall zur MPU.

>>>> Zur zufriedenen Abstinenz - Natürlich ist das ein wünschenswerten Ziel für
>>>> einen Alkoholiker. Wenn allerdings "zufriedene Abstinenz" von außen als
>>>> Forderung an einen Menschen herankommt, dann wird die Sache sehr
>>>> theologisch und verzwickt, dann landen wir beim "Sei-spontan-Paradox". Du
>>>> *mußt* Abstinenz *wollen*.
>>> Danke, sehr schön formuliert. Wurde das erstmals von Kroj et al.(1995) so
>>> theo-epikuräisch apodiktiert?
>>>
>> Keine Ahnung. Ich fürchte, das habe ich mir selber ausgedacht.
>>
> Kompliment.
>

Mei, wenn einen Autoritäten im Stich lassen, muß man sich halt selber was
aus den Fingern saugen.

>>>> Und zum verantwortlichen Umgang mit Alkohol - Abstinenz ist sehr viel
>>>> leichter zu praktizieren als kontrolliertes Trinken. Beim kontrollierten
>>>> Trinken mußt du ständig aufpassen wie ein Haftlmacher, du machst dir damit
>>>> das Leben unnötig schwer.
>>> Wo ist das denn belegt?
>>
>> In der Lebenserfahrung. Die ist ja manchmal auch nicht schlecht, wenn's um
>
> Obwohl ich die Lebenserfahrung auch schätze, ist mir das für einen solch
> rabiat-dubiosen Eingriff zu wenig.
>

Es ist ja in Wirklichkeit kein Eingriff. Kein Mensch kann dich zu Abstinenz
zwingen, wenn du das nicht willst. Ich würde mich zwar nicht trauen, einem
Menschen mit erheblicher Alkoholvergangenheit kontrolliertes Trinken zu
empfehlen, aber wenn *er* sich dafür entscheidet, muß ich das akzeptieren
und ihm dabei gegebenenfalls zur Hand gehen.

> Stephans Vorgehen hat doch mit Wissenschaft nicht das geringste zu tun. Der
> hat sich unter den Baum der Erkenntnis gelegt. Dort ist ihm der Mittelwert von
> 1,5 Promille auf den Kopf gefallen, den er dann großzügig mit einer
> Fehlerquote von 0,1 auf 1,6 angereichert hat und das hat er dann in einer Art
> Erleuchtung zum Kriterium gemacht. Er hat einen gruppenstatistischen
> MITTELWERT zum generellen Einzellfallkriterium g e s c h a u t (da passt Dein
> Jesus von oben ganz gut). Und nun verkünden sie das neue Evangelium: ab 1,6
> Promille im EINZELFALL liegt eine hohe Alkoholtoleranz und "Giftfestigkeit"
> vor, die Abstinenz erfordert.
>

Na ja, nun, freilich im Einzelfall. 1,6 Promille *sind* ein sehr hoher
Wert, ein arabischer durchtrainierter Zehnkämpfer, der zeitlebens Alkohol
gemieden hat, wäre damit in Lebensgefahr, ein ansonsten Mäßig-Trinker auch
bereits jenseits von Gut und Böse. Ich habe selber mal einen völlig
aktionsunfähigen Jugendlichen (in Hinsicht auf Alkohol auch nicht mehr ganz
unschuldig), der sich eine Flasche Wodka ins Hirn gestoßen hatte, ins
Krankenhaus gefahren, wo man dann 1,4 Promille bei ihm gemessen hatte. 1,6
Promille ist absolut kein harmloser Wert mehr.

>> Die Ärzte haben übrigens standardisierte Fragebögen,
>
> So, welchen denn? Meinst Du das Blutentnahmeprotokoll?
> http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#Verhalten%20bei%20der
>

Ja.

>> Muß ich denn, wenn ich schreibe, einer sei hingefallen und habe sich die
>> Fresse angehauen, seitengenau die Fallgesetze bei Galilei und die Gesetze
>> der Bewegungsdynamik bei Newton raussuchen?
>>
> Das sollte Dir bei Bedarf der Textblock - ich habe nichts gegen Textblöcke,
> wenn sie richtige Sachverhalte nennen und korrekt zitieren können -
> abnehmen ;-)
>

Wenn mir der TÜV oder die PIMA so einen Textblock dichtet und mir zur
Verfügung stellt, will ich gerne das Spiel mitmachen, ansonsten - nein.

> Na ja, gerade die Juristen sind doch die Protagonisten und am besten
> entwickelten idiographische Wissenschaft. Wissenschaft ist ja gerade nicht
> das, was einige Universitätsprofessoren meinen. Idiographische Wissenschaft
> fängt genau dort an, wo die nomologische meist aufhört. Wenn 35% der
> Ersttäter nach Stephan - bei Haffner waren es 19,3% in 10 Jahren - in den
> ersten 5 Jahren einen Rückfall produzieren, dann stellt sich für die
> GutachterIn die Frage: gehört mein Proband nun zu den 35%, die abzulehnen
> wären oder zu den 65%, die positiv zu machen wären?

Moment! "Rückfall" heißt in einer empirischen Studie, daß der Betreffende
wieder mit Alkohol erwischt worden ist. Wieder gefahren sind nach aller
Erfahrung wesentlich mehr.

> Dafür sind in der
> Untersuchung *individuelle* Argumente zu sammenln (lass Dich hier nicht von UG
> verwirren, der hat das selbst nicht verstanden) und das ist echte
> EINZELFALLWISSENSCHAFT, die die Unileute meist nicht können, weil sie dort oft
> nicht verstanden, nicht angenommen und infolgedessen auch nicht gelehrt wird.

Einzelfallwissenschaft, die sich natürlich - so gut es eben geht - die
Ergebnisse der Statistischen Wissenschaft zunutze macht.

>> Trotzdem sind es Ärzte und tragen einen weißen Kittel. Ein bisserl Magie
>> muß schon sein und manchmal ist man als psychologischer Gutachter froh über
>> einige Zusatzinformationen vom Doc.
>
> Hm, hört sich so an, als funktionierten sie (auch) als Autoritätsplacebo ;-)
>

Na ja, freilich.

>> Was die Leberwertdeutung betrifft: Du hattest nach der alten Notation 18
>> U/l als Grenzwert bei Frauen und 28 U/l bei Männern. Eine Frau mit 23 U/l
>> bekam medizinisch ein negatives Gutachten, ein Mann mit dem gleichen Wert
>> rutschte dagegen durch. Ich sagte immer wieder mal, die Frau mit 23 trinkt
>> doch nicht mehr als der Mann mit 23, die Frau ist halt in einer
>> Vergleichsgruppe mit drin, in der generell weniger getrunken wird als bei
>> Männerns.
>
> Dass die Leberwerte falsch valdidiert - zu Gunsten der "Alkis" wurden ist
> allgemein bekannt:
> http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#Leberwerte
>

Wir leben in einer feuchten Gesellschaft und die dort herrschenden
Trinkgewohnheiten verschieben natürlich die Glockenkurve nach rechts. Die
selektierte Glockenkurve der Frauen ist dabei ein Stück weiter links, weil
Frauen im Schnitt halt doch noch nicht so viel saufen wie Männer.

>>>>> Was ist denn
>>>>> für eine Logik? Abstinenzzeiträume wird doch auch sonst verlangt.
>>>> Das ist keine Abstinenz, sondern eine Trinkpause. Das ist etwas fundamental
>>> Ja, eine Trinkpause ist Abstinenzabschnitt. Im Begriff der Abstinenz ist nicht
>>> automatisch "lebenslänglich" inbegriffen.
>>>
>> Lebenslänglich nicht, aber zur Abstinenz gehört meines Erachtens schon der
>> bewußte Verzicht auf Alkohol.
>>
> Hm, unbewusst wirds wohl kaum gehen.

Mit bewußt meinte ich eigentlich "problembewußt". Also einer, der nicht
einfach mal das Bier sein läßt, damit 1 Ruh und keiner mehr nörgelt,
sondern der sich ... ja, doch: bewußt und gezielt dafür entscheidet,
künftig lebenslang oder doch für geraume Zeit auf Alkohol zu verzichten.

> Aber wie viele Jahre dann? 2 Jahre und 4
> Monate? Oder drei und 7 Monate? Gibt es Bewährungsnachlass bei besonders
> guter Führung, etwa bei glücklicher Abstinenz mindestens 14 Tage alle drei
> Monate? ;-)
>

Du spöttelst, aber dergleichen Argumentationen habe ich allen Ernstes schon
in Untersuchungsgesprächen gehört.

Ciao
Wolfram
--
Ja, is iatz des wahr, ha? Des waar ja da Wahnsinn, bal des wahr waar. Werd
wahscheinle net wahr sei.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 10, 2007, 2:32:13 PM11/10/07
to
Am Fri, 09 Nov 2007 19:16:01 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Fri, 09 Nov 2007 18:24:26 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Ein festgestellter Nicht-Zusammenhang (oder seien wir vorsichtiger: ein
>> Hinweis auf einen möglichen/wahrscheinlichen Nicht-Zusammenhang) wäre aber
>> doch auch ein Erfolg oder doch zumindest ein Wissensfortschritt.
>
> Nun ja, meistens propagiert die im Schweiße des Angesichts
> zusammengebastelte Theorie halt den Zusammenhang, und wenn sich dieser
> dann nicht bestätigen lässt, dann ätzt das schon am Ego -
> Wissenschaftsfortschritt hin oder her. Sicher, es ist auch ein
> Erkenntnisgewinn, wenn man feststellt, dass man ein Blödel ist, aber...
>>

"Ja, wir werden alles, alles noch einmal in Frage stellen. Und wir werden
nicht mit Siebenmeilenstiefeln vorwärtsgehen, sondern im Schneckentempo.
Und was wir finden, werden wir morgen von der Tafel streichen und erst
wieder anschreiben, wenn wir es noch einmal gefunden haben. *Und was wir zu
finden wünschen, das werden wir, gefunden, mit besonderem Mißtrauen
ansehen...*"
Das ist aus "Leben des Galilei" von Brecht. Das Stück hat mich damals
bewogen, Physik zu studieren...

>>> Durch die Meta-Analysen, also durch Totalerhebungen aller
>>> relevanten Studien zu einem Thema, ergeben sich aber Hinweise auf einen
>>> eventuellen Publication Bias.
>>
>> Vorausgesetzt, die Studien sind veröffentlicht worden.
>
> Im Gegenteil: Wenn keine oder wenig nicht-signifikante Ergebnisse
> veröffentlicht wurden, dann ist das ein Hinweis auf einen Publication
> Bias.
>>

Der aber nicht - hüstel - quantifizierbar ist...

> ...
>> Wiederholbar ist der Einzelfall natürlich nicht. Aber wenn der Einzelfall
>> vom entsprechenden Wissenschaftler sauber dokumentiert ist (inkl. möglicher
>> Fehlerquellen bei der Datenerhebung), wenn er die Schlüsse, die er aus dem
>> Einzelfall zieht, ordentlich und nachvollziehbar begründet, dann kann ich
>> damit sehr wohl etwas anfangen. Ich kann dem betreffenden Wissenschaftler
>> Mängel bei der Datenerhebung nachweisen, ich kann vor allem seine Schlüsse
>> aus dem geschilderten Einzelfall anzweifeln oder doch modifizieren.
>
> Mich erinnert diese Haltung an die Gepflogenheiten in esoterischen Kreisen
> und unter Anhängern der Naturheilkunde bzw. Alternativmedizin.

Mich erinnert diese Manier, Leute, die ab und zu von der Rechenmaschine
aufschauen und sich die Welt betrachten, als Spinner abzuqualifizieren doch
sehr an Sektiererpredigt.

> Und, lieber Wolfram, bitte bedenke: Wir leben im 21. Jahrhundert.
>

Oh, ist es doch schon so spät.

Ciao
Wolfram
--
Am 8. Tage schuf Gott das Bier. Seitdem hat Ihn niemand mehr gesehen.
UNBEKANNT
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 10, 2007, 2:32:09 PM11/10/07
to
Am Fri, 09 Nov 2007 13:46:19 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Thu, 08 Nov 2007 19:48:11 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
> ...Viele
>>> Trunkenheitsfahrer kriegen es einfach nicht in den Schädel rein, dass sie
>>> auch zu Fuß gehen könnten, sagen wir, ein Viertel-, eine halbe Stunde,
>>> wenn sie knülle sind.
>>
>> Nachts um zwei, wenn die ganzen Besoffenen unterwegs sind?
>
> Ja, warum nicht.

Weil es viel zu gefährlich ist.

> Ich schrieb bereits, das eigentliche Problem sei das
> Auto. Das muss ich noch präzisieren. Das ureigentliche Problem der
> meisten Trunkenheitsfahrers ist der eigene Körper und dessen Bewegung in
> Raum und Zeit.

Die sind halt bequem, wie wir alle. Der Verführung ist groß und die
Sanktion sehr selten. Eine ungute Mischung. Wenn du nach einer
Trunkenheitsfahrt weiterhin beim Oberwirt verkehrst, dort weiterhin dein
übliches Quantum an Bier und Schnaps in den Schädel kippst - dann fährst
halt irgendwann wieder. Wenn solche Leute in der Lage wären, wider die
eigene Trägheit eine sinnvolle, aber harte Vermeidungsstrategie
durchzuhalten, würden sie ja nicht saufen. Am Stammtisch beim Oberwirt
sitzen gerade keine Kaltduscher und Frischkornmüslimampfer.

> Wer es nicht in seinen Schädel kriegt, dass er durchaus
> auch einmal eine Viertel- bis eine halbe Stunde zu Fuß gehen kann, der
> braucht auch keine Führerschein, sofern er Trunkenheitsfahrer ist.
> Und hier müsste man, so meine ich, in der Prognostik ansetzen.
>>

Das ist der Ansatz von vor 20 Jahren, damals hat man bei Prognostik und
Nachschulung auf die Trennung von Trinken und Fahren gesetzt. Und als dann
trotzdem die damals positiv Begutachteten wieder massenweise zur nächsten
MPU antraten, dämmerte es, daß die Trennung von Trinken und Fahren
womöglich eine zu oberflächliche Lösung wäre.

>> Und es fährt der, der am wenigsten besoffen ist? Die Limo-Trinker gehen
>> doch schon spätestens um 11.00 Uhr heim...
>
> Wie gesagt: Trunkenheitsfahrer, die ihren Führerschein wieder haben
> wollen, sollten in der Lage sein, nachzuweisen, dass sie aushäusigen
> Alkoholkonsum auch ohne Auto zu organisieren in der Lage und willens sind.
> Da ist es mir eigentlich egal, wann die Limo-Trinker heim gehen.
>>

Mir schon auch. Wenn du aber gerne viel und oft viel säufst und das,
nachvollziehbarer Weise in Gesellschaft, im Wirtshaus, dann bist du halt in
einem verfluchten Dilemma. Meiner Erfahrung nach können die wenigsten mit
diesem Dilemma leben, sprich auf der Dauer der Versuchung zum Fahren
widerstehen. Ist das Wirtshaus nah, heißt es: Was soll schon sein auf den
paar Metern und ist es weit, so sagt man sich, anders gehe das ja gar
nicht. Der Ausweg scheint mir darin zu bestehen, aus dem Dilemma
auszusteigen, sprich das Auto verkaufen (was ja auch einige machen - ich
sauf lieber als daß ich ein Auto hab) oder halt mit dem Saufen aufzuhören.

> Was mich stört, ist die Neigung mancher Alkoholismus-Experten, ihren
> Glauben für eine höhere Form des Wissens zu halten. Besonders ätzend
> sind trockene Alkoholiker, die sich zu Helfern gemausert haben und die
> sich auf ihre Erfahrungen berufen, aber dann doch nur die Dogmen der AA
> oder anderer Sekten propagieren. Mitunter noch ätzender sind die heimlich
> saufenden Fachleute, meist Ärzte oder Psychologen, die dank ihrer
> Psychotherapieausbildung oder gar irgend welcher Wochenendkurse eine
> wissenschaftliche Fundierung ihrer Glaubenswelten zu besitzen
> beanspruchen. Am schlimmsten von allen sind jene Experten, die sich über
> die meist vorsichtig und hypothetisch argumentierenden Wissenschaftler an
> den Universitäten erhaben fühlen und sich auf die "Erkenntnisse" der
> eigenen Sonderlings- oder auch Querulanten-Wissenschaft berufen.

Jetzt bist du aber schon wieder schwer im Ressentiment, hart an der
Karikatur. Natürlich gibt’s die geschilderten Typen, ich spöttel auch gerne
mit dir mit über sie. Die Einzelfallwissenschaftler, die ich kenne
(zwangsläufig vor allem MPU-Gutachter) sind sich Ihrer Grenzen sehr wohl
bewußt. Und wenn ich selber in Gefahr gerate, mich gar zu wichtig zu nehmen
und für furchtbar kompetent zu halten, dann rufe ich mir die Dame ins
Gedächtnis, die mir fast eine Stunde lang in großer Offenheit von ihren
alkoholischen Exzessen erzählt hat, wie sie in den Alkoholmißbrauch
hineingekommen und durch Therapie und Selbsthilfegruppe wieder
herausgekommen ist und die ich folgerichtig positiv machen wollte. Nur der
Geruch, der sich allmählich im Zimmer breitmachte, machte mich stutzig und
ich holte schließlich den Alkomaten hervor: 2 Promille, während sie mit mir
sprach. Keinerlei Ausfallserscheinungen, kein Lallen, keine glasigen Augen,
nichts. Nur ein bißchen Geruch. Da kriegst du dann schon rote Ohren, wenn
dir so was passiert. Daß es mir in den ersten Jahren meiner
Gutachter-Tätigkeit passierte, tröstet mich dabei nur wenig.

> Kurz: Man
> ist - so sehe ich das - in diesem Felde gut beraten, wenn man sich auf die
> an den Universitäten gewonnenen hypothetischen Erkenntnisse stützt und
> sich ansonsten an das Greifbare hält, also die theoretischen
> Heißluftballons nicht beachtet.

Dem ersten Teil des Satzes stimme ich voll zu, der zweite Teil dagegen...
Das Kreuz bei der Psychologie ist viel zu oft, daß das Greifbare, das
methodisch gut in den Griff zu Bekommende häufig nicht das ist, was einen
letztlich interessiert. Ich meine, es gibt nichts dagegen zu sagen, daß
einer sagt, ich will (natur)wissenschaftlich arbeiten, ich untersuche also
bloß das, was ich (natur)wissenschaftlich in den Griff bekomme. Okay, fein.
Aber auf die Anderen herabzuschauen, die sich mit anderen Methoden in
andere Gebiete wagen, ist - sektiererisch.

> Letztlich sollte man sogar das Konzept
> Alkoholismus streichen. Das bringt nichts. Das hat keinen konkreten
> Inhalt.

Es wird dich jetzt wahrscheinlich überraschen, wenn ich dir sage, daß ich
diesen letzten Sätzen voll und aus ganzem Herzen zustimme. Je länger ich
diesen Job gemacht habe, desto mehr hat sich mir der Begriff "Alkoholismus"
zerfranst. Sicher, es gibt den Bilderbuch-Alkoholiker, der morgens zittert,
ehe er nicht die erste Flasche Bier getrunken hat, aber das Phänomen
Alkoholmißbrauch ist sehr viel schillernder. Was mich zunehmend gestört hat
ist die Suggestion durch das Wort "Alkoholismus", es gebe quasi einen Zaun,
der das Alkoholikerfreigehege von der sonnigen Wiese der sonstigen
Vieltrinker beruhigend abtrennt. Ich bevorzuge das Wort "Alkoholproblem",
wobei das Problem dort anfängt, wo ein allzeit gelassener Umgang mit dem
Stoff Alkohol nicht mehr möglich ist. Und da gibt’s nun viele, viele
Varianten, manche stürzen ab, andere saufen wie die Löcher und kommen ihr
Leben lang damit klar, andere rutschen rein und kommen von selber auch
wieder raus etc. pp.

> PS: Manche besonders Schlaue meinen ja, man könne die Fahreignung eines
> Trunkenheitsfahrers durch eine Einzelfallanalyse prognostizieren.

Und die ganz, ganz besonders Schlauen reden sich ein, sie könnten die
Vielfalt des Lebens mit ein bisserl Statistik in den Griff bekommen. So hat
halt jeder von uns seinen ganz besonderen Schlag weg.

> All das ist empirisch untersucht worden. Ausnahmslos,
> immer und überall waren die quantitativen Verfahren prognostisch valider
> als das Urteil der Experten.

Abgesehen natürlich von den Untersuchungen, die nie veröffentlicht
wurden... Zwinker, zwinker.

> Wir haben es hier mit
> maßloser Selbstüberschätzung zu tun.

Hör ich da Selbstkritik raus? Oder bin ich bloß zu optimistisch?

> Es liegt daran, dass die meisten
> Menschen auch in naturwissenschaftlich-technisch dominierten
> Zivilisationen immer noch zahlenlose Wesen sind. Manche plustern sich
> sogar mit ihrem mathematischen Wissen auf, sind aber dennoch nicht in der
> Lage, das quantitative Denken stringent auf das Verhalten und Erleben
> anzuwenden.

Das wollte ich aber doch schwer gehofft haben.

> Laß dich
> nicht von solchen Leuten verwirren, die haben nicht verstanden, um was es
> geht: Effizienz nämlich. Ohne Quantifizierung aber gibt es keine
> Effizienz.
> ...

Dann will ich dich jetzt mal nicht weiter vom Zählen abhalten.

Ciao
Wolfram
--
Hättst was Gscheits glernt, na wärst jetzt auch arbeitslos.
AUSSPRUCH EINES ARBEITSLOSEN
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Hans Ulrich Gresch

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Nov 11, 2007, 4:11:18 AM11/11/07
to
Am Sat, 10 Nov 2007 20:32:09 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

> Am Fri, 09 Nov 2007 13:46:19 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>

...


> Das ist der Ansatz von vor 20 Jahren, damals hat man bei Prognostik und
> Nachschulung auf die Trennung von Trinken und Fahren gesetzt. Und als dann
> trotzdem die damals positiv Begutachteten wieder massenweise zur nächsten
> MPU antraten, dämmerte es, daß die Trennung von Trinken und Fahren
> womöglich eine zu oberflächliche Lösung wäre.

Vielleicht wären die Fehlprognosen deutlich seltener, wenn es reliable
und valide Messinstrumente sowie ein sauberes mathematisches Modell zur
Prognose des Rückfalls von Trunkenheitsfahrern gäbe. Mir ist
schleierhaft, warum du dich so hartnäckig dagegen sträubst, obwohl dir
doch die Mängel der "klinischen" Diagnose durchaus geläufig sind.
>
...
... Meiner Erfahrung nach können die wenigsten mit


> diesem Dilemma leben, sprich auf der Dauer der Versuchung zum Fahren
> widerstehen.

Deine Erfahrung in Ehren, aber es gibt schon ein paar Daten, die dagegen
sprechen. Langzeitstudien zeigen jedenfalls, dass ein nicht
unbeträchtlicher Teil von "Alkoholikern" im Laufe der Jahre ohne jede
"Therapie" oder Selbsthilfegruppe abstinent wird bzw. zum kontrollierten
Trinken übergeht. By the way: Wir finden bei psychologischen
Sachverhalten nicht selten eklatante Gegensätze zwischen Erfahrung und
empirischer Forschung. Dies liegt aus meiner Sicht vor allem daran, dass
die Erfahrung in der Regel gar nicht so taufrisch erdennah und
unverfälscht ist, wie von ihren Verfechtern gern geglaubt wird - sondern,
im Gegenteil: Erfahrung wird häufig wesentlich mitbestimmt oder gar
vorfabriziert durch ideologische Schemata. Man mache sich nur einmal klar,
in welch verheerendem Ausmaß die nachweislich unsinnigen AA-Ideologien
die "Erfahrung" vieler Praktiker deformiert haben.

...


> Jetzt bist du aber schon wieder schwer im Ressentiment, hart an der
> Karikatur.

Dazu stehe ich. Was ich in den rund fünfzehn Jahren an der Front des
"Sucht-Geschäfts" an Bigotterie, Lernresistenz und Faktenverleugnung
erlebt habe, spottet jeder Beschreibung. Was soll man beispielsweise von
Suchttherapeuten oder Trägern von Suchthilfeeinrichtungen halten, die
sich mit Klauen und Zähnen gegen eine methodisch saubere Evaluation ihrer
Suchttherapie wehren? Und sich dabei auf ihre Erfahrung berufen? Und dabei
den quantitativen Ansatz schlecht machen? Und sich als
Einzelfall-Wissenschaftler gerieren? Ressentiment? Ja, mehr: kalte Wut.

...

> Dem ersten Teil des Satzes stimme ich voll zu, der zweite Teil dagegen...
> Das Kreuz bei der Psychologie ist viel zu oft, daß das Greifbare, das
> methodisch gut in den Griff zu Bekommende häufig nicht das ist, was einen
> letztlich interessiert. Ich meine, es gibt nichts dagegen zu sagen, daß
> einer sagt, ich will (natur)wissenschaftlich arbeiten, ich untersuche also
> bloß das, was ich (natur)wissenschaftlich in den Griff bekomme. Okay, fein.
> Aber auf die Anderen herabzuschauen, die sich mit anderen Methoden in
> andere Gebiete wagen, ist - sektiererisch.

Ich schaue gar nicht auf die anderen herab. Schließlich gehöre ich mit
ganzer Seele zu ihnen. Selbstverständlich ist es legitim, die Welt
psychologischer Sachverhalte mit Phantasie eher literarisch auszuwerten.
Das eine, also der empirisch-quantitative Ansatz, schließt das andere,
also das Künstlerische und Empfindsame nicht aus. Nur ist Letzteres keine
Wissenschaft. Ein MPU-Gutachten sollte keine literarische Übung sein. Wer
mit dieser Feder fechten möchte, sollte Essays schreiben oder Gedichte...
(Nebenbei: Deine Aphorismen sind nicht schlecht).

... Ich bevorzuge das Wort "Alkoholproblem",


> wobei das Problem dort anfängt, wo ein allzeit gelassener Umgang mit dem
> Stoff Alkohol nicht mehr möglich ist.

Ich bevorzuge den Begriff "riskantes Konsumverhalten". Wer meint, der
"Alkoholismus" sei mehr als das, nämlich eine "Sucht", übersieht die
Tatsache, dass riskantes Konsumverhalten immer eine süchtige Kompenente
hat und dass der Begriff "Sucht" daher mangels diskriminierender
Fähigkeit keine Aussagekraft besitzt. Psychologisch betrachtet sind die
Unterschiede beispielsweise zwischen übermäßigem Alkoholkonsum und
riskanten Überholmanövern eher sekundär. Im Kern geht es immer um
Risikobereitschaft bzw. Gefahrenbewusstsein. Häufig stellen wir bei
Leuten mit höchstgradig riskantem Konsumverhalten eine schwindelerregende
Verengung des Gefahrenbewusstseins fest. Es kommt dem Raser beispielsweise
gar nicht in den Sinn, die Auswirkungen seines Verhaltens auf andere
Verkehrsteilnehmer zu bedenken. Er hält sich für einen exzellenten
Fahrer (was ja durchaus zutreffen mag), der schwierige Situationen zu
meistern vermag - und bedenkt nicht, dass andere Verkehrsteilnehmer durch
seine riskanten Überholmanöver und Drängeleien verunsichert und zu
Unfällen provoziert werden könnten. Man kann derartige Verengungen des
Gefahrenbewusstseins bei allen riskanten Konsumverhaltensweisen
beschreiben, ohne lange nachdenken zu müssen. Hier sehe ich natürlich
auch einen Ansatzpunkt für die Diagnostik bei Trunkenheitsfahrern.

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 11, 2007, 5:13:18 AM11/11/07
to
Am Sat, 10 Nov 2007 20:32:13 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


>> Mich erinnert diese Haltung an die Gepflogenheiten in esoterischen Kreisen
>> und unter Anhängern der Naturheilkunde bzw. Alternativmedizin.
>
> Mich erinnert diese Manier, Leute, die ab und zu von der Rechenmaschine
> aufschauen und sich die Welt betrachten, als Spinner abzuqualifizieren doch
> sehr an Sektiererpredigt.
>

Es fragt sich nur, ob man die Welt betrachtend etwas anders wahrzunehmen
vermag als prinzipiell quantifizierbare Beziehungen - mit oder ohne
Rechenmaschine. Oder, anders formuliert: Gibt es einen vom Quantitativen
losgelösten Blick fürs Qualitative? Oder entsteht dieser Eindruck nur
bei Leuten, deren Verständnis des Quantitativen sich auf jene Dimension
beschränkt, die man mit den vier Grundrechenarten erfassen kann? Fragen
über Fragen.

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 12, 2007, 6:22:32 AM11/12/07
to
Am Sun, 11 Nov 2007 11:13:18 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Sat, 10 Nov 2007 20:32:13 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>>> Mich erinnert diese Haltung an die Gepflogenheiten in esoterischen Kreisen
>>> und unter Anhängern der Naturheilkunde bzw. Alternativmedizin.
>>
>> Mich erinnert diese Manier, Leute, die ab und zu von der Rechenmaschine
>> aufschauen und sich die Welt betrachten, als Spinner abzuqualifizieren doch
>> sehr an Sektiererpredigt.
>>
> Es fragt sich nur, ob man die Welt betrachtend etwas anders wahrzunehmen
> vermag als prinzipiell quantifizierbare Beziehungen - mit oder ohne
> Rechenmaschine.

Prinzipiell quantifizierbar mögen die Beziehungen ja sein, aber ob sie beim
gegenwärtigen Kenntnisstand auch tatsächlich quantifizier sind ist wieder
eine ganz andere Frage. Natürlich sind Träume das Ergebnis physiologischer,
biochemischer Vorgänge, natürlich kann man inzwischen auch das Phänomen des
Traums als solches mit naturwissenschaftlichen Methoden schon recht gut
erklären - aber speziell meine, evtl. beunruhigenden Träume - kriegst du
damit nicht in den Griff. Ob prinzipiell nicht oder bloß jetzt noch nicht,
ist ziemlich egal. Jedenfalls: Es geht nicht.
Ich habe bewußt die Träume als Extrembeispiel gewählt, gleiches gilt
natürlich auch für viele, viele andere Phänomene, die (noch) nicht oder nur
mit Gewalt bzw. erheblichen Informationsverlusten quantifizierbar sind.

> Oder, anders formuliert: Gibt es einen vom Quantitativen
> losgelösten Blick fürs Qualitative? Oder entsteht dieser Eindruck nur
> bei Leuten, deren Verständnis des Quantitativen sich auf jene Dimension
> beschränkt, die man mit den vier Grundrechenarten erfassen kann?

Geh getrost davon aus, daß mein mathematischer Horizont über die vier
Grundrechenarten hinausgeht. Ich komme vom naturwissenschaftlichen Denken
her und wo immer ein Phänomen naturwissenschaftlich zugänglich ist, werde
ich den Deibel tun und auf diese Herangehensweise verzichten.

Ciao
Wolfram
--
Alles, was man zum Leben braucht, ist Unwissenheit und Selbstvertrauen,
dann ist der Erfolg sicher.
MARK TWAIN
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 12, 2007, 6:22:33 AM11/12/07
to
Am Sun, 11 Nov 2007 10:11:18 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Sat, 10 Nov 2007 20:32:09 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Das ist der Ansatz von vor 20 Jahren, damals hat man bei Prognostik und
>> Nachschulung auf die Trennung von Trinken und Fahren gesetzt. Und als dann
>> trotzdem die damals positiv Begutachteten wieder massenweise zur nächsten
>> MPU antraten, dämmerte es, daß die Trennung von Trinken und Fahren
>> womöglich eine zu oberflächliche Lösung wäre.
>
> Vielleicht wären die Fehlprognosen deutlich seltener, wenn es reliable
> und valide Messinstrumente sowie ein sauberes mathematisches Modell zur
> Prognose des Rückfalls von Trunkenheitsfahrern gäbe.

In diesem speziellen Fall war das Problem nicht die Methode der Diagnostik,
sondern die Annahme über die Wirklichkeit. Man dachte, saufts nur weiter,
macht nix, solange ihr eure Karre stehen laßt. Und die Erfahrung zeigte,
daß Leute, die oft sehr viel trinken, damit überfordert sind. Wer so viel
Selbstdisziplin hat, kann mit dem Saufen auch gleich ganz aufhören. (Saufen
steht hier für exzessiv trinken.)

Mir ist
> schleierhaft, warum du dich so hartnäckig dagegen sträubst, obwohl dir
> doch die Mängel der "klinischen" Diagnose durchaus geläufig sind.
>>

Ich sträube mich nicht hartnäckig dagegen, es ist bloß keine andere Methode
entwickelt. Wenn du als MPU-Gutachter anfängst, dann bekommst du die
bestehende Methodik beigebracht und die hast du anzuwenden oder dich zu
verabschieden. Der TÜV (PIMA, Dekra etc.) will es so, die BASt will es so,
die Führerscheinstellen wollen es so.
Eine andere Untersuchungsmethodik kann nur von oben kommen, nur dort haben
sie die entsprechenden Mittel, das entsprechende Know-how und - vor allem -
die entsprechende Zeit.

> ... Meiner Erfahrung nach können die wenigsten mit
>> diesem Dilemma leben, sprich auf der Dauer der Versuchung zum Fahren
>> widerstehen.
>
> Deine Erfahrung in Ehren, aber es gibt schon ein paar Daten, die dagegen
> sprechen. Langzeitstudien zeigen jedenfalls, dass ein nicht
> unbeträchtlicher Teil von "Alkoholikern" im Laufe der Jahre ohne jede
> "Therapie" oder Selbsthilfegruppe abstinent wird bzw. zum kontrollierten
> Trinken übergeht.

Sowieso. Diese Leute haben damit das Problem "Trinken und Fahren" von
selbst gelöst. Es ging ja um die, die weiter saufen, für die bleibt das
Dilemma nahezu unlösbar (erheblicher Gewinn an Bequemlichkeit bei
gleichzeitig niedriger Entdeckungswahrscheinlichkeit).

> By the way: Wir finden bei psychologischen
> Sachverhalten nicht selten eklatante Gegensätze zwischen Erfahrung und
> empirischer Forschung. Dies liegt aus meiner Sicht vor allem daran, dass
> die Erfahrung in der Regel gar nicht so taufrisch erdennah und
> unverfälscht ist, wie von ihren Verfechtern gern geglaubt wird - sondern,
> im Gegenteil: Erfahrung wird häufig wesentlich mitbestimmt oder gar
> vorfabriziert durch ideologische Schemata.

Sowieso. Eine Gefahr, der natürlich auch empirische Untersuchungen
ausgesetzt sind, siehe mein Beispiel mit Eysenck und dem Programmierten
Lernen, wo er das Untersuchungsdesign (hoffentlich unbewußt) so gewählt
hat, daß ein Ergebnis nach Wunsch herauskam.

>> Dem ersten Teil des Satzes stimme ich voll zu, der zweite Teil dagegen...
>> Das Kreuz bei der Psychologie ist viel zu oft, daß das Greifbare, das
>> methodisch gut in den Griff zu Bekommende häufig nicht das ist, was einen
>> letztlich interessiert. Ich meine, es gibt nichts dagegen zu sagen, daß
>> einer sagt, ich will (natur)wissenschaftlich arbeiten, ich untersuche also
>> bloß das, was ich (natur)wissenschaftlich in den Griff bekomme. Okay, fein.
>> Aber auf die Anderen herabzuschauen, die sich mit anderen Methoden in
>> andere Gebiete wagen, ist - sektiererisch.
>
> Ich schaue gar nicht auf die anderen herab. Schließlich gehöre ich mit
> ganzer Seele zu ihnen. Selbstverständlich ist es legitim, die Welt
> psychologischer Sachverhalte mit Phantasie eher literarisch auszuwerten.
> Das eine, also der empirisch-quantitative Ansatz, schließt das andere,
> also das Künstlerische und Empfindsame nicht aus.

Ah. Wieder eine Gemeinsamkeit entdeckt. Ich habe mich als Student schon oft
gewundert und geärgert, mit welcher Verbissenheit sich Verhaltenstherapie
und Humanistische Gesprächstherapie beharkten. Dabei sind es
Vorgehensweisen, die beide ihre Grenzen haben und sich hervorragend
ergänzen könnten.

> (Nebenbei: Deine Aphorismen sind nicht schlecht).
>

Man dankt. Die meisten sind allerdings nicht von mir.

> Häufig stellen wir bei
> Leuten mit höchstgradig riskantem Konsumverhalten eine schwindelerregende
> Verengung des Gefahrenbewusstseins fest.

Dabei geht es sehr viel um Lust und Spaß und Unvermögen. Du säufst, weil es
Spaß macht, irgendwann tust du dir sehr schwer, wieder davon zu lassen also
redest du dir ein, daß dein Verhalten gar nicht so riskant wäre. Gleiches
gilt natürlich auch für Schnellfahrer etc. pp. Der übliche Selbstbetrug
halt.

> Es kommt dem Raser beispielsweise
> gar nicht in den Sinn, die Auswirkungen seines Verhaltens auf andere
> Verkehrsteilnehmer zu bedenken. Er hält sich für einen exzellenten
> Fahrer (was ja durchaus zutreffen mag), der schwierige Situationen zu
> meistern vermag - und bedenkt nicht, dass andere Verkehrsteilnehmer durch
> seine riskanten Überholmanöver und Drängeleien verunsichert und zu
> Unfällen provoziert werden könnten. Man kann derartige Verengungen des
> Gefahrenbewusstseins bei allen riskanten Konsumverhaltensweisen
> beschreiben, ohne lange nachdenken zu müssen. Hier sehe ich natürlich
> auch einen Ansatzpunkt für die Diagnostik bei Trunkenheitsfahrern.
>

Wenn du über dein Problem mit schonungsloser Schärfe nachdenken kannst,
ohne Selbstbetrug also, dann bist du prinzipiell auch in der Lage, es zu
lösen. Deswegen geht ein Gutteil des MPU-Untersuchungsgespräches darum, die
(früheren) Konsummengen zu ermitteln. Je mehr hier "gemauert" und
weggeschoben wird, desto schlechter ist die Prognose, klar.

Ciao
Wolfram
--
Warum liebt der Mensch? Der eine findet einen Menschen und er liebt ihn.
Und der andere will lieben und sucht sich einen Menschen dazu. So liebt der
eine den Geliebten und der andere das Lieben.
BERTOLT BRECHT
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Rudolf Sponsel

unread,
Nov 13, 2007, 4:16:47 AM11/13/07
to
Wolfram Heinrich schrieb:

> Am Fri, 09 Nov 2007 08:54:30 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>
>> Wolfram Heinrich schrieb:
>> [...]
[...]

>>
>> Warum muss nicht JEDE, die einen Schwerverletzten oder gar Toten schuldhaft
>> herbeiführt zur MPU?
>>
> Ach, ist das nicht mehr so? Zu meiner Zeit war das eine klare Sache, wer
> den Führerschein wegen einer Verkehrsstraftat (eben fahrlässige Tötung oder
> fahrlässige Körperverletzung) verloren hatte, mußte auf jeden Fall zur MPU.
>
Das wäre gut, passt aber nicht zu den mitgeteilten statistischen Daten: wie
viele Unfälle mit Personenschaden, davon wie viel Alkohol und Drogen, und wie
viele müssen zur MPU, davon wie viele Alkohol und Drogen versus ...? Die
statistischen Daten werden hier auch nicht so differenziert mitgeteilt, dass
man da genau nachrechnen kann, wie die Dinge liege; ich hege den Verdacht,
dass dies motiviert so geschieht bzw. unterbleibt.

[...]

>>>>> Und zum verantwortlichen Umgang mit Alkohol - Abstinenz ist sehr viel
>>>>> leichter zu praktizieren als kontrolliertes Trinken. Beim kontrollierten
>>>>> Trinken mußt du ständig aufpassen wie ein Haftlmacher, du machst dir damit
>>>>> das Leben unnötig schwer.
>>>> Wo ist das denn belegt?
>>> In der Lebenserfahrung. Die ist ja manchmal auch nicht schlecht, wenn's um
>> Obwohl ich die Lebenserfahrung auch schätze, ist mir das für einen solch
>> rabiat-dubiosen Eingriff zu wenig.
>>
> Es ist ja in Wirklichkeit kein Eingriff. Kein Mensch kann dich zu Abstinenz

Das ist ein schwerwiegender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des
Menschen und dürfte vor dem BVerG kaum Bestand haben.

> zwingen, wenn du das nicht willst. Ich würde mich zwar nicht trauen, einem
> Menschen mit erheblicher Alkoholvergangenheit kontrolliertes Trinken zu
> empfehlen, aber wenn *er* sich dafür entscheidet, muß ich das akzeptieren
> und ihm dabei gegebenenfalls zur Hand gehen.
>
>> Stephans Vorgehen hat doch mit Wissenschaft nicht das geringste zu tun. Der
>> hat sich unter den Baum der Erkenntnis gelegt. Dort ist ihm der Mittelwert von
>> 1,5 Promille auf den Kopf gefallen, den er dann großzügig mit einer
>> Fehlerquote von 0,1 auf 1,6 angereichert hat und das hat er dann in einer Art
>> Erleuchtung zum Kriterium gemacht. Er hat einen gruppenstatistischen
>> MITTELWERT zum generellen Einzellfallkriterium g e s c h a u t (da passt Dein
>> Jesus von oben ganz gut). Und nun verkünden sie das neue Evangelium: ab 1,6
>> Promille im EINZELFALL liegt eine hohe Alkoholtoleranz und "Giftfestigkeit"
>> vor, die Abstinenz erfordert.
>>
> Na ja, nun, freilich im Einzelfall. 1,6 Promille *sind* ein sehr hoher
> Wert, ein arabischer durchtrainierter Zehnkämpfer, der zeitlebens Alkohol

Das ist leider auch nirgendwo richtig belegt, sondern, wie schon erwähnt,
wohl mehr eine Art Eingebung unter dem Baum der Erkenntnis - also keine so
recht wissenschaftliche Methode.

> gemieden hat, wäre damit in Lebensgefahr, ein ansonsten Mäßig-Trinker auch
> bereits jenseits von Gut und Böse. Ich habe selber mal einen völlig
> aktionsunfähigen Jugendlichen (in Hinsicht auf Alkohol auch nicht mehr ganz
> unschuldig), der sich eine Flasche Wodka ins Hirn gestoßen hatte, ins
> Krankenhaus gefahren, wo man dann 1,4 Promille bei ihm gemessen hatte. 1,6
> Promille ist absolut kein harmloser Wert mehr.
>

Da dürfte sehr vom Einzelfall - wie aus Deinem Beispiel ja auch hervorgeht -
abhängen.

[...]

> Wenn mir der TÜV oder die PIMA so einen Textblock dichtet und mir zur

hm, "dichtet", eine interessante Formulierung.

> Verfügung stellt, will ich gerne das Spiel mitmachen, ansonsten - nein.
>

hm, "Spiel", auch sehr interessant.

>> Na ja, gerade die Juristen sind doch die Protagonisten und am besten
>> entwickelten idiographische Wissenschaft. Wissenschaft ist ja gerade nicht
>> das, was einige Universitätsprofessoren meinen. Idiographische Wissenschaft
>> fängt genau dort an, wo die nomologische meist aufhört. Wenn 35% der
>> Ersttäter nach Stephan - bei Haffner waren es 19,3% in 10 Jahren - in den
>> ersten 5 Jahren einen Rückfall produzieren, dann stellt sich für die
>> GutachterIn die Frage: gehört mein Proband nun zu den 35%, die abzulehnen
>> wären oder zu den 65%, die positiv zu machen wären?
>
> Moment! "Rückfall" heißt in einer empirischen Studie, daß der Betreffende
> wieder mit Alkohol erwischt worden ist. Wieder gefahren sind nach aller
> Erfahrung wesentlich mehr.
>

Solche dunklen Dunkelfeldprojektionen sind nicht argumentationsfähig und im
Einzelfall schon gar nicht brauchbar.

>> Dafür sind in der
>> Untersuchung *individuelle* Argumente zu sammenln (lass Dich hier nicht von UG
>> verwirren, der hat das selbst nicht verstanden) und das ist echte
>> EINZELFALLWISSENSCHAFT, die die Unileute meist nicht können, weil sie dort oft
>> nicht verstanden, nicht angenommen und infolgedessen auch nicht gelehrt wird.
>
> Einzelfallwissenschaft, die sich natürlich - so gut es eben geht - die
> Ergebnisse der Statistischen Wissenschaft zunutze macht.
>

Das ist gerade der Hauptfehler der NomologInnen. Es gibt keinen legitimen
Schluss von der Stichprobe auf auf den Einzelfall, so wenig wie vom Sein aufs
Sollen. Die ForensikerInnen wissen das wie die PsychotherapeutInnen und
Kliniker. Die VerkehrspsychologInnen könnten und sollten das auch wissen.

Hierzu vorab, ich werde folgendes Buch in Bälde auf meinen Seiten präsentieren:

Hake, Alexandra (2002). Trugschlüsse in der Statistik im Spannungsfeld
zwischen Aggregat und Einzelfall : eine Bestandsaufnahme und
kritische Evaluation. Lengerich [u.a.]: Pabst. [ISBN 3-936142-60-2]

Das wesentliche Ergebnis dort: Relationen in Stichproben (Mengen) können nicht
auf einfach auf die Einzelfälle (Elemente) übertragen werden.

[...]

>> Aber wie viele Jahre dann? 2 Jahre und 4
>> Monate? Oder drei und 7 Monate? Gibt es Bewährungsnachlass bei besonders
>> guter Führung, etwa bei glücklicher Abstinenz mindestens 14 Tage alle drei
>> Monate? ;-)
>>
> Du spöttelst, aber dergleichen Argumentationen habe ich allen Ernstes schon
> in Untersuchungsgesprächen gehört.
>

Dann noch mal ohne Nebenironie: Welcher konkrete Zeitraum ist an welche
konkrete Bedingungen mit welcher Begründung geknüpft? Dafür würden aus meiner
Sicht dringend Textbausteine gebraucht. Sie werden wohl erst dann geliefert,
wenn die Gerichte sie fordern.

> Ciao
> Wolfram

Gute Woche
Rudolf Sponsel, Erlangen

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 13, 2007, 12:52:41 PM11/13/07
to
Am Tue, 13 Nov 2007 10:16:47 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

...


> Das ist gerade der Hauptfehler der NomologInnen. Es gibt keinen legitimen
> Schluss von der Stichprobe auf auf den Einzelfall, so wenig wie vom Sein
> aufs Sollen. Die ForensikerInnen wissen das wie die PsychotherapeutInnen
> und Kliniker. Die VerkehrspsychologInnen könnten und sollten das auch
> wissen.
>

Natürlich kann man von der Stichprobe nicht auf den Einzelfall
schließen. Das denken und behaupten auch die "Nomologen" nicht.
Es geht um etwas anderes, nämlich darum: Gesucht ist ein diagnostisches
Verfahren, das die Zahl der rückfälligen Trunkenheitsfahrer im
/Kollektiv/ jener Trunkenheitsfahrer reduziert, die nach einer MPU den
Führerschein zurück erhalten haben.

Und es hat sich generell gezeigt, dass, für derartige Entscheidungen,
Prognosen auf Basis mathematischer Modelle (Regressionsgleichungen)
valider sind als "klinische", "naive" oder heuristische Vorhersagen.

Geschlossen wird also nicht von einer Stichprobe auf den Einzelfall,
sondern von einer Stichprobe, an der die Validität und Reliabilität von
Meßverfahren getestet wurde, auf andere Stichproben. Die gilt im
übrigen für alle psychologischen Tests. Sie bewähren sich nicht für
den Einzelfall, für das Individuum, sondern für das Kollektiv. Wird
beispielsweise mit Tests oder Assessment Centers die Eignung für
bestimmte Arbeitsstellen diagnostiziert, so profitiert davon bei einer
größeren Zahl von Bewerbern und Stellen systematisch nur das
Unternehmen, wohingegen leider manche Bewerber, die durchaus geeignet
wären, abgelehnt und andere, die nicht geeignet sind, angenommen werden.

Der Nutzen zeigt sich nur im Durchschnitt, nicht im Einzelfall. Wenn ich
also in einer repräsentativen Stichprobe feststelle, dass 95 % Menschen
mit dem Merkmalsmuster X für eine Stelle geeignet sind, dann heißt das
nicht für Herrn Meyer, der dieses Merkmalsmuster hat, dass er mit 95%iger
Wahrscheinlichkeit für die Stelle geeignet ist. Es heißt nur, dass ich
bei einer weiteren Ziehung einer Stichprobe aus derselben Grundgesamtheit
wieder für das Merkmalsmuster X eine 95%ige Wahrscheinlichkeit der
Eignung erwarten kann (Erwartungswert). Und dann und nur dann, wenn mich
in erster Linie meine Entscheidungen für Aggregate optimieren möchte,
wenn ich im Schnitt die größtmögliche Zahl von Geeigneten einstellen
möchte, darf ich derartige Statistiken benutzen.

Das müsste eigentlich einleuchten. Ist diese Voraussetzung jedoch
erfüllt, dann sind mathematische Modelle leistungsfähiger als
einzelfallorientierte Methoden. Auch das müsste einleuchten. Über die
Wahrscheinlichkeit, mit der Herr Meyer für die Stelle geeignet ist,
wissen wir, obwohl Merkmalsträger, überhaupt nichts aufgrund seiner
Merkmalsträgerschaft. Wir wissen nur: Wenn wir nur Menschen mit der
Merkmalskombination X einstellen, dann dürfen wir erwarten, dass (eine
hinlängliche große Zahl von Einstellungen vorausgesetzt) 95 Prozent
dieser Menschen für die Stelle geeignet sind.

Dieses Phänomen kann man übrigens nicht nur im psychologischen
Bereich beobachten, sondern einfach überall, z. B. bei der stochastischen
Bedarfsermittlung in der Materialwirtschaft im Vergleich zur "Pi-mal
Daumen-Methode" (um nur eine Anwendung willkürlich herauszugreifen).

Solche Entscheidungen werden zwangsläufig dem Einzelfall gelegentlich
nicht gerecht, sie maximieren aber den erwünschten Effekt (hier:
Reduzierung von Trunkenheitsfahrten) im Kollektiv.

Es handelt sich bei der MPU allerdings auch vorrangig um eine Maßnahme im
Interesse der Verkehrssicherheit - und erst in zweiter Linie um den
Versuch, einem Individuum gerecht zu werden. Und darum muss es hier vor
allem darum gehen, Fehlprognosen im Kollektiv zu reduzieren - und nicht
vordringlich darum, die Seelenlage des Einzelnen auszuloten.

Geschwindigkeitsbeschränkungen beispielsweise mögen ja
auch ungerecht sein gegenüber Einzelnen, die ihr Fahrzeug bei höherer
Geschwindigkeit als zulässig noch sicher beherrschen. Dennoch kann man
hier aus einleuchtenden Gründen nicht auf den Einzelfall Rücksicht
nehmen, und so ist es auch bei der MPU.

Die Situation stellt sich hier offensichtlich anders dar als in der
Psychotherapie, wo der Psychotherapeut sich ausschließlich an den
Interessen des Klienten orientieren sollte. Gilt es jedoch,
sozialschädliches Verhalten zu prognostizieren, dann stehen natürlich
die Interessen der Gemeinschaft im Vordergrund. Und dies bestimmt dann
auch die Wahl der Methoden. Dieselbe Argumentation, die ich
hier für die MPU entwickelt habe, kann man auf alle Formen
sozialschädlichen Verhaltens übertragen, z. B. auf die Prognose der
Rückfallgefährdung von Sexualstraftätern.

Gruß
Ulrich
- -
http://hugresch,wordpress.com

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 13, 2007, 3:25:23 PM11/13/07
to
Am Tue, 13 Nov 2007 20:07:44 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Mon, 12 Nov 2007 12:22:33 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>
>> In diesem speziellen Fall war das Problem nicht die Methode der
>> Diagnostik, sondern die Annahme über die Wirklichkeit. Man dachte,
>> saufts nur weiter, macht nix, solange ihr eure Karre stehen laßt. Und
>> die Erfahrung zeigte, daß Leute, die oft sehr viel trinken, damit
>> überfordert sind. Wer so viel Selbstdisziplin hat, kann mit dem Saufen
>> auch gleich ganz aufhören. (Saufen steht hier für exzessiv trinken.)
>

Nun, mag ja sein, dass viele Leute, die saufen, damit überfordert sind,
die Karre stehen zu lassen. Allerdings vermute ich, dass genau diese Leute
nicht minder damit überfordert wären, das Saufen sein zu lassen. Es
spricht also durchaus viel dafür, Trunkenheitsfahrern, die weiterhin
saufen, die Pappe zu verwehren. Allein: Wie erkennt man, ob sie weiterhin
saufen? Man braucht ein diagnostisches Verfahren, und es hat sich nun
einmal gezeigt, dass Prognosen auf Basis mathematischer Modelle eindeutig
valider sind als die sog. klinischen Diagnosen. Und wenn man einmal dabei
ist, solche Methoden zu entwickeln, dann kann man in einem Abwasch testen,
ob nicht vielleicht doch bestimmte Merkmalskombinationen die Prognose
"Verzicht auf Trunkenheitsfahrten ohne Abstinenz" zulassen. Die Erfahrung
hat zwar, wie du sagst, etwas anderes gezeigt - aber wir wissen ja, dass
es mit der Erfahrung nicht weit her ist.


>>
>> Mir ist
>>> schleierhaft, warum du dich so hartnäckig dagegen sträubst, obwohl
>>> dir doch die Mängel der "klinischen" Diagnose durchaus geläufig sind.
>>>>
>> Ich sträube mich nicht hartnäckig dagegen, es ist bloß keine andere
>> Methode entwickelt. Wenn du als MPU-Gutachter anfängst, dann bekommst
>> du die bestehende Methodik beigebracht und die hast du anzuwenden oder
>> dich zu verabschieden. Der TÜV (PIMA, Dekra etc.) will es so, die BASt
>> will es so, die Führerscheinstellen wollen es so. Eine andere
>> Untersuchungsmethodik kann nur von oben kommen, nur dort haben sie die
>> entsprechenden Mittel, das entsprechende Know-how und - vor allem - die
>> entsprechende Zeit.
>

Mir ist schon klar, dass all die genannten Institutionen an
vorwissenschaftlichen Vorstellungen kleben wie die Fliegen auf dem Leim.
Der "kleine" MPU-Gutachter wird sich, selbst wenn er es besser weiß, wohl
fügen und mit den Wölfen heulen müssen. Dies ändert aber nichts an der
Tatsache, dass die gegenwärtige MPU-Praxis höchst unbefriedigend ist -
wie viele andere Bereiche der psychologischen und psychiatrischen
Psychodiagnostik ja auch. Die Ineffizienz dieser Verfahren ist der
Tatsache geschuldet, dass sich die Verantwortlichen offenbar nicht klar
sind, welche Methoden zwingend durch die angestrebten Zwecke gefordert
werden. Und sie sehen sich auch nicht gezwungen, sich das klar zu machen.
In der Wirtschaft, wo man ganz ähnliche prognostische Probleme hat,
zwingt der Kostendruck oft sehr schnell zum Umdenken. Durch hier, in
diesen Grauzonen zwischen Markt und Staat, können sich höchst
ineffiziente Maßnahmen oft lange halten. Nebenbei: In fast allen
Bereichen des Umgangs mit den sog. Suchtproblemen wird eine gigantische
Geldverschwendung betrieben.

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 13, 2007, 5:55:14 PM11/13/07
to
Am Tue, 13 Nov 2007 10:16:47 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

> Wolfram Heinrich schrieb:
>>>


>>> Warum muss nicht JEDE, die einen Schwerverletzten oder gar Toten schuldhaft
>>> herbeiführt zur MPU?
>>>
>> Ach, ist das nicht mehr so? Zu meiner Zeit war das eine klare Sache, wer
>> den Führerschein wegen einer Verkehrsstraftat (eben fahrlässige Tötung oder
>> fahrlässige Körperverletzung) verloren hatte, mußte auf jeden Fall zur MPU.
>>
> Das wäre gut, passt aber nicht zu den mitgeteilten statistischen Daten: wie
> viele Unfälle mit Personenschaden, davon wie viel Alkohol und Drogen, und wie
> viele müssen zur MPU, davon wie viele Alkohol und Drogen versus ...? Die
> statistischen Daten werden hier auch nicht so differenziert mitgeteilt, dass
> man da genau nachrechnen kann, wie die Dinge liege; ich hege den Verdacht,
> dass dies motiviert so geschieht bzw. unterbleibt.
>

Und wer, denkst du, dreht da dran und warum? Ich kann jetzt momentan dein
Verschwörungsszenario nicht ganz nachvollziehen.

>>> Obwohl ich die Lebenserfahrung auch schätze, ist mir das für einen solch
>>> rabiat-dubiosen Eingriff zu wenig.
>>>
>> Es ist ja in Wirklichkeit kein Eingriff. Kein Mensch kann dich zu Abstinenz
>
> Das ist ein schwerwiegender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des
> Menschen und dürfte vor dem BVerG kaum Bestand haben.
>

Der MPU-Gutachter zwingt doch seinen Kandidaten nicht zur Abstinenz. Er
gibt eine Empfehlung ab, im härtesten Fall formuliert er eine Auflage, der
nun der Klient folgen kann oder nicht. Und diese Empfehlung oder Auflage
mag sich Abstinenz nennen, in Wirklichkeit ist es vorerst nichts weiter als
eine Trinkpause, die in eine Abstinenz münden kann, keinesfalls aber muß.
Gut, folgt der Klient der Auflage nicht, wird es schwierig mit dem
Führerschein, aber in Bezug auf den Führerschein ist er ja durch sein
Delikt erst mal in der Bringschuld, er muß was vorweisen. Wenn er sagt,
leckts mich am Arsch mit eurer Abstinenz, wischts euch mit dem Führerschein
den Arsch ab (geht heute auch nur noch metaphorisch mit der neuen
Plastikkarte), dann geht das klar.
Und wenn er seine Trinkpause nur bis zur erfolgreichen MPU, bis zur
Aushändigung des neuen Führerscheins durchhält, kann auch keiner was
machen. Wenn er den Führerschein vom Beamten ausgehändigt bekommen hat,
kann er getrost den Flachmann aus der Tasche ziehen und vor den Augen des
Beamten seinen neuen Führerschein mit einem kräftigen Schluck feiern.
Nicht vorher allerdings! Ich hatte mal einen, der war nach drei negativen
bei mir, redete was von Abstinenz und daß die für ihn wichtig wäre und er
sie durchhalten wolle, bis daß Gott ihm den Löffel aus der Hand nehme. Ich
hatte kein gutes Gefühl, aber es war die vierte Begutachtung, die
Vorgeschichte war so rasend aufregend auch nicht und zu packen war er
nirgends so richtig. Wenn du ihn jetzt mit lauwarmer Begründung zum vierten
Mal negativ machst, rückt dir die Führerscheinstelle auf den Pelz, weil sie
- verständlicherweise - sauere sind, daß sie den lästigen Kunden nicht
endlich vom Hals bekommen. Was also machst in so einem Fall? Richtig, du
sagst dir: "Scheiß drauf! Soll er halt seine Chance bekommen." Einige Tage
später ruft der Mann von der Führerscheinstelle an und erzählt, der Klient
sei eben bei ihm gewesen und habe das positive Gutachten abgegeben. Die
Alkohol-Fahne sei unüberriechbar gewesen, das könnten mehrere Kollegen von
ihm bezeugen. Patsch! Damit war's Essig mit dem Führerschein.

>> Na ja, nun, freilich im Einzelfall. 1,6 Promille *sind* ein sehr hoher
>> Wert, ein arabischer durchtrainierter Zehnkämpfer, der zeitlebens Alkohol
>
> Das ist leider auch nirgendwo richtig belegt, sondern, wie schon erwähnt,
> wohl mehr eine Art Eingebung unter dem Baum der Erkenntnis - also keine so
> recht wissenschaftliche Methode.
>

Dann mach dir deinen wissenschaftlichen Beleg. Schwatz einer Nürnberger
MPU-Untersuchungsstelle für ein Wochenende einen Alkomaten ab, kauf dir
beim Aldi eine Flasche Schnaps und stoß dir die Flasche ins Hirn. Laß deine
Frau sorgsam protokollieren, in welchem Zustand du dann bist, warte nach
dem letzten Schluck Schnaps 20 Minuten lang, spül sorgfältig den Mund mit
Wasser aus und dann blase. Und erlebe dein blaues Wunder!
Menschen reagieren sehr empfindlich bereits auf geringe Mengen Alkohol,
diese anfänglich sehr niedrige Alkoholtoleranz läßt sich durch fleißiges
Training (und nur durch fleißiges Training) erheblich steigern.

>> gemieden hat, wäre damit in Lebensgefahr, ein ansonsten Mäßig-Trinker auch
>> bereits jenseits von Gut und Böse. Ich habe selber mal einen völlig
>> aktionsunfähigen Jugendlichen (in Hinsicht auf Alkohol auch nicht mehr ganz
>> unschuldig), der sich eine Flasche Wodka ins Hirn gestoßen hatte, ins
>> Krankenhaus gefahren, wo man dann 1,4 Promille bei ihm gemessen hatte. 1,6
>> Promille ist absolut kein harmloser Wert mehr.
>>
> Da dürfte sehr vom Einzelfall - wie aus Deinem Beispiel ja auch hervorgeht -
> abhängen.
>

Freilich hängt es vom Einzelfall ab und das Ergebnis des Einzelfalls hängt
von dessen vorausgegangenem Trinktraining ab. Wenn du dir von einem der
Nürnberger Stammtische einen geeichten Schluckspecht holst, dann wird der
mit einer BAK, bei der du bereits speiend über der Badewanne hängst, noch
dastehen wie eine Brezen.

>> Wenn mir der TÜV oder die PIMA so einen Textblock dichtet und mir zur
>
> hm, "dichtet", eine interessante Formulierung.
>

Nun, Dichtung muß nicht unwahr sein, im Gegenteil.

>> Verfügung stellt, will ich gerne das Spiel mitmachen, ansonsten - nein.
>>
>
> hm, "Spiel", auch sehr interessant.
>

Daher auch der Name "Spieltheorie".

>> Moment! "Rückfall" heißt in einer empirischen Studie, daß der Betreffende
>> wieder mit Alkohol erwischt worden ist. Wieder gefahren sind nach aller
>> Erfahrung wesentlich mehr.
>>
> Solche dunklen Dunkelfeldprojektionen sind nicht argumentationsfähig und im
> Einzelfall schon gar nicht brauchbar.
>

Im Einzelfall nicht, aber bei einer Prozentbetrachtung über eine größere
Population. Es wäre ausgesprochen naiv zu glauben, es würde der rückfällige
Trunkenheitsfahrer bei seiner ersten (zweiten, dritten...)
Trunkenheitsfahrt erwischt. Nicht minder naiv wäre die Vorstellung, es
würden alle Trunkenheitsfahrer schon irgendwann erwischt werden.

>> Einzelfallwissenschaft, die sich natürlich - so gut es eben geht - die
>> Ergebnisse der Statistischen Wissenschaft zunutze macht.
>>
> Das ist gerade der Hauptfehler der NomologInnen. Es gibt keinen legitimen
> Schluss von der Stichprobe auf auf den Einzelfall, so wenig wie vom Sein aufs
> Sollen.

Ja, freilich. Aber wenn ich einen Einzelfall beurteilen soll, dann ist es
für mich schon eine wichtige Information, wenn ich weiß, daß in Gesamtheit,
aus der mein Einzelfall kommt, eine bestimmte Eigenschaft besonders häufig
vorkommt.

> Dann noch mal ohne Nebenironie: Welcher konkrete Zeitraum ist an welche
> konkrete Bedingungen mit welcher Begründung geknüpft? Dafür würden aus meiner
> Sicht dringend Textbausteine gebraucht. Sie werden wohl erst dann geliefert,
> wenn die Gerichte sie fordern.
>

Wahrscheinlich. Respektive dann, wenn's so weit donnergrollt, daß eine
Gerichtsentscheidung zu erwarten ist.
Und apropos Gerichte: Du solltest nie vergessen, daß die MPU als
Institution eine Mischung aus Wissenschaft einerseits und
politischem/juristischem Druck andererseits ist. Hätte ich meine Gutachten
seinerzeit einzig nach den Kriterien meines Sachverstandes verfaßt und
entschieden, dann hätte ich verdammt wenig positive Gutachten (oder auch
nur Kurs-Gutachten) gehabt. Ich schätze die Quote (bei mir) auf vielleicht
85 bis 90 Prozent negative Gutachten. In Wirklichkeit waren es nur 35 bis
40 Prozent, der Rest war positiv oder Kurszuweisung.
Das heißt (und hier wird es möglicherweise dramatisch), wenn Ulrich von
seiner Uni herab in strengem Ton Wissenschaft einfordert, dann ist das eine
Sache. Wenn du (oder sonst wer) als Sachwalter der MPU-Kandidaten mehr
Wissenschaft einforderst, dann bete zu Gott, daß du erfolglos bleibst.
Jedes Stückchen Wissenschaft bei der MPU mehr, schränkt die Chancen der
MPU-Kandidaten auf einen neuen Führerschein ein.

Ciao
Wolfram
--
Der Franze hat gsagt, es ist immer gut, wenn man Latein kann. Dann, sagt
er, kann man sich alles übersetzen, auch wenn man es nicht versteht.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

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Wolfram Heinrich

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Nov 14, 2007, 2:24:43 PM11/14/07
to
Am Wed, 14 Nov 2007 15:35:43 +0100 schrieb Karl-Heinz Zeller:

> Guten Tag allerseits,
>
> Die gefragte MPU-Statistik kann ich auch nicht liefern, aber zum
> Alkoholkonsum und den Folgen kann ich einen Link anbieten.
> Deutschland ist EU-Meister was den Pro-Kopf-Konsum angeht,

Seit vielen Jahren schon.

> und
> eine Steigerung bei den Rauschtrinkern (mehr als 5 Glaeser alk.
> Getraenk in kurzer Zeit) um 10% in den letzten 3 Jahren wuerde
> ich als bedenklich einstufen.
>
Ich auch. Und was auch noch zu berücksichtigen ist: Der Pro-Kopf-Verbrauch
an Alkohol dürfte in manchen Mittelmeerländern auch nicht viel niedriger
sein. Allerdings ist hier (Italien kenne ich aus eigener Erfahrung, von den
anderen nehme ich es an) die Verteilung anders als in Deutschland. In
Italien trinken sehr viele Leute Alkohol, zum Essen ist der Wein
allgegenwärtig. In Deutschland dagegen gibt es ziemlich viele, die gar
keinen Alkohol trinken und sehr viele, die ihn nur mäßig und gelegentlich
trinken. 10 % aller (leidlich) erwachsenen Deutschen trinken 55 % des
insgesamt genossenen Alkohols. Diese 10 % sind dann die typische
MPU-Kundschaft.

Ciao
Wolfram
--
professionelle kälte / imker / hatten angefangen
metzger / folgten bald
bäcker / wolltens auch erlangen
doch / es wurd zu kalt
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Wolfram Heinrich

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Nov 14, 2007, 4:21:24 PM11/14/07
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Am Tue, 13 Nov 2007 21:25:23 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

>> Am Mon, 12 Nov 2007 12:22:33 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>>
>>> In diesem speziellen Fall war das Problem nicht die Methode der
>>> Diagnostik, sondern die Annahme über die Wirklichkeit. Man dachte,
>>> saufts nur weiter, macht nix, solange ihr eure Karre stehen laßt. Und
>>> die Erfahrung zeigte, daß Leute, die oft sehr viel trinken, damit
>>> überfordert sind. Wer so viel Selbstdisziplin hat, kann mit dem Saufen
>>> auch gleich ganz aufhören. (Saufen steht hier für exzessiv trinken.)
>>
> Nun, mag ja sein, dass viele Leute, die saufen, damit überfordert sind,
> die Karre stehen zu lassen. Allerdings vermute ich, dass genau diese Leute
> nicht minder damit überfordert wären, das Saufen sein zu lassen.

Ich hatte es auch als Vergleich gemeint: Wer so diszipliniert ist, daß er
trotz heftigen Saufens die Karre stets und zuverlässig stehen läßt, hat
soviel Selbstdisziplin, daß er erst recht ganz mit dem Saufen aufhören
könnte. Das heißt, ich schätze das Abstinentwerden für immer noch einfacher
ein als das stets zuverlässige Trennen von Trinken und Fahren.

> Es
> spricht also durchaus viel dafür, Trunkenheitsfahrern, die weiterhin
> saufen, die Pappe zu verwehren.

Und wieder kommen wir uns einen Schritt näher. Ein paar Schritte noch und
wir werden heiraten müssen. :o)
Aus genau obiger Überlegung ist man in den letzten 15 Jahren davon
abgekommen, auf die Fähigkeit zum Trennen von Trinken und Fahren hin zu
untersuchen und zu schulen. Das Problem der Leute ist das Betrunken-Fahren
sondern das (häufige und heftige) Betrunken-Sein.

> .... und es hat sich nun


> einmal gezeigt, dass Prognosen auf Basis mathematischer Modelle eindeutig
> valider sind als die sog. klinischen Diagnosen.

*Das* wissen wir jetzt schon. Wenn du diesen Satz noch einmal wiederholst,
laufe ich laut schreiend davon! :o)

> Und wenn man einmal dabei
> ist, solche Methoden zu entwickeln, dann kann man in einem Abwasch testen,
> ob nicht vielleicht doch bestimmte Merkmalskombinationen die Prognose
> "Verzicht auf Trunkenheitsfahrten ohne Abstinenz" zulassen.

Jetzt, Moment, jetzt sollten wir mal klären, wie es mit der Abstinenz
steht. Ich habe bewußt das Wort "Saufen" verwendet und es definiert als
"exzessiv trinken". Das Ende exzessiven Trinkens muß nicht zwangsläufig die
Abstinenz sein, es kann auch das Wiederfinden eines problemfreien
Alkoholkonsums bedeuten. In diesem Falle würde das Trennen von Trinken und
Fahren klappen, bei fortgesetztem Alkoholmißbrauch höchstwahrscheinlich
aber nicht. Die dann wirksame Dynamik ist zu mächtig.

> Die Erfahrung
> hat zwar, wie du sagst, etwas anderes gezeigt - aber wir wissen ja, dass
> es mit der Erfahrung nicht weit her ist.
>>>

Sag an, Gevatter Gresch, sind nicht "Empirische Wissenschaften" ein anderes
Wort für Erfahrungswissenschaften?

>>> Ich sträube mich nicht hartnäckig dagegen, es ist bloß keine andere
>>> Methode entwickelt. Wenn du als MPU-Gutachter anfängst, dann bekommst
>>> du die bestehende Methodik beigebracht und die hast du anzuwenden oder
>>> dich zu verabschieden. Der TÜV (PIMA, Dekra etc.) will es so, die BASt
>>> will es so, die Führerscheinstellen wollen es so. Eine andere
>>> Untersuchungsmethodik kann nur von oben kommen, nur dort haben sie die
>>> entsprechenden Mittel, das entsprechende Know-how und - vor allem - die
>>> entsprechende Zeit.
>>
> Mir ist schon klar, dass all die genannten Institutionen an
> vorwissenschaftlichen Vorstellungen kleben wie die Fliegen auf dem Leim.
> Der "kleine" MPU-Gutachter wird sich, selbst wenn er es besser weiß, wohl
> fügen und mit den Wölfen heulen müssen. Dies ändert aber nichts an der
> Tatsache, dass die gegenwärtige MPU-Praxis höchst unbefriedigend ist -
> wie viele andere Bereiche der psychologischen und psychiatrischen
> Psychodiagnostik ja auch. Die Ineffizienz dieser Verfahren ist der
> Tatsache geschuldet, dass sich die Verantwortlichen offenbar nicht klar
> sind, welche Methoden zwingend durch die angestrebten Zwecke gefordert
> werden. Und sie sehen sich auch nicht gezwungen, sich das klar zu machen.
> In der Wirtschaft, wo man ganz ähnliche prognostische Probleme hat,
> zwingt der Kostendruck oft sehr schnell zum Umdenken.

Sei mit so einer Behauptung vorsichtig. In der Wirtschaft - heißt hier
wohl: bei Personalauslese und -förderung - sind einige Rahmenbedingungen
völlig anders. Kein Bewerber auf eine Stelle hat einen Anspruch auf diese
Stelle, er kann keine Begründung der Firma dafür verlangen, warum er nicht
genommen (oder befördert) wurde, zumindest keine, die einer Klage
standhalten müßte. Eine Firma kann sagen: "Wir picken uns aus den 100
Bewerbern die 10 wahrscheinlich geeignetsten Leute heraus, 1 bis zwei
werden trotzdem Nieten sein, aber pfeif drauf, so ist der Lauf der Welt."
Bei der MPU hast du Leute, die ihren Führerschein unbedingt wiederhaben
wollen, die einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung haben.

> Durch hier, in
> diesen Grauzonen zwischen Markt und Staat, können sich höchst
> ineffiziente Maßnahmen oft lange halten. Nebenbei: In fast allen
> Bereichen des Umgangs mit den sog. Suchtproblemen wird eine gigantische
> Geldverschwendung betrieben.
>

Ich weiß auch, daß die Verhaltenstherapie relativ kostengünstig ist.

Ciao
Wolfram
--
Der Rebbe frägt den Schabbesgoi, / Ob Mon- heut oder Dienstag sei. / Drauf
sprach der Schabbesgoi zum Rebben, / daß Mittwoch wär' und zwar seit ebben.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 14, 2007, 5:48:49 PM11/14/07
to
Am Tue, 13 Nov 2007 18:52:41 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Tue, 13 Nov 2007 10:16:47 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>
> ...
>> Das ist gerade der Hauptfehler der NomologInnen. Es gibt keinen legitimen
>> Schluss von der Stichprobe auf auf den Einzelfall, so wenig wie vom Sein
>> aufs Sollen. Die ForensikerInnen wissen das wie die PsychotherapeutInnen
>> und Kliniker. Die VerkehrspsychologInnen könnten und sollten das auch
>> wissen.
>>
> Natürlich kann man von der Stichprobe nicht auf den Einzelfall
> schließen. Das denken und behaupten auch die "Nomologen" nicht.
> Es geht um etwas anderes, nämlich darum: Gesucht ist ein diagnostisches
> Verfahren, das die Zahl der rückfälligen Trunkenheitsfahrer im
> /Kollektiv/ jener Trunkenheitsfahrer reduziert, die nach einer MPU den
> Führerschein zurück erhalten haben.
>

Oh, nein. Es geht auch - und ganz vor allem - darum, daß der jeweilige
Einzelfall eine ihm angemessene Entscheidung bekommt.

> Geschlossen wird also nicht von einer Stichprobe auf den Einzelfall,
> sondern von einer Stichprobe, an der die Validität und Reliabilität von
> Meßverfahren getestet wurde, auf andere Stichproben. Die gilt im
> übrigen für alle psychologischen Tests. Sie bewähren sich nicht für
> den Einzelfall, für das Individuum, sondern für das Kollektiv. Wird
> beispielsweise mit Tests oder Assessment Centers die Eignung für
> bestimmte Arbeitsstellen diagnostiziert, so profitiert davon bei einer
> größeren Zahl von Bewerbern und Stellen systematisch nur das
> Unternehmen, wohingegen leider manche Bewerber, die durchaus geeignet
> wären, abgelehnt und andere, die nicht geeignet sind, angenommen werden.
>

Und nun trittst du als Forensischer Gutachter in einem Strafprozeß auf.
"Ja, wissen Sie, ob der geständige Angeklagte gaga ist oder es zum
Zeitpunkt des Mordes war, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Vermutlich
war er es mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 nicht, aber hm, darüber mag
man streiten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich Ihnen - wenn Sie mir zehn
Mörder zur Begutachtung schicken - 8 davon zutreffend beurteilen würde.
Welche 8 das sind, das weiß Jesus."
"Gerichtsdiener", würde der Vorsitzende Richter dann sagen, "führen Sie
bitte den Gutachter in der Zwangsjacke ab."

> Der Nutzen zeigt sich nur im Durchschnitt, nicht im Einzelfall. Wenn ich
> also in einer repräsentativen Stichprobe feststelle, dass 95 % Menschen
> mit dem Merkmalsmuster X für eine Stelle geeignet sind, dann heißt das
> nicht für Herrn Meyer, der dieses Merkmalsmuster hat, dass er mit 95%iger
> Wahrscheinlichkeit für die Stelle geeignet ist. Es heißt nur, dass ich
> bei einer weiteren Ziehung einer Stichprobe aus derselben Grundgesamtheit
> wieder für das Merkmalsmuster X eine 95%ige Wahrscheinlichkeit der
> Eignung erwarten kann (Erwartungswert). Und dann und nur dann, wenn mich
> in erster Linie meine Entscheidungen für Aggregate optimieren möchte,
> wenn ich im Schnitt die größtmögliche Zahl von Geeigneten einstellen
> möchte, darf ich derartige Statistiken benutzen.
>

Was nichts anderes heißt, als daß der MPU-Gutachter, der ja einen ganz
bestimmten Menschen angemessen beurteilen soll, genau diese sauberen
mathematischen Methoden *nicht* benutzen darf. Ich sehe, wir kommen uns
immer näher.

> Das müsste eigentlich einleuchten. Ist diese Voraussetzung jedoch
> erfüllt, dann sind mathematische Modelle leistungsfähiger als
> einzelfallorientierte Methoden. Auch das müsste einleuchten. Über die
> Wahrscheinlichkeit, mit der Herr Meyer für die Stelle geeignet ist,
> wissen wir, obwohl Merkmalsträger, überhaupt nichts aufgrund seiner
> Merkmalsträgerschaft. Wir wissen nur: Wenn wir nur Menschen mit der
> Merkmalskombination X einstellen, dann dürfen wir erwarten, dass (eine
> hinlängliche große Zahl von Einstellungen vorausgesetzt) 95 Prozent
> dieser Menschen für die Stelle geeignet sind.
>

"Herr Meyer, ich habe Ihnen jetzt mal ein negatives Gutachten geschrieben.
Das kann natürlich völliger Unsinn sein, denn als Ihr Gutachter habe ich
natürlich nicht den blassesten Schimmer, ob Sie, ganz speziell Sie, würdig
sind, daß man Ihnen den Führerschein wiedergibt. Aber von meinen 350
Gutachten pro Jahr sind immerhin 95 Prozent richtig, falls Ihnen das ein
Trost ist. Vielleicht sind Sie ja einer von den richtig Begutachteten. Kopf
hoch."



> Dieses Phänomen kann man übrigens nicht nur im psychologischen
> Bereich beobachten, sondern einfach überall, z. B. bei der stochastischen
> Bedarfsermittlung in der Materialwirtschaft im Vergleich zur "Pi-mal
> Daumen-Methode" (um nur eine Anwendung willkürlich herauszugreifen).
>

Nur werden Nägel, die nicht gekauft wurden, nicht hinterher zum
Rechtsanwalt laufen und sich beschweren.

> Solche Entscheidungen werden zwangsläufig dem Einzelfall gelegentlich
> nicht gerecht, sie maximieren aber den erwünschten Effekt (hier:
> Reduzierung von Trunkenheitsfahrten) im Kollektiv.
>
> Es handelt sich bei der MPU allerdings auch vorrangig um eine Maßnahme im
> Interesse der Verkehrssicherheit - und erst in zweiter Linie um den
> Versuch, einem Individuum gerecht zu werden.

Wenn du mit diesem Satz auf der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht
dein Gutachten verteidigst, wird sich der Rechtsanwalt des Klägers vor
Vergnügen auf den Bauch klatschen.

> Und darum muss es hier vor
> allem darum gehen, Fehlprognosen im Kollektiv zu reduzieren - und nicht
> vordringlich darum, die Seelenlage des Einzelnen auszuloten.
>

Es geht drum, dem Einzelnen gerecht zu werden. Darauf hat er einen
Anspruch.

> Geschwindigkeitsbeschränkungen beispielsweise mögen ja
> auch ungerecht sein gegenüber Einzelnen, die ihr Fahrzeug bei höherer
> Geschwindigkeit als zulässig noch sicher beherrschen. Dennoch kann man
> hier aus einleuchtenden Gründen nicht auf den Einzelfall Rücksicht
> nehmen, und so ist es auch bei der MPU.
>

Ob die beiden Fälle nicht ein kleines bißchen was anderes sind?

> Die Situation stellt sich hier offensichtlich anders dar als in der
> Psychotherapie, wo der Psychotherapeut sich ausschließlich an den
> Interessen des Klienten orientieren sollte. Gilt es jedoch,
> sozialschädliches Verhalten zu prognostizieren, dann stehen natürlich
> die Interessen der Gemeinschaft im Vordergrund. Und dies bestimmt dann
> auch die Wahl der Methoden. Dieselbe Argumentation, die ich
> hier für die MPU entwickelt habe, kann man auf alle Formen
> sozialschädlichen Verhaltens übertragen, z. B. auf die Prognose der
> Rückfallgefährdung von Sexualstraftätern.
>

Du bist nur dann auf der wirklich sicheren Seite, wenn du generell bei
Trunkenheit im Verkehr ab einer gewissen BAK den Führerschein lebenslang
entziehst.

Ciao
Wolfram
--
Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht der Versager.
OSCAR WILDE
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Rudolf Sponsel

unread,
Nov 15, 2007, 4:51:12 AM11/15/07
to
Wolfram Heinrich schrieb:

> Am Tue, 13 Nov 2007 10:16:47 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>
>> Wolfram Heinrich schrieb:
>>>> Warum muss nicht JEDE, die einen Schwerverletzten oder gar Toten schuldhaft
>>>> herbeiführt zur MPU?
>>>>
>>> Ach, ist das nicht mehr so? Zu meiner Zeit war das eine klare Sache, wer
>>> den Führerschein wegen einer Verkehrsstraftat (eben fahrlässige Tötung oder
>>> fahrlässige Körperverletzung) verloren hatte, mußte auf jeden Fall zur MPU.
>>>
>> Das wäre gut, passt aber nicht zu den mitgeteilten statistischen Daten: wie
>> viele Unfälle mit Personenschaden, davon wie viel Alkohol und Drogen, und wie
>> viele müssen zur MPU, davon wie viele Alkohol und Drogen versus ...? Die
>> statistischen Daten werden hier auch nicht so differenziert mitgeteilt, dass
>> man da genau nachrechnen kann, wie die Dinge liege; ich hege den Verdacht,
>> dass dies motiviert so geschieht bzw. unterbleibt.
>>
> Und wer, denkst du, dreht da dran und warum? Ich kann jetzt momentan dein
> Verschwörungsszenario nicht ganz nachvollziehen.
>
Ja, es ist nicht nachvollziehbar, dass die Datenlage von der bast z.B. so
unklar mitgeteilt wird. Deutschland hat CARE als einziges europäisches Land
die Unfallstatitik ja noch nicht einmal mitgeteilt, so dass eine einfache
multivariate Analyse über die Zeitreihen (1991-) nicht möglich ist:
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#bast
Mit einem Verschwöerungsszenario hat weniger zu tun, eher mit geballter
arroganter Ignoranz des einstigen Europaprimus.
Lägen die Daten vergleichbar vor, könnte man ja ziemlich schnell ausrechnen,
was die MPU für die Todes- und Schwerverletzten-Statistik leistet.

>>>> Obwohl ich die Lebenserfahrung auch schätze, ist mir das für einen solch
>>>> rabiat-dubiosen Eingriff zu wenig.
>>>>
>>> Es ist ja in Wirklichkeit kein Eingriff. Kein Mensch kann dich zu Abstinenz
>> Das ist ein schwerwiegender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des
>> Menschen und dürfte vor dem BVerG kaum Bestand haben.
>>
> Der MPU-Gutachter zwingt doch seinen Kandidaten nicht zur Abstinenz. Er
> gibt eine Empfehlung ab, im härtesten Fall formuliert er eine Auflage, der
> nun der Klient folgen kann oder nicht. Und diese Empfehlung oder Auflage
> mag sich Abstinenz nennen, in Wirklichkeit ist es vorerst nichts weiter als

Genau dieser schwammige Kunstfehlerstil wird von mir kritisiert: Fehler Nr. 3,
oft mit Fehler Nr. 9 und Fehler Nr. 10 korreliert/ konfundiert.
<http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#Potentielle%20Fehler%20und%20M%E4ngel-Liste%20fragw%FCrdiger>

Überzeugt mich überhaupt nicht. Im übrigen hätte man ihm FS sofort wieder
nehmen können und eine 5. MPU veranlassen müssen.

>>> Na ja, nun, freilich im Einzelfall. 1,6 Promille *sind* ein sehr hoher
>>> Wert, ein arabischer durchtrainierter Zehnkämpfer, der zeitlebens Alkohol
>> Das ist leider auch nirgendwo richtig belegt, sondern, wie schon erwähnt,
>> wohl mehr eine Art Eingebung unter dem Baum der Erkenntnis - also keine so
>> recht wissenschaftliche Methode.
>>
> Dann mach dir deinen wissenschaftlichen Beleg. Schwatz einer Nürnberger
> MPU-Untersuchungsstelle für ein Wochenende einen Alkomaten ab, kauf dir
> beim Aldi eine Flasche Schnaps und stoß dir die Flasche ins Hirn. Laß deine
> Frau sorgsam protokollieren, in welchem Zustand du dann bist, warte nach
> dem letzten Schluck Schnaps 20 Minuten lang, spül sorgfältig den Mund mit
> Wasser aus und dann blase. Und erlebe dein blaues Wunder!
> Menschen reagieren sehr empfindlich bereits auf geringe Mengen Alkohol,
> diese anfänglich sehr niedrige Alkoholtoleranz läßt sich durch fleißiges
> Training (und nur durch fleißiges Training) erheblich steigern.
>

Da wäre dann ein Resultat, das für mich und meinen Einzelfall gilt. Wiederum
nicht überzeugend als Regel.

>>> gemieden hat, wäre damit in Lebensgefahr, ein ansonsten Mäßig-Trinker auch
>>> bereits jenseits von Gut und Böse. Ich habe selber mal einen völlig
>>> aktionsunfähigen Jugendlichen (in Hinsicht auf Alkohol auch nicht mehr ganz
>>> unschuldig), der sich eine Flasche Wodka ins Hirn gestoßen hatte, ins
>>> Krankenhaus gefahren, wo man dann 1,4 Promille bei ihm gemessen hatte. 1,6
>>> Promille ist absolut kein harmloser Wert mehr.
>>>
>> Da dürfte sehr vom Einzelfall - wie aus Deinem Beispiel ja auch hervorgeht -
>> abhängen.
>>
> Freilich hängt es vom Einzelfall ab und das Ergebnis des Einzelfalls hängt
> von dessen vorausgegangenem Trinktraining ab. Wenn du dir von einem der
> Nürnberger Stammtische einen geeichten Schluckspecht holst, dann wird der
> mit einer BAK, bei der du bereits speiend über der Badewanne hängst, noch
> dastehen wie eine Brezen.
>

Das sind die üblichen undifferenzierten MPU-Mythen Marke Stephan.

>>> Wenn mir der TÜV oder die PIMA so einen Textblock dichtet und mir zur
>> hm, "dichtet", eine interessante Formulierung.
>>
> Nun, Dichtung muß nicht unwahr sein, im Gegenteil.
>

Gelegentlich, z.B. bei "Die rote Couch" im Falle Sexueller Missbrauch und
Psychoanalyse; aber hier macht sich das m.E. gar nicht gut.

>>> Verfügung stellt, will ich gerne das Spiel mitmachen, ansonsten - nein.
>>>
>> hm, "Spiel", auch sehr interessant.
>>
> Daher auch der Name "Spieltheorie".
>

Meinst Du, dass MPU-Gutachten in hohem Maße von Dichtung und Spiel bestimmt sind?

>>> Moment! "Rückfall" heißt in einer empirischen Studie, daß der Betreffende
>>> wieder mit Alkohol erwischt worden ist. Wieder gefahren sind nach aller
>>> Erfahrung wesentlich mehr.
>>>
>> Solche dunklen Dunkelfeldprojektionen sind nicht argumentationsfähig und im
>> Einzelfall schon gar nicht brauchbar.
>>
> Im Einzelfall nicht, aber bei einer Prozentbetrachtung über eine größere
> Population. Es wäre ausgesprochen naiv zu glauben, es würde der rückfällige
> Trunkenheitsfahrer bei seiner ersten (zweiten, dritten...)
> Trunkenheitsfahrt erwischt. Nicht minder naiv wäre die Vorstellung, es
> würden alle Trunkenheitsfahrer schon irgendwann erwischt werden.
>

Das schon. Aber es ist kein Argument für den Einzelfall, allenfalls ein
Ausgangspunkt, der in eben diesem (Einzelfall) zu begründen wäre.

>>> Einzelfallwissenschaft, die sich natürlich - so gut es eben geht - die
>>> Ergebnisse der Statistischen Wissenschaft zunutze macht.
>>>
>> Das ist gerade der Hauptfehler der NomologInnen. Es gibt keinen legitimen
>> Schluss von der Stichprobe auf auf den Einzelfall, so wenig wie vom Sein aufs
>> Sollen.
>
> Ja, freilich. Aber wenn ich einen Einzelfall beurteilen soll, dann ist es
> für mich schon eine wichtige Information, wenn ich weiß, daß in Gesamtheit,
> aus der mein Einzelfall kommt, eine bestimmte Eigenschaft besonders häufig
> vorkommt.
>

Genau das ist der Fehler 4c; die Stichprobenrelation bestimmt Deine
Einzelfallbetrachtung:
<http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#PF4%20%20%20%20Fehlende,%20falsche%20oder%20unzul%E4ngliche>

>> Dann noch mal ohne Nebenironie: Welcher konkrete Zeitraum ist an welche
>> konkrete Bedingungen mit welcher Begründung geknüpft? Dafür würden aus meiner
>> Sicht dringend Textbausteine gebraucht. Sie werden wohl erst dann geliefert,
>> wenn die Gerichte sie fordern.
>>
> Wahrscheinlich. Respektive dann, wenn's so weit donnergrollt, daß eine
> Gerichtsentscheidung zu erwarten ist.
> Und apropos Gerichte: Du solltest nie vergessen, daß die MPU als
> Institution eine Mischung aus Wissenschaft einerseits und
> politischem/juristischem Druck andererseits ist. Hätte ich meine Gutachten

Das ist wohl so. Viel Unsinn in diesem Land wird von den JuristInnen erzwungen
... - und damit nicht genug, so manches Sinnvolle wird von ihnen zunichte
gemacht.

> seinerzeit einzig nach den Kriterien meines Sachverstandes verfaßt und
> entschieden, dann hätte ich verdammt wenig positive Gutachten (oder auch
> nur Kurs-Gutachten) gehabt. Ich schätze die Quote (bei mir) auf vielleicht
> 85 bis 90 Prozent negative Gutachten. In Wirklichkeit waren es nur 35 bis
> 40 Prozent, der Rest war positiv oder Kurszuweisung.
> Das heißt (und hier wird es möglicherweise dramatisch), wenn Ulrich von
> seiner Uni herab in strengem Ton Wissenschaft einfordert, dann ist das eine

UG versteht doch gar nichts vom Einzelfall; und die Psychometrie ist
weitgehend numerologische Esoterik; mit "Mathe" kann man gut blenden,
vernebeln und punkten; die Formeln sind oft nur wie Weihrauch und Klingeling
in der Kirche.

> Sache. Wenn du (oder sonst wer) als Sachwalter der MPU-Kandidaten mehr
> Wissenschaft einforderst, dann bete zu Gott, daß du erfolglos bleibst.

Hm, interessant, Du bringst "Gott" ins "Spiel" ...

> Jedes Stückchen Wissenschaft bei der MPU mehr, schränkt die Chancen der
> MPU-Kandidaten auf einen neuen Führerschein ein.
>

Wenn es denn so wäre, hätte ich kein Problem damit.

> Ciao
> Wolfram

Bessere Zeiten ...
Rudolf Sponsel, Erlangen


Rudolf Sponsel

unread,
Nov 15, 2007, 4:52:06 AM11/15/07
to
Hans Ulrich Gresch schrieb:

> Am Tue, 13 Nov 2007 10:16:47 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>
> ...
>> Das ist gerade der Hauptfehler der NomologInnen. Es gibt keinen legitimen
>> Schluss von der Stichprobe auf auf den Einzelfall, so wenig wie vom Sein
>> aufs Sollen. Die ForensikerInnen wissen das wie die PsychotherapeutInnen
>> und Kliniker. Die VerkehrspsychologInnen könnten und sollten das auch
>> wissen.
>>
> Natürlich kann man von der Stichprobe nicht auf den Einzelfall
> schließen. Das denken und behaupten auch die "Nomologen" nicht.
> Es geht um etwas anderes, nämlich darum: Gesucht ist ein diagnostisches
> Verfahren, das die Zahl der rückfälligen Trunkenheitsfahrer im
> /Kollektiv/ jener Trunkenheitsfahrer reduziert, die nach einer MPU den
> Führerschein zurück erhalten haben.
>
> Und es hat sich generell gezeigt, dass, für derartige Entscheidungen,

Und es begab sich ...

> Prognosen auf Basis mathematischer Modelle (Regressionsgleichungen)
> valider sind als "klinische", "naive" oder heuristische Vorhersagen.

Am besten führst Du einmal Deine Regressionsanalyse für ein Einzelfallbeispiel
durch, dann sieht man ziemlich schnell, was Dein Regressionsgleichungs-
Verfahren in der Einzelfallpraxis leistet.

[...]

> Gruß
> Ulrich
> - -
> http://hugresch,wordpress.com

Rudolf Sponsel, Erlangen


Wolfram Heinrich

unread,
Nov 15, 2007, 8:11:32 AM11/15/07
to
Am Thu, 15 Nov 2007 10:51:12 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

> Wolfram Heinrich schrieb:

>> Und wer, denkst du, dreht da dran und warum? Ich kann jetzt momentan dein


>> Verschwörungsszenario nicht ganz nachvollziehen.
>>
> Ja, es ist nicht nachvollziehbar, dass die Datenlage von der bast z.B. so
> unklar mitgeteilt wird. Deutschland hat CARE als einziges europäisches Land
> die Unfallstatitik ja noch nicht einmal mitgeteilt, so dass eine einfache
> multivariate Analyse über die Zeitreihen (1991-) nicht möglich ist:
> http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#bast
> Mit einem Verschwöerungsszenario hat weniger zu tun, eher mit geballter
> arroganter Ignoranz des einstigen Europaprimus.
> Lägen die Daten vergleichbar vor, könnte man ja ziemlich schnell ausrechnen,
> was die MPU für die Todes- und Schwerverletzten-Statistik leistet.
>

Im Vergleich mit dem europäischen Ausland oder wie sonst?

>> Der MPU-Gutachter zwingt doch seinen Kandidaten nicht zur Abstinenz. Er
>> gibt eine Empfehlung ab, im härtesten Fall formuliert er eine Auflage, der
>> nun der Klient folgen kann oder nicht. Und diese Empfehlung oder Auflage
>> mag sich Abstinenz nennen, in Wirklichkeit ist es vorerst nichts weiter als
>
> Genau dieser schwammige Kunstfehlerstil wird von mir kritisiert:

Der Stil ist nicht schwammig, die Empfehlung bzw. Auflage ist sehr klar
formuliert. Wenn er den Führerschein wiederhaben will, muß sich der Klient
an die Auflage halten. Hat er den Führerschein wieder, kann ihm keiner mehr
irgendwelche Vorschriften machen.

>> Patsch! Damit war's Essig mit dem Führerschein.
>>
> Überzeugt mich überhaupt nicht. Im übrigen hätte man ihm FS sofort wieder
> nehmen können und eine 5. MPU veranlassen müssen.
>

Man konnte ihm den Führerschein nicht nehmen, er hatte ihn ja noch wieder.
Und bekam ihn, nach dieser Geschichte, auch nicht wieder.

>> Menschen reagieren sehr empfindlich bereits auf geringe Mengen Alkohol,
>> diese anfänglich sehr niedrige Alkoholtoleranz läßt sich durch fleißiges
>> Training (und nur durch fleißiges Training) erheblich steigern.
>>
> Da wäre dann ein Resultat, das für mich und meinen Einzelfall gilt. Wiederum
> nicht überzeugend als Regel.
>

Die Frage der Alkoholtoleranz ist kein psychologisches, sondern ein
elementar physiologisches Problem. Kein Mensch hat von Haus aus eine hohe
Alkoholverträglichkeit, es gibt Unterschiede, klar, wir Europäer kommen in
der Regel mit Alkohol besser klar als Leute in anderen Weltgegenden (einige
Typen von Asiaten etwa), aber auch wir Europäer müssen uns individuell
durch häufige Konsum an den Alkohol gewöhnen.

>> Freilich hängt es vom Einzelfall ab und das Ergebnis des Einzelfalls hängt
>> von dessen vorausgegangenem Trinktraining ab. Wenn du dir von einem der
>> Nürnberger Stammtische einen geeichten Schluckspecht holst, dann wird der
>> mit einer BAK, bei der du bereits speiend über der Badewanne hängst, noch
>> dastehen wie eine Brezen.
>>
> Das sind die üblichen undifferenzierten MPU-Mythen Marke Stephan.
>

Du bist heute aber sehr kurz angebunden. Einmal kurz grunzen und damit hat
es sich. Ist dir eigentlich klar, was 0,8 Promille sind? Das sind keine
drei, vier Bier bei einem ausgewachsenen Mann.
Ich bin auch etwas kurz angebunden, deshalb also ein Auszug aus meinem
Manuskript: Betrunken fahren? Aber logisch!" (Nicht der Artikel, das
Buchmanuskript.)

"Im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit veranstalten
Medizinisch-Psychologische Untersuchungsstellen gerne sog. „Trinkversuche“.
Es werden Rechtsanwälte, Verwaltungsbeamte, Journalisten etc., kurz: Leute,
die entweder berufsmäßig mit Alkohol am Steuer zu tun haben oder eine große
Wirkung nach außen garantieren, eingeladen. Die Gäste bekommen alkoholische
Getränke serviert. Der Unterschied zu einem normalen Gelage besteht
lediglich darin, daß jemand (einer, der nüchtern bleiben muß) den Konsum
der einzelnen Gäste festhält, sich auch Notizen über die Veränderung des
Verhaltens der einzelnen Testteilnehmer macht. Zu Beginn, am Ende und in
gewissen Zeitabständen dazwischen werden mit einem Alkotestgerät die
Promille gemessen.
Vor einigen Jahren konsumierte bei solch einem Trinkversuch ein 84 kg
schwerer Mann im Verlaufe von vier Stunden 6 Glas Bier (á 0,5 l) und vier
Gläser Schnaps (á 2 cl). Als Faustregel läßt sich sagen daß vier
Standardgläser Schnaps dem Alkoholgehalt von einem Liter Bier entsprechen.
Unser „Trinker für die Wissenschaft“ hatte also im Verlaufe von vier
Stunden den Alkoholgehalt von 8 Glas Bier - entsprechend vier Liter -
konsumiert. Wie dies nach acht Bier nicht weiter verwunderlich sein dürfte,
hatte er ganz erhebliche Probleme mit seiner Standfestigkeit, geschweige
seinem Gehvermögen, die Aussprache war schwer beeinträchtigt, kurz: Der
Mann war betrunken und alles in allem von jeder Fahrtüchtigkeit weit
entfernt.
Gemessen wurden bei diesem Mann 0,79 Promille.

In Nachschulungskursen für alkoholauffällige Kraftfahrer bediene ich mich
gerne dieser Geschichte. Erzähle ich sie in der ersten Sitzung, bei der man
eben dabei ist, sich kennenzulernen und Vertrauen zueinander zu fassen,
dann ist die Reaktion fast immer demonstratives Erstaunen und fassungslose
Ungläubigkeit: „Das gibt es nicht, das glaub’ ich nicht. Ich habe doch
damals - bei meiner eigenen Trunkenheitsfahrt - nur so wenig Bier und doch
so viel Promille gehabt!.“
In der dritten, vierten Sitzung, wenn die Leute aufgetaut sind und
aufgehört haben, sich vor mir als Kursmoderator zu fürchten, hört sich dann
alles ganz anders an. Da erzählt dir dann einer, er habe sich damals bei
der MPU gar nicht getraut, seine wahre Trinkmenge anzugeben. Von vier Bier
habe er gesprochen und der Psychologe habe bloß müde gelächelt. Jetzt könne
er es ja sagen, es seien acht Bier gewesen, mindestens. Gemessen habe man
seinerzeit bei ihm 0,82 Promille. Und ein 90 kg schwerer Bauarbeiter
erzählt, er habe sich mal in anderthalb Stunden „sechs Hoibe einegschteßn“
(sechs halbe Liter Bier getrunken). Auf der Heimfahrt sei er in eine
Alkoholkontrolle geraten. Er sei sich sicher gewesen, daß jetzt der
Führerschein weg sei und habe den Polizisten seine sechs Bier vor der Fahrt
gestanden. Gemessen habe man dann bei ihm lächerliche 0,3 Promille und
jeder, einschließlich der Polizisten, habe gedacht, der Alkomat wäre hin.
In einem anderen Kurs erzählt ein kleiner, drahtiger Mann von ganz bestimmt
weniger als 70 kg, er habe bei seinem ersten Delikt 2,2 Promille gehabt. Er
könne sich noch gut dran erinnern, daß er vor dem Fahren einen Kasten Bier
und eine Flasche (Jack Daniels (American Whiskey) getrunken habe."

>>>> Wenn mir der TÜV oder die PIMA so einen Textblock dichtet und mir zur
>>> hm, "dichtet", eine interessante Formulierung.
>>>
>> Nun, Dichtung muß nicht unwahr sein, im Gegenteil.
>>
> Gelegentlich, z.B. bei "Die rote Couch" im Falle Sexueller Missbrauch und
> Psychoanalyse; aber hier macht sich das m.E. gar nicht gut.
>

Womöglich ist es dir schon aufgefallen, daß ich gelegentlich eine flapsige
Ausdrucksweise wähle.

>>> hm, "Spiel", auch sehr interessant.
>>>
>> Daher auch der Name "Spieltheorie".
>>
> Meinst Du, dass MPU-Gutachten in hohem Maße von Dichtung und Spiel bestimmt sind?
>

Nein, ich meine, daß seit der Spieltheorie klar sein müßte, daß das Wort
"Spiel" nicht nur für lustige Spielchen verwendet wird, sondern auch bei
der Beschreibung von Risiko- und Entscheidungssituationen.

>>> Solche dunklen Dunkelfeldprojektionen sind nicht argumentationsfähig und im
>>> Einzelfall schon gar nicht brauchbar.
>>>
>> Im Einzelfall nicht, aber bei einer Prozentbetrachtung über eine größere
>> Population. Es wäre ausgesprochen naiv zu glauben, es würde der rückfällige
>> Trunkenheitsfahrer bei seiner ersten (zweiten, dritten...)
>> Trunkenheitsfahrt erwischt. Nicht minder naiv wäre die Vorstellung, es
>> würden alle Trunkenheitsfahrer schon irgendwann erwischt werden.
>>
> Das schon. Aber es ist kein Argument für den Einzelfall, allenfalls ein
> Ausgangspunkt, der in eben diesem (Einzelfall) zu begründen wäre.
>

Wer hat behauptet, daß diese Dunkelfeldargumentation im Einzelfall wichtig
ist?

>> Ja, freilich. Aber wenn ich einen Einzelfall beurteilen soll, dann ist es
>> für mich schon eine wichtige Information, wenn ich weiß, daß in Gesamtheit,
>> aus der mein Einzelfall kommt, eine bestimmte Eigenschaft besonders häufig
>> vorkommt.
>>
> Genau das ist der Fehler 4c; die Stichprobenrelation bestimmt Deine
> Einzelfallbetrachtung:
>

Wenn ich mir den Einzelfall anschaue, dann ist die Information über die
Gesamtheit eine sehr nützliche Hintergrundinformation, quasi die Folie, vor
der ich den Einzelfall betrachte.

>> Und apropos Gerichte: Du solltest nie vergessen, daß die MPU als
>> Institution eine Mischung aus Wissenschaft einerseits und
>> politischem/juristischem Druck andererseits ist. Hätte ich meine Gutachten
>
> Das ist wohl so. Viel Unsinn in diesem Land wird von den JuristInnen erzwungen
> ... - und damit nicht genug, so manches Sinnvolle wird von ihnen zunichte
> gemacht.
>

Je nun, ich kann mich aber nicht an den MPU-Gutachtertisch setzen und mir
wünschen, es gäbe keine Juristen. Adressat des Gutachtens ist die
Führerscheinstelle, also eine Instanz der Öffentlichen Verwaltung. Die muß
mit dem Gutachten klarkommen. Punkt. Die Behörde entscheidet über den
Führerschein und sie fordert von der Untersuchungsstelle ein Gutachten als
Hilfe zur Entscheidungsfindung an.

> UG versteht doch gar nichts vom Einzelfall; und die Psychometrie ist
> weitgehend numerologische Esoterik; mit "Mathe" kann man gut blenden,
> vernebeln und punkten; die Formeln sind oft nur wie Weihrauch und Klingeling
> in der Kirche.
>

Jetzt treibst du mich an die Seite vom Ulrich. Freilich kannst du
Mathematik und Statistik hervorragend zum Vernebeln verwenden. Aber wenn du
Wissenschaft betreiben willst, wirst du nicht umhin kommen, die Phänomene,
die der Messung zugänglich sind, zu messen, und andere Phänomene soweit
hinbiegen, daß sie meßbar werden. (Ohne die Unzulänglichkeit so mancher
Messung zu vergessen natürlich).

>> Sache. Wenn du (oder sonst wer) als Sachwalter der MPU-Kandidaten mehr
>> Wissenschaft einforderst, dann bete zu Gott, daß du erfolglos bleibst.
>
> Hm, interessant, Du bringst "Gott" ins "Spiel" ...
>

Jedes Mal, wenn ich irgendwo bei der Tür reinkomme, bringe ich Gott ins
Spiel, wenn ich nämlich die bereits dort Befindlichen mit "Grüß Gott"
begrüße. Und dabei bin ich Atheist, stell dir vor.

>> Jedes Stückchen Wissenschaft bei der MPU mehr, schränkt die Chancen der
>> MPU-Kandidaten auf einen neuen Führerschein ein.
>>
> Wenn es denn so wäre, hätte ich kein Problem damit.
>

Dann ist es ja gut. Ich hatte einen Moment lang gedacht, du würdest bessere
Gutachten-Qualität einfordern, weil die bisherige den MPU-Klienten nicht
zuzumuten wäre.

Ciao
Wolfram
--
Kein Lesen ist der Mühe wert, wenn es nicht unterhält.
WILLIAM SOMERSET MAUGHAM
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Ulrich Gresch

unread,
Nov 15, 2007, 11:44:47 AM11/15/07
to
"Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
news:lkcbv24iqtwn$.dlg@www.theodor-rieh.de...

> Am Tue, 13 Nov 2007 18:52:41 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>
>>
> Oh, nein. Es geht auch - und ganz vor allem - darum, daß der jeweilige
> Einzelfall eine ihm angemessene Entscheidung bekommt.

Ja, sicher, dies mag nach momentaner Gepflogenheit und Rechtslage zu sein.
Doch diese Praxis ist ineffizient und gemeinschaftsschädlich. Sie sollte
abgeschafft werden.

> Und nun trittst du als Forensischer Gutachter in einem Strafprozeß auf.
> "Ja, wissen Sie, ob der geständige Angeklagte gaga ist oder es zum
> Zeitpunkt des Mordes war, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Vermutlich
> war er es mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 nicht, aber hm, darüber mag
> man streiten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich Ihnen - wenn Sie mir zehn
> Mörder zur Begutachtung schicken - 8 davon zutreffend beurteilen würde.
> Welche 8 das sind, das weiß Jesus."
> "Gerichtsdiener", würde der Vorsitzende Richter dann sagen, "führen Sie
> bitte den Gutachter in der Zwangsjacke ab."

Nun, dem Richter wäre zu empfehlen, sich auf sein Richteramt und dessen
Wesen zu besinnen. Er sollte also Gutachten als Orientierungshilfe nutzen,
aber die Entscheidung nach dem eigenen juristischen Sachverstand fällen und
sich nicht sklavisch von Gutachten abhängig machen. Er sollte sich klar
machen, dass es keine, ich wiederhole in Buchstaben, dass es keine seriösen
Einzelfallprognosen geben kein, sondern nur Prognosen für Aggregate bzw.
Kollektive. Einzelfallprognosen beruhen immer auf logischen Denkfehlern im
Sinne von "Post hoc, ergo propter hoc". Da sagt dann der Gutachter Dr.
Laber: "Ja Eurer Ehren, früher hat der Angeklagte gesoffen und ist trunken
gefahren, aber dann ist er zum Psychotherapeuten Dr. Fasel gegangen, der hat
ihn kuriert und seither hat ihn keiner mehr trinken und besoffen fahren
gesehen, ergo wird er auch in Zukunft nicht mehr trinken und besoffen
fahren!" Und wahrlich, ich sage dir: Laber wäre ein Fall für die
Zwangsjacke.
>
...

> Was nichts anderes heißt, als daß der MPU-Gutachter, der ja einen ganz
> bestimmten Menschen angemessen beurteilen soll, genau diese sauberen
> mathematischen Methoden *nicht* benutzen darf. Ich sehe, wir kommen uns
> immer näher.

Ja, so ist es. Wer einen bestimmten Menschen beurteilen will, darf keine
statistischen Methoden verwenden, denn diese sagen etwas über Verteilungen
in Aggregaten oder Kollektiven aus, aber nichts über den Einzelfall. Man
kann natürlich die Vergangenheit eines Menschen beurteilen, aber
Einzelfall-Prognosen sind logisch unmöglich. Sie sind nicht nur
wissenschaftlicher Unfug, sie sind auch sonst ein Quark. Man muss sich doch
einfach nur klarmachen, dass menschliches Verhalten in erheblichem Maße von
zahllosen, mehr oder weniger zufälligen Stimuli aus der Umwelt gesteuert
wird - und nicht nur von Faktoren, die aus seiner Vergangenheit bekannt
sind. Darum treiben wir doch Statistik, um die Vielfalt der kleinen
zufälligen Einflüsse, die auf den Einzelnen einwirken, herauszufiltern.
Haben wir sie aber herausgefiltert, dann haben wir eben das Individuelle
herausgerechnet und dann können wir auch nichts mehr über das Individuelle
sagen. Was aber am Individuum tatsächlich individuell ist, das ist eine
diffuse Vielfalt /unvorhersagbarer/ Komponenten, deren Ursprünge häufig noch
nicht einmal in der Person zu finden sind, sondern in seinem Umfeld.
Einzelfall-"Wissenschaft" ist schlimmer als Kaffesatzlesen.
>
...

> "Herr Meyer, ich habe Ihnen jetzt mal ein negatives Gutachten geschrieben.
> Das kann natürlich völliger Unsinn sein, denn als Ihr Gutachter habe ich
> natürlich nicht den blassesten Schimmer, ob Sie, ganz speziell Sie, würdig
> sind, daß man Ihnen den Führerschein wiedergibt. Aber von meinen 350
> Gutachten pro Jahr sind immerhin 95 Prozent richtig, falls Ihnen das ein
> Trost ist. Vielleicht sind Sie ja einer von den richtig Begutachteten.
> Kopf
> hoch."

Die gegenwärtigen Gepflogenheiten und die Rechtslage haben in Herrn Meyer
eine falsche Anspruchshaltung gezüchtet. Die richtige Haltung bestünde
darin, einzusehen, dass man durch eine Trunkenheitsfahrt mit einem
erheblichen Alkoholisierungsgrad sein Recht auf einen Führerschein im
Prinzip verwirkt hat - und bestenfalls in Form eines Gnadenaktes, auf den es
keinen Anspruch gibt, seinen Führerschein dennoch zurück erhalten kann. Für
diesen Gnadenakt wären dann weise Richter gefragt, aber keineswegs Gutachter
mit einem verfehlten Einzelfallwissenschaftsanspruch.
>
...

> Es geht drum, dem Einzelnen gerecht zu werden. Darauf hat er einen
> Anspruch.

Ja, und diesen Zahl sollte man den Leuten ziehen, falls erforderlich, durch
Gesetzesänderung.

...

> Du bist nur dann auf der wirklich sicheren Seite, wenn du generell bei
> Trunkenheit im Verkehr ab einer gewissen BAK den Führerschein lebenslang
> entziehst.
>

Freilich, und so sollte es auch sein - mit der Möglichkeit eines
Gnadenerweises, der nicht auf Gutachterei, sondern auf richterlicher
Weisheit beruht. Wie dieser zu begründen wäre, ist keine Frage der
Psychologie oder Medizin, sondern ein Frage des Rechts und seiner
Philosophie.

Gruß
Ulrich
- -
http://blog.ppsk.de


Ulrich Gresch

unread,
Nov 15, 2007, 12:48:07 PM11/15/07
to
"Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
news:82swdkx9...@www.theodor-rieh.de...

> Am Tue, 13 Nov 2007 21:25:23 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:
>
...

> Ich hatte es auch als Vergleich gemeint: Wer so diszipliniert ist, daß er
> trotz heftigen Saufens die Karre stets und zuverlässig stehen läßt, hat
> soviel Selbstdisziplin, daß er erst recht ganz mit dem Saufen aufhören
> könnte. Das heißt, ich schätze das Abstinentwerden für immer noch
> einfacher
> ein als das stets zuverlässige Trennen von Trinken und Fahren.

Es kann beim gegenwärtigen Stand der Forschung wohl kein Zweifel mehr daran
bestehen, dass kontrolliertes Trinken auch für langjährige, schwere
Alkoholiker (Leute mit extrem riskantem Trinkverhalten) erreichbar ist.
Warum sollte es für diese Leute nicht möglich sein, auch das Autofahren in
ihre alkoholbezogene Verhaltenskontrolle einzubeziehen? Git es dazu Zahlen?
Rein intuitiv will es mir nicht plausibel erscheinen, dass Abstinenz
leichter sein soll als kontrolliertes Trinken plus alkoholfreies Fahren.
Hinter dieser Vorstellung vermute ich eher das biblische "Wenn dich dein
Auge stört, so reiß es aus!", lies: das ist die schiere AA-Ideologie.
...


>
>> Und wenn man einmal dabei
>> ist, solche Methoden zu entwickeln, dann kann man in einem Abwasch
>> testen,
>> ob nicht vielleicht doch bestimmte Merkmalskombinationen die Prognose
>> "Verzicht auf Trunkenheitsfahrten ohne Abstinenz" zulassen.
>
> Jetzt, Moment, jetzt sollten wir mal klären, wie es mit der Abstinenz
> steht. Ich habe bewußt das Wort "Saufen" verwendet und es definiert als
> "exzessiv trinken". Das Ende exzessiven Trinkens muß nicht zwangsläufig
> die
> Abstinenz sein, es kann auch das Wiederfinden eines problemfreien
> Alkoholkonsums bedeuten. In diesem Falle würde das Trennen von Trinken und
> Fahren klappen, bei fortgesetztem Alkoholmißbrauch höchstwahrscheinlich
> aber nicht. Die dann wirksame Dynamik ist zu mächtig.

Gut, oben sprach ich vom kontrollierten Trinken, dies dürfte deinem
problemfreien Alkoholkonsum entsprechen. Insoweit stimme wir überein.
Ich gehe aber noch einen Schritt weiter und behaupte, dass auch
Problemtrinker in der Lage sein könnten, in Zukunft auf das betrunkene
Autofahren zu verzichten - und wenn man ihnen im Einzelfall Gerechtigkeit
widerfahren lassen will, so darf man diese Möglichkeit nicht ausschließen.
Sie ist nur nicht sehr wahrscheinlich. Genau darum bin ich ja auch für eine
statistische Denkweise in diesem Bereich und dagegen, auf den Einzelfall
abzustellen. Eine Einzelfallprognose ist aus logischen Gründen unmöglich.
Und so sollte dem notorischen Trunkenheitsfahrer der Führerschein allenfalls
in Form eines Gnadenerweises zurückgegeben werden. Es sollte hier keinen an
eine "faire" Begutachtung gekoppelten Rechtsanspruch geben.


>
>> Die Erfahrung
>> hat zwar, wie du sagst, etwas anderes gezeigt - aber wir wissen ja, dass
>> es mit der Erfahrung nicht weit her ist.
>>>>

> Sag an, Gevatter Gresch, sind nicht "Empirische Wissenschaften" ein
> anderes
> Wort für Erfahrungswissenschaften?

Erfahrung und Erfahrungswissenschaften sind zwei paar Stiefel. Die Erfahrung
bezieht sich immer auf n=1, es ist die jemeinige Erfahrung, subjektiv also.
Erfahrungswissenschaft bemüht sich jedoch, das nur Subjektive
herauszufiltern, sie beobachtet Kollektive und beschreibt Verteilungen und
Regelmäßigkeiten in Aggregaten. Das ist ein erheblicher Unterschied.
>
...

> Sei mit so einer Behauptung vorsichtig. In der Wirtschaft - heißt hier
> wohl: bei Personalauslese und -förderung - sind einige Rahmenbedingungen
> völlig anders. Kein Bewerber auf eine Stelle hat einen Anspruch auf diese
> Stelle, er kann keine Begründung der Firma dafür verlangen, warum er nicht
> genommen (oder befördert) wurde, zumindest keine, die einer Klage
> standhalten müßte. Eine Firma kann sagen: "Wir picken uns aus den 100
> Bewerbern die 10 wahrscheinlich geeignetsten Leute heraus, 1 bis zwei
> werden trotzdem Nieten sein, aber pfeif drauf, so ist der Lauf der Welt."
> Bei der MPU hast du Leute, die ihren Führerschein unbedingt wiederhaben
> wollen, die einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung haben.

Ja, und das ist der Knackpunkt. Diesen Rechtsanspruch sollte es nicht geben,
weil er zu der von dir des öfteres geschilderten absurden Konsequenz führt,
dass viel mehr Leute den Führerschein zurückerhalten, als unter
Zugrundelegung wissenschaftlicher Maßstäbe gerechtfertigt ist. Dieser
Rechtsanspruch führt also zu einer vermeidbaren Gefährdung der
Allgemeinheit. Und das ist nicht gut, sondern schlecht.

...

> Ich weiß auch, daß die Verhaltenstherapie relativ kostengünstig ist.
>

Am kosteneffizientesten sind selbsthilfeorientierte Ansätze, wie die
MATCH-Studie und viele andere Untersuchungen beweisen.

Ulrich Gresch

unread,
Nov 15, 2007, 12:51:48 PM11/15/07
to
"Rudolf Sponsel" <rudolf-...@sgipt.org> schrieb im Newsbeitrag
news:fhh4s7$ad9$2...@news1.nefonline.de...
...

> Am besten führst Du einmal Deine Regressionsanalyse für ein
> Einzelfallbeispiel
> durch, dann sieht man ziemlich schnell, was Dein Regressionsgleichungs-
> Verfahren in der Einzelfallpraxis leistet.
>
Es ist in diesem Bereich verfehlt, auf den Einzelfall abzustellen, und daher
sollte die gesetzliche Grundlage dieser "Einzelfallpraxis" schnellstmöglich
im Interesse der Verkehrssicherheit bzw. der Allgemeinheit geändert werden.

Gruß
Ulrich
- -
http://blog.ppsk.de


Wolfram Heinrich

unread,
Nov 15, 2007, 5:06:15 PM11/15/07
to
Am Thu, 15 Nov 2007 17:44:47 +0100 schrieb Ulrich Gresch:

> "Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb im Newsbeitrag
> news:lkcbv24iqtwn$.dlg@www.theodor-rieh.de...

>> Oh, nein. Es geht auch - und ganz vor allem - darum, daß der jeweilige


>> Einzelfall eine ihm angemessene Entscheidung bekommt.
>
> Ja, sicher, dies mag nach momentaner Gepflogenheit und Rechtslage zu sein.
> Doch diese Praxis ist ineffizient und gemeinschaftsschädlich. Sie sollte
> abgeschafft werden.
>

Dann tu das. Ich wünsche dir dabei viel Glück, du wirst es nötig haben.

>> Und nun trittst du als Forensischer Gutachter in einem Strafprozeß auf.
>> "Ja, wissen Sie, ob der geständige Angeklagte gaga ist oder es zum
>> Zeitpunkt des Mordes war, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Vermutlich
>> war er es mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 nicht, aber hm, darüber mag
>> man streiten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich Ihnen - wenn Sie mir zehn
>> Mörder zur Begutachtung schicken - 8 davon zutreffend beurteilen würde.
>> Welche 8 das sind, das weiß Jesus."
>> "Gerichtsdiener", würde der Vorsitzende Richter dann sagen, "führen Sie
>> bitte den Gutachter in der Zwangsjacke ab."
>
> Nun, dem Richter wäre zu empfehlen, sich auf sein Richteramt und dessen
> Wesen zu besinnen. Er sollte also Gutachten als Orientierungshilfe nutzen,
> aber die Entscheidung nach dem eigenen juristischen Sachverstand fällen und
> sich nicht sklavisch von Gutachten abhängig machen.

Richter sind nach meiner Erfahrung eifersüchtig drauf bedacht, daß ihnen
der psychologische oder medizinische oder technische Gutachter nicht die
Entscheidung vorwegnimmt. Nur: Ihr juristischer Sachverstand braucht
dummerweise ein paar Fakten, um sinnvoll arbeiten zu können. Ob der
Angeklagte gaga ist, können und wollen sie nicht beurteilen, sie holen sich
deshalb den psychologischen, bzw. psychiatrischen Gutachter. Wenn ihnen der
nun erklärt, daß er auch nicht wisse, was Sache sei, daß er glaube, daß
überhaupt niemand wisse noch wissen könne, was im Einzelfall Sache sei,
dann wird er Frustration beim Hohen Gericht hinterlassen.

> Er sollte sich klar
> machen, dass es keine, ich wiederhole in Buchstaben, dass es keine seriösen
> Einzelfallprognosen geben kein, sondern nur Prognosen für Aggregate bzw.
> Kollektive.

Das Dumme dran ist nur, daß Gerichte Einzelfälle verhandeln müssen, daß
Führerscheinstellen und andere Behörden Einzelfallentscheidungen treffen
müssen.

> Einzelfall-"Wissenschaft" ist schlimmer als Kaffesatzlesen.
>>

Heißt umgekehrt: Kaffeesatzlesen ist besser als Einzelfall-"Wissenschaft".
Weil ich das künftige Verhalten eines Menschen nicht mit derselben
Exaktheit voraussagen kann wie den Fall eines Steines, lasse ich es ganz.
Es lebe der Würfel!

>> "Herr Meyer, ich habe Ihnen jetzt mal ein negatives Gutachten geschrieben.
>> Das kann natürlich völliger Unsinn sein, denn als Ihr Gutachter habe ich
>> natürlich nicht den blassesten Schimmer, ob Sie, ganz speziell Sie, würdig
>> sind, daß man Ihnen den Führerschein wiedergibt. Aber von meinen 350
>> Gutachten pro Jahr sind immerhin 95 Prozent richtig, falls Ihnen das ein
>> Trost ist. Vielleicht sind Sie ja einer von den richtig Begutachteten.
>> Kopf
>> hoch."
>
> Die gegenwärtigen Gepflogenheiten und die Rechtslage haben in Herrn Meyer
> eine falsche Anspruchshaltung gezüchtet. Die richtige Haltung bestünde
> darin,

"Die richtige Haltung bestünde darin" - sag mal, Herr Dr. Gresch, kann es
sein, daß du während des Studiums in den Siebziger Jahren bei einer der
seminarmarxistischen Studentengruppen zugange warst? Diese
traumwandlerische Sicherheit, Gedanken in richtige und falsche einzuteilen,
ist mir persönlich bisher nur bei einer bestimmten Art von Marxisten
aufgefallen (und bei katholischen Theologen natürlich).

> einzusehen, dass man durch eine Trunkenheitsfahrt mit einem
> erheblichen Alkoholisierungsgrad sein Recht auf einen Führerschein im
> Prinzip verwirkt hat - und bestenfalls in Form eines Gnadenaktes, auf den es
> keinen Anspruch gibt, seinen Führerschein dennoch zurück erhalten kann. Für
> diesen Gnadenakt wären dann weise Richter gefragt, aber keineswegs Gutachter
> mit einem verfehlten Einzelfallwissenschaftsanspruch.
>>

Diesen deinen letzten Satz sollte man sich genüßlich auf der Zunge zergehen
lassen. Aaah! Von hohen Ansprüchen an die Wissenschaftlichkeit von Urteilen
ausgehend, lande ich am Ende beim Weisen Salomon, der mir mit seiner
Lebenserfahrung aus dem Dilemma hilft.


>
>> Es geht drum, dem Einzelnen gerecht zu werden. Darauf hat er einen
>> Anspruch.
>
> Ja, und diesen Zahl sollte man den Leuten ziehen, falls erforderlich, durch
> Gesetzesänderung.
>

"Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan
hätte, wurde er eines Morgens verhaftet."


> ...
>> Du bist nur dann auf der wirklich sicheren Seite, wenn du generell bei
>> Trunkenheit im Verkehr ab einer gewissen BAK den Führerschein lebenslang
>> entziehst.
>>
> Freilich, und so sollte es auch sein - mit der Möglichkeit eines
> Gnadenerweises, der nicht auf Gutachterei, sondern auf richterlicher
> Weisheit beruht. Wie dieser zu begründen wäre, ist keine Frage der
> Psychologie oder Medizin, sondern ein Frage des Rechts und seiner
> Philosophie.
>

Ich bin bloß ein Psychologe, dieses Scheiß-Menschenbeurteilen ist mir
einfach zu blöd. Wissen's was, Herr Richter, das machen Sie, Sie kriegen
das schon irgendwie hin. Ich als Psychologe hab kein Zeit für Weisheit, ich
muß rechnen.

Ciao
Wolfram
--
Raummordungsverfahren - Wenn Sie jetzt "Raumordnungsverfahren" gelesen
haben, haben Sie sich geirrt. Andererseits haben Sie natürlich durchaus
recht, in einem Höheren Sinne.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 15, 2007, 5:06:15 PM11/15/07
to
Am Thu, 15 Nov 2007 18:48:07 +0100 schrieb Ulrich Gresch:

> "Wolfram Heinrich" <theodo...@freenet.de> schrieb
>

>> Ich hatte es auch als Vergleich gemeint: Wer so diszipliniert ist, daß er
>> trotz heftigen Saufens die Karre stets und zuverlässig stehen läßt, hat
>> soviel Selbstdisziplin, daß er erst recht ganz mit dem Saufen aufhören
>> könnte. Das heißt, ich schätze das Abstinentwerden für immer noch
>> einfacher ein als das stets zuverlässige Trennen von Trinken und Fahren.
>
> Es kann beim gegenwärtigen Stand der Forschung wohl kein Zweifel mehr daran
> bestehen, dass kontrolliertes Trinken auch für langjährige, schwere
> Alkoholiker (Leute mit extrem riskantem Trinkverhalten) erreichbar ist.

Geben tut's viel.

> Warum sollte es für diese Leute nicht möglich sein, auch das Autofahren in
> ihre alkoholbezogene Verhaltenskontrolle einzubeziehen?

Möglich ist viel.

> Gibt es dazu Zahlen?

Ganz bestimmt.

> Rein intuitiv will es mir nicht plausibel erscheinen, dass Abstinenz
> leichter sein soll als kontrolliertes Trinken plus alkoholfreies Fahren.

Das sind jetzt zwei verschiedene Sachen. Das eine ist Abstinenz vs.
kontrolliertes Trinken, das andere ist kontrolliertes Trinken +
alkoholfreies Fahren.
Zu 1)
Ich weiß nicht, ob du irgendein Laster hast oder hattest, das du dir
abgewöhnen wolltest oder abgewöhnt hast, zum Beispiel Rauchen. Ich bin
Raucher, ich habe eine 7-jährige Abstinenzphase vorzuweisen, dazu einige
Versuche, das Rauchen drastisch einzuschränken. Und aus meiner Erfahrung
(die zählt nicht, ich erzähle es trotzdem) weiß ich, daß ganz aufhören
nicht leicht, aber doch sehr viel leichter und erfolgreicher ist als
Reduzieren.

Zu 2)
Wer es tatsächlich schafft, vom Alkoholmißbrauch wieder zu normalen
Alkoholkonsum zu kommen, der hat freilich keine Schwierigkeiten mehr mit
dem alkoholfreien Fahren.

>> Jetzt, Moment, jetzt sollten wir mal klären, wie es mit der Abstinenz
>> steht. Ich habe bewußt das Wort "Saufen" verwendet und es definiert als
>> "exzessiv trinken". Das Ende exzessiven Trinkens muß nicht zwangsläufig
>> die
>> Abstinenz sein, es kann auch das Wiederfinden eines problemfreien
>> Alkoholkonsums bedeuten. In diesem Falle würde das Trennen von Trinken und
>> Fahren klappen, bei fortgesetztem Alkoholmißbrauch höchstwahrscheinlich
>> aber nicht. Die dann wirksame Dynamik ist zu mächtig.
>
> Gut, oben sprach ich vom kontrollierten Trinken, dies dürfte deinem
> problemfreien Alkoholkonsum entsprechen.

Richtig. Ich mag bloß den Ausdruck "kontrolliertes Trinken", er suggeriert,
daß der Betreffende ständig dahinter sein muß, daß er nicht zu viel trinkt.
Problemfreier Alkoholkonsum ist dagegen Mäßigkeit, die sich von selber
einstellt, weil kein Bedürfnis (mehr) nach Übermaß da ist.

> Ich gehe aber noch einen Schritt weiter und behaupte, dass auch
> Problemtrinker in der Lage sein könnten, in Zukunft auf das betrunkene
> Autofahren zu verzichten - und wenn man ihnen im Einzelfall Gerechtigkeit
> widerfahren lassen will, so darf man diese Möglichkeit nicht ausschließen.
> Sie ist nur nicht sehr wahrscheinlich.

Eben. Wie käme ich dazu, ein positives Gutachten zu schreiben, wenn ich
weiß, daß problemfreies Verhalten bei dem Betreffenden sehr
unwahrscheinlich ist?

> Genau darum bin ich ja auch für eine
> statistische Denkweise in diesem Bereich und dagegen, auf den Einzelfall
> abzustellen. Eine Einzelfallprognose ist aus logischen Gründen unmöglich.
> Und so sollte dem notorischen Trunkenheitsfahrer der Führerschein allenfalls
> in Form eines Gnadenerweises zurückgegeben werden. Es sollte hier keinen an
> eine "faire" Begutachtung gekoppelten Rechtsanspruch geben.
>>

Es lebe die Wissenschaft! Es lebe der Würfel!

>> Sag an, Gevatter Gresch, sind nicht "Empirische Wissenschaften" ein
>> anderes
>> Wort für Erfahrungswissenschaften?
>
> Erfahrung und Erfahrungswissenschaften sind zwei paar Stiefel. Die Erfahrung
> bezieht sich immer auf n=1, es ist die jemeinige Erfahrung, subjektiv also.

Mir scheint, du bringst jetzt was durcheinander. Auf n=1 bezogene Erfahrung
heißt, die Erfahrung wurde an einem einzigen Einzelfall gewonnen. Im
zweiten Teil des Satzes aber stellst du drauf ab, daß eine (n=1)bezogene
Erfahrung sich drauf bezieht, daß eine bestimmte, einzige Person diese oder
eine andere Erfahrung macht.

>> Sei mit so einer Behauptung vorsichtig. In der Wirtschaft - heißt hier
>> wohl: bei Personalauslese und -förderung - sind einige Rahmenbedingungen
>> völlig anders. Kein Bewerber auf eine Stelle hat einen Anspruch auf diese
>> Stelle, er kann keine Begründung der Firma dafür verlangen, warum er nicht
>> genommen (oder befördert) wurde, zumindest keine, die einer Klage
>> standhalten müßte. Eine Firma kann sagen: "Wir picken uns aus den 100
>> Bewerbern die 10 wahrscheinlich geeignetsten Leute heraus, 1 bis zwei
>> werden trotzdem Nieten sein, aber pfeif drauf, so ist der Lauf der Welt."
>> Bei der MPU hast du Leute, die ihren Führerschein unbedingt wiederhaben
>> wollen, die einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung haben.
>
> Ja, und das ist der Knackpunkt. Diesen Rechtsanspruch sollte es nicht geben,
> weil er zu der von dir des öfteres geschilderten absurden Konsequenz führt,
> dass viel mehr Leute den Führerschein zurückerhalten, als unter
> Zugrundelegung wissenschaftlicher Maßstäbe gerechtfertigt ist. Dieser
> Rechtsanspruch führt also zu einer vermeidbaren Gefährdung der
> Allgemeinheit. Und das ist nicht gut, sondern schlecht.
>

Tja. Anderes ist politisch nicht durchsetzbar.
Ich zitiere mich der Einfachheit halber selbst:
"Im Dezember des Jahres 1982 hatte der regionale Polizeipräsident in drei
niederbayerischen Landkreisen verstärkte Alkoholkontrollen durchführen
lassen. Die "Aktion Blasrohr", so der offizielle Name, sollte bis in die
Sommermonate 1983 hinein dauern und war eine Reaktion auf die in ganz
Niederbayern auffallend hohe Unfallhäufigkeit unter Alkoholeinfluß. Da man
die Kraftfahrer in erster Linie nicht erwischen, sondern sie vielmehr vom
alkoholisierten Fahren abschrecken wollte, war der Plan einige Zeit vorher
in den Medien bekanntgemacht worden.
In den Monaten Dezember ‘82 und Januar ‘83 ging die Zahl der
Unfallverletzten um 50 Prozent zurück, die Zahl der Unfalltoten gar von 4
in den beiden Vergleichsmonaten des Vorjahres auf Null in diesem Jahr
zurück. Zahlen für Februar etc. konnten nicht erhoben wurden, da die Aktion
Ende Januar 1983 wieder gestoppt wurde. Die "Aktion Blasrohr" hatte nämlich
den Nebeneffekt, daß nicht nur die Zahl der Fahrten unter Alkoholeinfluß
zurückging, sondern auch der Alkoholkonsum an sich. Die darüber verärgerten
Bierbrauer und Wirte klagten dem Passauer CSU-Bundestagsabgeordneten ihr
Leid. Dieser schrieb einen Brief an das Bayerische Innenministerium,
welches daraufhin die - zuvor gebilligte - Aktion wieder stoppte.
Was zum einen die ungemein sensible und rasch reagierende Rationalität der
Trunkenheitsfahrer beweist, welche sofort auf die drastische Veränderung
der Auffallenswahrscheinlichkeit reagiert haben. Ihre
Kosten-/Nutzenrechnung war durcheinanderwirbelt worden, der
Schadens-Erwartungswert für "Alkoholisiert Fahren" deutlich erhöht. Zwei
Monate lang hat sich das Fahren unter Alkoholeinfluß in dieser Region nicht
mehr ausgezahlt und sofort sind die Alkoholfahrten dramatisch
zurückgegangen. Zum anderen macht dieses Beispiel natürlich mit aller nur
wünschenswerten Brutalität deutlich, daß jegliches Bemühen um eine
Verbesserung pathologischen Alkoholkonsumverhaltens dort ihre Grenzen
findet, wo eine tatsächliche Veränderung zu befürchten wäre.


> ...
>> Ich weiß auch, daß die Verhaltenstherapie relativ kostengünstig ist.
>>
> Am kosteneffizientesten sind selbsthilfeorientierte Ansätze, wie die
> MATCH-Studie und viele andere Untersuchungen beweisen.
>

Jesus, dazu brauche ich keine Studie. Selbsthilfegruppen bestehen aus
Betroffenen, die Leiter solcher Gruppen bekommen allenfalls eine kleine
Entschädigung. Alle anderen Ansätze werden von Profis gemacht, die halt
doch den einen oder anderen Euro auf ihrem Konto sehen wollen.

Ciao
Wolfram
--
wenn / ihr einen / schweinebraten / könnt gebrauchen
kommt her / ich will euch / einer sein
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 17, 2007, 3:10:18 AM11/17/07
to
Am Thu, 15 Nov 2007 23:06:15 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

> Am Thu, 15 Nov 2007 18:48:07 +0100 schrieb Ulrich Gresch:
>

...


> Und aus meiner Erfahrung
> (die zählt nicht, ich erzähle es trotzdem) weiß ich, daß ganz
> aufhören nicht leicht, aber doch sehr viel leichter und erfolgreicher ist
> als Reduzieren.

Ich hatte ein breites Spektrum an Lastern, ohne jemals eine Fuhrpark
besessen zu haben. All diese... hmm, fast all diese Laster habe ich mir
abgewöhnt, zur Zeit kämpfe ich noch mit dem Übergewicht, aber das
kriege ich auch in den Griff. Beim Abgewöhnen habe ich diverse Methoden
versucht: Sofort aufhören, langsam auf Null reduzieren, kontrolliert
konsumieren. Alles hat funktioniert, nicht immer auf Anhieb, aber
schlussendlich dann doch. Mein Fazit: Wie immer bei Psycho-Kisten, so auch
hier: Die Methoden sind unerheblich und austauschbar, solange man nur dran
glaubt, den festen Willen hat und in der Beharrlichkeit eine
erstrebenswerte Tugend sieht. Hinterher greift man sich ohnehin an den
Kopf und fragst sich: Mensch, wie konntest du so blöd sein, solange
diesen Scheiß zu betreiben?
Lässt sich das verallgemeinern? Ich denke schon. Wenn man beispielsweise
den Leuten suggeriert, kontrolliertes Trinken sei zum Scheitern
verurteilt, dann steigt, besonders bei den Suggestibleren, die
Wahrscheinlichkeit, dass sie bei dem Versuch eine Bauchlandung machen.
Redet man den Leuten ein, dass sie nach dem ersten Schluck quasi
automatisch dem Alkoholexzess verfallen und brutal rückfällig werden,
dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Leute, die anfällig fürs
Einreden sind, nach einer alkoholgefüllten Praline volltrunken im
Straßengraben landen. Die Sucht-Ideologen sollten also vorsichtig sein
mit dem, was sie ihrer Klientel einreden. So ist das auch mit den
Trunkenheitsfahrten.
Wie das mit den Methoden bei Psycho-Kisten ist, wurde ja nun wirklich
gründlich erforscht. Wir wissen inzwischen definitiv, dass sie weitgehend
austauschbar sind. Das ist bei Sucht-Geschichten nicht anders.
Psychologen, die auf rationaler Grundlage arbeiten wollen, sollten dies
bedenken.
...

> Richtig. Ich mag bloß den Ausdruck "kontrolliertes Trinken", er
> suggeriert, daß der Betreffende ständig dahinter sein muß, daß er
> nicht zu viel trinkt. Problemfreier Alkoholkonsum ist dagegen Mäßigkeit,
> die sich von selber einstellt, weil kein Bedürfnis (mehr) nach Übermaß
> da ist.

Na ja, man kann die Kontrolle auch automatisieren. Sie läuft in diesem
Fall unbewusst ab - und dann stellt sich die Mäßigkeit (scheinbar) von
selbst ein. Exzess und Mäßigung - beides beruht auf automatisierten,
meist unbewussten Plänen.
...


>
> Eben. Wie käme ich dazu, ein positives Gutachten zu schreiben, wenn ich
> weiß, daß problemfreies Verhalten bei dem Betreffenden sehr
> unwahrscheinlich ist?

Das kannst du aber nicht wissen. Du kannst allenfalls wissen, dass er
aufgrund einer bestimmten Merkmalskombination zu einem Kollektiv gehört,
in dem das Zielverhalten hoch wahrscheinlich ist.
Wahrscheinlichkeitsaussagen des Typs, der hier zur Debatte steht, beruhen
auf relativen Häufigkeiten sowie voneinander unabhängigen
Elementarereignissen - und gelten allein deswegen nur für Aggregate.
...


> Es lebe die Wissenschaft! Es lebe der Würfel!

Es wird doch überhaupt nicht gewürfelt. Das Vorgehen ist strikt
rational. Man weiß, dass Einzelfallprognosen nicht möglich sind. Daher
kann eine auf statistischen Erwägungungen beruhende Verweigerung des
Führerscheins durchaus der Persönlichkeit des betroffenen Subjekts nicht
gerecht werden. Das statistische Auswahlverfahren ist also kein Würfeln,
sondern im Gegenteil ein zufallskritisches Vorgehen. Es dient nur nicht
dem Individuum und stellt auch nicht auf den Einzelfall ab, sondern es
reduziert die Wahrscheinlichkeit von Fehlprognosen auf lange Sicht bei
einer großen Zahl von Individuen. Das kann doch eigentlich so schwer nun
auf wieder nicht zu begreifen sein.
...

> Mir scheint, du bringst jetzt was durcheinander. Auf n=1 bezogene
> Erfahrung heißt, die Erfahrung wurde an einem einzigen Einzelfall
> gewonnen. Im zweiten Teil des Satzes aber stellst du drauf ab, daß eine
> (n=1)bezogene Erfahrung sich drauf bezieht, daß eine bestimmte, einzige
> Person diese oder eine andere Erfahrung macht.

Ja, natürlich. In der empirischen Wissenschaft macht ja auch nicht nur
eine einzelne Person (n=1) die Erfahrung, sondern die Forschung ist von
vorneherein so gestaltet, dass viele Personen (n>1) diese Erfahrung machen
können. Experimente beispielsweise sollen reproduzierbar sein. Das nennt
man intersubjektive Überprüfung. Davon verspricht man sich zu recht mehr
Objektivität als bei n=1.
...

<Aktion Blasrohr>

Die Sache spricht für sich selbst. Ein Kommentar ist überflüssig.
Dasselbe stünde zu erwarten, wenn man die MPU durch ein solides
statistisches Verfahren ersetzen würde. Nur noch eine winzige Minderheit
würde den Führerschein zurück erhalten. Das Risiko von
Trunkenheitsfahrten würde also erheblich erhöht, ebenfalls mit den oben
beschriebenen Folgen.
Du sagst, dies sei politisch nicht durchsetzbar. Mag ja sein. Das ändert
aber nichts an der Tatsache, dass es richtig ist.
...

> Jesus, dazu brauche ich keine Studie. Selbsthilfegruppen bestehen aus
> Betroffenen, die Leiter solcher Gruppen bekommen allenfalls eine kleine
> Entschädigung. Alle anderen Ansätze werden von Profis gemacht, die halt
> doch den einen oder anderen Euro auf ihrem Konto sehen wollen.
>

Freilich. Und die MATCH-Studie zeigte auch, dass Profis keine höheren
Erfolgsquoten haben als Selbsthilfegruppen, also Laien. Man könnte also
für dasselbe Geld mehr Alkis "kurieren", wenn man die Profis durch
Selbsthilfeansätze ersetzen würde. Hier haben wir wieder denselben
Effekt wie oben. Wirtschaftliche Partialinteressen verhindern sinnvolle
Lösungen und darum müssen Menschen sterben, die gerettet werden könnten.

Gruß
Ulrich
- -
http://blog.ppsk.de

PS: Mir ist bewusst, dass auch Selbsthilfeansätze nicht unproblematisch
sind. Besonders die AA kann man kontrovers diskutieren. Das ändert aber
nichts an meiner generellen Einschätzung.

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 17, 2007, 3:41:12 AM11/17/07
to
Am Thu, 15 Nov 2007 23:06:15 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


> Richter sind nach meiner Erfahrung eifersüchtig drauf bedacht, daß ihnen
> der psychologische oder medizinische oder technische Gutachter nicht die
> Entscheidung vorwegnimmt.

Das ist auch richtig so. Kraft seines Amtes obliegt es nämlich dem
richter und nur ihm, das Urteil zu sprechen.

> Nur: Ihr juristischer Sachverstand braucht
> dummerweise ein paar Fakten, um sinnvoll arbeiten zu können. Ob der
> Angeklagte gaga ist, können und wollen sie nicht beurteilen, sie holen
> sich deshalb den psychologischen, bzw. psychiatrischen Gutachter.

Ja, und hier steckt der Wurm im Holze der altersschwachen Gerichtsbänke.
Auch ein Psychologe oder Psychiater kann nicht wissen, ob ein Angeklagter
GAGA ist. Er kann allenfalls wissen, dass der Angeklagte eine bestimmte
Kombination von Merkmalen besitzt, die ihn als Angehörigen einer
Grundgesamtheit ausweist, in der bestimmte Verhaltensmuster
(beispielsweise Fremd- oder Selbstgefährdung, Geschäftsunfähigkeit
etc.) gehäuft auftreten. Erwartet der Richter nur eine
einzelfallspezifische Beurteilung, dann ist er schief gewickelt. Er
erwürbe sich so nur eine Scheinsicherheit und betriebe eine
Verantwortungsprojektion, die im aufgrund seines Amtes gar nicht gestattet
ist.

> Wenn
> ihnen der nun erklärt, daß er auch nicht wisse, was Sache sei, daß er
> glaube, daß überhaupt niemand wisse noch wissen könne, was im
> Einzelfall Sache sei, dann wird er Frustration beim Hohen Gericht
> hinterlassen.

Zweifellos. Falsche Erwartungen werden enttäuscht. Doch dies dient
letztlich der Wahrheitsfindung.
>
...


> Das Dumme dran ist nur, daß Gerichte Einzelfälle verhandeln müssen,
> daß Führerscheinstellen und andere Behörden Einzelfallentscheidungen
> treffen müssen.

So ist es. Darum sollen sie sich auf das stützen, was man wissen kann. Da
wären zuerst und zuförderst die Taten in der Vergangenheit zu nennen.
Was der Angeklagte getan hat, soll Grundlage des Urteils sein.
Modifizierend kann dann noch eine Prognose hinzutreten. Doch diese kann
niemals in einer Abwägung der individuellen Risiken bestehen. Das geht
einfach nicht. Bei der Prognose kann es allenfalls darum gehen, Methoden
anzuwenden, die den Schaden für die Allgemeinheit auf lange Sicht und
eine große Zahl von Verurteilten vermindern.


>
>> Einzelfall-"Wissenschaft" ist schlimmer als Kaffesatzlesen.
>>>
> Heißt umgekehrt: Kaffeesatzlesen ist besser als
> Einzelfall-"Wissenschaft". Weil ich das künftige Verhalten eines Menschen
> nicht mit derselben Exaktheit voraussagen kann wie den Fall eines Steines,
> lasse ich es ganz. Es lebe der Würfel!

Nein, man kann das Verhalten des Einzelnen nicht nur mit geringerer
Exaktheit vorhersagen. Man kann es - auf wissenschaftlicher Basis -
überhaupt nicht vorhersagen. Das ist doch der Witz. Es gibt im Einzelfall
nämlich nur zwei Zustände: Herr Meyer zeigt das Verhalten A (Zustand 1).
Herr Meyer zeigt das Verhalten A nicht (Zustand 2). Die
Wahrscheinlichkeit, dass Herr Meyer das Verhalten A zeigt, ist also
entweder 1 oder 0. Noch einmal: Das einzige, was ich wissenschaftlich
begründet sagen kann, lautet: Die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Meyer
wieder trunken fährt, ist entweder 1 oder 0. Jede von dieser Aussage
abweichende Wahrscheinlichkeitsschätzung bezieht sich nicht mehr auf
Herrn Meyer, sondern allenfalls auf das Kollektiv, dem er zugehört.
...


> "Die richtige Haltung bestünde darin" - sag mal, Herr Dr. Gresch, kann es
> sein, daß du während des Studiums in den Siebziger Jahren bei einer der
> seminarmarxistischen Studentengruppen zugange warst? Diese
> traumwandlerische Sicherheit, Gedanken in richtige und falsche
> einzuteilen, ist mir persönlich bisher nur bei einer bestimmten Art von
> Marxisten aufgefallen (und bei katholischen Theologen natürlich).

Nein, bei den Seminarmarxisten war ich niemals. Marx allerdings schätze
ich nach wie vor sehr. Er war zwar ein lausiger Philosoph, aber dafür ein
hervorragender Nationalökonom. Als solcher hatte er zwar kaum Einfluss
auf die heute zu recht untergegangenen "sozialistischen" Staaten, wohl
aber auf so bedeutende Denker wie Keynes (der davon nichts wusste) oder
Keynes' Schülerin Joan Robinson, der dies klar war. Nein, meine Neigung,
klar zu sagen, was ich meine und wozu ich stehe, wurde
mir nicht in seminarmarxistischen Gruppen antrainiert, sondern in den
Gruppendynamik-Seminaren, mit denen ich in den ersten Semestern meines
Studiums erfreut wurde.
>
...


> Diesen deinen letzten Satz sollte man sich genüßlich auf der Zunge
> zergehen lassen. Aaah! Von hohen Ansprüchen an die Wissenschaftlichkeit
> von Urteilen ausgehend, lande ich am Ende beim Weisen Salomon, der mir mit
> seiner Lebenserfahrung aus dem Dilemma hilft.

Man sollte schon unterscheiden können, wo Wissenschaft angebracht ist und
wo nicht. Wenn du beispielsweise eine Gerichtsveranstaltung vor deinen
inneren Sinnen rekapitulierst, dann lässt du auch das Personal Revue
passieren: Das gibt es Angeklagte, Verteidiger, Richter, Geschworene,
Zeugen, Gutachter - jeder hat seine Aufgaben. Zu den Aufgaben des Richters
gehört es, das Urteil zu sprechen. So ist das nun einmal geregelt.
Darüber musst du dir als Psychologe nun wirklich nicht den Kopf
zerbrechen.
...


> Ich bin bloß ein Psychologe, dieses Scheiß-Menschenbeurteilen ist mir
> einfach zu blöd. Wissen's was, Herr Richter, das machen Sie, Sie kriegen
> das schon irgendwie hin. Ich als Psychologe hab kein Zeit für Weisheit,
> ich muß rechnen.

Ja, ein bisschen Bescheidenheit ist immer erquickend und labend.

werner stangl

unread,
Nov 17, 2007, 4:21:24 AM11/17/07
to
Hans Ulrich Gresch schrieb:

> Freilich. Und die MATCH-Studie zeigte auch, dass Profis keine höheren
> Erfolgsquoten haben als Selbsthilfegruppen, also Laien.

Und wie schauts bei Selbsthilfegruppen aus, die von Profis unterstützt -
nicht geleitet! - werden?

8-}) w<ketzerisch.wie.immer>s
--
was sie immer schon über alkohol wissen wollten …
http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/SUCHT/Alkohol.shtml

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 17, 2007, 5:05:59 AM11/17/07
to
Am Sat, 17 Nov 2007 10:21:24 +0100 schrieb werner stangl:

> Hans Ulrich Gresch schrieb:
>
>> Freilich. Und die MATCH-Studie zeigte auch, dass Profis keine höheren
>> Erfolgsquoten haben als Selbsthilfegruppen, also Laien.
>
> Und wie schauts bei Selbsthilfegruppen aus, die von Profis unterstützt -
> nicht geleitet! - werden?

Hierzu kenne ich keine Studien. Mein Tipp: Wenn der Profi tatsächlich
/nur/ unterstützt, assistiert und nicht "leitet" oder heimlich steuert,
also kein Helfersyndrom hat oder es meistert, dann wird er vermutlich
zumindest nicht schaden.
>
Gruß
Ulrich
- -
Alkohol - das unbekannte Rauschgift

http://www.herz-hirn-und-hand.de/psycho/alkohol/index.html


Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 17, 2007, 5:34:10 AM11/17/07
to
Am Wed, 14 Nov 2007 15:35:43 +0100 schrieb Karl-Heinz Zeller:

> Guten Tag allerseits,
>
> Die gefragte MPU-Statistik kann ich auch nicht liefern, aber zum
> Alkoholkonsum und den Folgen kann ich einen Link anbieten. Deutschland ist

> EU-Meister was den Pro-Kopf-Konsum angeht, und eine Steigerung bei den


> Rauschtrinkern (mehr als 5 Glaeser alk. Getraenk in kurzer Zeit) um 10% in
> den letzten 3 Jahren wuerde ich als bedenklich einstufen.
>

> http://www.stern.de/wissenschaft/mensch/602301.html?pr=1
>
Guten Tag, Karl-Heinz,

der Stern-Artikel bezieht sich vor allem auf Zahlen und Einschätzungen
der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, DHS. Diese sagt über
sich selbst: "Die DHS wurde 1947 gegründet, um allen in der
Suchtkrankenhilfe bundesweit tätigen Verbänden und gemeinnützigen
Vereinen eine Plattform zu geben. Mit wenigen Ausnahmen sind sämtliche
Träger der ambulanten Beratung und Behandlung, der stationären
Versorgung und der Selbsthilfe in der DHS vertreten."
(http://www.dhs.de/web/dhs/aufgaben.php).
Mit anderen Worten: Hinter der DHS steht die geballte Kraft des
Suchthilfegeschäfts in Deutschland. Ohne diesen wohlmeinenden Menschen zu
nahe treten zu wollen, könnte sich doch der Verdacht aufdrängen, dass
diese die Dimensionen des "Suchtproblems" vielleicht in einer Weise
einschätzen, die ihnen möglichst viele Ansatzpunkte für ihre
segensreiche Tätigkeit bietet. Frage also: Wie zuverlässig sind denn
diese Daten, die du hier an uns weiterleitest?

Gruß
Ulrich
- -
http://www.mind-control.psychoprobleme.de


Wolfram Heinrich

unread,
Nov 17, 2007, 4:40:26 PM11/17/07
to
Am Sat, 17 Nov 2007 09:41:12 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Thu, 15 Nov 2007 23:06:15 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Richter sind nach meiner Erfahrung eifersüchtig drauf bedacht, daß ihnen
>> der psychologische oder medizinische oder technische Gutachter nicht die
>> Entscheidung vorwegnimmt.
>
> Das ist auch richtig so. Kraft seines Amtes obliegt es nämlich dem
> richter und nur ihm, das Urteil zu sprechen.
>

Es war meinerseits ja auch keine Kritik, sondern nur eine Feststellung. Du
hattest ja zuvor geargwöhnt, manch forensischer Gutachter würde dem Richter
das Urteil aus der Hand nehmen. Der Gutachter, der dies versuchte, hätte
ausgeschissen, nicht nur bei diesem einen Gericht, so was spricht sich rum,
der Justizapparat ist klein.

>> Nur: Ihr juristischer Sachverstand braucht
>> dummerweise ein paar Fakten, um sinnvoll arbeiten zu können. Ob der
>> Angeklagte gaga ist, können und wollen sie nicht beurteilen, sie holen
>> sich deshalb den psychologischen, bzw. psychiatrischen Gutachter.
>
> Ja, und hier steckt der Wurm im Holze der altersschwachen Gerichtsbänke.
> Auch ein Psychologe oder Psychiater kann nicht wissen, ob ein Angeklagter
> GAGA ist.

Mit dieser Aussage wird's jetzt aber ganz schwierig für klinische
Psychologen und Psychiater, eigentlich für alle psychologischen
Diagnostiker.

> Er kann allenfalls wissen, dass der Angeklagte eine bestimmte
> Kombination von Merkmalen besitzt, die ihn als Angehörigen einer
> Grundgesamtheit ausweist, in der bestimmte Verhaltensmuster
> (beispielsweise Fremd- oder Selbstgefährdung, Geschäftsunfähigkeit
> etc.) gehäuft auftreten.
> Erwartet der Richter nur eine
> einzelfallspezifische Beurteilung, dann ist er schief gewickelt. Er
> erwürbe sich so nur eine Scheinsicherheit und betriebe eine
> Verantwortungsprojektion, die im aufgrund seines Amtes gar nicht gestattet
> ist.
>

Spätestens der Richter selber muß ja nun eine "einzelfallspezifische
Beurteilung" über den Angeklagten abgeben, sprich: ein Urteil sprechen. Die
Wissenschaft läßt ihn im Stich, er muß also wieder auf Salomos Weisheit
zurückgreifen.

>> Wenn
>> ihnen der nun erklärt, daß er auch nicht wisse, was Sache sei, daß er
>> glaube, daß überhaupt niemand wisse noch wissen könne, was im
>> Einzelfall Sache sei, dann wird er Frustration beim Hohen Gericht
>> hinterlassen.
>
> Zweifellos. Falsche Erwartungen werden enttäuscht. Doch dies dient
> letztlich der Wahrheitsfindung.
>>

Welche letztlich darin besteht, zu sagen, daß man nichts wisse, noch wissen
könne. "Sperren Sie ihn ein, Herr Richter, oder schicken Sie ihn in die
Klappse oder sprechen Sie ihn frei. Es ist eh wurscht."

>> Das Dumme dran ist nur, daß Gerichte Einzelfälle verhandeln müssen,
>> daß Führerscheinstellen und andere Behörden Einzelfallentscheidungen
>> treffen müssen.
>
> So ist es. Darum sollen sie sich auf das stützen, was man wissen kann. Da
> wären zuerst und zuförderst die Taten in der Vergangenheit zu nennen.
> Was der Angeklagte getan hat, soll Grundlage des Urteils sein.

Bei der MPU ja nun gerade nicht. Für das, was er getan hat, ist er bereits
vom Richter abgewatscht worden. Wegen dem, was er getan hat, sieht's so und
so schlecht für ihn aus. Die MPU ist aber auf Veränderungsdiagnostik
angelegt, die es natürlich nicht gibt, so wenig, wie es Diagnostik gibt,
weil es bloß Untersuchungen über Populationen gibt.

> Modifizierend kann dann noch eine Prognose hinzutreten. Doch diese kann
> niemals in einer Abwägung der individuellen Risiken bestehen.

Ist also keine Prognose.

>>> Einzelfall-"Wissenschaft" ist schlimmer als Kaffesatzlesen.
>>>>
>> Heißt umgekehrt: Kaffeesatzlesen ist besser als
>> Einzelfall-"Wissenschaft". Weil ich das künftige Verhalten eines Menschen
>> nicht mit derselben Exaktheit voraussagen kann wie den Fall eines Steines,
>> lasse ich es ganz. Es lebe der Würfel!
>
> Nein, man kann das Verhalten des Einzelnen nicht nur mit geringerer
> Exaktheit vorhersagen. Man kann es - auf wissenschaftlicher Basis -
> überhaupt nicht vorhersagen. Das ist doch der Witz.

Der andere Witz ist natürlich, daß man es - auf welcher Basis immer - halt
doch kann. Wenn der Franze um 8 Uhr abends am Freitag beim Unterwirt bei
der Tür reinkommt und sich an den Stammtisch setzt, dann kann ich - weil
ich den Franze, den Schlawiner, halt kenn - voraussagen, daß er den
Unterwirt nicht vor halb eins und nicht unter 15 Weißbier und 8 Schnaps
verlassen wird.

> Es gibt im Einzelfall
> nämlich nur zwei Zustände: Herr Meyer zeigt das Verhalten A (Zustand 1).
> Herr Meyer zeigt das Verhalten A nicht (Zustand 2). Die
> Wahrscheinlichkeit, dass Herr Meyer das Verhalten A zeigt, ist also
> entweder 1 oder 0.

Was? 1 oder 0 sind keine Wahrscheinlichkeiten mehr, sondern Gewißheiten.

> Noch einmal: Das einzige, was ich wissenschaftlich
> begründet sagen kann, lautet: Die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Meyer
> wieder trunken fährt, ist entweder 1 oder 0.

Heißt: "Das einzige, was ich wissenschaftlich begründet sagen kann", ist
eine Plattheit. Eine Plattheit zudem, die - anders als die meisten anderen
Plattheiten - noch nicht mal richtig ist. Denn natürlich handelt es sich
bei 1 oder 0 nicht mehr um Wahrscheinlichkeiten.

> Jede von dieser Aussage
> abweichende Wahrscheinlichkeitsschätzung bezieht sich nicht mehr auf
> Herrn Meyer, sondern allenfalls auf das Kollektiv, dem er zugehört.
> ...

Heißt wiederum: Ich kann über Herrn Meyer wissenschaftlich begründet gar
nichts sagen. Wir packen also unsere Sachen zusammen und gehen nachhause.
Was mich jetzt allerdings schon mal interessieren würde: Wenn ihr für ein
Forschungsprojekt Gelder beantragt - frägt da niemals einer nach, wozu das
Ganze denn gut sei? Und falls einer frägt, lügt ihr dem dann eiskalt ins
Gesicht ins Gesicht und sagt: "Hören Sie, Herr Abgeordneter, unser
Forschungsprojekt ist zu gar nichts gut. Aber, sagen Sie selbst, es ist
doch irgendwie nett, wenn man sagen kann, daß 65 Prozent der Leute
kolmolfisch sind, 35 Prozent dagegen asklyptisch."

>> Diesen deinen letzten Satz sollte man sich genüßlich auf der Zunge
>> zergehen lassen. Aaah! Von hohen Ansprüchen an die Wissenschaftlichkeit
>> von Urteilen ausgehend, lande ich am Ende beim Weisen Salomon, der mir mit
>> seiner Lebenserfahrung aus dem Dilemma hilft.
>
> Man sollte schon unterscheiden können, wo Wissenschaft angebracht ist und
> wo nicht.

Dein Begriff von psychologischer Wissenschaft kommt mir allmählich vor wie
ein hochleistungsfähiger Motor in einem Rennwagen, bei dem es streng
verboten ist, Reifen zu montieren. Die Kraft ist da, wrrrummm, wrrrummm,
aber fahren darf der Wagen nicht.

>> Ich bin bloß ein Psychologe, dieses Scheiß-Menschenbeurteilen ist mir
>> einfach zu blöd. Wissen's was, Herr Richter, das machen Sie, Sie kriegen
>> das schon irgendwie hin. Ich als Psychologe hab kein Zeit für Weisheit,
>> ich muß rechnen.
>
> Ja, ein bisschen Bescheidenheit ist immer erquickend und labend.
>

Du magst es Bescheidenheit nennen, mir scheint diese Art von Bescheidenheit
ganz nah an Arroganz heranzureichen.

Ciao
Wolfram
--
Der Franze hat gsagt, er würd ja gerne eine Pizza mögen. Aber, sagt er, er
bringt sie nicht ums Verrecken runter.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 18, 2007, 6:47:48 AM11/18/07
to
Am Sat, 17 Nov 2007 09:10:18 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Thu, 15 Nov 2007 23:06:15 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
>> Eben. Wie käme ich dazu, ein positives Gutachten zu schreiben, wenn ich
>> weiß, daß problemfreies Verhalten bei dem Betreffenden sehr
>> unwahrscheinlich ist?
>
> Das kannst du aber nicht wissen. Du kannst allenfalls wissen, dass er
> aufgrund einer bestimmten Merkmalskombination zu einem Kollektiv gehört,
> in dem das Zielverhalten hoch wahrscheinlich ist.
> Wahrscheinlichkeitsaussagen des Typs, der hier zur Debatte steht, beruhen
> auf relativen Häufigkeiten sowie voneinander unabhängigen
> Elementarereignissen - und gelten allein deswegen nur für Aggregate.
> ...

Wenn ich einmal würfle, dann ist die Wahrscheinlichkeit für eine "1" ein
Sechstel, das ganze ist ein ziemlich unsicherer Ausgang. Wenn ich eine
Million mal würfle, dann weiß ich (so gut man halt je etwas wissen kann),
daß ein Sechstel aller Würfel die Zahl "1" ergeben werden. Das ist dann
eben gerade keine Wahrscheinlichkeit mehr. Das Verhalten eines einzelnen
Atoms ist nicht vorhersagbar, das Verhalten eines Riesenkollektivs von
Atomen dagegen sehr.
Wenn ich eine Gesamtheit untersuche und finde, daß dort 75 Prozent der
Individuen (Menschen, Plattwürmer etc.) das Zielverhalten zeigen, dann
besteht nicht eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent, daß sie dies
Verhalten zeigen, dann *weiß* ich, daß 75 Prozent dies Verhalten aufweisen.
Wenn ich mir dagegen - ohne näher hinzuschauen - ein Individuum aus dieser
Gesamtheit herauspicke, dann kann ich mit einigem Fug sagen, daß dies
Individuum mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent das Zielverhalten
zeigen wird.
Schaue ich mir dagegen das Individuum etwas näher an, vor allem im Hinblick
auf wahrnehmbare Merkmale, die häufig zusammen mit dem gesuchten Verhalten
auftreten, dann kann ich die Wahrscheinlichkeit für mein bestimmtes
Individuum erhöhen oder eben erniedrigen. "Das ist zwar ein Ost-Asiate, er
wird also sehr wahrscheinlich Schwierigkeiten mit dem Konsum von Milch
haben, aber es ist ein Ost-Asiate mit angewachsenen Ohrläppchen, also wird
er sehr wahrscheinlich keine Schwierigkeiten mit Milch haben (jetzt mal
frech vorausgesetzt, es wäre ein Zusammenhang zwischen angewachsenen
Ohrläppchen und Milchverträglichkeit festgestellt worden.)

>> Es lebe die Wissenschaft! Es lebe der Würfel!
>
> Es wird doch überhaupt nicht gewürfelt. Das Vorgehen ist strikt
> rational. Man weiß, dass Einzelfallprognosen nicht möglich sind. Daher
> kann eine auf statistischen Erwägungungen beruhende Verweigerung des
> Führerscheins durchaus der Persönlichkeit des betroffenen Subjekts nicht
> gerecht werden. Das statistische Auswahlverfahren ist also kein Würfeln,
> sondern im Gegenteil ein zufallskritisches Vorgehen. Es dient nur nicht
> dem Individuum und stellt auch nicht auf den Einzelfall ab, sondern es
> reduziert die Wahrscheinlichkeit von Fehlprognosen auf lange Sicht bei
> einer großen Zahl von Individuen.

Für das Individuum ist genau das Würfeln. Er schaut mich gar nicht näher
an, er sagt nur, ich gehöre zu der und der Gruppe und dann schmeißt er drei
von vieren ins schwarze Körbchen und eines ins weiße. Das kann doch
eigentlich so schwer nun auch wieder nicht zu begreifen sein.

>
>> Mir scheint, du bringst jetzt was durcheinander. Auf n=1 bezogene
>> Erfahrung heißt, die Erfahrung wurde an einem einzigen Einzelfall
>> gewonnen. Im zweiten Teil des Satzes aber stellst du drauf ab, daß eine
>> (n=1)bezogene Erfahrung sich drauf bezieht, daß eine bestimmte, einzige
>> Person diese oder eine andere Erfahrung macht.
>
> Ja, natürlich. In der empirischen Wissenschaft macht ja auch nicht nur
> eine einzelne Person (n=1) die Erfahrung, sondern die Forschung ist von
> vorneherein so gestaltet, dass viele Personen (n>1) diese Erfahrung machen
> können. Experimente beispielsweise sollen reproduzierbar sein. Das nennt
> man intersubjektive Überprüfung. Davon verspricht man sich zu recht mehr
> Objektivität als bei n=1.
> ...

Wenn der Einzelfallpsychologe einen Fall beschreibt und die anderen
Einzelfallpsychologen müssen sich sagen, diese Art von Leuten ist mir noch
nie begegnet, die kenne ich nicht, dazu kann ich aus meiner Erfahrung nix
beisteuern, dann wird das ein vielleicht interessanter, bizarrer Fall
werden, die allgemeine Wissenschaft wird zunächst relativ wenig davon
haben.

>
> <Aktion Blasrohr>
>
> Die Sache spricht für sich selbst. Ein Kommentar ist überflüssig.
> Dasselbe stünde zu erwarten, wenn man die MPU durch ein solides
> statistisches Verfahren ersetzen würde. Nur noch eine winzige Minderheit
> würde den Führerschein zurück erhalten.

Und wer zu den Wenigen gehört, die den Führerschein zurückerhalten, das
wird ausgewürfelt. Wie du schon mehrfach ausgeführt hast, ist eine
wissenschaftliche Diagnose von Einzelpersonen ja nicht möglich.

>> Jesus, dazu brauche ich keine Studie. Selbsthilfegruppen bestehen aus
>> Betroffenen, die Leiter solcher Gruppen bekommen allenfalls eine kleine
>> Entschädigung. Alle anderen Ansätze werden von Profis gemacht, die halt
>> doch den einen oder anderen Euro auf ihrem Konto sehen wollen.
>>
> Freilich. Und die MATCH-Studie zeigte auch, dass Profis keine höheren
> Erfolgsquoten haben als Selbsthilfegruppen, also Laien. Man könnte also
> für dasselbe Geld mehr Alkis "kurieren", wenn man die Profis durch
> Selbsthilfeansätze ersetzen würde. Hier haben wir wieder denselben
> Effekt wie oben. Wirtschaftliche Partialinteressen verhindern sinnvolle
> Lösungen und darum müssen Menschen sterben, die gerettet werden könnten.
>

Der Psychologe Ulrich Gresch bietet auf seiner Website (seinen Websites)
psychologische Telefonberatung an. Gleichzeitig tönt er im Usenet rum,
psychologische Beratung, gar Therapie durch Profis sei Kacke,
Selbsthilfeansätze seien gefragt, sie seien erstens billiger und mindestens
genau so effektiv. Manchmal ist die Welt doch sehr rätselhaft.


>
> PS: Mir ist bewusst, dass auch Selbsthilfeansätze nicht unproblematisch
> sind. Besonders die AA kann man kontrovers diskutieren.

Das kann man, in der Tat. Deren religiöses Gesäusel ist ziemlich nervend,
wobei ich nicht weiß, inwieweit das in den jeweiligen Gruppen tatsächlich
so durchgezogen wird, wie es die offizielle Linie der Anonymen Alkoholiker
darstellt.

Ciao
Wolfram
--
Man soll das Vaterland weniger lieben als einen Menschen. Man soll vor
allem gegen sein Vaterland mißtrauisch sein. Es wird niemand leichter ein
Mörder als ein Vaterland ... Es ist viel größer und schwerer, einem
Menschen die Treue zu halten als einem Staat.
FRIEDRICH DÜRRENMATT
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 18, 2007, 8:18:35 AM11/18/07
to
Am Sun, 18 Nov 2007 12:47:48 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


> Wenn ich eine Gesamtheit untersuche und finde, daß dort 75 Prozent der
> Individuen (Menschen, Plattwürmer etc.) das Zielverhalten zeigen, dann
> besteht nicht eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent, daß sie dies
> Verhalten zeigen, dann *weiß* ich, daß 75 Prozent dies Verhalten
> aufweisen. Wenn ich mir dagegen - ohne näher hinzuschauen - ein
> Individuum aus dieser Gesamtheit herauspicke, dann kann ich mit einigem
> Fug sagen, daß dies Individuum mit einer Wahrscheinlichkeit von 75
> Prozent das Zielverhalten zeigen wird.

Unfug. Das Individuum zeigt das Verhalten nicht mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit. Es zeigt es (p=1). Oder es zeigt es nicht (p=0). Du
kannst nur sagen, dass es zu einem Kollektiv gehört, in dem 75 % das
Zielverhalten zeigen. Das ist aber eine Aussage über das Kollektiv, nicht
über das Individuum. Du weißt definitiv nicht, ob das Individuum zu den
75 % zählt oder nicht. Nehmen wir an, du bekommst nen Euro für ne
richtige Einschätzung. Du hast einen aus dem 75-%-Kollektiv vor dir. Klar
sagst du, ich bin doch nicht blöd, ich tippe, dass er das Zielverhalten
zeigt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder du gewinnst oder du
verlierst. Entweder du kriegst einen Euro oder keinen. Du bekommst nicht,
so oder so, 75 Cents. Du müsstest schon zehn, zwanzig, dreißig mal
tippen, um unter den gegebenen Bedingungen mit guter Wahrscheinlichkeit
deinen Gewinn zu maximieren. So ist das auch mit den Trunkenheitsfahrern.
Da hast du einen, der zu einem Kollektiv zählt, von dem 75 % nie wieder
besoffen fahren. Du sollst nun ein Gutachten abgeben. Wenn dein Gutachten
falsch ist und der eine, den du vor dir hast, wieder trunken fährt,
dann... sagen wir mal, wirst du erschossen. Hinterher bist du entweder tot
oder du lebst noch. Du bist nicht zu 75 % tot. Hätten nun aber 99 Klone
von dir dieselbe Aufgabe, dann wäre der Erwartungswert bei gegebener
Entscheidungsregel: 75 Überlebende. Was will ich damit sagen: Diese
stochastischen Entscheidungsregeln sind nur auf Kollektive anwendbar. Nun
fragst du zu recht: Wie würdest du dich entscheiden? Na klar, nach der
75-%-Regel. Dann stürbe ich ggf. zumindest in der Gewissheit, mein Leben
für den statistischen Glauben gelassen zu haben. Du merkst schon: Hinter
all dem steckt ein philosophisches Problem. Was ist eigentlich real?

> Schaue ich mir dagegen das Individuum etwas näher an, vor allem im
> Hinblick auf wahrnehmbare Merkmale, die häufig zusammen mit dem gesuchten
> Verhalten auftreten, dann kann ich die Wahrscheinlichkeit für mein
> bestimmtes Individuum erhöhen oder eben erniedrigen. "Das ist zwar ein
> Ost-Asiate, er wird also sehr wahrscheinlich Schwierigkeiten mit dem
> Konsum von Milch haben, aber es ist ein Ost-Asiate mit angewachsenen
> Ohrläppchen, also wird er sehr wahrscheinlich keine Schwierigkeiten mit
> Milch haben (jetzt mal frech vorausgesetzt, es wäre ein Zusammenhang
> zwischen angewachsenen Ohrläppchen und Milchverträglichkeit festgestellt
> worden.)

Du verschiebst das Problem nur. Auch die nunmehr von dir neu eingeführten
Wahrscheinlichkeitsverteilungen gelten nur für Kollektive. Vielleicht
sind angewachsene Ohrläppchen beim Kollektiv der Asiaten ja ein Indikator
für das Zielverhalten, aber genau bei dem Asiaten, den du vor dir hast,
ist es umgekehrt. Das weißt du nicht, und keine Statistik der Welt kann
es dir verraten. Und dies kann ich darum so sicher sagen, weil
Statistiken, die auf relativen Häufigkeiten beruhen, niemals auf n=1
angewendet werden können, aus logischen Gründen. Nehmen wir einmal an,
jemand habe die Merkmale A, B und B. Die ABCler zeigen zu 99,9 % das
Verhalten x. Dies wurde gemessen an Stichproben aus der Grundgesamtheit G.
Repräsentiert diese Grundgesamtheit nun alle Menschen? Hmmm. Sagen wir
mal, die Stichprobenselektion war, was niemand weiß, nicht 100-prozentig
repräsentativ. Es gibt eine andere, nicht erfasste Grundgesamtheit G' mit
dem zusätzlichen Merkmal D, in der nur 0,01 % das Verhalten x zeigen. Und
nun erwischt du ausgerechnet einen aus G'. Der hat zwar auch A, B und C,
aber zugleich D. Aber auf D hast du weder geachtet, noch wusstest du
überhaupt von seiner Bedeutung. Da stehst du dann mit deinem Latein und
wirst es auch nie merken, was falsch war, weil du ja sofort erschossen
wirst. Nur wenn man dich leben lässt und du noch viele Gutachten
schreiben und viele Menschen kennen lernen darfst, könntest du
herausfinden, welche Bedeutung D in bestimmten Kollektiven hat. Wir
transzendieren hier die individuelle Ebene, ob's dir passt oder nicht.
Es ist doch schon sprachlich ein Unfug zu behaupten, jemand zeige mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Verhalten oder besitze mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit ein Merkmal. Der Schiedrichter zeigte dem
Stürmer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Karte, die mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit rot war. Ja watt denn? Musste der nun vom
Platz oder nicht?


>
>>> Es lebe die Wissenschaft! Es lebe der Würfel!
>>
>> Es wird doch überhaupt nicht gewürfelt. Das Vorgehen ist strikt
>> rational. Man weiß, dass Einzelfallprognosen nicht möglich sind.
>> Daher kann eine auf statistischen Erwägungungen beruhende Verweigerung
>> des Führerscheins durchaus der Persönlichkeit des betroffenen
>> Subjekts nicht gerecht werden. Das statistische Auswahlverfahren ist
>> also kein Würfeln, sondern im Gegenteil ein zufallskritisches
>> Vorgehen. Es dient nur nicht dem Individuum und stellt auch nicht auf
>> den Einzelfall ab, sondern es reduziert die Wahrscheinlichkeit von
>> Fehlprognosen auf lange Sicht bei einer großen Zahl von Individuen.
>
> Für das Individuum ist genau das Würfeln. Er schaut mich gar nicht
> näher an, er sagt nur, ich gehöre zu der und der Gruppe und dann
> schmeißt er drei von vieren ins schwarze Körbchen und eines ins
> weiße. Das kann doch eigentlich so schwer nun auch wieder nicht zu
> begreifen sein.

Was hat das mit Würfeln zu tun? Das ist eine rationale Strategie zur
Verminderung der Zahl von Irrtümern auf lange Sicht, bei vielen Menschen.
Das ist auch keine willkürliche Maßnahme, die nichts mit dem Individuum
zu tun hat. Es besitzt die relevanten Merkmale ja tatsächlich, die ihn
als Mitglied einer Gruppe mit dem jeweiligen Zielverhalten ausweisen. Nur:
ob er dieses Zielverhalten dann tatsächlich auch zeigen wird, dies ist
eine ganz andere Frage. Nehmen wir mal an, es ginge um, hmmm, sagen wir
zur Abwechslung einmal Trunkenheitsfahrten. Kann doch sein, dass
derjenige, der durch den Test durchfällt, am nächsten Tag vor Gram
erblindet und dann sowieso kein Auto mehr fahren kann. Die Vorhersage,
er sei ein potentieller Rückfallfahrer, wäre also grottenfalsch. Auf der
individuellen Ebene kann man das nicht abhandeln.
>>
...


>> <Aktion Blasrohr>
>>
>> Die Sache spricht für sich selbst. Ein Kommentar ist überflüssig.
>> Dasselbe stünde zu erwarten, wenn man die MPU durch ein solides
>> statistisches Verfahren ersetzen würde. Nur noch eine winzige
>> Minderheit würde den Führerschein zurück erhalten.
>
> Und wer zu den Wenigen gehört, die den Führerschein zurückerhalten, das
> wird ausgewürfelt. Wie du schon mehrfach ausgeführt hast, ist eine
> wissenschaftliche Diagnose von Einzelpersonen ja nicht möglich.

Nein, es wird nicht ausgewürfelt. Es handelt sich hier schlicht und
ergreifend um eine Problem der Optimierung bei Zielkonflikt. Ziel 1:
Menschen, die gefehlt haben, eine Chance geben. Ziel 2: Die Allgemeinheit
vor Trunkenheitsfahrern zu schützen. Es handelt sich hier um zwei Ziele
der Allgemeinheit, unserer Gesellschaft. Gesucht ist eine Lösung, die
Menschen eine halbwegs faire Chance gibt, ohne einen unverantwortlichen
Anstieg der Trunkenheitsfahrten zu riskieren. Für diese
Optimierungsaufgabe eignen sich statistische Verfahren nun einmal am
besten.

>
...


>>
> Der Psychologe Ulrich Gresch bietet auf seiner Website (seinen Websites)
> psychologische Telefonberatung an. Gleichzeitig tönt er im Usenet rum,
> psychologische Beratung, gar Therapie durch Profis sei Kacke,
> Selbsthilfeansätze seien gefragt, sie seien erstens billiger und
> mindestens genau so effektiv. Manchmal ist die Welt doch sehr rätselhaft.

Nun ja, mein lieber Wolfram, manche Rätsel lassen sich lösen.
Dass Selbsthilfeansätze genauso effektiv sind wie professionelle Hilfe
und zugleich billiger, ist eine empirisch erhärtete Tatsache.
Psychologen, die mit Tatsachen /nicht/ umgehen können, sind auch /nicht/
in der Lage, anderen in problematischen Lebenssituationen zu helfen. Da
finde ich es gar nicht rätselhaft, wenn ein Psychologe zu einem
potentiellen Klienten sagt: "Pass auf, sag mal, hast du keinen guten
Freund, mit dem du dich aussprechen kannst? Das wird dir mehr helfen als
jede Psychotherapiestunde." Das ist keineswegs rätselhaft, sondern dieser
Psychologe tut einfach nur seine Pflicht und ist Anwalt des potentiellen
Klienten, wie's sich gehört. Hast du daran etwas auszusetzen? Ein
Verkäufer von Anzügen ist doch auch nicht gut beraten, jemand einen
Frack anzudrehen, der hinten und vorne nicht sitzt und in dem er
schlechter aussieht als in seiner alten Kutte, nur um die schnelle Mark zu
verdienen. Das spricht sich doch rum und schadet der gesamten Zunft.

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Wolfram Heinrich

unread,
Nov 19, 2007, 8:11:26 AM11/19/07
to
Am Sun, 18 Nov 2007 14:18:35 +0100 schrieb Hans Ulrich Gresch:

> Am Sun, 18 Nov 2007 12:47:48 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:
>
> ...
>> Wenn ich eine Gesamtheit untersuche und finde, daß dort 75 Prozent der
>> Individuen (Menschen, Plattwürmer etc.) das Zielverhalten zeigen, dann
>> besteht nicht eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent, daß sie dies
>> Verhalten zeigen, dann *weiß* ich, daß 75 Prozent dies Verhalten
>> aufweisen. Wenn ich mir dagegen - ohne näher hinzuschauen - ein
>> Individuum aus dieser Gesamtheit herauspicke, dann kann ich mit einigem
>> Fug sagen, daß dies Individuum mit einer Wahrscheinlichkeit von 75
>> Prozent das Zielverhalten zeigen wird.
>
> Unfug. Das Individuum zeigt das Verhalten nicht mit einer gewissen
> Wahrscheinlichkeit. Es zeigt es (p=1). Oder es zeigt es nicht (p=0). Du
> kannst nur sagen, dass es zu einem Kollektiv gehört, in dem 75 % das
> Zielverhalten zeigen. Das ist aber eine Aussage über das Kollektiv, nicht
> über das Individuum.

Das Individuum zeigt das Zielverhalten, wenn's denn dann passiert ist,
*natürlich nicht* mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit, ent- oder weder. Bevor
aber die Probe gemacht ist, zu dem Zeitpunkt also, da ich meine Prognose
abgebe, weiß ich, da ich die von dir, also sehr sorgfältig erstellte
Statistik kenne, daß das besagte Individuum mit 75 Prozent
Wahrscheinlichkeit das Zielverhalten zeigen wird.

> Es ist doch schon sprachlich ein Unfug zu behaupten, jemand zeige mit
> einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Verhalten oder besitze mit einer
> gewissen Wahrscheinlichkeit ein Merkmal.

Sehr richtig. Wahrscheinlich genau deswegen hatte ich auch geschrieben:


"Wenn ich mir dagegen - ohne näher hinzuschauen - ein Individuum aus dieser
Gesamtheit herauspicke, dann kann ich mit einigem Fug sagen, daß dies
Individuum mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent das Zielverhalten

zeigen *wird*". Mit Wahrscheinlichkeiten operiere ich doch nicht, wenn ich
den Zustand oder die Eigenschaften eines Objektes *kenne*. Natürlich hat
ein Ding eine bestimmte Eigenschaft oder es wird sich so oder so verhalten.
Nur solange ich die Eigenschaft nicht kenne oder das künftige Verhalten
nicht exakt vorausberechnen kann, werde ich meine Zuflucht zu
Wahrscheinlichkeiten nehmen (müssen).

> Der Schiedrichter zeigte dem
> Stürmer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Karte, die mit einer
> gewissen Wahrscheinlichkeit rot war.

Wenn denn ein bereits aktenkundiger Trunkenheitsfahrer wieder erwischt
worden ist, werde ich natürlich sagen können, daß er erneut betrunken
gefahren ist. Und ob ein bestimmter Spieler im nächsten Spiel die rote
Karte bekommen wird, kann ich (vielleicht) mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit abschätzen, wenn ich seine Spielweise kenne (etwa indem
ich seine Rote-Karten-Häufigkeit betrachte), die Marschlinie des Trainers
und die Rote-Karte-Freudigkeit des Schiedsrichters.

> Was hat das mit Würfeln zu tun? Das ist eine rationale Strategie zur
> Verminderung der Zahl von Irrtümern auf lange Sicht, bei vielen Menschen.
> Das ist auch keine willkürliche Maßnahme, die nichts mit dem Individuum
> zu tun hat. Es besitzt die relevanten Merkmale ja tatsächlich, die ihn
> als Mitglied einer Gruppe mit dem jeweiligen Zielverhalten ausweisen.

Alle MPU-Kandidaten, ausnahmslos alle, haben nach den Informationen, die
ich vor der MPU besitze, eine sehr schlechte Prognose. Sie gehören zu einer
Gruppe von Leuten, bei denen es sehr wahrscheinlich ist, daß sie (erneut)
mit Alkohol im Straßenverkehr fahren werden. Ich kann die
Wahrscheinlichkeit noch ein bißchen aufsplitten, sie steigt an mit der Höhe
der gemessenen BAK, sie steigt ebenfalls an mit der Anzahl der früheren
Trunkenheitsfahrten. Was fange ich aber damit an? Soll ich die
Vorgeschichte analysieren und dann der Führerscheinstelle sagen, einer mit
4 Trunkenheitsfahrten wird mit (sagen wir mal) 90 Prozent
Wahrscheinlichkeit wieder fahren, gebt also einfach jedem zehnten den
Führerschein wieder, das paßt schon? Nun hat aber einer eine einzige
Trunkenheitsfahrt mit "nur" 1,6 Promille, der andere vier
Trunkenheitsfahrten mit jeweils über 2,5 Promille. Der erste säuft immer
noch, er hat noch gar nichts kapiert, der zweite ist trockener Alkoholiker
mit Therapie und nachgewiesener einjähriger Abstinenz. Und der erstere hat
dann die höhere Wahrscheinlichkeit, daß er den Führerschein bekommt?

>Nur:
> ob er dieses Zielverhalten dann tatsächlich auch zeigen wird, dies ist
> eine ganz andere Frage. Nehmen wir mal an, es ginge um, hmmm, sagen wir
> zur Abwechslung einmal Trunkenheitsfahrten. Kann doch sein, dass
> derjenige, der durch den Test durchfällt, am nächsten Tag vor Gram
> erblindet und dann sowieso kein Auto mehr fahren kann. Die Vorhersage,
> er sei ein potentieller Rückfallfahrer, wäre also grottenfalsch. Auf der
> individuellen Ebene kann man das nicht abhandeln.

Vorhersagen sind immer risikobehaftet, ich kann Wahrscheinlichkeiten
abschätzen, mehr nicht.
> ...


>>> Die Sache spricht für sich selbst. Ein Kommentar ist überflüssig.
>>> Dasselbe stünde zu erwarten, wenn man die MPU durch ein solides
>>> statistisches Verfahren ersetzen würde. Nur noch eine winzige
>>> Minderheit würde den Führerschein zurück erhalten.
>>

Und das solide statistische Verfahren sagt mir, welche?

>> Der Psychologe Ulrich Gresch bietet auf seiner Website (seinen Websites)
>> psychologische Telefonberatung an. Gleichzeitig tönt er im Usenet rum,
>> psychologische Beratung, gar Therapie durch Profis sei Kacke,
>> Selbsthilfeansätze seien gefragt, sie seien erstens billiger und
>> mindestens genau so effektiv. Manchmal ist die Welt doch sehr rätselhaft.
>
> Nun ja, mein lieber Wolfram, manche Rätsel lassen sich lösen.
> Dass Selbsthilfeansätze genauso effektiv sind wie professionelle Hilfe
> und zugleich billiger, ist eine empirisch erhärtete Tatsache.
> Psychologen, die mit Tatsachen /nicht/ umgehen können, sind auch /nicht/
> in der Lage, anderen in problematischen Lebenssituationen zu helfen. Da
> finde ich es gar nicht rätselhaft, wenn ein Psychologe zu einem
> potentiellen Klienten sagt: "Pass auf, sag mal, hast du keinen guten
> Freund, mit dem du dich aussprechen kannst? Das wird dir mehr helfen als
> jede Psychotherapiestunde." Das ist keineswegs rätselhaft, sondern dieser
> Psychologe tut einfach nur seine Pflicht und ist Anwalt des potentiellen
> Klienten, wie's sich gehört. Hast du daran etwas auszusetzen?

Aber nein, aber gar nicht. In einem anderen Posting hier, in einer Antwort
an Rudolf, hatte ich dargelegt, daß ich meinen Job als beratender
Verkehrspsychologe bei Alkoholtätern vor allem darin sehe, sie soweit zu
sensibilisieren, daß sie erkennen, daß ihr Problem nicht der Alkohol im
Straßenverkehr sondern der Alkohol an sich ist, sie also eigentlich bei mir
falsch sind, bzw. wir uns mit Alkohol beschäftigen müssen.
Aber wenn ich deiner obigen Argumentation folge, dann müßtest du den Rat:
"Sei kein Narr, mach keine Therapie bei mir!" jedem geben. Du suchst ihm
die Tel. Nr. der nächstgelegenen Selbsthilfegruppe für sein jeweiliges
Problem heraus, berechnest ihm dafür 10 EUR und die Sache hat sich.

> Verkäufer von Anzügen ist doch auch nicht gut beraten, jemand einen
> Frack anzudrehen, der hinten und vorne nicht sitzt und in dem er
> schlechter aussieht als in seiner alten Kutte, nur um die schnelle Mark zu
> verdienen. Das spricht sich doch rum und schadet der gesamten Zunft.
>>>

Du aber arbeitest als Psychologe in einem Laden, in dem nur
schlechtsitzende, miese und dazu völlig überteuerte Kutten rumhängen. Das
ist der Punkt.

Ciao
Wolfram
--
Als Kortzfleysch einmal Wasser ließ,
Der Wind ihm dieses sackwärts blies.
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Wolfram Heinrich

unread,
Nov 19, 2007, 8:23:02 AM11/19/07
to
Am Mon, 19 Nov 2007 13:31:42 +0100 schrieb Karl-Heinz Zeller:

> Hans Ulrich Gresch wrote:
>
>> Am Wed, 14 Nov 2007 15:35:43 +0100 schrieb Karl-Heinz Zeller:
>>>
>>> eine Steigerung bei den Rauschtrinkern (mehr als 5 Glaeser
>>> alk. Getraenk in kurzer Zeit) um 10% in den letzten 3 Jahren
>>> wuerde ich als bedenklich einstufen.
>

> Und wenn ich den Pro Kopf Verbrauch von 10 Litern reinen
> Alkohols - was IMO nach viel klingt - auf den Tag und auf
> handelsuebliche Getraenke umrechne, dann ist das mit einer
> Halben Mass Bier pro Tag gar nicht so viel.
>
Wenn der Konsum schön gleichverteilt wäre, wäre die Menge tatsächlich kein
Problem. Aber für jeden, der nichts trinkt, sauft irgendeiner die doppelte
Menge.
Geschätzte 10 Prozent (jetzt frag mich nicht, von wem geschätzt, ich weiß
es nicht mehr) trinken 55 Prozent des Alkohols.

Ciao
Wolfram
--
Alles, was einer Erklärung bedarf, ist die Erklärung nicht wert.
VOLTAIRE
www.theodor-rieh.de, www.theodor-rieh.de/heinrich, www.brueckenbauer.it

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 19, 2007, 11:57:54 AM11/19/07
to
Am Mon, 19 Nov 2007 14:11:26 +0100 schrieb Wolfram Heinrich:

...


> Das Individuum zeigt das Zielverhalten, wenn's denn dann passiert ist,
> *natürlich nicht* mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit, ent- oder weder.
> Bevor aber die Probe gemacht ist, zu dem Zeitpunkt also, da ich meine
> Prognose abgebe, weiß ich, da ich die von dir, also sehr sorgfältig
> erstellte Statistik kenne, daß das besagte Individuum mit 75 Prozent
> Wahrscheinlichkeit das Zielverhalten zeigen wird.

Nein, lieber Wolfram, ich gebe es trotz allem nicht auf. Ein statistisches
Modell, das auf relativen Häufigkeiten in Grundgesamtheiten beruht, kann
auf Individuen aus diesen Grundgesamtheiten nicht übertragen werden.
Ich bringe einfach noch ein weiteres Beispiel, vielleicht hilft es.

Sagen wir, die Wahrscheinlichkeit das Flugzeuge auf dem Weg von Mogadishu
nach Timbuktu abstürzen, betrüge 1:10.000. Dies weiß man aufgrund
langjähriger Beobachtungen durch Auszählung der Flüge und der
Abstürze. Nun stehst du am Flughafen von Mogadishu mit dem Ziel Timbuktu.
Ein Flieger steht vor dir. Ist dieser Flieger schon 10.000 mal von M nach
T geflogen und dabei einmal abgestürzt? Natürlich nicht. Wäre er jemals
abgestürzt, stünde er vermutlich nicht vor dir.

Jeder Flug ist ein einmaliges Ereignis, mit einer Crew, die
unverwechselbare Eigenarten hat, mit einmaligen Wetterbedingungen,
einmaligen Passagieren usw. usf. Du kannst daher die Wahrscheinlichkeit,
dass du bei /diesem/ Flug mit /diesem/ Flieger abstürzt, überhaupt nicht
beziffern, auch nicht mit 1:10.000. Du kannst nur sagen, dass der
Erwartungswert von Abstürzen bei 10.000 Flügen zwischen M und T 1 ist.
Das ist ein Unterschied. So ist das auch mit Trunkenheitsfahrern und
Trunkenheitsfahrten.

Um die Wahrscheinlichkeit für Individuen zu bestimmen, brauchst du ein
anderes stochastisches Modell. Das übliche, das wir in der Psychologie
verwenden und das auch sonst das am weitesten verbreitete ist, beruht auf
relativen Häufigkeiten von unabhängigen Elementarereignissen in
Grundgesamtheiten. Wenn du statt des frequentistischen
Wahrscheinlichkeitsbegriffs jedoch den epistemischen verwendest, kannst du
natürlich die Sicherheit in der persönlichen Einschätzung eines
Sachverhaltes numerisch bestimmen. Dann kannst du auch sagen: Der Mensch X
wird zum Zeitpunkt T mit 75-%iger Wahrscheinlichkeit das Verhalten Z
zeigen. Doch dieser Wahrscheinlichkeitsbegriff ist im Kern nichts anderes
als eine Quantifizierung deiner subjektiven Einschätzung.

Doch zurück zum gebräuchlicheren frequentistischen
Wahrscheinlichkeitsbegriff. Nehmen wir einmal an, ein Atomkraftwerk sei
nur einmal in 10.000 Jahren von einem GAU betroffen. Toll, denkst du und
baust dir ein Haus direkt neben einem Atomkraftwerk. Kriegste billig.
Du denkst dir: Egal, in zehntausend Jahren bin ich sowieso tot. Nun
kommst du nach 10.000 Jahren als Engelein auf die Erde zurück, rechnest
nach und stellst fest: In der Tat, im Durchschnitt sind nicht mehr
Atomkraftwerke in die Luft geflogen als statistisch zu erwarten war. Dumm
nur, dass deins gleich am Tag deines Einzugs ins neue Haus explodiert ist.

>
>> Es ist doch schon sprachlich ein Unfug zu behaupten, jemand zeige mit
>> einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Verhalten oder besitze mit einer
>> gewissen Wahrscheinlichkeit ein Merkmal.
>
> Sehr richtig. Wahrscheinlich genau deswegen hatte ich auch geschrieben:
> "Wenn ich mir dagegen - ohne näher hinzuschauen - ein Individuum aus
> dieser Gesamtheit herauspicke, dann kann ich mit einigem Fug sagen, daß
> dies Individuum mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent das
> Zielverhalten zeigen *wird*". Mit Wahrscheinlichkeiten operiere ich doch
> nicht, wenn ich den Zustand oder die Eigenschaften eines Objektes *kenne*.
> Natürlich hat ein Ding eine bestimmte Eigenschaft oder es wird sich so
> oder so verhalten. Nur solange ich die Eigenschaft nicht kenne oder das
> künftige Verhalten nicht exakt vorausberechnen kann, werde ich meine
> Zuflucht zu Wahrscheinlichkeiten nehmen (müssen).

Nun, ich hoffe, du hast nun begriffen, dass du dann den frequentistischen
Wahrscheinlichkeitsbegriff nicht anwenden darfst, wenn du Aussagen über
Individuen machen willst. Der frequentistische schließt nämlich von
Eichstichproben auf Zielstichproben und nicht von Stichproben auf
Individuen. Etwas anderes wäre es vielleicht, wenn du deinen
Trunkenheitsfahrer eine Zeitlang beobachtest und nach hundert Autofahrten
feststellst: Er ist 75 mal besoffen gefahren. Dann könntest du vielleicht
sagen: "Ja, Herr Richter, wenn wir den jetzt nochmal hundert Mal fahren
lassen, dann wird er dabei in 75 % der Fälle besoffen sein." Auch diese
Art der Statistik hätte ihre besonderen mathematischen Tücken, aber
immerhin könnte man in diesem Fall den frequentistischen
Wahrscheinlichkeitsbegriff anwenden.

>
>> Der Schiedrichter zeigte dem
>> Stürmer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Karte, die mit einer
>> gewissen Wahrscheinlichkeit rot war.
>
> Wenn denn ein bereits aktenkundiger Trunkenheitsfahrer wieder erwischt
> worden ist, werde ich natürlich sagen können, daß er erneut betrunken
> gefahren ist. Und ob ein bestimmter Spieler im nächsten Spiel die rote
> Karte bekommen wird, kann ich (vielleicht) mit einer gewissen
> Wahrscheinlichkeit abschätzen, wenn ich seine Spielweise kenne (etwa
> indem ich seine Rote-Karten-Häufigkeit betrachte), die Marschlinie des
> Trainers und die Rote-Karte-Freudigkeit des Schiedsrichters.

Nun, hier haben wir wieder eine etwas andere Situation: Wenn du von einer
Verhaltensstichprobe auf eine andere Verhaltensstichprobe schließen
würdest, könnte man die Anwendung des frequentistischen
Wahrscheinlichkeitsbegriffs diskutieren. Doch bei deinen MPU-Gutachten
sind solche Aussagen ja nicht gefragt. Du sagst ja nicht: "Willy Müller
wird aufgrund der empirisch-statistischen Erhebung seines Fahrverhaltens
in der Vergangenheit bei 95 % der Fahrten in der Zukunft nüchtern sein."
Du sagst ja: "Willy Müller bietet die Gewähr, in Zukunft nüchtern zu
fahren." Und diese Aussage ist durch Statistiken auf Basis des
frequentistischen Wahrscheinlichkeitsmodells unter keinen Umständen
gerechtfertigt. Eigentlich nicht so schwer, oder?
>
...


>
> Vorhersagen sind immer risikobehaftet, ich kann Wahrscheinlichkeiten
> abschätzen, mehr nicht.

Sicher, aber ich muss mir dann schon ein, zwei Gedanken über die
wahrscheinlichkeitstheoretischen Grundlagen machen.


>> ...
>>>> Die Sache spricht für sich selbst. Ein Kommentar ist überflüssig.
>>>> Dasselbe stünde zu erwarten, wenn man die MPU durch ein solides
>>>> statistisches Verfahren ersetzen würde. Nur noch eine winzige
>>>> Minderheit würde den Führerschein zurück erhalten.
>>>
> Und das solide statistische Verfahren sagt mir, welche?

Natürlich. Diese Leute werden durch ein mathematisches Modell, z. B. eine
Regressionsgleichung bestimmt. Wer einen Punktwert größer X hat, fällt
durch. Dieses Verfahren verspricht keine Diagnose des einzelnen
Trunkenheitsfahrers und seiner individuellen Wahrscheinlichkeit einer
Trunkenheitsfahrt. Dieses Verfahren verspricht nur, auf lange Sicht
deutlich mehr zukünftige Trunkenheitsfahrer auszusortieren als
nicht-quantitative, auf dem klinischen Urteil beruhende Gutachten.


>
>>> Der Psychologe Ulrich Gresch bietet auf seiner Website (seinen
>>> Websites) psychologische Telefonberatung an. Gleichzeitig tönt er im
>>> Usenet rum, psychologische Beratung, gar Therapie durch Profis sei
>>> Kacke, Selbsthilfeansätze seien gefragt, sie seien erstens billiger
>>> und mindestens genau so effektiv. Manchmal ist die Welt doch sehr
>>> rätselhaft.
>>

...


> Aber nein, aber gar nicht. In einem anderen Posting hier, in einer
> Antwort an Rudolf, hatte ich dargelegt, daß ich meinen Job als
> beratender Verkehrspsychologe bei Alkoholtätern vor allem darin sehe,
> sie soweit zu sensibilisieren, daß sie erkennen, daß ihr Problem nicht
> der Alkohol im Straßenverkehr sondern der Alkohol an sich ist, sie also
> eigentlich bei mir falsch sind, bzw. wir uns mit Alkohol beschäftigen
> müssen.

Schön, wenn du damit klar kommst. Demgegenüber glaube ich nicht, besser
zu wissen, was gut für sie ist als die Ratsuchenden selbst. Ich kann
bestenfalls bei der Zielfindung und Problemlösung assistieren, Anregungen
geben, auf Widersprüche aufmerksam machen, motivieren, trösten, loben.

> Aber wenn ich deiner obigen Argumentation folge, dann müßtest
> du den Rat: "Sei kein Narr, mach keine Therapie bei mir!" jedem geben.
> Du suchst ihm die Tel. Nr. der nächstgelegenen Selbsthilfegruppe für
> sein jeweiliges Problem heraus, berechnest ihm dafür 10 EUR und die
> Sache hat sich.

Tja, manchmal ist das so einfach, manchmal aber auch nicht.

>
>> Verkäufer von Anzügen ist doch auch nicht gut beraten, jemand einen
>> Frack anzudrehen, der hinten und vorne nicht sitzt und in dem er
>> schlechter aussieht als in seiner alten Kutte, nur um die schnelle Mark
>> zu verdienen. Das spricht sich doch rum und schadet der gesamten Zunft.
>>>>
> Du aber arbeitest als Psychologe in einem Laden, in dem nur
> schlechtsitzende, miese und dazu völlig überteuerte Kutten rumhängen.
> Das ist der Punkt.

Das ist glaube ich nicht das Problem der Psychologen. Das Problem besteht
eher in dem Irrglauben, besser diagnostizieren, psychotherapieren,
beraten, Probleme oder Konflikte lösen oder Wachstum fördern zu können
als andere Leute. Diese Psychologen gleichen Klavierlehrern, die sich
einbilden, es sei für ihre Schüler unmöglich, jemals besser zu spielen
als sie selbst. Psychologen haben gar keine Kutten zu verkaufen. Sie
helfen nur, als Hilfs-Ich, beim Kutten Selbermachen oder Kaufen. Es geht
um Mikro-Interventionen, um unaufdringliches Freisetzen von
Selbsthilfe-Potentialen.

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 19, 2007, 12:58:17 PM11/19/07
to
Am Mon, 19 Nov 2007 13:31:42 +0100 schrieb Karl-Heinz Zeller:

...


> Und wenn ich den Pro Kopf Verbrauch von 10 Litern reinen Alkohols - was
> IMO nach viel klingt - auf den Tag und auf handelsuebliche Getraenke
> umrechne, dann ist das mit einer Halben Mass Bier pro Tag gar nicht so
> viel.

Man kann das Alkoholproblem leider nicht an der Trinkmenge festmachen. Was
für den einen riskant ist, putzt der andere weg wie nichts. Es geht um
die tatsächlichen Risiken, die sich für den einzelnen Trinker mit seinem
Verhalten verbinden. Und darüber erfährt man aus keiner Statistik etwas.

>
>> Frage also: Wie
>> zuverlässig sind denn diese Daten, die du hier an uns weiterleitest?
>

> Die sind wohl nicht so besonders zuverlaessig. Aber allzu lange koennen
> sie mit Steigerungsraten nicht wuchern, sonst stossen sie so wie die
> Waldschadensberichtler irgendwann an die 100%-Decke - und die Waelder
> stehen immer noch.

Es handelt sich hier um Schätzungen auf höchst unsicherer Grundlage.
Schließlich gibt es keine Meldepflicht für Alkoholkonsum, keine
Meldestelle, bei der jeder Trinker unter Eid aussagen müsste, wie viel er
in der letzten Woche in sich reingeschüttet hat. Fragebogen-Erhebungen
dürften nur eine verzerrte Sicht der Dinge bieten, da Trunksucht und
Abstinenz gleichermaßen sozial unerwünscht und die Befragten daher eher
geneigt sind, ihren tatsächlichen Konsum nach oben oder unten korrigiert
einzuschätzen. Und die Alkoholverkaufszahlen sind ebenfalls kaum sinnvoll
zu interpretieren, da man die Verteilung nicht kennt. Man kann natürlich
vermuten, dass auch hier das Pareto-Prinzip gilt, dass nämlich 20 % der
Trinker 80 % des Alkohols saufen. Auf Deutschland mag das sogar zutreffen,
auf die mediterranen Länder vermutlich eher nicht.

Dass Leute, die Lösungen für ein Problem gegen Bares anbieten, dazu
tendieren, die Bedeutung des Problems ins rechte Licht zu setzen und
womöglich auch zu übertreiben, liegt in der Natur der Sache. Ich war 15
Jahre lang in der Öffentlichkeitsarbeit einer Suchthilfeorganisation und
ich weiß, wovon ich spreche. Hier muss man ja auch bedenken, dass die
entsprechenden Hilfen vom Staat, von den Rentenversicherungsträgern, den
überörtlichen Sozialhilfeträgern oder den Krankenkassen, die
teilweise in Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen sind, bezahlt
werden. Wir haben es hier mit einem Nachfragemonopol in der Grauzone
zwischen Markt und Staat zu tun. Die Entscheidungen hier werden
maßgeblich durch politische Vorgaben bestimmt. Die Einrichtungsträger
und deren Verbände sind also zum Lobbyismus gezwungen und dazu, das
entsprechende "Problembewusstsein" durch Öffentlichkeitsarbeit bei
Politikern und ihren Wählern aufrecht zu erhalten.

Man sollte sich einmal durch den Kopf gehen lassen, was diese
Konstellation z. B. im Bereich der Drogen-Therapie, der Methadon- und
Heroinprogramme bedeutet. Hier wirkt sich ja die Politik via Gesetzgebung
(Prohibition) ganz direkt und unvermittelt auf die Nachfrage nach
Hilfsangeboten und damit auch auf die Erträge der Einrichtungsträger
aus. Wir haben es hier mit einem höchstgradig staatlich regulierten Markt
zu tun. Es gibt hier entsprechend auch keinen marktwirtschaftlichen
Kostendruck, der die jeweils kosteneffizientesten Methoden selegiert.
Daher ist die dort herrschende horrende Geldverschwendung auch nicht das
persönliche Verschulden der Einrichtungs- oder Leistungsträger, sondern
systemimmanent.

Man muss bei solchen Zahlen über Suchtprobleme und Konsum immer
vorsichtig sein, weil es sich hier doch nur zu oft um das beschriebene
Grauzonen-Marketing handelt.

Gruß
ulrich
- -
http://blog.ppsk.de

Rudolf Sponsel

unread,
Nov 19, 2007, 1:25:45 PM11/19/07
to
Ulrich Gresch schrieb:
So so, dann bestellen wir also künftig Stichproben oder Populationen ein?

Ich fürchte, Du hast überhaupt keine Ahnung und kannst noch nicht einmal die
Alternative aus den Werken entwickeln, die Du gerne - leider im
psychologieüblichen Hochstaplerstil - zitierst (z.B. Meehl).

Also noch mal: wie ist Deiner Meinung nach methodisch 1., 2., 3., ...
vorzugehen, wenn entschieden werden soll, ob jemand nach FS Entzug seinen FS
wieder erhalten kann oder soll oder nicht bzw. unter welchen Auflagen?

> Gruß
> Ulrich
> - -
> http://blog.ppsk.de
>

Rudolf Sponsel

unread,
Nov 19, 2007, 1:26:07 PM11/19/07
to
Wolfram Heinrich schrieb:

> Am Thu, 15 Nov 2007 10:51:12 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:
>
>> Wolfram Heinrich schrieb:
>
>>> Und wer, denkst du, dreht da dran und warum? Ich kann jetzt momentan dein
>>> Verschwörungsszenario nicht ganz nachvollziehen.
>>>
>> Ja, es ist nicht nachvollziehbar, dass die Datenlage von der bast z.B. so
>> unklar mitgeteilt wird. Deutschland hat CARE als einziges europäisches Land
>> die Unfallstatitik ja noch nicht einmal mitgeteilt, so dass eine einfache
>> multivariate Analyse über die Zeitreihen (1991-) nicht möglich ist:
>> http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#bast
>> Mit einem Verschwöerungsszenario hat weniger zu tun, eher mit geballter
>> arroganter Ignoranz des einstigen Europaprimus.
>> Lägen die Daten vergleichbar vor, könnte man ja ziemlich schnell ausrechnen,
>> was die MPU für die Todes- und Schwerverletzten-Statistik leistet.
>>
> Im Vergleich mit dem europäischen Ausland oder wie sonst?

Schau Dir die angegebene Quelle an, dann erübrigen sich Nachfragen:
http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm#bast
>
[...]


>
>>> Menschen reagieren sehr empfindlich bereits auf geringe Mengen Alkohol,
>>> diese anfänglich sehr niedrige Alkoholtoleranz läßt sich durch fleißiges
>>> Training (und nur durch fleißiges Training) erheblich steigern.
>>>

Hm, wenn Menschen mit mehr Trinkgewöhnung weniger Folgen zeigen, sind dann
nicht die gefährlicher, die weniger trinken und zugleich weniger Übung und
Trinkgewöhnung haben? Schiesst sich hier die Trinkfestigkeitsthese selbst ins
Knie?

>> Da wäre dann ein Resultat, das für mich und meinen Einzelfall gilt. Wiederum
>> nicht überzeugend als Regel.
>>
> Die Frage der Alkoholtoleranz ist kein psychologisches, sondern ein
> elementar physiologisches Problem. Kein Mensch hat von Haus aus eine hohe
> Alkoholverträglichkeit, es gibt Unterschiede, klar, wir Europäer kommen in
> der Regel mit Alkohol besser klar als Leute in anderen Weltgegenden (einige
> Typen von Asiaten etwa), aber auch wir Europäer müssen uns individuell
> durch häufige Konsum an den Alkohol gewöhnen.
>
>>> Freilich hängt es vom Einzelfall ab und das Ergebnis des Einzelfalls hängt
>>> von dessen vorausgegangenem Trinktraining ab. Wenn du dir von einem der
>>> Nürnberger Stammtische einen geeichten Schluckspecht holst, dann wird der
>>> mit einer BAK, bei der du bereits speiend über der Badewanne hängst, noch
>>> dastehen wie eine Brezen.
>>>

Eben, siehe oben.

>> Das sind die üblichen undifferenzierten MPU-Mythen Marke Stephan.
>>
> Du bist heute aber sehr kurz angebunden. Einmal kurz grunzen und damit hat
> es sich. Ist dir eigentlich klar, was 0,8 Promille sind? Das sind keine
> drei, vier Bier bei einem ausgewachsenen Mann.

... sondern? Wie rechnest Du denn das?
Bei einem 80 Kilo Mann ergeben nach der Widmarkformel vier Halbe jeweils 20 g
Alkohol 4*0,36 = 1,44 PM.

[... Konsistentierung der Kurzanbindungsverkündung]

> Gemessen wurden bei diesem Mann 0,79 Promille.

Ein büscher empirisches Beweis dafür, dass die ganze Rechnerei auf äusserst
töneren Füßen steht. Sollte man sie daher nicht einfach abschaffen? Wer fährt
muss < 0,1 PM haben, aus, basta.
>
[...]

>> Meinst Du, dass MPU-Gutachten in hohem Maße von Dichtung und Spiel bestimmt sind?
>>
> Nein, ich meine, daß seit der Spieltheorie klar sein müßte, daß das Wort
> "Spiel" nicht nur für lustige Spielchen verwendet wird, sondern auch bei
> der Beschreibung von Risiko- und Entscheidungssituationen.
>

ok, auch.

>>>> Solche dunklen Dunkelfeldprojektionen sind nicht argumentationsfähig und im
>>>> Einzelfall schon gar nicht brauchbar.
>>>>
>>> Im Einzelfall nicht, aber bei einer Prozentbetrachtung über eine größere
>>> Population. Es wäre ausgesprochen naiv zu glauben, es würde der rückfällige
>>> Trunkenheitsfahrer bei seiner ersten (zweiten, dritten...)
>>> Trunkenheitsfahrt erwischt. Nicht minder naiv wäre die Vorstellung, es
>>> würden alle Trunkenheitsfahrer schon irgendwann erwischt werden.
>>>
>> Das schon. Aber es ist kein Argument für den Einzelfall, allenfalls ein
>> Ausgangspunkt, der in eben diesem (Einzelfall) zu begründen wäre.
>>
> Wer hat behauptet, daß diese Dunkelfeldargumentation im Einzelfall wichtig
> ist?
>

Na wozu gibt es Dunkelfeldforschung, warum wird sie publiziert und welche
Rolle spielt in den Köpfen der MPU-GutachterInnen. Hast Du nicht selbst ins
"Spiel" gebracht, wie oft schon vorher, der ... wenn ...?

>>> Ja, freilich. Aber wenn ich einen Einzelfall beurteilen soll, dann ist es
>>> für mich schon eine wichtige Information, wenn ich weiß, daß in Gesamtheit,
>>> aus der mein Einzelfall kommt, eine bestimmte Eigenschaft besonders häufig
>>> vorkommt.
>>>
>> Genau das ist der Fehler 4c; die Stichprobenrelation bestimmt Deine
>> Einzelfallbetrachtung:
>>
> Wenn ich mir den Einzelfall anschaue, dann ist die Information über die
> Gesamtheit eine sehr nützliche Hintergrundinformation, quasi die Folie, vor
> der ich den Einzelfall betrachte.
>

Danke für die Bestätigung des Fehlers 4c in Deiner Begutachtungspraxis.

[...]

>> UG versteht doch gar nichts vom Einzelfall; und die Psychometrie ist
>> weitgehend numerologische Esoterik; mit "Mathe" kann man gut blenden,
>> vernebeln und punkten; die Formeln sind oft nur wie Weihrauch und Klingeling
>> in der Kirche.
>>
> Jetzt treibst du mich an die Seite vom Ulrich. Freilich kannst du

Der zeigt sich bislang ausser Stande, sein methodisches Vorgehen operational
1., 2., 3., ... darzulegen.

> Mathematik und Statistik hervorragend zum Vernebeln verwenden. Aber wenn du
> Wissenschaft betreiben willst, wirst du nicht umhin kommen, die Phänomene,
> die der Messung zugänglich sind, zu messen, und andere Phänomene soweit
> hinbiegen, daß sie meßbar werden. (Ohne die Unzulänglichkeit so mancher
> Messung zu vergessen natürlich).

Bingo: "hinbiegen."


>
>>> Sache. Wenn du (oder sonst wer) als Sachwalter der MPU-Kandidaten mehr
>>> Wissenschaft einforderst, dann bete zu Gott, daß du erfolglos bleibst.
>> Hm, interessant, Du bringst "Gott" ins "Spiel" ...
>>
> Jedes Mal, wenn ich irgendwo bei der Tür reinkomme, bringe ich Gott ins
> Spiel, wenn ich nämlich die bereits dort Befindlichen mit "Grüß Gott"
> begrüße. Und dabei bin ich Atheist, stell dir vor.
>
>>> Jedes Stückchen Wissenschaft bei der MPU mehr, schränkt die Chancen der
>>> MPU-Kandidaten auf einen neuen Führerschein ein.
>>>
>> Wenn es denn so wäre, hätte ich kein Problem damit.
>>
> Dann ist es ja gut. Ich hatte einen Moment lang gedacht, du würdest bessere
> Gutachten-Qualität einfordern, weil die bisherige den MPU-Klienten nicht
> zuzumuten wäre.
>

Da hast Du richtig gedacht, das fordere ich in der Tat. Die bisherigen
Gutachten sind zwar schon so gut, dass man sie kritisieren kann, aber leider
meist auch noch sehr drastisch muss. Sie sind in der Tat über weite Strecken
eher Schlechtachten und also solche eine Zumutung.

Hans Ulrich Gresch

unread,
Nov 19, 2007, 1:56:16 PM11/19/07
to
Am Mon, 19 Nov 2007 19:25:45 +0100 schrieb Rudolf Sponsel:

...


> So so, dann bestellen wir also künftig Stichproben oder Populationen ein?

Du kannst einstellen, wenn du willst. Unternehmen ist zu raten,
quantitative Verfahren einzusetzen, um auf lange Sicht Fehlplatzierungen
zu reduzieren und damit Kosten zu senken.


>
> Ich fürchte, Du hast überhaupt keine Ahnung und kannst

Kannst du das denn mangels eigener Ahnung überhaupt fachkundig
beurteilen, Rudolf?

> noch nicht
> einmal die Alternative aus den Werken entwickeln, die Du gerne - leider
> im psychologieüblichen Hochstaplerstil - zitierst (z.B. Meehl).

Außer Beleidigungen hattest du ja nie allzu viel zu bieten hier im
Usenet.


>
> Also noch mal: wie ist Deiner Meinung nach methodisch 1., 2., 3., ...
> vorzugehen, wenn entschieden werden soll, ob jemand nach FS Entzug
> seinen FS wieder erhalten kann oder soll oder nicht bzw. unter welchen
> Auflagen?
>

Das habe ich doch schon des öfteren skizziert. Vielleicht solltest du
dich etwas besser konzentrieren beim Lesen, falls das noch geht.

Gruß
Ulrich
- -
http://herz-hirn-und-hand.de

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