Google Groups no longer supports new Usenet posts or subscriptions. Historical content remains viewable.
Dismiss

Klassik für Millionen

7 views
Skip to first unread message

John Strieder

unread,
Aug 3, 2000, 3:00:00 AM8/3/00
to
Hallo.

Ich habe gestern auf 3Sat die Sendung "Klassik für Millionen, Lotti,
Rieu & Co." gesehen. Das heisst nicht ganz, und frage darum, ob jemand
weiss, ob die Sendung wiederholt wird.

Ach ja, bevor hier falsche Schlüsse gezogen werden: Ich mag Rieu
natürlich nicht, und noch weniger Lotti. Aber den Vogel abgeschossen hat
ja Rieu mit einer Bearbeitung eines Chopin - Klavierstückes. In höchstem
Maße ekelerregend.

Sollte man sich ruhig mal ansehen, diese Sendung (wenn sie denn
wiederholt wird), kommt man sich gleich viel (ein-)gebildeter vor...

Viele Grüsse

John Strieder

Christian Panse

unread,
Aug 3, 2000, 3:00:00 AM8/3/00
to
John Strieder schrieb:

> Sollte man sich ruhig mal ansehen, diese Sendung (wenn
> sie denn wiederholt wird), kommt man sich gleich viel
> (ein-)gebildeter vor...

Obwohl es ja doch etwas unbescheiden daherkommt, die Einkünfte der
Hauptdarsteller bereits im Titel der Sendung zu nennen ;-(

C.


Sent via Deja.com http://www.deja.com/
Before you buy.

nitram

unread,
Aug 3, 2000, 3:00:00 AM8/3/00
to
Hallo Freund !
ich kann diesen rieu nicht mehr hören oder sehen .leider geistert er in
allen sendern (tv und radio ) jeden tag herum . wie kommt so ein phänomen
zustande ?ich begreiffe es nicht .
mm


John Strieder <jstried...@compuserve.de> schrieb in im Newsbeitrag:
39893D40...@compuserve.de...


> Hallo.
>
> Ich habe gestern auf 3Sat die Sendung "Klassik für Millionen, Lotti,
> Rieu & Co." gesehen. Das heisst nicht ganz, und frage darum, ob jemand
> weiss, ob die Sendung wiederholt wird.
>
> Ach ja, bevor hier falsche Schlüsse gezogen werden: Ich mag Rieu
> natürlich nicht, und noch weniger Lotti. Aber den Vogel abgeschossen hat
> ja Rieu mit einer Bearbeitung eines Chopin - Klavierstückes. In höchstem
> Maße ekelerregend.
>

> Sollte man sich ruhig mal ansehen, diese Sendung (wenn sie denn
> wiederholt wird), kommt man sich gleich viel (ein-)gebildeter vor...
>

> Viele Grüsse
>
> John Strieder
>
>
>
>

Werner Partner

unread,
Aug 4, 2000, 3:00:00 AM8/4/00
to
Auch eine dre großen Herausforderungen dieses Jahrhunderts:
Mit Rieu leben ...

Werner

John Strieder schrieb:

> Hallo.
>
> Ich habe gestern auf 3Sat die Sendung "Klassik für Millionen, Lotti,
> Rieu & Co." gesehen. Das heisst nicht ganz, und frage darum, ob jemand
> weiss, ob die Sendung wiederholt wird.
>
> Ach ja, bevor hier falsche Schlüsse gezogen werden: Ich mag Rieu
> natürlich nicht, und noch weniger Lotti. Aber den Vogel abgeschossen hat
> ja Rieu mit einer Bearbeitung eines Chopin - Klavierstückes. In höchstem
> Maße ekelerregend.
>
> Sollte man sich ruhig mal ansehen, diese Sendung (wenn sie denn
> wiederholt wird), kommt man sich gleich viel (ein-)gebildeter vor...
>
> Viele Grüsse
>
> John Strieder

--
-----------------------------------------------------------
kairos: Werner Partner • Uferstr. 73, D-45699 Herten
• Postfach 1842, D-45676 Herten Tel +49 2366 886606 • Fax: 886608
kai...@t-online.dehttp://home.t-online.de/home/kairos

nitram

unread,
Aug 4, 2000, 3:00:00 AM8/4/00
to
Ich glaube du hast recht Werner . Traurig aber wahr .
Werner Partner <kai...@t-online.de> schrieb in im Newsbeitrag:
398AE405...@t-online.de...

> Auch eine dre großen Herausforderungen dieses Jahrhunderts:
> Mit Rieu leben ...
>
> Werner
>
> John Strieder schrieb:
>
> > Hallo.
> >
> > Ich habe gestern auf 3Sat die Sendung "Klassik für Millionen, Lotti,
> > Rieu & Co." gesehen. Das heisst nicht ganz, und frage darum, ob jemand
> > weiss, ob die Sendung wiederholt wird.
> >
> > Ach ja, bevor hier falsche Schlüsse gezogen werden: Ich mag Rieu
> > natürlich nicht, und noch weniger Lotti. Aber den Vogel abgeschossen hat
> > ja Rieu mit einer Bearbeitung eines Chopin - Klavierstückes. In höchstem
> > Maße ekelerregend.
> >
> > Sollte man sich ruhig mal ansehen, diese Sendung (wenn sie denn
> > wiederholt wird), kommt man sich gleich viel (ein-)gebildeter vor...
> >
> > Viele Grüsse
> >
> > John Strieder
>
> --
> -----------------------------------------------------------
> kairos: Werner Partner . Uferstr. 73, D-45699 Herten
> . Postfach 1842, D-45676 Herten Tel +49 2366 886606 . Fax: 886608
> kai...@t-online.de . http://home.t-online.de/home/kairos
>
>

Andreas Heck

unread,
Aug 4, 2000, 3:00:00 AM8/4/00
to
Hallo John und alle anderen "Rieu-Freunde",

Ihr werdet jetzt sicherlich denken: "Jetzt ist der Heck völlig
durchgeknallt" oder eine virtuelle Steinigung organisieren ;-)

Aber mir ist die Dauerpräsenz von Rieu & Co. nach anfänglichem Ärger
ziemlich egal geworden. Natürlich ist das musikalische Umweltverschmutzung -
vielleicht sogar eine kommerzielle bedingte Verhohnepiepelung wichtiger
Komponisten wie Chopin, Strauß jr. und Offenbach. Aber solange ich nicht wie
in Clockwork Orange vor den Fernseher gezwungen werde und die Batterien der
Fernbedienung intakt sind ...

Diesem Phänomen "Schlechtes fasziniert Millionen" wird man nicht beikommen
und die Frage ist auch, ob man das wirklich muss. Musik ist spätestens seit
1945 "Ware" - und zwar eine mit gehörigem Profit. Und der Markt will Rieu -
und das gehörig. Dass man dem vergnügungshungrigen Volk gibt, was es will,
ist pädagogisch vielleicht wenig sinnvoll, aber marktstrategisch durchaus
nachvollziehbar.

Und einen Hörer zu verurteilen, weil er Rieu mag, käme mir nicht in den
Sinn - dann wären sowohl meine Mamma wie Schwiegermutter dran ;-) Jedem das
Seine. Uns zwingt keiner, statt Beethoven die Rieu-Variante von Strauß jr.
zu hören.

Kein Drama also, wie ich finde. Ich dachte auch einmal, dass das Geld, das
man Rieu in Massen in den Hals schiebt, an anderer Stelle, wo es wichtig
wäre (musikalische Jugend, Moderne, Repertoireerweiterung etc.), verloren
geht. Aber das ist ein Trugschluss, meine ich.

Und das von einem, der sonst Musik hört, die für die meisten keine Musik
ist, sondern bestenfalls Krach. Mit den Jahren wird man eben irgendwie
locker ;-))

Und ein wenig mehr Toleranz in alle Richtungen täte sowohl den
Klassik-Freunden, als auch den "fröhlichen Volksmutanten" ganz gut. Das
lernt man BTW beim Hören von Cage'scher Mu... was auch immer ;-)

Fröhliche Grüsse trotz des Wetters.
--
Andreas Heck.

Werner Partner

unread,
Aug 6, 2000, 3:00:00 AM8/6/00
to

Andreas Heck schrieb:

> Hallo John und alle anderen "Rieu-Freunde",
>
> Ihr werdet jetzt sicherlich denken: "Jetzt ist der Heck völlig
> durchgeknallt" oder eine virtuelle Steinigung organisieren ;-)
>
> Aber mir ist die Dauerpräsenz von Rieu & Co. nach anfänglichem Ärger
> ziemlich egal geworden. Natürlich ist das musikalische Umweltverschmutzung -
> vielleicht sogar eine kommerzielle bedingte Verhohnepiepelung wichtiger
> Komponisten wie Chopin, Strauß jr. und Offenbach. Aber solange ich nicht wie
> in Clockwork Orange vor den Fernseher gezwungen werde und die Batterien der
> Fernbedienung intakt sind ...
>
> Diesem Phänomen "Schlechtes fasziniert Millionen" wird man nicht beikommen
> und die Frage ist auch, ob man das wirklich muss. Musik ist spätestens seit
> 1945 "Ware" - und zwar eine mit gehörigem Profit. Und der Markt will Rieu -
> und das gehörig. Dass man dem vergnügungshungrigen Volk gibt, was es will,
> ist pädagogisch vielleicht wenig sinnvoll, aber marktstrategisch durchaus
> nachvollziehbar.
>
> Und einen Hörer zu verurteilen, weil er Rieu mag, käme mir nicht in den
> Sinn - dann wären sowohl meine Mamma wie Schwiegermutter dran ;-) Jedem das
> Seine. Uns zwingt keiner, statt Beethoven die Rieu-Variante von Strauß jr.
> zu hören.

------------- bis dahin erst mal


Ich habe mich mit deiner Fragestellung sehr lange auseinandergesetzt. Ich meine,
dass du nicht Unrecht hast, und dennoch ist diese Frage für nich nicht
abgeschlossen.

Ich denke einfach, dass Musik in der Erziehung von Menschen ein große Rolle
spielt.
Für mich steckt in der Musik auch die Frage nach "wahren" Gefühlen oder
Inhalten. Musik zu vulgarisieren, wie z.B. Rieu es tut, heißt in diesem
Zusammenhang, Wahrheit zurechtzuschneiden, zu glätten, konsumierbar zu machen.

Für mich ist es im Zusammenhang mit Erziehung und auch Musikerziehung sehr
wichtig, dass Menschen ein Gefühl dafür entwickeln, wo eine Aussage stimmig ist,
wo ein Gefühl unverfälscht dagestellt wird, wo eine Sache echt ist, und zu
erkennen, wo man es nur mit einer Fassade zu tun hat. Zu erkennen, wo eine Sache
nur vorgegeben, aber nicht wirklich eingelöst wird, wo Gefühle und Inhalte nur
vorgetäuscht werden.

Ich sehe einen Unterschied zwischen sehr leichter Unterhaltungsmusik, die
anspruchslos daherkommt und auch nicht mehr sein will, trotzdem in ihrer
Handwerlichkeit einen Wert hat und "geglätteter Klassik", die als Wert verkauft
wird, aber nur noch Hülle ist.

Es ist letztlich eine Frage der Musikerziehung, und die hat in unserer
Gesellschaft zur Zeit einen äußerst geringen Stellenwert.
Ich denke manchmal, dass Menschen, die eine Erziehung bekommen haben, in der sie
das wahrhaftige und unverfälsche, das ehrliche unterscheiden gelernt haben, auch
weniger dazu tendieren, anderen Menschen zu beleidigen, zu verletzen oder
umzubringen (nein, jetzt kommt kein Nazi-vergleich, wir wissen ja, dass auch die
größten Nazi-Verbrecher Musik- und Kunstliebhaber waren). Die Musik spielt
meiner Ansicht nach dabei eine sehr wichtige Rolle.

Trptzdem kann es natürlich sein, dass mehr Gelassenheit nicht schadet. Dass wir
den Rieu-Liebhabern ihre Musik gönnen, dass wir akzeptieren, dass sie dadurch
garantiert nicht zur Klassik kommen (denn das leistet Rieu ja nun wirklich
nicht, er ist eher jemand, der den Klassik-Zugang ersetzt), sondern dass es
ihnen einfach gefällt.

Und wir selbst sollten in unserem Rahmen als Beispiel wirken, mit Toleranz und
mit viel Musikverständnis, das wir weitergeben.

Etwas ratlos (ist ja shcon auch 2 Uhr)

Werner

--
-----------------------------------------------------------

Andreas Heck

unread,
Aug 6, 2000, 3:00:00 AM8/6/00
to
Noch einmal hallo!

Trotz Deiner Hilflosigkeit, wie Du schreibst, hast Du das sehr klug und ganz
in meinem Sinne ergänzt. Denn der entscheidende Punkt beim Thema "Rieu & Co"
ist für mich, ob man als Musikliebhaber diese Hochglanz-Musik kritisiert
oder deren Hörer. Letzteres ohne mich.

> Ich habe mich mit deiner Fragestellung sehr lange auseinandergesetzt.
> Ich meine, dass du nicht Unrecht hast, und dennoch ist diese Frage für
> nich nicht abgeschlossen.

Die wird uns auch noch länger bzw. immer wieder einmal beschäftigen. Ist ein
weites Feld und die Rieus sterben ja nicht aus, sondern werden immer mehr
;-)

> Ich denke einfach, dass Musik in der Erziehung von Menschen ein große
Rolle
> spielt.

In der Tat. Hier wird der Grundstein gelegt und dabei ist meiner Auffassung
nach nicht der richtige Weg zum "Erfolg", die Kinder auf Mozart statt auf
Metallica zu trimmen, sondern ihnen Toleranz in alle RIchtungen zu
vermitteln. Denn das zeichnet die wenigsten Hörer welcher Musik auch immer
aus.

> Für mich steckt in der Musik auch die Frage nach "wahren" Gefühlen oder
> Inhalten. Musik zu vulgarisieren, wie z.B. Rieu es tut, heißt in diesem
> Zusammenhang, Wahrheit zurechtzuschneiden, zu glätten, konsumierbar zu
> machen.

Das sehe ich genau in der Weise. Wenn Rieu einen Walzer fiedelt, der einem
ja irgendwie Gefühl vermitteln soll - deshalb grinst er ja auch wie nach
einer "guten Nummer" ;-))) (sorry!) -, fühle ich mich immer beschissen und
betrogen.

> Für mich ist es im Zusammenhang mit Erziehung und auch Musikerziehung sehr
> wichtig, dass Menschen ein Gefühl dafür entwickeln, wo eine Aussage
stimmig
> ist, wo ein Gefühl unverfälscht dagestellt wird, wo eine Sache echt ist,
und zu
> erkennen, wo man es nur mit einer Fassade zu tun hat. Zu erkennen, wo eine
Sache
> nur vorgegeben, aber nicht wirklich eingelöst wird, wo Gefühle und Inhalte
nur
> vorgetäuscht werden.

Dazu bedarf es einiger Erfahrung im Hören. Und das muss eben erlernt werden.
Andererseits ist das schon in ganz hohem Masse von der Individualität des
Einzelnen abhängig. Ich hatte erst gestern eine Unterhaltung mit einem
Freund, der bei mir eine CD für seine Liebste gebrannt hat - mit Pop-Songs
von Dire Straits, Billy JOel, Tina Turner etc. Nichts gegen diese Songs -
aber während sie für ihn Ausdruck seiner Gefühle sind, kann ich darin nichts
entdecken, was ich mit dem weiten Feld "Liebe" assoziieren würde. Da muss es
dann bei mir eher das Adagietto aus Mahlers 5ter oder MOzarts
Klarinettenkonzert sein ;-) Und so spielt eben auch bei dieser Frage der
individuelle Geschmack eine gehörige Rolle.
Und die Verlogenheit an Rieu'scher "Kunst" erkennen wird nur der, der
Alternativen kennt. Die muss man ihm bieten.

> Ich sehe einen Unterschied zwischen sehr leichter Unterhaltungsmusik, die
> anspruchslos daherkommt und auch nicht mehr sein will, trotzdem in ihrer
> Handwerlichkeit einen Wert hat und "geglätteter Klassik", die als Wert
> verkauft wird, aber nur noch Hülle ist.

Ich kann und will Dir da gar nicht widersprechen, Du hast absolut recht.
Jedoch ärgert mich im gleichen Masse mittlerweile, wenn von diesem
Minderwert der musikalischen Ware auf die Hörer dieser Musik geschlossen
wird und der "erlesene Musikhörer" so tut, als sei auch dieser irgendwie
minderbemittelt. Dieser Umkehrschluss ist falsch und wenig fein. Aber da
scheinen wir uns ja einig zu sein.

> Es ist letztlich eine Frage der Musikerziehung, und die hat in unserer
> Gesellschaft zur Zeit einen äußerst geringen Stellenwert.

Ein schwieriger Punkt, weil wen will man dafür als Schuldigen ausmachen? Zu
jammern, dass die Zeiten früher besser waren, wird nicht viel helfen. Es
wird hier einverständig sein, dass man versucht, gerade jüngere Leute die
"klassische Musik" wieder mehr schmackhaft macht. Wenn ich mir aber unsere
Kulturszene ansehe, sehe ich da eher schwarz, weil die auf Äusserlichkeiten
getrimmt ist, die jungen Menschen eher zu Kotzanfällen bewegen als zu
Begeisterungsstürmen. Mir geht es ja manchmal selbst so, dass ich in einem
Konzert sitze und mich bei all den Leuten um mich irgendwie fehl am Platz
fühle ;-) Ohne allzu sehr in die Kritik zu verfallen, ist der Kulturbetrieb
schon in extremer Weise vom Konservativismus geprägt. Der Höhepunkt ist dann
das jährliche VIP-Happening am Grünen Hügel nebst Kleiderordnung. Auch hier
kann der Schlüssel nur "Toleranz" lauten. Alles andere - vor allem
Zwanghafte a la Schulmusikunterricht - wird so nicht funktionieren. Daraus
aber zu folgern, man müsse über die schlimme Jugend schimpfen, ist genau das
verkehrte. Wir sind diejenigen, die als Eltern, Lehrer, KOnzertveranstalter,
Musiker oder einfach nur Musikkenner den jüngeren Angebote zu unterbreiten
haben. Und die Jungen sind im Gegensatz zu früheren Genereationen
markttechnisch "besser" drauf, wissen was sie wollen und was nicht. Wenn
unsere Angebote "schlecht" sind, darf sich keiner wundern, dass der junge
"Kunde" diese ablehnt und sich wo anders bedient. Ist sein gutes Recht.

> Ich denke manchmal, dass Menschen, die eine Erziehung bekommen haben, in
der sie
> das wahrhaftige und unverfälsche, das ehrliche unterscheiden gelernt
haben, auch
> weniger dazu tendieren, anderen Menschen zu beleidigen, zu verletzen oder
> umzubringen (nein, jetzt kommt kein Nazi-vergleich, wir wissen ja, dass
auch die
> größten Nazi-Verbrecher Musik- und Kunstliebhaber waren). Die Musik spielt
> meiner Ansicht nach dabei eine sehr wichtige Rolle.

Ich möchte das ja auch gerne glauben, aber mit so bewanderten Musikhörern
wie Hitler, wird die Theorie recht schnell wackelig. Man sollte wirklich
meinen, die Auseinandersetzung mit "wahrhaftiger Musik", die die Kunstmusik
nun einmal ist, würde der Mensch zum "Besseren" gebracht. Leider habe ich
die Erfahrung gemacht, dass gerade Hörer, die sich extensiv in einer
bestimmten "Ecke" umhertreiben, zum Intollerantesten gehören, was mir je
untergekommen ist. Das gilt sowohl für die Klassik-Freunde, als auch für die
meisten Verfechter der Moderne, denen ich begegnet bin. Toleranz lässt sich
sicherlich nicht durch Einseitigkeit erreichen. Zumal immer die Frage ist,
ob ich eine Musik (abfällig) bewerten sollte, die ich nicht auch wirklich
kenne und versuche, zu verstehen. Wie sehr ich einem Queen-Fan abspreche,
Mozarts Musik abschätzig als "Gedudel für Opas" abzutun, finde ich es im
selben Masse peinlich, wenn ein versierter Klassik-Hörer über Queen bemerkt,
dass das nur Krach und gar keine Musik sei. Es hat beides etwas und es ist
an jedem, es für sich zu entdecken.
Und wenn wir von musikalischer Erziehung sprechen, heisst das ja auch immer,
das "das Alte" "dem Jungen" etwas vermitteln will. Das wird nur dann etwas
werden, wenn man aufeinander unvoreingenommen zugeht und dem GEgenüber die
Freiheit lässt, die Entscheidung für sich selbst zu treffen.

> Trptzdem kann es natürlich sein, dass mehr Gelassenheit nicht schadet.

Finde ich unbedingt.

> Dass wir den Rieu-Liebhabern ihre Musik gönnen, dass wir akzeptieren,
> dass sie dadurch garantiert nicht zur Klassik kommen (denn das leistet
> Rieu ja nun wirklich nicht, er ist eher jemand, der den Klassik-Zugang
> ersetzt), sondern dass es ihnen einfach gefällt.

Das wäre in der Tat schön, wenn wir das als Musikliebhaber hinbekommen
würden. Das wäre schon der erste Schritt, den Freunden Rieu'scher
Meisterschaft doch auch mal ein anderes Angebot machen zu können, weil sie
merken, man nimmt sie ernst und ist an Ihnen interessiert.

> Und wir selbst sollten in unserem Rahmen als Beispiel wirken, mit
> Toleranz und mit viel Musikverständnis, das wir weitergeben.

Wenn nur alle so denken würden ...

Hoffnungsvolle Grüsse.

--
Andreas Heck.

nitram

unread,
Aug 6, 2000, 3:00:00 AM8/6/00
to
Hallo Leute !!!!!
Alles was ihr geschrieben habt ( Werner und Andreas ) würde ich jederzeit
unterschreiben .Ich frage mich nur wohin diese Reise geht . Die CD
Produktionen aller bekannten Labels werden immer schlechter Konzerte finden
vor leere Häusern statt und sogenannte Musiker überschwemmen alle Länder
dieser Erde . Also wohin ???

Werner Partner <kai...@t-online.de> schrieb in im Newsbeitrag:

398CA97B...@t-online.de...

> Ich habe mich mit deiner Fragestellung sehr lange auseinandergesetzt. Ich
meine,
> dass du nicht Unrecht hast, und dennoch ist diese Frage für nich nicht
> abgeschlossen.
>

> Ich denke einfach, dass Musik in der Erziehung von Menschen ein große
Rolle
> spielt.

> Für mich steckt in der Musik auch die Frage nach "wahren" Gefühlen oder
> Inhalten. Musik zu vulgarisieren, wie z.B. Rieu es tut, heißt in diesem
> Zusammenhang, Wahrheit zurechtzuschneiden, zu glätten, konsumierbar zu
machen.
>

> Für mich ist es im Zusammenhang mit Erziehung und auch Musikerziehung sehr
> wichtig, dass Menschen ein Gefühl dafür entwickeln, wo eine Aussage
stimmig ist,
> wo ein Gefühl unverfälscht dagestellt wird, wo eine Sache echt ist, und zu
> erkennen, wo man es nur mit einer Fassade zu tun hat. Zu erkennen, wo eine
Sache
> nur vorgegeben, aber nicht wirklich eingelöst wird, wo Gefühle und Inhalte
nur
> vorgetäuscht werden.
>

> Ich sehe einen Unterschied zwischen sehr leichter Unterhaltungsmusik, die
> anspruchslos daherkommt und auch nicht mehr sein will, trotzdem in ihrer
> Handwerlichkeit einen Wert hat und "geglätteter Klassik", die als Wert
verkauft
> wird, aber nur noch Hülle ist.
>

> Es ist letztlich eine Frage der Musikerziehung, und die hat in unserer
> Gesellschaft zur Zeit einen äußerst geringen Stellenwert.

> Ich denke manchmal, dass Menschen, die eine Erziehung bekommen haben, in
der sie
> das wahrhaftige und unverfälsche, das ehrliche unterscheiden gelernt
haben, auch
> weniger dazu tendieren, anderen Menschen zu beleidigen, zu verletzen oder
> umzubringen (nein, jetzt kommt kein Nazi-vergleich, wir wissen ja, dass
auch die
> größten Nazi-Verbrecher Musik- und Kunstliebhaber waren). Die Musik spielt
> meiner Ansicht nach dabei eine sehr wichtige Rolle.
>

> Trptzdem kann es natürlich sein, dass mehr Gelassenheit nicht schadet.

Dass wir
> den Rieu-Liebhabern ihre Musik gönnen, dass wir akzeptieren, dass sie
dadurch
> garantiert nicht zur Klassik kommen (denn das leistet Rieu ja nun wirklich
> nicht, er ist eher jemand, der den Klassik-Zugang ersetzt), sondern dass
es
> ihnen einfach gefällt.
>

> Und wir selbst sollten in unserem Rahmen als Beispiel wirken, mit Toleranz
und
> mit viel Musikverständnis, das wir weitergeben.
>

> Etwas ratlos (ist ja shcon auch 2 Uhr)
>
> Werner
>
> --
> -----------------------------------------------------------

Andreas Heck

unread,
Aug 7, 2000, 3:00:00 AM8/7/00
to
Hallo nitram,

> Alles was ihr geschrieben habt ( Werner und Andreas ) würde ich
> jederzeit unterschreiben .Ich frage mich nur wohin diese Reise
> geht . Die CD Produktionen aller bekannten Labels werden immer
> schlechter Konzerte finden vor leere Häusern statt und sogenannte
> Musiker überschwemmen alle Länder dieser Erde . Also wohin ???

Ich hoffe nicht, dass Du eine Antwort auf diese irrsinnig schwierige Frage
ausgerechnet von mir erwartest ;-)

Die Frage zu den Tonträgerproduktionen gebe ich gerne an die vielen
Spezialisten hier im Forum weiter. Ich kaufe mir nicht mehr sonderlich viele
CDs und wenn doch, sind das meist irrsinnig teure Spezial-Geschichten, bei
denen ich einfach erwarte, dass sie qualitativ hochwertig sind.

Zu den leeren Häusern weiss ich vielleicht etwas mehr, aber auch das ist nur
ein persönlicher Eindruck bzw. sind persönliche Überlegungen:

Dass Häuser, die in schöner Regelmässigkeit miese Aufführungen bieten, auf
Dauer gesehen ziemlich leer sein sollten, dürfte nicht weiter verwundern.
Dass es aber auch Veranstaltern so geht, denen zumindest interpretatorisch
wenig vorzuwerfen ist, hängt IMO unter anderem (Betonung auf "unter
anderem") auch mit der Problematik der eher konservativ ausgerichteten
Kultur - die ich im anderen Posting genannt hatte - zusammen, der man meist
begegnet. Die Konzerte, die ich in der Regel besuche, sind zumindest immer
bombenvoll, teilweise muss man, wenn man nicht schon eine Stunde vor Beginn
erscheint, stehen (was - zugegeben- auch an den meist kleineren
Räumlichkeiten liegt :-). Ich finde es schon interessant, nachzudenken, was
dort anders ist.
Ich verstehe z. B. nicht, warum Veranstaltungen mit sog. Ernster Musik
entsprechend ernst ablaufen müssen. "Küss die Hand gnä Frau, a
Lachschnitterl g'fällig?" und diese Kisten. Wer sagt mir, warum "man" dies
oder jenes bei einer solchen Veranstaltung zu tragen hat? Wen wunderts, dass
das Besucherdurchschnittsalter eklatant hoch ist, wenn der Eintrittspreis
für einen Opernabend 100 oder mehr Mark beträgt? Verwundert es, dass es
partout nicht gelingt, andere (in der Regel jüngere) Besucherschichten
anzulocken, wenn man Jahr ein Jahr aus immer das selbe in immer gleicher
Konstellation bietet? Warum muss das Programm eines Abonnementkonzerts immer
so oder in dieser Weise (überspitzt!) aussehen: Beethoven 5, Mozart 36,
Haydn 104? Warum machen die 10 meistaufgeführten Opern über 20% aller
Opernaufführungen aus? Warum scheut man wie der TEufel das Weihwasser
Berührungen verschiedenster Musik in einer einzigen Veranstaltung (was für
den Hörer in seiner persönlichen Musikwahl am CD-Player in der Regel normal
sein wird - hoffe ich zumindest ;-) und verhindert somit, dass musikalische
Zusammenhänge besser erfasst werden könnten? Weshalb braucht es für
Dirigenten meist ein 3/4 Leben, bis sie wahrgenommen werden (das ist eine -
wenn auch kindische, so doch irgendwie naturgegebene -
Misstrauensangelegenheit zwischen Generationen) und reichlich Chancen für
musikalische Profilierung erhalten? Weshalb bedeutet "KOnzert" immer
statische Veranstaltung, wo ein paar wenige anbieten und der ganze Rest
stumm und starr konsumiert? Weshalb wird das Konzert als solches, als pure
Musikpräsentationsveranstaltung, nicht öfter und vor allem professionieller
oder auch stringenter von begleitenden Aktionen flankiert, die Lust auf mehr
machen oder einfach nur erklären, was man da zu hören bekommt? Weshalb lässt
man die Veranstalter von Seiten der politisch Verantwortlichen abgesehen in
Geldsachen im Stich und tut so, als sei Kultur eben etwas, was es in der
Stadt halt auch gibt, und vermittelt nicht die Wichtigkeit einer solchen
Stätte als zentraler Ort? Weshalb steckt man (Grund-)Schulklassen
standardmässig in "Hänsel und Gretel" und versucht nicht auch einmal etwas
anderes? Warum ist "ins Konzert/in die Oper gehen" keine Generationen
übergreifende Aktion, sonder immer nur etwas, was die Eltern ohne Kinder
tun?

Und so könnte ich munter weitermachen, mir würden schon noch einige Punkte
einfallen, die meiner Ansicht nach alle mehr oder weniger dazu beitragen,
dass die zur Zeit hauptsächlich gepflegte Kultur- und
Kunstkonsumiertradition sich dem Ende zubewegt - und das vielleicht wirklich
zu recht.

Das mit der Musiker-Schwemme ist jetzt nicht so mein Thema, weil man das von
Fall zu Fall entscheiden sollte. Und ein mies aber begeistert fiedelnder
Laie ist mir allemal lieber, als ein eiskalter Profi, der eine
Konzerttournee nach der anderen abliefert, und bei dessen uninspiriertem
Profigespiele ich mich beim Eintrittspreis von 70 DM aufwärts hintergangen
fühle.

Beste Grüsse.
--
Andreas Heck.

Martin Rucker

unread,
Aug 7, 2000, 3:00:00 AM8/7/00
to
Hallo ihr alle!!

Ich bin mit meinen 17 Jahren noch fast ein Kleiner. Ich muss sagen dass
jeder von euch auf seine Weise recht hat. Rieu&co. ist halt seichte
Unterhaltung, aber ich möchte trotzdem den Konsumenten dieser Musik mehr
krittisieren als den Produzenten, ohne mir hier dabei irgendwelche Feinde zu
machen. Erstmal muss ich feststellen, dass das Durchschnittsalter dieser
Hörer ja um die 60 Jahre liegt. Als folge der oft angesprochenen
Vernachlässigung der Musik in unserer heutigen Gesellschaft sehe ich es so,
dass die meisten Leute, wie soll ich es sagen, die "schnelle Klassik" hören
wollen. Im Alter ist man nun mal anfälliger auf Schmalzbuben. Psychologische
Beeinflussung!!! Bei Rieu darf man Schunkeln und Tanzen, wo darf man dass
sonst im Konzert. Gidon Kremer mahnt die Zuhörer zu mehr Konzentration, also
muss ich mich da ja anstrengen. Ich vergleiche Rieu&Co immer mit McDonalds-
schnell, einfach und massenwirksam, wohingegen z.B. Kremer&Co den exclusiven
Italiener darstellen- mit Genuß und Anspruch konsumieren. Andererseits, gäbe
es Rieu, Lotti& Co nicht würden ja noch weniger Leute als Heute Klassik
hören.

Zur Musikerziehung: Ich bin selber Musiker, spiele Klavier, Orgel und
komponiere seit über einem Jahr schon recht erfolgreich. Mein Elternhaus ist
nicht unbedingt anders als andere. Trotzdem fing alles so im 10. Lebensjahr
an als ich Stücke von Bach hörte. Dies begeisterte mich so sehr, dass ich
immer weiter forschte, in der Bibliothek CD's auslieh und so immer tiefer
und die klassische Musik eindrang. Wenn ich heutzutage VIVA anschaue und
sehe wie sich die Jugend in meinem Alter in 130 Db-Anlagen mit Stoff
vollschütten, dann kommt mir irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich
in da der Musik von Debussy etc. ziemlich wohlfühle, und Discos als
Ohrenzerstörende Fehlinstitutionen ansehe.
Ja aber wie soll die Jugend heutzutage an Klassik herangeführt werden??!???
Im Musikuntericht sitzt jeder gelangweilt da, weil Bach und Beethoven als
altmodisch, Kirchenmusik als befremdend da man selbst ja nie in einer Kirche
war, Ravels Bolero als Impressionismus und moderne Musik als eine
Zusammensetzung dissonanter Störlaute gelehrt wird. Selbst der Musiklehrer
sieht Klassik für die Jungend nur als Belästigung an. Wo ist der Lehrer der
die Jugend zur Alternative in der Klassik erzieht??? Beim Kuscheln kommt nun
mal der Debussy besser als die Celine Dion oder in der Art. Warum zieht sich
der Jugendliche beim Lernen statt Hosen mal einen Wagner oder Mahler rein???
Was soll dieses affige rumgehoppse der "HipHopper", das führt doch nur ins
abseits. Warum kann ein Lehrer keine Künstler als Vorbild geben, so wie ich
mir selbst in langer Arbeit Debussy als Vorbild gegeben habe????
90% der Schüler wissen, dass Schopenhauer die Frauen verachtete, aber nicht
mal 10% wissen wer die Zauberflöte oder den Parsifal geschrieben haben.
Meine lieben Mitschüler wissen nicht mal wie das berühmteste Gemälde in der
Dresdner Galerie heißt. Es ist nicht alles Ihre Schuld, sondern die des so
kunstfeindlichen Bildungs- und Erziehungswesen!!!!
Gegenseitige Toleranz und Achtung erreicht man eben nicht durch Ethik oder
Philosophieunterricht, sondern wie schon erwähnt durch die Erziehung zum
Erkennen des Wahrhaften, des Authentischen in der Kunst und eine
Wochenstunde Musik und Kunsterziehung kann da ganz gewiss nicht dazu
beitragen.

Martin Rucker, DD

Andreas Heck

unread,
Aug 8, 2000, 3:00:00 AM8/8/00
to
Hi Martin,

ich fürchte, da bist Du trotz Deines Alters einem Generationskonflikt
aufgesessen ;-)

> Ich bin mit meinen 17 Jahren noch fast ein Kleiner. Ich muss
> sagen dass jeder von euch auf seine Weise recht hat. Rieu&co.
> ist halt seichte Unterhaltung, aber ich möchte trotzdem den
> Konsumenten dieser Musik mehr krittisieren als den Produzenten,
> ohne mir hier dabei irgendwelche Feinde zu machen.

Obwohl ich das völlig anders sehe, habe ich keine Ambitionen, ein Feindbild
aufzubauen ;-)
Stell' Dir doch einmal vor, all die Rieu-Fans würden auf anspruchsvolle
Musik umschwenken. Das wäre meiner Ansicht nach die Katastrophe. Denn Musik
ist heute ein Markt - und der passt sich der Nachfrage an. Das heisst, wenn
die unzähligen Millionen Freunde von Rieu, Lotti, Mae usw. plötzlich die
Opernhäuser oder die Konzertsäle besuchen würden, würden sich die
Veranstalter dieser neuen Zielgruppe ganz zwangsläufig anpassen. Dann gäbe
es auch dort nur noch ganz "einfache" Ware in möglichst einfacher
Verpackung: Statt dem Don Giovanni dann Das weisse RÖssl am Wolfgangssee,
statt Beethovens 9ter dann die Rondo Veneziano-Variante von Vivaldis Vier
Jahreszeiten usw. Und so was "Schwieriges" wie Debussy oder Messiaen gäbe es
dann gar nicht mehr.
Das dürfte Dir wohl kaum gefallen ;-)

Deshalb: Seichte Unterhaltung ist völlig in Ordnung so, die gab es immer und
wird es immer geben. Es ist ein Trugschluss zu glauben, man könne (und vor
allem müsse!) die Welt dahingehend verändern, dass jeder nur noch erkennt,
was die "wahre Musik" ist. Ich weiss nicht einmal, was das wäre, sondern
kann immer nur von mir aus urteilen, welche Musik für mich persönlich die
wahre Musik ist.
Ich finde es schlicht unfein, Menschen vorschreiben zu wollen, welche Musik
sie hören sollen bzw. dann, wenn sie etwas hören, was einem selbst zuwider
ist, glauben, daraus folgern zu können, sie wären irgendwie weniger oder
dümmter oder oberflächlicher oder sonst irgendwas.

Mich ärgert wirklich nur der Produzent des Ganzen. Und nicht wegen dem, was
er uns bietet, sondern wie er es uns anpreist. Warum muss er z. B. mit dem
Titel "Strauß-Walzerkönig" oder wie auch immer rumrennen, wenn er a) maximal
eine Nachahmung von Strauß'scher Musik bietet und b) nicht weniger Zuhörer
hätte, wenn er ganz offen und ohne Aufbauschung sagen würde, was er tut: Er
unterhält die Massen mit einfacher musikalischer Ware. Das ist nichts
ehrenrüchiges, sondern eine feine Sache. Mich ärgert nur die Heuchelei,
nicht das, was er macht.

> Erstmal muss ich feststellen, dass das Durchschnittsalter dieser
> Hörer ja um die 60 Jahre liegt.

Da täusch' Dich mal nicht. Diese "Käuferschicht" ist an Masse und vor allem
an Zahlungskraft nicht so stark, um Scheiben von Rieu und ähnlichen ein ums
andere Mal in Null Komma nix auf Platz 1 der Verkaufshitparade zu
katapultieren. Da müssen auch noch eine Menge Leute mit jüngerem Baujahr
unter den Käufern und damit Fans sein.
Der Umkehrschluss "Rieu = Kultur für die Alten" wäre auch dahingehend falsch
und wenig fein, weil da eben genau wieder diese Minderbewertung drinstecken
würde, die ich weiter oben angesprochen habe.
So einfach ist das Thema Unterhaltung nicht abzuhaken.

> Als folge der oft angesprochenen Vernachlässigung der Musik in unserer
> heutigen Gesellschaft sehe ich es so, dass die meisten Leute, wie soll
> ich es sagen, die "schnelle Klassik" hören wollen. Im Alter ist man nun
> mal anfälliger auf Schmalzbuben.

Auch da täuscht Du Dich extrem. Sieh' Dir mal die Fans sog. "Schmalzbuben"
der Schlager-Szene an. Da siehst Du nur wenige ältere Menschen im Publikum.
Das Phänomen "Schmalzbube begeistert Millionen" ist eher ein Phänomen der
Altersgruppe der 20 bis 40jähirgen (Guildo Horn, Marianne Rosenberg,
Wolfgang Petri etc.). Da tust Du der älteren Generation ganz schön unrecht.
Deren Anteil an den Hörern der von Dir geschätzten Musik ist sogar extrem
hoch (was eben und wiederum mein Problem ist).

> Psychologische Beeinflussung!!!

Bezweifle ich doch stark. Im selben Masse bin ich psychologisch oder
sonstwas beeinflusst von den Musikern, deren Musik ich höre.
Es ist eine Legende, dass der Hörer anspruchsvoller Musik der bessere Mensch
wäre. Das ist schon fast eine Tragik, weil wenn Musik überhaupt die Kraft
hat, Menschen zum Besseren zu erziehen, dann die sog. E-Musik, das ist schon
klar. Sie schafft es aber dennoch meist nicht, weil das jeder ganz
individuell sieht. Das sieht man z. B. an oft aufkommenden Diskussionen über
Stücke, die für die einen politischen Charakter haben, während andere -
durchaus bewanderte und gebildete "Klassik-Hörer" - jeglichen Anspruch auf
Politisierung und kritischer Bewusstmachung aus Musik raus haben möchten.

> Bei Rieu darf man Schunkeln und Tanzen, wo darf man dass sonst im
> Konzert.

Aber genau das war doch meine Kritik der letzten Postings an diesem
stockkonservativen Kulturbetrieb. Warum ist es quasi ein Sakrileg im Konzert
zur einen oder anderen Musik zu tanzen, mitzusummen oder sonst irgendwas zu
machen, an dem man erkennt, das einen die Musik mitnimmt? Ich habe z. B. die
für meine Nebensitzer blöde Angewohnheit, dass ich bei Musik, die mich
mitreisst mit den Füssen leicht den Takt mitstampfe. Kann ich nix dagegen
machen, passiert ganz automatisch ;-) Warum muss ich denn im Konzert steif
und stumm sitzen, als würde mich das, was da vorne passiert gar nichts
angehen? Und wenn dann das "Ewig" im "Abschied" von Mahlers "Lied von der
Erde" erklinkt, kann ich mich anstrengen wie ich will, dass bringt mich
immer zum Schluchzen. Sollte ich dann aus Rücksicht vor den aufgrund der
Konvention kaum zu atmen wagenden Nachbarn den Saal verlassen?
Gerade Du als Musiker wirst doch wissen, dass der Zugang zur Musik durch das
Mitmachen immer ein weitaus besserer ist, als das distanzierte blosse
Lauschen (was nicht heissen soll, dass man nicht auch letzteres machen kann,
ist eben eine persönliche Angelegenheit jedes einzelnen). Bei Konzerten mit
zeitgenössischer Musik geht es selten still ab, da gibt es immer
"Zwischenreins", seien sie Bekundungen der freudvollen Überraschung oder
Missmutbekundungen. Ich finde das herrlich, weil es zeigt, dass die Musik
einen betrifft und man nicht den Anschein bekommt, als sei das Publikum
völlig unbeteiligt. Es hat auch mehr den Charakter des "Dazugehörens" und
wirkt weniger wie die Versammlung der Aristokratie, wenn ich ehrlich bin. Es
ist ja auch musikalisch eher widersinnig, sich zu Musik nicht zu bewegen,
denn Bewegung und Musik waren vom Anfang der Musik immer zusammenhängend.
Das änderte sich erst später. Da lob ich mir die Italiener, denen es völlig
egal ist, wie man sich normalerweise im Konzert zu verhalten hat. Wenn die
Arie toll gesungen wird, springen sie mittendrin auf und brüllen durch den
ganzen Saal "Bravissimo!" ;-) Musik hat doch ganz viel mit Emotion zu tun,
die kann ich doch nicht aufgrund der KOnzertsituation irgendwie verdrängen
oder mich nur aufs Schwitzen verlegen.

> Gidon Kremer mahnt die Zuhörer zu mehr Konzentration, also
> muss ich mich da ja anstrengen.

Nichts gegen Gidon Kremer, den schätze ich besonders hoch. Aber ich kann
mich ja auch ohne starr-stumme Körperhaltung konzentrieren. Denk' doch nur
mal an die Dirigenten. Es gibt nicht selten Aufführungen oder vor allem
CD-Einspielungen, wo man sie mitsummen, -swingen oder -stöhnen hört - und
das nicht aufgrund der körperlichen Anstrengung, sondern weil sie es nicht
einfach konzentriert und still runterdirigieren können, ohne dabei zu
platzen. Da fällt mir immer Lenny Bernstein ein. Manche haben ihm seinen
exaltierten, emotional bewegten Dirigierstil vorgeworfen. Das sei Show.
Quark, das ist ein Zeichen dafür, wie sehr der Dirigent von dem, was er da
tut, persönlich mitgerissen wird.

> Ich vergleiche Rieu&Co immer mit McDonalds - schnell, einfach und


> massenwirksam, wohingegen z.B. Kremer&Co den exclusiven Italiener
> darstellen- mit Genuß und Anspruch konsumieren.

Aber ist das denn sonderlich verwerflich oder überhaupt auch nur irgendwie
zu kritisieren? Ich finde das legitim. Natürlich gehe ich persönlich
ausschliesslich zum Italiener oder Vergleichbarem zum Essen und meide
McDonalds oder andere Fastfood-Ketten, wo ich nur kann. Aber ist einer, dem
ein anständiger BigMac lieber ist als Sushi oder Carpaccio irgendwie ein
Mensch, der "unter mir" angesiedelt ist? Das ist doch eine Frage des
persönlichen Geschmacks, nicht des "besser / schlechter".

> Andererseits, gäbe es Rieu, Lotti& Co nicht würden ja noch
> weniger Leute als Heute Klassik hören.

Das bezweifle ich ganz stark und Werner hat in einem vorigen Posting ganz zu
recht darauf hingewiesen, dass solche Veranstaltungen den Zugang zur
anspruchsvollen Musik eher erschweren. Denn es ist ja nicht "KLassik", was
Rieu bietet. Es ist eine verkürzt-vereinfachte Cover-Version von Strauß,
Chopin oder Offenbach. Lotti singt keine klassischen Arien, sondern die
Schlager-Variante von Arien. Und Vanessa Mae spielt nicht Bach, sondern eine
Pop-Melange von Bach-Titeln. Denen das gefällt, gefällt nicht automatisch
auch das Original. Vielen hat Vanessa Maes HIt gefallen - den wenigstens
davon hätte gefallen, wenn man ihnen das Original auf Kirchenorgel geboten
hätte.

Aber ich finde auch das nicht tragisch. Es ist zwar Wunsch vieler aber
dennoch unerfüllbare Utopie, dass alle Menschen die "wahre Musik" hören
müssten. Das war noch nie so, wird nie so sein. Obwohl es natürlich - dank
Reproduktion und Veränderung der Arbeitswelt - besser geworden ist. Noch vor
100 Jahren hätte unsereins sich einen Konzertbesuch weder finanziell noch
zeitlich leisten können.
Man darf aber nicht vergessen, dass bei es in punkto anspruchsvoller Musik
weit mehr bedarf, als das blosse Konsumieren. Und viele sind einfach nicht
bereit, da mehr zu leisten, als nur hinzuhören. Das finde ich legitim, ist
die Entscheidung jedes Einzelnen. Mir ist allemal lieber, man stillt seinen
musikalischen Hunger an solchen Häppchen, als dann völlig unbedarft und
nicht-kapierend eine Aufführung von Verdis "Falstaff" zu besuchen. Da tut
man sich keinen Gefallen. Man tut dann aber auch der Musik keinen Gefallen,
weil es deftig Kritik hageln würde ... die in der Regel gar nichts mit der
Musik zu tun hätte, sondern immer nur mit der eigenen fehlenden
Sachkenntnis.

> Zur Musikerziehung: Ich bin selber Musiker [...]

Das ist doch schön, dass Dich die Musik Bachs und späterer Komponisten so
früh so fruchtbar erreicht hat. Freut mich für Dich. SOllte Dich aber nicht
dazu bringen, auf andere, die musikalisch in einer anderen Liga konsumieren,
herabzublicken. Das hören von Debussy macht Dich menschlich nicht besser als
einen, der lieber Zlatko & Jürgen hört.

> Wenn ich heutzutage VIVA anschaue und sehe wie sich die Jugend in
> meinem Alter in 130 Db-Anlagen mit Stoff vollschütten, dann kommt
> mir irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich in da der Musik
> von Debussy etc. ziemlich wohlfühle, und Discos als Ohrenzerstörende
> Fehlinstitutionen ansehe.

Was aber, wenn ein gleichaltriger das komplett umgekehrt sieht:
"Wenn ich heutzutage 3Sat anschaue und sehe wie sich manche in meinem ALter
als Fiedler in Symphonieorchestern mit Stoff vollschütten, dann kommt mir
irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich in der Musik von Madonna
etc. ziemlich wohlfühle, und Konzerthäuser als Spasszerstörende
Fehlinstitutionen ansehe."

Wer hat jetzt - aus einer objektiven Warte - recht? Wohl keiner oder beide.

> Ja aber wie soll die Jugend heutzutage an Klassik herangeführt
werden??!???

Nicht mit den Argumenten, die Du bringst ;-))
Wenn Dich einer dazu bringen wollte, Dir einmal Musik von ... was weiss ich
... Public Enemy anzuhören, hätte er sicherlich nicht viel Erfolg, wenn er
Deine bisherigen Hörerfahrungen in den Orkus argumentiert. Es geht - gerade
bei Jugend - darum, Angebot zu unterbreiten. Je geschickter man diese
Angebote gestaltet, desto eher wird man jemanden erreichen.

> Im Musikuntericht sitzt jeder gelangweilt da, weil Bach und Beethoven als
> altmodisch, Kirchenmusik als befremdend da man selbst ja nie in einer
Kirche
> war, Ravels Bolero als Impressionismus und moderne Musik als eine
> Zusammensetzung dissonanter Störlaute gelehrt wird. Selbst der Musiklehrer

> sieht Klassik für die Jungend nur als Belästigung an. Wo ist der Lehrer
der
> die Jugend zur Alternative in der Klassik erzieht???

Den hatte ich, ok, hatte ich halt Glück gehabt. Ich habe - so vor einem
Jahr - eine Radiosendung mitverfolgt, eine Diskussionsrunde von Musiklehrern
und ähnlichen, die für musikalische Erziehung zuständig sind. Das war höchst
interessant, was manche Lehrer - die den selben Lehrplan haben als andere
Lehrer, die einfach nach Schema F langweilige Inhalte herunterbeten -
anstellen, um damit eine etwas ander Musik anderen Menschen nahezubringen.
Das war erstaunlich. Und der Schlüssel in all diesen Positivbeispielen war
immer das Mitmachen.
Es liegt doch nicht an der Musik, dass die Schüler gelangweilt im Unterricht
hocken, wenn es ums Thema Bach geht. Und es liegt auch nicht an den "bösen
Schülern", die nichts mehr interessiert.
Es liegt daran, wie man für eine Sache wirbt. Man muss die Menschen, egal
welchen ALters, begeistern. Und das kann man nicht, indem man trockene
Fachinhalte herunterbetet.

> Beim Kuscheln kommt nun mal der Debussy besser als die Celine Dion oder
> in der Art.

Nun ja, das ist nun wirklich eine Frage des persönlichen Geschmacks und
keine Frage der musikalischen Qualität. Ich glaube kaum, dass Dein Kuscheln
besser ist, als es das des Dion-Hörers ;-)

> Warum zieht sich der Jugendliche beim Lernen statt Hosen mal einen Wagner
> oder Mahler rein???

Für mich geantwortet: Weil mich Wagner/Mahler zu sehr ablenken würden. Aber
warum zieht sich der Klassik-Hörer beim Zeitunglesen nicht auch mal die
Hosen rein statt den immergleichen Sinfonien oder Opern?

Die Frage stellt sich doch nicht.
Die Frage, die sich stellt ist, warum Jugendliche selten an der "Kultur der
Vorfahren" etwas entdecken können oder wollen oder aber auch in ihrem
eigenen Sinne dürfen[!].

> Was soll dieses affige rumgehoppse der "HipHopper", das führt doch nur ins
> abseits.

Als HipHopper, der ich im zarten Alter von 13 Jahren einmal war ;-), muss
ich da jetzt sagen, dass das natürlich völliger Quatsch ist. Ein Mensch
gerät doch nicht dadurch ins Abseits, dass er nicht Debussy oder Bach hört.
Zumal es ja HipHop und HipHop gibt. Erzähl mal einem schwarzen Jugendlichen
in South Central LA, er solle statt Musik selbst zu machen und sich damit
Luft zu verschaffen, lieber in ein Symphonie-Konzert mit einem
Eintrittspreis von 60 US-$ gehen, wo er als schwarzer Jugendlicher von der
weissen High Society wie eine Pestbeule beäugt würde (wie viele schwarze
Musiker, Komponisten und Dirigenten kennst Du?). Der wird dann
wahrscheinlich Dir gegenüber das hässliche Wort gebrauchen, das mit der
männlichen Kuh beginnt ;-))

> Warum kann ein Lehrer keine Künstler als Vorbild geben, so wie ich
> mir selbst in langer Arbeit Debussy als Vorbild gegeben habe????

Das musst Du den Lehrer fragen. Das liegt doch nicht an der "schlimmen
Jugend".

> 90% der Schüler wissen, dass Schopenhauer die Frauen verachtete, aber
nicht
> mal 10% wissen wer die Zauberflöte oder den Parsifal geschrieben haben.

Und 70% oder mehr der "normalen" Erwachsenen wissen nicht, wer den Erlkönig
geschrieben hat. Das sagt doch gar nichts. Schau Dir doch mal eine der
mittlerweile massig vorhandenen Quiz-Shows auf den Privaten an. Dann wirst
Du schnell merken, dass geringe Allgemeinbildung (vor allem im Bereich
Kunst/Kultur) kein genuines Problem der Jugend ist.

> Meine lieben Mitschüler wissen nicht mal wie das berühmteste Gemälde in
der
> Dresdner Galerie heißt.

Ist ok, dafür werden sie einiges wissen, was Du aufgrund Ignoranz oder
Desinteresse nichts weisst. Ich wäre da wirklich vorsichtig mit dem
Ungleichgewicht aufbauen. Wie gesagt: Man ist kein besserer Mensch, nur weil
man im GEgensatz zu einem anderen Beethoven statt Oberkrainer hört.

> Es ist nicht alles Ihre Schuld, sondern die des so
> kunstfeindlichen Bildungs- und Erziehungswesen!!!!

Ob das Bildungswesen kunstfeindlich ist, weiss ich nicht. Dazu bin ich wohl
zu lange da raus. Dass es im Bildungswesen einiges zu reformieren gäbe ist
wiederum klar und jedem offensichtlich (nicht nur wegen der
Green-Card-Diskussion). Aber dann ist das doch nichts, was man ständig der
Jugend vorwerfen sollte, sondern den VErantwortlichen, die in aller Regel
zwischen 30 und 60 Jahren alt sein dürften.

> Gegenseitige Toleranz und Achtung erreicht man eben nicht durch Ethik
> oder Philosophieunterricht, sondern wie schon erwähnt durch die Erziehung
> zum Erkennen des Wahrhaften, des Authentischen in der Kunst und eine
> Wochenstunde Musik und Kunsterziehung kann da ganz gewiss nicht dazu
> beitragen.

Geht es Dir denn wirklich um Toleranz? frage ich mich da. Toleranz heisst
doch nicht, dass alle den Wert des "Wahren" erkennen MÜSSEN, sonst sind sie
"Menschen 2. Klasse", sondern Toleranz bedeutet doch, dass man die
persönliche Ausrichtung des anderen akzeptiert (zumindest so lange sie nicht
die eigene einschränkt).

Toleranz ist doch was ganz anderes, findest Du nicht? Toleranz ist doch,
wenn ich zum meinem Freund sage, dass ich ok finde, dass er Mahler zum
Kotzen findet und lieber Bon Jovi hört und er in Ordnung findet, dass ich
lieber Mahler statt Bon Jovi höre. Dem anderen seines lassen und so zu
akzeptieren, wie es ist, bedeutet für mich Toleranz. Dem anderen das eigene
aufzwängen zu wollen ist Missionarstum und hat mit Toleranz gar nichts zu
tun (vor allem weil man dadurch genau das Gegenteil von dem erreicht, was
man eigentlich erreichen wollte).

CU.
--
Andreas Heck.

Frederic Ponten

unread,
Aug 8, 2000, 3:00:00 AM8/8/00
to

Martin Rucker schrieb in Nachricht <8mn4f3$67m$4...@rks1.urz.tu-dresden.de>...
>Hallo ihr alle!!

>
>Ich bin mit meinen 17 Jahren noch fast ein Kleiner. Ich muss sagen dass
>jeder von euch auf seine Weise recht hat...<

Hallo Martin,
ich gebe Andreas recht, in dem, was er über Toleranz geschrieben hat.
Ich bin auch 17 Jahre alt, spiele auch Klavier und höre auch gerne Klassik.
Vielleicht nicht gerade Bach, da gefällt mir Debussy und vor allem auch
Ravel doch wesentlich besser.
Aber - ich höre genauso gerne die heutige Musik. Das muss kein Widerspruch
sein!
Was du über das affige rumgehopse der Hip-Hopper geschrieben hast, kann ich
nicht so stehen lassen.
Von der anderen Seite aus betrachtet sieht jeder Dirigent doch mindestens
genauso bekloppt aus, wie er sich mit schmerzerfülltem Grinsen um seinen
Stab windet.
Oder hast du schon mal Glenn Gould spielen sehen. Kurz vorm Orgasmus.
Entschuldige diese übertriebenen Vergleiche, aber ich hoffe du weißt, was
ich meine.
Das Problem der Klassik ist meiner Meinung nach, dass nur vielleicht 20%
(vielleicht auch 30, darüber will ich nicht streiten) der Menscheit sie
wirklich richtig hören können, aufgrund ihrer Hirnleistung. Das hört sich
etwas krass an, aber eigentlich stimmt es doch.
Es macht einfach keinen Spaß, eine lustige Geschichte in absoluter
Hochsprache erzählt zu bekommen, wenn man die nicht versteht...
Dann lieber vulgär, auch wenn ein paar Pointen verloren gehen.

Techno wird schon seit 10.000en Jahren gemacht, früher mit Hilfe von
Buschtrommeln heute mit was weiß ich was. Diese primitive Art von Musik,
noch unterstützt durch das Tanzen, kann Menschen glücklich machen. Und das
ist doch eigentlich der Hauptgrund für die Existenz von Musik.
Ich glaube übrigens, dass jeder noch so begeisterte Klassikhörer auch bei so
einfacher Musik Glück empfinden kann. Man setzt seine gestige Aktivität
herab und überwindet den vielleicht vorhandenen Ekel, lässt sich gehen. Dann
müsste es eigentlich klappen.
Nun gut, natürlich ist die geistige Freude ( bei der Klassik) die länger
anhaltende. Aber das andere ist auch nicht schlecht.

Ich weiß, dass dies hier Menschen dazu verleiten kann, sich zu denken: Ach
ich bin zu dumm, dann hör ich einfache Musik, obwohl sie vielleicht wohl in
der Lage gewesen wären. Denn jeder noch so kluge muss sich ersteinmal einen
Zugang zur Klassik schaffen und das ist sehr viel Arbeit.
Man kann nur sagen: Die Arbeit lohnt sich! Glaube mir oder glaube mir nicht,
es stimmt.

Man muss sagen: Rieu&co habe ihre Daseinsberechtigung.
Ich verstehe nicht ganz, warum man sich nicht von Rieu zur _richtigen_
Klassik weiterentwickeln könnte.
Rieu-Hörer stammen oft aus einer Schicht, in der der Umgang mit der Klassik
nicht gang und gäbe ist, wo sollen sie denn anfangen? Direkt bei 100 geht ja
wohl kaum. Und nur, weil der Vater Dachdecker war, heißt das ja nicht, dass
man geistig nicht in der Lage ist, Klassik zu hören.

Um mal auf das Schulsystem zu sprechen zu kommen. Ich habe jetzt schon
oftmals die Beobachtung gemacht, dass sehr viele Schüler allein schon bei
dem Wort _Klassik_ zurückschrecken und in eine Ablehnungshaltung verfallen.
Ich weiß nicht woran es liegt, wahrscheinlich an dem Alter der Musik. Sogar
bei mir war das so, ich weiß noch genau, was es mich für Selbstüberwindung
gekostet hat, meine erste Klassik-CD zu kaufen. Ich glaube, an dieser
Entscheidung hat die Schule nicht mitgewirkt. Entweder, man bekommt die
Klassik als Kind von seinen Eltern nahe gebracht oder man kommt mit 20-30
von selbst darauf, doch gerade in der Schulzeit mit Pubertät usw. können die
Lehrer nicht viel erreichen. Vielleicht eine(r) mit extrem viel
Ausstrahlung, wie es unter hundert einen gibt, der seine Klasse richtig
fesseln kann.
Ich glaube, in der Schule kann man nicht sehr viel ändern, Deutsch ist
nunmal wichtiger als Musik und muss auch dementsprechend viele Stunden
zugewiesen bekommen.

Man muss vielmehr die Klassik aktueller machen, man braucht einen Mozart,
der ja zu seiner Zeit U-Musik gemacht hat und keinen Stockhausen (nichts
gegen Stockhausen), dass die Kinder und Jugendlichen auch auf einslive im
Radio Klassik hören, da sie gerade in den Charts ist.

Mir ist aufgefallen, dass viele, die mit Klassik nichts zu tun haben, doch
gerne zusehen, wie ich Klavier spiele, also live. Hier könnte man ansetzen,
dass die Klassik die Gezwungenheit verliert, dieses Image von Frack im
Konzertsaal. Konzerte im Open-air-Stadion! Scheiß auf die Akkustik! Die
Leute müssen zwischendurch klatschen dürfen, wenn ihnen gerade eine Stelle
gefallen hat, wieso denn nicht? Zwischen den Sätzen - kein Problem. Dann
geht halt etwas Spannung verloren, aber dafür haben die Zuhörer ein ganz
anderes Erlebnis. Dies muss ja nicht zur Folge haben, dass die musikalische
Qualität auf das Rieu-Niveau sinkt, man setzt sich halt nur nicht mehr hin
und dudelt seine wunderschöne Interpretation herunter, sondern nimmt
Rücksicht auf das Publikum.
Und wem das nicht gefällt, kann immer noch in die Kölner Philharmonie oder
sonstwohin gehen.
Die eropäische Hochmusik oder wie auch immer das heißt braucht neue Impulse,
will ich damit sagen, im Moment habe ich mehr das Gefühl, dass sie sich mehr
und mehr von den Menschen entfernt.

Tut mir leid, dass ich hier so einen Brei an Gedanken geschrieben habe, ich
hab irgendwie keinen roten Faden reingekriegt.
Euer undurchdachten Blödsinn schreibender Frederic

Manfred Russ

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Andreas Heck schrieb:

> Das Phänomen "Schmalzbube begeistert Millionen" ist eher ein Phänomen der
> Altersgruppe der 20 bis 40jähirgen (Guildo Horn,

Auf die Gefahr hin, daß ich mich furchtbar täusche und allzu viele der
Konsumenten einem Mißverständnis erliegen: Um Guildo Horn zu goutieren,
braucht's schon ein etwas differenzierteres musikalisches Hör- und
Denkvermögen.
Und IMO auch ein deutlich anderes als bei Petri oder den Vertretern des
Mutantenstadls. (JFTR: ich hab nix gegen Volksmusik - gegen echte
Volksmusik...)

Manfred

Andreas Heck

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Hi Frederic,

ich finde das gar nicht so breiig - egal ob mit oder ohne roten Faden. Da
sind schon einige Gedanken dabei, die mitzudenken lohnen.

Deshalb auch nur in Teilen zu dem von Dir Geschriebenen:

[Snip]

> Man muss vielmehr die Klassik aktueller machen, man braucht einen Mozart,
> der ja zu seiner Zeit U-Musik gemacht hat und keinen Stockhausen (nichts
> gegen Stockhausen), dass die Kinder und Jugendlichen auch auf einslive im
> Radio Klassik hören, da sie gerade in den Charts ist.

Na ja, aber Stockhausen (will ihn eigentlich nicht verteidigen, weil ich
seine Musik nicht abkann) ist dann doch etwas aktueller - zumindest zeitlich
und technisch - als MOzart. Und man könnte da gegenüber den Kids ja z. B.
Björk ins Feld führen, die Stockhausen als Vorbild nennt.
Aber es geht auch gar nicht um Namen. Es geht um die Fähigkeit des Lehrers,
der Eltern, des Bekannten oder wer auch immer musikalisch etwas weitergeben
könnte, die Aktualität herzustellen. Aufzuzeigen, was an Musik dran ist, das
nicht aufhört aktuell zu sein.
Denn es ist ja nicht so, dass die Komponisten vor 100, 250 oder 400 Jahren
so sonderlich andere Dinge umgetrieben hätte. Und ein Mittel, das
"Spezialisten" in punkto Jugendliche immer als besonders günstig nennen, ist
die Synästhetik, die bei jungen Menschen, die sich geistig noch nicht so
viele Schubladen gebildet haben, stark ausgeprägt zu sein scheint. Man muss
das "bildlich", plastisch machen, muss Verbindungen herstellen, mit denen
diejenigen etwas anfangen können, die noch unerfahren oder desinteressiert
sind. Meiner Ansicht nach geht das z. B. in Operninszenierungen, in denen
Thematiken, die zeitlos sind, optisch in unsere Zeit übersetzt werden. Das
Thema Rechtsradikalismus ist gerade unter Jugendlich im Moment (mal wieder)
ein ganz wichtiges Thema. Dafür gäbe es viele Möglichkeiten, diese
Diskussion durch eine Operninszenierung mit Bildern zu füttern (z. B. Verdis
Nabucco, Bergs Wozzeck, Wagners Lohengrin) - die Themen ändern sich ja nicht
über die Jahre, sondern nur die äusseren Hüllen und die Interpretationen.
Bezüglich Synästhetik funktioniert - zumindest meiner Erfahrung nach - immer
das Verbildlichen von im Grunde komplexer Musik. Wenn man z. B. bewusst
macht, was einen Komponisten während der Zeit der Komposition umgetrieben
hat, was seine äusseren Lebensumstände waren, ist das keine trockene und
distanzierte Geschichte mehr, die nicht mit einem persönlich zu tun hat,
sondern man erlangt so vielleicht einen Zugang über das Interesse an der
Geschichte (z. B. die Geschichte mit Mozarts Vater(-figur) in seiner Arbeit,
Mahlers Verarbeitung persönlicher Schicksalsschläge in seiner Musik,
Beethovens musikalischer Kampf für Freiheit und Gleichheit der Menschen im
Fidelio und in der 9ten usw.) Die Distanz zwischen Mensch und Musik müsste
verringert werden, indem man verdeutlicht, was das - auch heute noch! - mit
jedem einzelnen selbst zu tun hat oder auch nur zu tun haben kann.

> Mir ist aufgefallen, dass viele, die mit Klassik nichts zu tun haben, doch
> gerne zusehen, wie ich Klavier spiele, also live. Hier könnte man
ansetzen,
> dass die Klassik die Gezwungenheit verliert, dieses Image von Frack im
> Konzertsaal.

Da bin ich genau auf Deiner Linie. Ich hatte wirklich das Glück, einen
dieser seltenen Musiklehrer zu haben, der es durch aberwitzige und ständig
am Lehrplan vorbeischrammende "Spiele" immer wieder schaffte, selbt noch so
skeptische Mitschüler zu fesseln. Dazu gehörte vor allem auch das eigene
Experimentieren mit Musik. Ich muss ja kein halbfertige KOnzertpianist sein,
um mich an den Flügel zu setzen und einfach drauf los zu experimentieren. Es
heisst ja noch immer "...spiel" und sollte mit Pflichtveranstaltung nichts
zu tun haben, sondern einfach nur Spass machen. Und warum dann nicht eine
Rap-Oper mit den Kids versuchen, in denen klassische Musik mit einfliesst
bzw. Thema ist?

> Die eropäische Hochmusik oder wie auch immer das heißt braucht neue
Impulse,
> will ich damit sagen, im Moment habe ich mehr das Gefühl, dass sie sich
mehr
> und mehr von den Menschen entfernt.

Für Deine Einschätzung sprechen ja auch die ständig rückläufigen Besucher-
und Verkaufszahlen. Die neuen Impulse sind ja auch vielfältig möglich, da
liessen sich viele Dinge anstellen. Ohne ketzerisch erscheinen zu wollen,
ist vor allem auch zeitgenössische Musik, als Nachfolgerin der Musik Bachs,
Mozarts und Beethovens, dazu angetan, jüngere Leute zu erreichen. Ich stelle
immer wieder in Konzerten fest, dass jüngere Menschen gegenüber dieser weit
komplizierter wirkenden Musik anscheinend leichter Zugang finden, als zu
zeitlich entfernter liegender. Vielleicht ist es, weil man darin eher Themen
findet, die man direkt auf sich beziehen kann. Ich weiss es nicht so genau.
Vielleicht ist es ja auch nur die ungezwungenere Atmosphäre bei
Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik. Jetzt fangen ja bereits DJs wie
der New Yorker DJ Spookey an, die Musik von Komponisten wie Steve Reich zu
entdecken und sich damit auseinanderzusetzen. Finde ich herrlich - und macht
mir zudem Hoffnung.

Thoralf Winkler

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Frederic Ponten schrieb:

> dass die Kinder und Jugendlichen auch auf einslive im
> Radio Klassik hören, da sie gerade in den Charts ist.

Hallo Frederic,
das muß nicht mal unbedingt was mit Charts zu tun haben sondern braucht
vielmehr auch eine umfassendere Musik-Kenntnis der
Moderatoren/Musikredakteure. Wenn Popsender am Tage das alltäglich
gleiche Gedudel spielen, so wird das aus Marktinteressen (leider) nicht
anders durchsetzbar sein. Abends jedoch gibt es schon den einen oder
anderen Sender, der auch mal für Popwellen völlig unübliche Musik
bringt. Allerdings dann nur, wenn sich die Moderatoren die Musik selbst
aussuchen. So hörte ich gestern Abend auf Fritz (ORB) Jürgen Kuttner in
der Talk-Sendung Blue Moon, und zum Schluß seiner Sendung spielte der
ein Lied von Schubert. Weil er aber oft völlig 'abartige*' Musik
aussucht, paßte auch Schubert mit rein.
(* hier nicht negativ gemeint)

So was steht und fällt aber immer mit der Kenntnis der Moderatoren, und
der Sender muß denen überhaupt solche Freiheiten lassen.

Viele Grüße
Thoralf

Thoralf Winkler

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Andreas Heck schrieb:

> Stell' Dir doch einmal vor, all die Rieu-Fans würden auf anspruchsvolle
> Musik umschwenken. Das wäre meiner Ansicht nach die Katastrophe. Denn Musik
> ist heute ein Markt - und der passt sich der Nachfrage an. Das heisst, wenn
> die unzähligen Millionen Freunde von Rieu, Lotti, Mae usw. plötzlich die
> Opernhäuser oder die Konzertsäle besuchen würden, würden sich die
> Veranstalter dieser neuen Zielgruppe ganz zwangsläufig anpassen.
ganz zu schweigen vom Platzproblem und den Kartenpreisen.

Hallo Andreas,
meine Zustimmung zu dem was Du schreibst.

> Es geht - gerade
> bei Jugend - darum, Angebot zu unterbreiten. Je geschickter man diese
> Angebote gestaltet, desto eher wird man jemanden erreichen.

Was diesen Punkt angeht, so muß ich auch vielen öffentlich-rechtlichen
Radiosendern (da Musik eben oft über's Radio kommt) den Vorwurf machen,
daß sie sich der Eintönigkeit der privaten Sender angepaßt haben. Es
geht ja nicht nur darum, Jugendliche unbedingt dazu zu bringen, Klassik
zu hören. Wichtiger ist es, überhaupt ein Gefühl dafür zu haben, daß es
immer auch Musik abseits des Mainstreams gibt. Ob das dann Klassik ist
oder anderes, vielleicht elektronische Musik, Klangexperimente o.ä. ist
dabei zweitrangig.

> das hässliche Wort gebrauchen, das mit der
> männlichen Kuh beginnt ;-))

Stier?

Viele Grüße
Thoralf

Martin Mueller

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Im Artikel <8mp2h6$2up$16$1...@news.t-online.com>, "Andreas Heck"
<acp-p...@t-online.de> schreibt:

>Thema: Re: Klassik für Millionen
>Von: "Andreas Heck" <acp-p...@t-online.de>
>Datum: Tue, 8 Aug 2000 15:37:52 +0200

> Das heisst, wenn
>die unzähligen Millionen Freunde von Rieu, Lotti, Mae usw. plötzlich die
>Opernhäuser oder die Konzertsäle besuchen würden, würden sich die
>Veranstalter dieser neuen Zielgruppe ganz zwangsläufig anpassen. Dann gäbe
>es auch dort nur noch ganz "einfache" Ware in möglichst einfacher
>Verpackung: Statt dem Don Giovanni dann Das weisse RÖssl am Wolfgangssee,
>statt Beethovens 9ter dann die Rondo Veneziano-Variante von Vivaldis Vier
>Jahreszeiten usw. Und so was "Schwieriges" wie Debussy oder Messiaen gäbe es
>dann gar nicht mehr.

Lieber Andreas, lieber Martin,

diese Befürchtung ist sicher begründet. Andererseits habe ich in den 70er
Jahen, als die Verramschung klassischer Themen mit dem "Song of Joy" von Miguel
Rios begann, eine Menge Leute erlebt, die sich sagten: "Jetzt will ich das im
Original hören" und die dann bei den klassischen Originalen geblieben sind.
Zugegebenermaßen war das aber eine kleine Minderheit.

>Ich finde es schlicht unfein, Menschen vorschreiben zu wollen, welche Musik
>sie hören sollen bzw. dann, wenn sie etwas hören, was einem selbst zuwider
>ist, glauben, daraus folgern zu können, sie wären irgendwie weniger oder
>dümmter oder oberflächlicher oder sonst irgendwas.

Vorschreiben nicht, klar. Aber hier ist Aufklärungsarbeit zu leisten. Es ist
erstaunlich, dass Qualitätsunterschiede im Bereich der literarischen Produktion
leichter anerkannt werden als im musikalischen Bereich. Der qualitative
Unterschied zwischen Groschenromanen und Thomas Mann (oder Max Frisch oder
Grass oder Lenz oder oder...) ist leichter zu vermitteln als der zwischen Rieu
und Bartok. Käme man dahin, dass auch hier der Niveauunterschied akzeptiert
oder überhaupt erst einmal erkannt würde, hätte immer noch jeder das Recht zu
sagen: "OK, ich erkenne die musikalische Qualität von beispielsweise
Strawinsky, aber jetzt bin ich in Feierabendstimmung und will die Ballade pour
Adeline hören (oder auf dem Klavier spielen). Der Thomas-Mann-Leser liest ja
eventuell im Urlaub am Strand auch Karl May. Aber er weiß, auf welches Terrain
er sich damit begibt und akzeptiert das für sich.

>> Bei Rieu darf man Schunkeln und Tanzen, wo darf man dass sonst im
>> Konzert.
>
>Aber genau das war doch meine Kritik der letzten Postings an diesem
>stockkonservativen Kulturbetrieb. Warum ist es quasi ein Sakrileg im Konzert
>zur einen oder anderen Musik zu tanzen, mitzusummen oder sonst irgendwas zu
>machen, an dem man erkennt, das einen die Musik mitnimmt?

Die "hehre Stille" in klassischen Konzerten hat nur zum Teil etwas mit
konservativem Musikbetrieb zu tun. Es ist einfach eine Frage der Rücksicht auf
andere Konzertbesucher. Die haben nämlich auch den z.T. recht hohen
Eintrittspreis bezahlt und sich damit ein Recht darauf erworben, alle Nuancen,
auch feinste Pianissimi, mitzubekommen. Im Sprechtheater nimmt man ja auch
Rücksicht, damit alle anderen den Text auf der Bühne verstehen. Feine
musikalische Nuancen sind genauso Teil der Darbietung wie Dialoge auf der
Theaterbühne.
Ich hatte einmal eine ganze Saison lang in meinen Abo-Konzerten zwei ältere
Damen hinter mir sitzen, die immer die Partituren mitbrachten und sich
gegenseitig lautstark auf die jeweiligen Stellen hinwiesen. Irgenwann wurde mir
das zu dumm und ich fragte sie in der Pause, ob sie eigentlich davon ausgingen,
dass ich mein Eintrittsgeld dafür bezahlt hätte, ihen Dialogen zu lauschen. Ab
da waren sie still.

>Das änderte sich erst später. Da lob ich mir die Italiener, denen es völlig
>egal ist, wie man sich normalerweise im Konzert zu verhalten hat.

Gegenbeispiel: eine Opernaufführung in der Arena von Verona. Da herrscht vor
Beginn der Vorstellung eine wahre Volksfeststimmung, die Leute packen ihren
Picknickkorb aus, essen und trinken. Dann erscheint der irigent, hebt seinen
Taktstock, und 25.000 Zuschauer verstummen von einem Augenblick auf den
anderen, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Das beeindruckt mich
immer wieder aufs neue.

>Nichts gegen Gidon Kremer, den schätze ich besonders hoch. Aber ich kann
>mich ja auch ohne starr-stumme Körperhaltung konzentrieren. Denk' doch nur
>mal an die Dirigenten. Es gibt nicht selten Aufführungen oder vor allem
>CD-Einspielungen, wo man sie mitsummen, -swingen oder -stöhnen hört - und
>das nicht aufgrund der körperlichen Anstrengung, sondern weil sie es nicht
>einfach konzentriert und still runterdirigieren können, ohne dabei zu
>platzen. Da fällt mir immer Lenny Bernstein ein. Manche haben ihm seinen
>exaltierten, emotional bewegten Dirigierstil vorgeworfen. Das sei Show.
>Quark, das ist ein Zeichen dafür, wie sehr der Dirigent von dem, was er da
>tut, persönlich mitgerissen wird.

Bernstein tobt sich gestisch und mimisch aus, und ich nehme ihm ab, dass das
"von innen" kommt und keine kalkulierte Show ist. Aber er hält die Klappe - im
Gegensatz zu Celibidache mit seinem Gebrüll. Bei aller Hochachtung für Celi
stört mich das beim Anhören seiner Einspielungen schon.

>> Ich vergleiche Rieu&Co immer mit McDonalds - schnell, einfach und
>> massenwirksam, wohingegen z.B. Kremer&Co den exclusiven Italiener
>> darstellen- mit Genuß und Anspruch konsumieren.
>
>Aber ist das denn sonderlich verwerflich oder überhaupt auch nur irgendwie
>zu kritisieren? Ich finde das legitim. Natürlich gehe ich persönlich
>ausschliesslich zum Italiener oder Vergleichbarem zum Essen und meide
>McDonalds oder andere Fastfood-Ketten, wo ich nur kann. Aber ist einer, dem
>ein anständiger BigMac lieber ist als Sushi oder Carpaccio irgendwie ein
>Mensch, der "unter mir" angesiedelt ist?

In Bezug auf Esskultur schon, sonst natürlich nicht.

Das ist doch eine Frage des
>persönlichen Geschmacks, nicht des "besser / schlechter".
>
>> Andererseits, gäbe es Rieu, Lotti& Co nicht würden ja noch
>> weniger Leute als Heute Klassik hören.
>
>Das bezweifle ich ganz stark und Werner hat in einem vorigen Posting ganz zu
>recht darauf hingewiesen, dass solche Veranstaltungen den Zugang zur
>anspruchsvollen Musik eher erschweren. Denn es ist ja nicht "KLassik", was
>Rieu bietet. Es ist eine verkürzt-vereinfachte Cover-Version von Strauß,
>Chopin oder Offenbach. Lotti singt keine klassischen Arien, sondern die
>Schlager-Variante von Arien. Und Vanessa Mae spielt nicht Bach, sondern eine
>Pop-Melange von Bach-Titeln. Denen das gefällt, gefällt nicht automatisch
>auch das Original. Vielen hat Vanessa Maes HIt gefallen - den wenigstens
>davon hätte gefallen, wenn man ihnen das Original auf Kirchenorgel geboten
>hätte.

Hier muss man, glaube ich, unterscheiden zwischen Adaptionen klassicher Musik,
die wirklich eine kreative Synthese anstreben (z.B. Play Bach oder Ekseption),
und rein kommerziellen Wegwerfprodukten (James Last, Clayderman etc.) Auch
innerhalb des Klasik-Genres haben Auseinandersetzungen mit vorgefundenen
Originalen stattgefunden. (Ravels Instrumentierung der "Bilder einer
Ausstellung", Schönbergs Bach-Bearbeitungen etc.) Mozart hat Händels "Messias"
neu instrumentiert. Aber in diesen Fällen geschah dies eben auf einem Niveau,
das dem Original entsprach. Dagegen verkommen bei James Last die edlen Vögel
aus Tschaikowskys "Schwanensee" zu gerupften Weihnachtsgänsen.

>Man darf aber nicht vergessen, dass bei es in punkto anspruchsvoller Musik
>weit mehr bedarf, als das blosse Konsumieren. Und viele sind einfach nicht
>bereit, da mehr zu leisten, als nur hinzuhören. Das finde ich legitim, ist
>die Entscheidung jedes Einzelnen. Mir ist allemal lieber, man stillt seinen
>musikalischen Hunger an solchen Häppchen, als dann völlig unbedarft und
>nicht-kapierend eine Aufführung von Verdis "Falstaff" zu besuchen. Da tut
>man sich keinen Gefallen. Man tut dann aber auch der Musik keinen Gefallen,
>weil es deftig Kritik hageln würde ... die in der Regel gar nichts mit der
>Musik zu tun hätte, sondern immer nur mit der eigenen fehlenden
>Sachkenntnis.

Das ist sehr die Frage. Es muss ja auch nicht gleich der "Falstaff" sein, den
der "unbedarfte Zuhörer" besucht. (Rossini täte es für den Anfang auch!)
Andererseits: Vielleicht begreift auch der unvorgebildete Hörer ganz intuitiv
die Größe des "Falstaff". Mozart hat über seine Klavierkonzerte einmal
geschrieben, sie seien so beschaffen, dass der Kenner "Satisfaktion erhalte",
andererseits auch der Laie sie schön finden könne, ohne zu wissen warum.

>> Zur Musikerziehung: Ich bin selber Musiker [...]
>
>Das ist doch schön, dass Dich die Musik Bachs und späterer Komponisten so
>früh so fruchtbar erreicht hat. Freut mich für Dich. SOllte Dich aber nicht
>dazu bringen, auf andere, die musikalisch in einer anderen Liga konsumieren,
>herabzublicken. Das hören von Debussy macht Dich menschlich nicht besser als
>einen, der lieber Zlatko & Jürgen hört.

Menschlich nicht. Aber es zeugt von qualitativem Differenzierungsvermögen. Und
das ist doch in einer Zeit des manipulierten Massenkonsums schon eine ganze
Menge wert.

>> Wenn ich heutzutage VIVA anschaue und sehe wie sich die Jugend in
>> meinem Alter in 130 Db-Anlagen mit Stoff vollschütten, dann kommt
>> mir irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich in da der Musik
>> von Debussy etc. ziemlich wohlfühle, und Discos als Ohrenzerstörende
>> Fehlinstitutionen ansehe.
>
>Was aber, wenn ein gleichaltriger das komplett umgekehrt sieht:
>"Wenn ich heutzutage 3Sat anschaue und sehe wie sich manche in meinem ALter
>als Fiedler in Symphonieorchestern mit Stoff vollschütten, dann kommt mir
>irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich in der Musik von Madonna
>etc. ziemlich wohlfühle, und Konzerthäuser als Spasszerstörende
>Fehlinstitutionen ansehe."

Zwischen bloßem Spaß und wirklicher Freude ist eben ein Unterschied. Das eine
ist unreflektierte Hingabe, das andere resultiert aus einer geistigen
Auseinandersetzung mit Musik. Womit soll ich mich denn bei Slatko
auseinandersetzen? Das ist doch ganz einfach nichts da, wo ich einhaken könnte.


>
>Wer hat jetzt - aus einer objektiven Warte - recht? Wohl keiner oder beide.
>
>> Ja aber wie soll die Jugend heutzutage an Klassik herangeführt
>werden??!???
>
>Nicht mit den Argumenten, die Du bringst ;-))
>Wenn Dich einer dazu bringen wollte, Dir einmal Musik von ... was weiss ich
>... Public Enemy anzuhören, hätte er sicherlich nicht viel Erfolg, wenn er
>Deine bisherigen Hörerfahrungen in den Orkus argumentiert. Es geht - gerade
>bei Jugend - darum, Angebot zu unterbreiten. Je geschickter man diese
>Angebote gestaltet, desto eher wird man jemanden erreichen.
>
>> Im Musikuntericht sitzt jeder gelangweilt da, weil Bach und Beethoven als
>> altmodisch, Kirchenmusik als befremdend da man selbst ja nie in einer
>Kirche
>> war, Ravels Bolero als Impressionismus und moderne Musik als eine
>> Zusammensetzung dissonanter Störlaute gelehrt wird.

Ein Pädagoge, der das lehrt, gehört vom Dienst supendiert.

>Es liegt doch nicht an der Musik, dass die Schüler gelangweilt im Unterricht
>hocken, wenn es ums Thema Bach geht. Und es liegt auch nicht an den "bösen
>Schülern", die nichts mehr interessiert.

Richtig. Im Grunde ist das auch kein musikalisches Problem, sondern eher ein
soziokulturelles. Abneigung gegen Klassik hat viel mit Auflehnung gegen die
Kultur der Elterngeneration zu tun. Das ist in einem gewissen Alter normal.
Leider macht die Tonträgerindustrie mit dieser Abwehrhaltung ein Geschäft, und
das ist das eigentlich Fatale an der Situation. Jugendlichen wird
Selbsbestimmung vorgegaukelt, und dabei merkt der große Teil nicht, wie er
manipuliert wird und wie es die Musikindustrie nur darauf abgesehen hat, ihm
das Taschengeld aus der Tasche zu ziehen.
...


>> 90% der Schüler wissen, dass Schopenhauer die Frauen verachtete, aber
>nicht
>> mal 10% wissen wer die Zauberflöte oder den Parsifal geschrieben haben.
>
>Und 70% oder mehr der "normalen" Erwachsenen wissen nicht, wer den Erlkönig
>geschrieben hat. Das sagt doch gar nichts. Schau Dir doch mal eine der
>mittlerweile massig vorhandenen Quiz-Shows auf den Privaten an. Dann wirst
>Du schnell merken, dass geringe Allgemeinbildung (vor allem im Bereich
>Kunst/Kultur) kein genuines Problem der Jugend ist.

Da sind wir wieder bei dem Problem, das ich weiter oben durch meinen Vergleich
zwischen Literatur und Musik angesprochen habe. In unserer Kulturgesellschaft
gilt es offensichtlich als Schande, Picasso nicht von Dürer, Goethe nicht von
Brecht unterscheiden zu können. Und die gleichen Leute, die sich über solche
"Ignoranten" mokieren, finden nichts dabei, Strawinsky mit Bach zu verwechseln
oder die "Brandenburgischen Konzerte" für Opern zu halten. Warum das so ist,
habe ich leider noch nicht herausgefunden.

Herzliche Grüße
Martin

Detlef Meissner

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Bei einer Besichtigung des SDR wurde zum Thema Klassik folgendes gesagt,
ca. 70% der Kosten für Musik gehen in den Bereich Klassik. Allerdings
höhren nur 3% der Radiohörer das klassische Programm. Ist es dann nicht
verwunderlich wenn Rundfunkanstalten sich mehr auf die Allgemeinheit
stützt.
Hier gibt es doch die meiste Kritik, das die Rundfunkgebühren zu
hoch sind.
Ich gebe zu, das ich z.B. von der neuen Struktur des SWR nicht
begeistert
bin, da ich außer Klassik auch noch Jazz höre und zwar alle Richtungen.
Leider wird mir auf diesem Sektor so gut wie nichts mehr geboten.
Wer hört denn heute schon Jazz (ich meine nicht die zur seichten Abart
verkommene Dixieland Musik, die in Beirgärten geboten wird).
Hier tritt das gleiche Phänomen auf, das es aus meiner Sicht für die
meisten Musikkonsumenten nur um Spass geht. Denn bei Jazz und Klassik
muß man
sich doch mit der Musik auseinandersetzen um sic dafür begeistern
zu können.
So ist leider der Zeitgeist. Deshalb laß ich auch den anderen ihre
Musik,
sei es Techno oder sonst etwas.

Gruß Detlef

> Was diesen Punkt angeht, so muß ich auch vielen öffentlich-rechtlichen
> Radiosendern (da Musik eben oft über's Radio kommt) den Vorwurf machen,
> daß sie sich der Eintönigkeit der privaten Sender angepaßt haben. Es
> geht ja nicht nur darum, Jugendliche unbedingt dazu zu bringen, Klassik
> zu hören. Wichtiger ist es, überhaupt ein Gefühl dafür zu haben, daß es
> immer auch Musik abseits des Mainstreams gibt. Ob das dann Klassik ist
> oder anderes, vielleicht elektronische Musik, Klangexperimente o.ä. ist
> dabei zweitrangig.
>

> > das hässliche Wort gebrauchen, das mit der
> > männlichen Kuh beginnt ;-))

> Stier?
>
> Viele Grüße
> Thoralf

Thoralf Winkler

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Detlef Meissner schrieb:

> Hier tritt das gleiche Phänomen auf, das es aus meiner Sicht für die
> meisten Musikkonsumenten nur um Spass geht. Denn bei Jazz und Klassik
> muß man
> sich doch mit der Musik auseinandersetzen um sic dafür begeistern
> zu können.
> So ist leider der Zeitgeist. Deshalb laß ich auch den anderen ihre
> Musik,
> sei es Techno oder sonst etwas.

Hallo Detlef,

daß immer noch gilt 'jedem Tierchen sein Pläsierchen' ist völlig
richtig, ich meine auch bei weitem nicht, daß jetzt die Popwellen keine
mehr sein sollen. Nur müssten sich doch öff.rechtl. Sender auch mal
erlauben dürfen, eine größere Vielfalt an Musik zu bringen, nicht nur
die Charts rauf und runter. Aber davon abgesehen, daß das kaum einer der
Moderatoren noch kann, von seinem eigenem Wissen her, wäre es ihnen
nicht erlaubt. Da kommt die Musik formatiert der Playlist entsprechend
aus dem Computer.
(Aber das gehört schon fast in de.alt.hoerfunk)

Viele Grüße
Thoralf

John Strieder

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Hallo, Martin.

mmk...@aol.com (Martin Mueller) schrieb:

Vorneweg, stimme ich dem, was Du schreibst, von allem hier am meisten
zu.

>Das ist sehr die Frage. Es muss ja auch nicht gleich der "Falstaff" sein, den
>der "unbedarfte Zuhörer" besucht. (Rossini täte es für den Anfang auch!)
>Andererseits: Vielleicht begreift auch der unvorgebildete Hörer ganz intuitiv
>die Größe des "Falstaff". Mozart hat über seine Klavierkonzerte einmal
>geschrieben, sie seien so beschaffen, dass der Kenner "Satisfaktion erhalte",
>andererseits auch der Laie sie schön finden könne, ohne zu wissen warum.

Ich sage nur: Mit Mozart, Beethoven, gar Rossini hätte man mich nur
fortgejagt. Es hätte nur Bergs Violinkonzert sein können.
Doch wer bietet ausgerechnet das einem Kind an?

Da der Musikgeschmack einer Person etwas sehr persönliches ist, kann man
nicht
eine ganze Schulklasse oder überhaupt alle Kinder in einen Topf werfen.


>>Im Musikuntericht sitzt jeder gelangweilt da, weil Bach und Beethoven als
>>altmodisch, Kirchenmusik als befremdend da man selbst ja nie in einer
>>Kirche
>>war, Ravels Bolero als Impressionismus und moderne Musik als eine
>>Zusammensetzung dissonanter Störlaute gelehrt wird.
>
>Ein Pädagoge, der das lehrt, gehört vom Dienst supendiert.

Ein bekannter (auch Komponist, nur sehr langsam...), hat mir von seinem
Musikunterricht (in Bayern, an einer Musikhochschule) mal erzählt, da
hätte es einen Lehrer gegeben, der voll und ganz auf das
Standardrepertoire setzte. In finsterstem bayerisch sagte dieser immer
zu allem modernen (???) wie Ravel oder Debussy: "Na, des is´ greislig,
hört´s doch liaba oanen Rossini, das is´ wos die Leit´ mögn"...
(oder so ähnlich).

Immer: "Das ist es, was die Leute mögen".

Mein Bekannter hat dann mal Alfred Schnittkes "(K)ein Sommernachtstraum"
dort vorgeführt...


Grüsse

John Strieder


Claus Huth

unread,
Aug 9, 2000, 3:00:00 AM8/9/00
to
Hallo Martin,

bevor ich ncoh zu Harnoncourt und Aimard komme (auf jeden Fall
hoffentlich heute abend ;-)) kann ich mir doch einen Kommentar nicht
verkneifen.....

Martin Mueller schrieb:


>
> Gegenbeispiel: eine Opernaufführung in der Arena von Verona. Da herrscht vor
> Beginn der Vorstellung eine wahre Volksfeststimmung, die Leute packen ihren
> Picknickkorb aus, essen und trinken. Dann erscheint der irigent, hebt seinen
> Taktstock, und 25.000 Zuschauer verstummen von einem Augenblick auf den
> anderen, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Das beeindruckt mich
> immer wieder aufs neue.

Ob sich das für das, was dann auf das versammelte Publikum losgelassen
wird, wenn der Dirgent (wie auch immer er heisst) den Taktstock das
erste mal nach unten bewegt, wirklich lohnt?? Zumindest meine
Erfahrung mit Aufnahmen aus der Arena spricht nicht dafür - allerdings
kann ich die sonstige stimmung nicht beurteilen, weil ich noch nie da
war. So schlecht wie die Orchesterstimmung in der von mir einstens
gehörten "Aida" wird sie wohl nicht sein.....

Beste Grüsse

Claus


Michael Holzhaeuser

unread,
Aug 10, 2000, 3:00:00 AM8/10/00
to
Hallo Andreas,

Andreas Heck schrieb:

> Aber es geht auch gar nicht um Namen. Es geht um die Fähigkeit des Lehrers,
> der Eltern, des Bekannten oder wer auch immer musikalisch etwas weitergeben
> könnte, die Aktualität herzustellen. Aufzuzeigen, was an Musik dran ist, das
> nicht aufhört aktuell zu sein.
>

...

> Man muss
> das "bildlich", plastisch machen, muss Verbindungen herstellen, mit denen
> diejenigen etwas anfangen können, die noch unerfahren oder desinteressiert
> sind.

...

> Wenn man z. B. bewusst
> macht, was einen Komponisten während der Zeit der Komposition umgetrieben
> hat, was seine äusseren Lebensumstände waren, ist das keine trockene und
> distanzierte Geschichte mehr, die nicht mit einem persönlich zu tun hat,
> sondern man erlangt so vielleicht einen Zugang über das Interesse an der
> Geschichte (z. B. die Geschichte mit Mozarts Vater(-figur) in seiner Arbeit,
> Mahlers Verarbeitung persönlicher Schicksalsschläge in seiner Musik,
> Beethovens musikalischer Kampf für Freiheit und Gleichheit der Menschen im
> Fidelio und in der 9ten usw.) Die Distanz zwischen Mensch und Musik müsste
> verringert werden, indem man verdeutlicht, was das - auch heute noch! - mit
> jedem einzelnen selbst zu tun hat oder auch nur zu tun haben kann.

Das ist alles absolut richtig, aber vor allem hast Du den Kernpunkt in Deinem
letzten Absatz angesprochen: Man muss sich Bewusst mit Musik auseinandersetzen
und das ist es, wozu heute anscheinend immer weniger Jugendliche bereit sind.
Ich bin fest davon ueberzeugt, dass eine intensive Beschaeftigung mit Musik die
Klassik vielen Leuten naeher bringen wuerde, aber da sind wir wieder an dem
Punkt, wer zu solch einer Beschaeftigung animieren muesste: die Lehrer ? die
Eltern ? Ich denke, solange Musik auf den Stundenplaenen immer mehr
zusammengestrichen wird, wird der Trend so weitergehen wie bisher. Dass ein
Jugendlicher, der sich mit Klassik oder Jazz bisher gar nicht beschaeftigt hat,
bei gelegentlichen Konzertbesuchen ueberfordert ist, glaube ich schon. Das kann,
wenn es nicht gerade schoen harmonisch melidioes klingt, dann eher frustrierend
sein. Wahrscheinlich ist die Oper tatsaechlich das geeignetste Medium, sich mit
dem Stueck zu beschaeftigen. (Aehnlich wie Tondichtungen).
Die Beliebtheit der Chartmusik ist sicherlich auch darauf zurueckzufuehren, dass
man sie eben nicht bewusst hoeren muss, sondern nebenher laufen lassen kann,
leider.

Viele Gruesse,

Michael


Andreas Heck

unread,
Aug 20, 2000, 6:06:22 PM8/20/00
to
Hallo Manfred,

zu den "Schmalzbuben":

> Auf die Gefahr hin, daß ich mich furchtbar täusche und allzu viele der
> Konsumenten einem Mißverständnis erliegen: Um Guildo Horn zu goutieren,
> braucht's schon ein etwas differenzierteres musikalisches Hör- und
> Denkvermögen.

Durchaus - ich würde den Meister auch nicht, nur aufgrund seiner fragwürdig
glänzenden Haarpracht, zu den Schmalzbuben der Schlagerszene zählen wollen
;-) Ich dacht eher an so ausgesuchte Vorzeige-Schwiegersöhne wie Jürgen
Markus (aus älteren Tagen) oder Patrik Lindner (in unseren Tagen).

> Und IMO auch ein deutlich anderes als bei Petri oder den Vertretern des
> Mutantenstadls. (JFTR: ich hab nix gegen Volksmusik - gegen echte
> Volksmusik...)

Die man im Fröhlichen Mutantenstadl ja auch nicht zu Hören bekommt. Dann
doch lieber Stefan Raab's "Der Karl, der Karl, der Moik - Moik - Moik. Der
kifft das schärfste Zeug - Zeug - Zeug" ;-)

Ich wollte ja auch gar nichts gegen den "Schmelz" so manches
Schlagersternchens gesagt haben - "jedem das seine", wie gesagt. Ich weiss
auch gar nicht mehr, um was es eigentlich ging ;-))

Andreas Heck

unread,
Aug 20, 2000, 6:31:22 PM8/20/00
to
Hallo Michael,

verzeih die urlaubsbedingte Verspätung.

> Das ist alles absolut richtig, aber vor allem hast Du den Kernpunkt
> in Deinem letzten Absatz angesprochen: Man muss sich Bewusst mit Musik
> auseinandersetzen und das ist es, wozu heute anscheinend immer weniger
> Jugendliche bereit sind.

Das ist wohl wahr ... aber irgendwie klingt das so, als sei dies bereits
wieder der (ach so schlimmen?) Jugend anzulasten. Und das glaube ich einfach
nicht bzw. will es nicht glauben, wenn ich daran denke, dass ich auch einmal
jung war (und in meiner Jugend die Pop-Charts rauf und runter gehört habe)
und dass meine Mutter einmal Jugendliche war (und noch heute klassische
MUsik nicht hören mag) und dass mein Grossvater einmal jung war (und von
frühester Jugend and ca. 70 Jahre den Nabucco gedudelt hat) usw. Ich will es
einfach nicht glauben. Ich glaube vielmehr, dass die Nicht-Jugendlichen,
also die Erwachsenen, es nicht verstehen, den Jugendlichen zu vermitteln,
welcher "Fun" in ernsthafter Musik zu entdecken ist.

> Ich bin fest davon ueberzeugt, dass eine intensive Beschaeftigung
> mit Musik die Klassik vielen Leuten naeher bringen wuerde, aber da
> sind wir wieder an dem Punkt, wer zu solch einer Beschaeftigung
> animieren muesste: die Lehrer ?

Unbedingt.

> die Eltern ?

Durchaus - vorausgesetzt, sie sind "Klassik-Hörer" und vor allem: tolerant
im Umgang mit den Hörwünschen anderer (was bei Klassik-Hörern leider sehr
selten der Fall ist).

> Ich denke, solange Musik auf den Stundenplaenen immer mehr
> zusammengestrichen wird, wird der Trend so weitergehen wie
> bisher.

Da könnt' ich heulen, so recht hast Du. Die Kurzsichtigkeit der Politik ist
ja sprichwörtlich - aber gerade in der kontraproduktiven Behandlung des
Muiks- und KUnstunterrichts zeigt sich das eklatant.

> Dass ein Jugendlicher, der sich mit Klassik oder Jazz bisher gar nicht
> beschaeftigt hat, bei gelegentlichen Konzertbesuchen ueberfordert ist,
> glaube ich schon. Das kann, wenn es nicht gerade schoen harmonisch
> melidioes klingt, dann eher frustrierend sein.

Und wird genau das Gegenteil bewirken von dem, was "wir vor hatten". Wenn
sich jeder einzelne von uns hier in diesem Forum einmal erinnert, wie
langwierig der Prozess bis zur vollen Begeisterung war ... und vor allem,
wie lange es gedauert hat, bis man hörerfahren genug war, um überhaupt zu
realisieren und damit geniessen zu können, was einem da geboten wird ...

> Wahrscheinlich ist die Oper tatsaechlich das geeignetste Medium, sich mit
> dem Stueck zu beschaeftigen. (Aehnlich wie Tondichtungen).

Ich denke: durchaus, weil das optische eben vieles an der an sich abstrakten
Musik plastischer machen kann.

> Die Beliebtheit der Chartmusik ist sicherlich auch darauf
zurueckzufuehren,
> dass man sie eben nicht bewusst hoeren muss, sondern nebenher laufen
lassen
> kann, leider.

Wobei ich die Beliebtheit der Chartmusik gar nicht verteufeln wollte - wäre
mir im Grunde genommen egal, neben der Arbeit höre ich auch gerne einmal das
lokale Pop-Radio, weil mir dafür eine Beethoven-Symphonie einfach "zu
schade" ist bzw. mich zu sehr ablenkt. Klar könnte man als Alternative auch
einmal gar nichts an Musik konsumieren ... na ja.

Grüsse.
--
Andreas Heck.

Peter Brixius

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Andreas,

schoen dass Du wieder da bist, dann kann ich ja auch zu diesem Thread
noch meinen Senf dazugeben - Deinen Standpunkt teile ich durchaus, einige
Ergaenzungen haette ich zu machen ...

In article <8met8b$1k3$16$1...@news.t-online.com>, acp-p...@t-online.de
says...


>
>
> Diesem Phänomen "Schlechtes fasziniert Millionen" wird man nicht beikommen
> und die Frage ist auch, ob man das wirklich muss. Musik ist spätestens seit
> 1945 "Ware" - und zwar eine mit gehörigem Profit.

Es ist die Frage, von welchem Zeitpunkt an man Musik als Ware auffinden
kann, es ist auf jeden Fall ein aelteres Phaenomen. Gerade habe ich noch
in Schreibers: Die Kunst der Oper, Band II gelesen (so auf dem
Durchblaettern zu Bellini), dass Emanuel Schickaneder 1787 im Vorwort zu
seinem Stueck "Der Grandprofoss" formulierte: "mein einziger Hauptzweck
ist, fuer die Kasse des Directeurs zu arbeiten und zu suchen, was die
groesste Wirkung auf der Buehne macht, um ein volles Auditorium und gute
Einnahmen zu erzielen." (a.a.O. S. 41)

Es ist wohl so, dass mit der Abloesung des Maezenatentums der Markt (ob
es nun der Musikmarkt der Verleger, Unternehmungen wie die Oper -Haendel
war eben auch schon Opernunternehmer- o.ae. waren) mehr und mehr
bestimmend wurde fuer die Produktion von Musikstuecken. Wenn man nicht so
geschickt wie Kozeluch den Markt beliefern konnte, dann musste man
scheitern wie Mozart, waehrend Beethoven sich sowohl des Marktes wie
seiner Maezene souveraen zu bedienen wusste. Von Weber und Baermann weiss
man, dass sie sich gegenseitig Besprechungen schrieben, um ihren
Marktwert zu erhoehen, um noch ein Beispiel zu nennen (Baermann war der
fuehrende Klarinettist seiner Zeit).

Also kurz gefasst, mit der Entstehung der buergerlichen Gesellschaft
wurde Musik zur Ware, wurde Musik fuer einen Markt produziert, der ja
auch andererseits eine Unabhaengigkeit des Kuenstlers zu garantieren
versprach, eine Unabhaengigkeit von der personalen Abhaengigkeit eines
Fuersten, wie sie etwa Zelenka zu seinem Nachteil erdulden musste - oder
eben Bach als gebeutelter Angestellter eines Leipziger Magistrats.

> Und der Markt will Rieu -
> und das gehörig. Dass man dem vergnügungshungrigen Volk gibt, was es will,
> ist pädagogisch vielleicht wenig sinnvoll, aber marktstrategisch durchaus
> nachvollziehbar.
>

Nun, mit der Paedagogik kommt man immer dann, wenn sich anders kein Geld
verdienen laesst :-)

>
> Und ein wenig mehr Toleranz in alle Richtungen täte sowohl den
> Klassik-Freunden, als auch den "fröhlichen Volksmutanten" ganz gut. Das
> lernt man BTW beim Hören von Cage'scher Mu... was auch immer ;-)
>

Zumindest sind ja die Klassik-Freunde auch auf die Toleranz der
ueberwiegenden Mehrheit angewiesen :-))

Es gruesst herzlich Peter


--
Einer der groessten und zugleich gemeinsten Fehler der Menschen
ist, dass sie glauben, andere Menschen kennten ihre Schwaechen
nicht [...]. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen besser von
anderen gekannt werden, als sie sich selbst kennen. (Lichtenberg)

Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Hallo Martin,

ein schwieriges Thema!

> diese Befürchtung ist sicher begründet. Andererseits habe ich in
> den 70er Jahen, als die Verramschung klassischer Themen mit dem
> "Song of Joy" von Miguel Rios begann, eine Menge Leute erlebt,
> die sich sagten: "Jetzt will ich das im Original hören" und die
> dann bei den klassischen Originalen geblieben sind. Zugegebenermaßen
> war das aber eine kleine Minderheit.

Und ich fürchte, die Situation hat sich "verschlimmert". Die Light-Klassiker
a la Rios oder Clayderman gab es damals nur sporadisch. Und der extreme
Unterschiede zu heute war, dass die Leute wussten, dass sie leicht
konsumierbare Lightversionen anbieten. Heute halten die Leute Boccelli für
einen guten Tenor und Andre Rieu für einen hervorragenden Geiger. Und weil
das so ist, wird heute weit weniger vorkommen, dass deren Fans "auch mal das
klassische Original hören wollen", weil sie nach ihrer Ansicht, nach
Meinungsmache der Medien usw. meinen, bereits das Beste zu hören :-(

[Musik vorschreiben]

> Vorschreiben nicht, klar. Aber hier ist Aufklärungsarbeit zu leisten. Es
ist
> erstaunlich, dass Qualitätsunterschiede im Bereich der literarischen
Produktion
> leichter anerkannt werden als im musikalischen Bereich. Der qualitative
> Unterschied zwischen Groschenromanen und Thomas Mann (oder Max Frisch oder
> Grass oder Lenz oder oder...) ist leichter zu vermitteln als der zwischen
Rieu
> und Bartok.

Da hast Du in der Tat recht. Aber auch in der Literatur hast Du das
"Phänomen", dass viele trotzdem sagen: "Na und, ist halt ein Groschenroman,
aber ich will mich nach der harten Arbeit einfach entspannen usw. usf."

> Käme man dahin, dass auch hier der Niveauunterschied akzeptiert
> oder überhaupt erst einmal erkannt würde, hätte immer noch jeder
> das Recht zu sagen: "OK, ich erkenne die musikalische Qualität
> von beispielsweise Strawinsky, aber jetzt bin ich in Feierabendstimmung
> und will die Ballade pour Adeline hören (oder auf dem Klavier spielen).
> Der Thomas-Mann-Leser liest ja eventuell im Urlaub am Strand auch Karl
> May. Aber er weiß, auf welches Terrain er sich damit begibt und akzeptiert
> das für sich.

Du hast wieder recht ;-) Aber der Musik steht eben der Abstraktheit "im
Wege". Da muss man gar nicht bei den absoluten Musik-Laien nachsehen, die
Andre Rieu nicht von Johann Strauß unterscheiden können. Wie viele
Klassik-Hörer, die sich z. B. bei Haydn bis Beethoven bestens auskennen,
gibt es, die z. B. Bartok als furchtbares Gekrache ansehen und das standhaft
behaupten, auch wenn man ihnen noch so oft erzählt, das Bartok wunderbare
Musik gemacht hat und eine ganz zentrale Figur im letzten Jahrhundert war?
Das sind Legionen! Wenn man dann gar nach Bartok anfängt, wird es ganz
problematisch. Da fängt dann selbst der auf die BArock-Musik spezialisierte
Musik-Professor unter Umständen an, einer kompletten Musikergeneration den
Topos "Musik" überhaupt abzusprechen. Bei Musik ist eben alles irgendwie
anders.
Denke doch nur einmal, wie es sich in der bildenden Kunst verhält (die
Literatur hat da eher das ähnliche Schicksal wie Musik): Klar verehrt man
noch und zurecht die alten Meister des Barock, der Renaissance usw. Aber
"Stadtgespräch" sind die Modernen. Die Museen und Gallerien hängen voll
damit und wer hat nicht irgendwo einen zwischen 30 und 3000 Mark teuren
Kunstdruck eines Miro-, Kandinsky-, Picasso- oder Dali-Bildes in seiner
Wohnung hängen? Aber wie viele von denen, die es als ganz normal empfinden,
sich mit moderner Malerei zu beschäftigen, hören statt Mozart einmal Boulez
oder statt Bach einmal Nono? Es ist bei Musik tatsächlich irgendwie alles
anders.

[Schunkeln conctra hehre Stille]

> Die "hehre Stille" in klassischen Konzerten hat nur zum Teil etwas mit
> konservativem Musikbetrieb zu tun. Es ist einfach eine Frage der
> Rücksicht auf andere Konzertbesucher.

Natürlich, ich wollte ja jetzt auch nicht zum kollektiven Geschunkel bei
Dvoraks 9ter aufrufen ;-) Aber die Steifheit des Konzertbetriebes ist nunmal
Fakt. Das ist alles irgendwie ritualisiert, mit Standesdünkel versehen, eine
hermetische Veranstaltung, nur für Eingeweihte usw. Dadurch ist vielen
Aussenstehenden der Zugang erschwert bzw. wirkt für viele abschreckend.

> Die haben nämlich auch den z.T. recht hohen
> Eintrittspreis bezahlt und sich damit ein Recht darauf erworben, alle
Nuancen,
> auch feinste Pianissimi, mitzubekommen. Im Sprechtheater nimmt man ja auch
> Rücksicht, damit alle anderen den Text auf der Bühne verstehen. Feine
> musikalische Nuancen sind genauso Teil der Darbietung wie Dialoge auf der
> Theaterbühne.

Ist auch richtig, was Du sagst. Aber was mach ich z. B., wenn ich gerne
einmal mit meinen Kindern in die Oper gehen würde? Keine Chance! Ein Kind
wird permanent nachfragen - der Erwachsene schweigt brav still, obwohl er
tausend brennende Fragen hätte, die er seinem Nachbarn, der ein
ausgewiesener Experte ist, gerne stellen würde, sich aber nicht traut.
Contra Dein Beispiel mit den beiden schwatzenden Damen: Ich war mal in einer
Vorstellung des Rheingoldes in der Oper. Neben mir sass eine Frau mit ihrer
Tochter - vermutlich so um die 8 Jahre alt. Die haben permanent geplappert,
weil die Mutter dem Kind - logischerweise - so manch Verwirrendes dort auf
der Bühne entwirren musste. Und die Augen des Kindes leuchteten, sie
lächelte, war selig und berauscht von der Vorstellung. Bis es zu
tumultartigen Szenen der "Alteingesessenen" kam, die sich gestört fühlten.
Anstatt sie sich über den Nachwuchs freuen, spucken sie Gift. Na ja ...

[Die plebs italiano]

> Gegenbeispiel: eine Opernaufführung in der Arena von Verona. Da herrscht
vor
> Beginn der Vorstellung eine wahre Volksfeststimmung, die Leute packen
ihren
> Picknickkorb aus, essen und trinken. Dann erscheint der irigent, hebt
seinen
> Taktstock, und 25.000 Zuschauer verstummen von einem Augenblick auf den
> anderen, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Das beeindruckt
mich
> immer wieder aufs neue.

Vielleicht warst Du ja in einer Vorstellung, die hauptsächlich von deutschen
Touristen besucht wurde? ;-)) Ich war ja auch mal - aufgrund eines
Geschenks - in der Verona (eine meiner schlimmsten Opernerfahrungen) und
erlebt das ganz anders. Das stimmt schon, beim Erheben des Taktstocks erst
mal Ruhe. Doch wenn dann die Arie soundso nach Ansicht des Publikums
gesungen wurde, brandet mitten in der Musik tosender Applaus auf. Wäre bei
uns nicht denkbar. Das liegt aber wohl daran, dass es Italienern (vor allem
aber den Römern) bei der Oper auf etwas ganz anderes ankommt, wie vielleicht
dem intellektuellen Germanen:

"[...] Noch erklingt das Vorspiel. Das weite Amphitheater vor der Bühne ist
mit viertausend Zuschauern gefüllt, die Damen in hochsommerlichen Kleidern,
die Herren im Smoking, im Sommeranzug, in Hemd und Hose, wie es jedem
gefällt. Man raucht und redet: das Vorspiel ist nicht die Oper. Die starken
Scheinwerfer [...] erlöschen plötzlich und der sagenhafte Burghof wird
sichtbar mit dem Turm im Hintergrund, in dem der arme Troubadour seinem Tode
entgegenschmachtet. Leonore, seine Geliebte, die ihn heimlich besucht,
beginnt ihre grosse Are von des Kerkers tiefer Nacht und von ihrer
schmerzzerissenen Klage - und plötzlich hört das Rauchen und Reden auf, man
setzt sich zurecht, jeder der Zuhörer kennt Ton für Ton, und aus einem
gleichgültig-unaufmerksamenen Publikum wird mit einem Male eine Versammlung
von Kennern, die jede Koloratur mit einem fast körperlich spürbaren Genuss
verfolgen. Die Primadonna schluchzt und seufzt, und jeder hier im Parkett
schlüft das ein, wobei niemand an Verdis Genie denkt, weil alle mit der
Stimme beschäftigt sind, die da singt. Manrico, der Troubadour aus dem
Keller, antwortet mitten in das Miserere dr Mönche hinein, das schon seine
Hinrichtung ankündigt, mit einer rauschenden Melodie an seine Leonore.
"Madonna mia", sagt einer hinter uns, "com'è bello" - heilige Muttergottes,
ist das schön.
[...] eilt das Geschehen seinem blutigen, tragischen, verzweiflungsvollen
Höhepunkt zu, die Mönche kommen mit über das Gesicht gezogenen Kapuzen
hervor und das Publikum, ohne eine Spur von Mitleid mit dem Helden, schwimmt
in Seligkeit. Es ist die alte Sache: ob die Oper tiefgründig und wahr ist,
ob sie ein ganz grosses Kunstwerk ist, oder nur ein weniger grosses, das ist
unwichtig. Es kommt allein auf die Schönheit der Stimme an, auf die
Makellosigkeit und den schmeichlerischen Wohllaut der Melodie. [...]"
[Reinhard Raffalt: Concert Romano. Leben mit Rom I Prestel-Verlag, München
1955. S. 282ff ("Verdi-Oper in den Thermen")]

[Hippelige Interpreten]

> Bernstein tobt sich gestisch und mimisch aus, und ich nehme ihm ab,
> dass das "von innen" kommt und keine kalkulierte Show ist.

Wer ihm das auch nicht abnimmt, will ihm Böses ;-)

> Aber er hält die Klappe - im Gegensatz zu Celibidache mit seinem
> Gebrüll. Bei aller Hochachtung für Celi stört mich das beim Anhören
> seiner Einspielungen schon.

Die er ja nicht wollte ;-) Und wenn ich an die von Dir dankenswerter Weise
zitierten, markigen Aussprüche Celibidaches denke, hätte er vielleicht
generell besser die Klappe gehalten.

Da spielt natürlich viel auch die eigene Einstellung mit. Wenn hinter mir
ein Hörer plötzlich ausrufen würde, wie herrlich das alles ist, würde ich
lächeln und ihm beipflichten. Was stört es mich?

[Klassik-Melange]

> Hier muss man, glaube ich, unterscheiden zwischen Adaptionen klassicher
Musik,
> die wirklich eine kreative Synthese anstreben (z.B. Play Bach oder
Ekseption),
> und rein kommerziellen Wegwerfprodukten (James Last, Clayderman etc.)

Unbedingt, natürlich. Ich denke da vor allem an den congenialen Uri Caine,
an die komponierte Interpretation von Schuberts Winterreise durch Hans
Zender oder Heiner Goebbels "Eislermaterial" mit Musiken von Hanns Eisler.

> Auch innerhalb des Klasik-Genres haben Auseinandersetzungen mit
vorgefundenen
> Originalen stattgefunden. (Ravels Instrumentierung der "Bilder einer
> Ausstellung", Schönbergs Bach-Bearbeitungen etc.) Mozart hat Händels
"Messias"
> neu instrumentiert. Aber in diesen Fällen geschah dies eben auf einem
Niveau,
> das dem Original entsprach. Dagegen verkommen bei James Last die edlen
Vögel
> aus Tschaikowskys "Schwanensee" zu gerupften Weihnachtsgänsen.

Das meinte ich ganz oben: Entgegen früherer Jahrzehnte scheinen die Fans
solcher "Kuschel-Klassik" nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass Rieu
ihnen NICHT klassisches bietet, sondern Pop mit Klassik-Melange. Wenn man
einen reinen Kaffee will, wird man einen cafè (also einen Espresso)
bestellen und nicht Caro-Kaffee - trotz der lieblichen Hymne von Volker
Lefzenbrink ;-)
Aber dem "Laien" (nicht böse gemeint) wird es schwer fallen, Rieu als etwas
anderes, als den Walzerkönig zu sehen, wenn ihm dieser doch überall (in der
Werbung, im CD-Laden, im Fernsehen) als solcher angepriesen wird und er
sieht, welchen Erfolg der Knabe aus dem Land der Wassertomaten hat.
Das muss man den Leuten sagen - die meisten wollen es leider nicht hören :-(

[Vorbereitung für die Oper]

> Das ist sehr die Frage. Es muss ja auch nicht gleich der "Falstaff" sein,
den
> der "unbedarfte Zuhörer" besucht. (Rossini täte es für den Anfang auch!)

Aber auch der bietet mehr als die Anhäufung netter Arien.

> Andererseits: Vielleicht begreift auch der unvorgebildete Hörer ganz
intuitiv
> die Größe des "Falstaff". Mozart hat über seine Klavierkonzerte einmal
> geschrieben, sie seien so beschaffen, dass der Kenner "Satisfaktion
erhalte",
> andererseits auch der Laie sie schön finden könne, ohne zu wissen warum.

Versteh mich nicht falsch, ich habe gar nichts dagegen, wenn ein Besucher
völlig unbedarft - vielleicht zum ersten Mal - in die Oper marschiert und
keine Ahnung hat, was da vorne abgeht. Aber dann soll er bitte einfach
geniessen oder den Nachbarn mit Fragen ärgern. Wie oft steht man aber nach
der Opernvorstellung in der Nähe eines Pulks selbsterklärter Spezialisten,
die sich über dieses oder jenes aufregen, während man sich selbst fragt, ob
es noch eine andere Veranstaltung zur gleichen Zeit gab, weil man nicht
weiss, von was die da gerade faseln. Das Herummäkeln liegt unsereins
irgendwie im Blute, so scheint mir. Da lob ich mir eben die Italiener, die
zufrieden sind, wenn die Primadonna "schön singt" ;-)

[...]

> > Das hören von Debussy macht Dich menschlich nicht besser als
> > einen, der lieber Zlatko & Jürgen hört.
>
> Menschlich nicht. Aber es zeugt von qualitativem Differenzierungsvermögen.
> Und das ist doch in einer Zeit des manipulierten Massenkonsums schon eine
> ganze Menge wert.

Natürlich, aber das muss ja erst einmal ausgebildet werden. Ein qualitatives
Differenzierungsvermögen wird einem ja nicht mit den Genen mitgegeben,
sondern bedarf eines langen Lernprozesses. Und die Frage ist - vor allem
auch für mich, da ich zwei kleine Kinder habe, denen ich etwas mitgeben
möchte -, wie man diesen Lernprozess fruchtbar unterstützt.

> >Was aber, wenn ein gleichaltriger das komplett umgekehrt sieht:
> >"Wenn ich heutzutage 3Sat anschaue und sehe wie sich manche in meinem
ALter
> >als Fiedler in Symphonieorchestern mit Stoff vollschütten, dann kommt mir
> >irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich in der Musik von Madonna
> >etc. ziemlich wohlfühle, und Konzerthäuser als Spasszerstörende
> >Fehlinstitutionen ansehe."
>
> Zwischen bloßem Spaß und wirklicher Freude ist eben ein Unterschied. Das
> eine ist unreflektierte Hingabe, das andere resultiert aus einer geistigen
> Auseinandersetzung mit Musik. Womit soll ich mich denn bei Slatko
> auseinandersetzen? Das ist doch ganz einfach nichts da, wo ich einhaken
> könnte.

Das kann gut sein - aber was, wenn das bei zahlreichen Operngänger nicht
anders ist? Wer ist da jetzt "besser"?
Zlatko ist vielleicht ein doofes Beispiel, aber es ist ja nicht so, dass
Pop-Musik nur blöde wäre. Zumindest ist sie in der Zeit, sprich: hält etwas
für die Hörerer bereit, was mit ihrem eigenen Leben zu tun. Da hat es eine
17jährige mit Xavier Naidoos "Seine Strassen" wahrscheinlich leichter, als
in der Vorstellung von Wagners "Parsifal" (was nicht heisst, dass nicht auch
Parsifal etwas mit ihr zu tun haben könnte - aber das muss man erst einmal
vermitteln).

[...]

> >Es liegt doch nicht an der Musik, dass die Schüler gelangweilt im
Unterricht
> >hocken, wenn es ums Thema Bach geht. Und es liegt auch nicht an den
"bösen
> >Schülern", die nichts mehr interessiert.
>
> Richtig. Im Grunde ist das auch kein musikalisches Problem, sondern eher
ein
> soziokulturelles. Abneigung gegen Klassik hat viel mit Auflehnung gegen
die
> Kultur der Elterngeneration zu tun. Das ist in einem gewissen Alter
normal.

Genau das meinte ich, als ich gegen den konservativen Konzertbetrieb
wetterte.

> Leider macht die Tonträgerindustrie mit dieser Abwehrhaltung ein Geschäft,
und
> das ist das eigentlich Fatale an der Situation. Jugendlichen wird
> Selbsbestimmung vorgegaukelt, und dabei merkt der große Teil nicht, wie er
> manipuliert wird und wie es die Musikindustrie nur darauf abgesehen hat,
ihm
> das Taschengeld aus der Tasche zu ziehen.

Da hast Du leider sehr recht. Aber da fehlt uns "Hörern der wahren Musik"
mit den gerade mal 7% Marktanteil wahrscheinlich die Power, um da
gegenzuhalten (und unter uns: Wer von uns wollte denn das wirklich?)

[Allgemeinbildung]

> Da sind wir wieder bei dem Problem, das ich weiter oben durch meinen
> Vergleich zwischen Literatur und Musik angesprochen habe. In unserer
> Kulturgesellschaft gilt es offensichtlich als Schande, Picasso nicht
> von Dürer, Goethe nicht von Brecht unterscheiden zu können. Und die
> gleichen Leute, die sich über solche "Ignoranten" mokieren, finden
> nichts dabei, Strawinsky mit Bach zu verwechseln oder die
> "Brandenburgischen Konzerte" für Opern zu halten. Warum das so ist,
> habe ich leider noch nicht herausgefunden.

Da bist Du nicht alleine ;-) Ich denke, dass das ganz viel damit zu tun hat,
dass uns Musik in abstrakter Form begegnet, irgendwie materiell nicht
greifbar, rein geistig, flüchtig, abhängig von Zeit. Als Experiment: sieh
Dir in 5 Stunden 10 verschiedene, bisher Dir unbekannte Bilder an <-> höre
Dir in 5 Stunden 10 verschiedene, Dir bisher unbekannte Musikstücke an. Die
Bilder kannst Du danach sicherlich den Erzeugern zuordnen, bei der Musik
sehe ich da keine Chance.

Peter Brixius

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Andreas,

In article <8mjb8r$vns$15$1...@news.t-online.com>, acp-p...@t-online.de
says...


>
>
> Die wird uns auch noch länger bzw. immer wieder einmal beschäftigen. Ist ein
> weites Feld und die Rieus sterben ja nicht aus, sondern werden immer mehr
> ;-)
>

Wenn man sich mal ueberlegt, *warum* es so ein Phaenomen wie Rieu gibt,
erklaert es sicher etwas, von dem Groll, den gestandene Musikfreunde bei
dem Treiben empfinden. Wenn er nun Pop produzierte, nun gut, das waere
nun auch fuer andere Beduerfnisse, halt Tanzmusik und ihre Derivate, wenn
er nun eine Abart von Volksmusik boete, vielleicht zoege man dies sogar
dem martialischen Blechaufgebot vor, dass sich manchmal in dem
Volkskommerz tummelt, wenn er als Virtuose ein Saxophon bediente oder
eine E-Gitarre - alles geschenkt. Aber nein, er benutzt die Fiedel - und
das noch erschroecklicherweise dazu, um - ja jetzt kommt es -
Klassiktitel einem Massenpublikum zu verkaufen - in eben der
saccharin-getraenkten Form, wie wir sie aus hollywoodbestimmter Filmmusik
kennen. Das geht aber nicht, Herr Rieu! *Wie* man diese Klassiktitel
kommerzialisiert, hat man doch gefaelligst uns zu ueberlassen! Und damit
befriedigt man ein gewisses Bildungsbeduerfnis, das sich frueher, als man
noch Buecher statt Videokassetten hatte, in Form einer mittellangen Reihe
von Reader-Digest-Auswahl-Roman-Krueppel zeigte (bei Aerzten und besser
gestellten Gebildeten natuerlich in dieser unsaeglichen Reihe der
Literatur-Nobelpreistraeger). (Darf ich mich schon mal entschuldigen,
dass ich keine Smileys gesetzt habe, weil ich es der durchschnittlichen
Intelligenz meiner Leser unterstelle, dass sie die satyrischen Unter-
Toene selbst bemerken?)

Diese Rieus gab es schon immer (von den Harmoniemusiken bekannter Opern -
da musste sich Mozart beeilen, dass er noch seine eigene Fassung schrieb,
bevor ihm jemand anderes das Geschaeft verdarb - ueber die Virtuosen, die
sich ja - wie Sarasate - lieber erfolgstraechtigen, einnahmebringenden
Petitessen (etwa aus der spanischen oder ungarischen Scheinfolklore -
pseudozingarisch - gab es da nicht noch so ein Erfolgswerk von Brahms,
das er spaeter dann auch noch teilweise orchestrierte?) widmeten bis hin
zu den Leierkaesten. Goennen wir ihm seinen Ruhm und sein Geld - und
halten wir uns weiterhin fuer etwas Besseres (je puristischer, desto
besser).

Wie viel von der Musik, die wir moegen, setzt Vorkenntnisse voraus, die
wir selbst nicht haben (die wir aber immer mal wieder gerne vorgeben)?
Wir haben uns in ein riesiges Arsenal von Experten verwandelt,
vorzueglich von Musikhistorikern. Die Reproduzierbarkeit der Musik hat
neue Musik und neue Kuenstler unter einen Druck gesetzt, dem man
teilweise nur noch in einem selbstgewaehlten Exil unter ausgwaehlten
Aposteln (ich denke da mal an einen Herren, der in meiner Naehe wohnt und
seine Wochentags-Opern fuer ein Publikum der Zukunft schreibt)
standhalten kann.

Massstab der Musik von gestern ist die von heute, nicht umgekehrt. Und
wenn ein Kuenstler der Gegenwart sich sarkastisch bis im hoechsten Grade
polemisch ueber einen Komponisten der Vergangenheit aeussert, so ist das
sein Recht - denn er hat fuer seine Musik zu sprechen und nicht fuer die
von laengst Dahingeschiedenen.

Aber zurueck von den Wenigen zu den Millionen :-))

> > Ich denke einfach, dass Musik in der Erziehung von Menschen ein große
> Rolle
> > spielt.
>
> In der Tat. Hier wird der Grundstein gelegt und dabei ist meiner Auffassung
> nach nicht der richtige Weg zum "Erfolg", die Kinder auf Mozart statt auf
> Metallica zu trimmen, sondern ihnen Toleranz in alle RIchtungen zu
> vermitteln. Denn das zeichnet die wenigsten Hörer welcher Musik auch immer
> aus.
>

Ich denke, das eigene Vorbild ist das wichtigste. Anderen Wein zu
predigen und selbst Wasser zu trinken (so muesste man es doch fuegen),
bringt nichts. Wenn ich Musik als Bildungsprojekt vermittele, brauche ich
mich nicht zu wundern, wenn die Kinder das als laestigen Schulstoff
nehmen.


> > Für mich steckt in der Musik auch die Frage nach "wahren" Gefühlen oder
> > Inhalten. Musik zu vulgarisieren, wie z.B. Rieu es tut, heißt in diesem
> > Zusammenhang, Wahrheit zurechtzuschneiden, zu glätten, konsumierbar zu
> > machen.
>
> Das sehe ich genau in der Weise. Wenn Rieu einen Walzer fiedelt, der einem
> ja irgendwie Gefühl vermitteln soll - deshalb grinst er ja auch wie nach
> einer "guten Nummer" ;-))) (sorry!) -, fühle ich mich immer beschissen und
> betrogen.
>

Das ist - zugegebenerweise - die andere Seite der Medaille. Aber so wird
das muendige Volk ja ueberall abgespeist - meine Schreckensvision von
"Der Reise zum Mittelpunkt der Erde" in US-TV-Verfilmung will ich (als
geschworener Verne-Fan) gar nicht erst ausbreiten, ist auch die falsche
NG dafuer, bleiben wir in unserem Kaestchen :-)

Mundus vult decipi - die Welt will betrogen sein, das wussten schon die
alten Lateiner - und das hat sich im Pokemon-Zeitalter auch nicht
geaendert. Troesten wir uns, dafuer vergiessen wir die echten Traenen,
die wertvollen, bei Mahlers X. etwa ...

>
> Nichts gegen diese Songs -
> aber während sie für ihn Ausdruck seiner Gefühle sind, kann ich darin nichts
> entdecken, was ich mit dem weiten Feld "Liebe" assoziieren würde. Da muss es
> dann bei mir eher das Adagietto aus Mahlers 5ter oder MOzarts
> Klarinettenkonzert sein ;-) Und so spielt eben auch bei dieser Frage der
> individuelle Geschmack eine gehörige Rolle.

... und die dazugehoerige Liebste ...

> Und die Verlogenheit an Rieu'scher "Kunst" erkennen wird nur der, der
> Alternativen kennt. Die muss man ihm bieten.
>

Es ist ja eine Kommunikation der Verlogenheit, oder?



> Jedoch ärgert mich im gleichen Masse mittlerweile, wenn von diesem
> Minderwert der musikalischen Ware auf die Hörer dieser Musik geschlossen
> wird und der "erlesene Musikhörer" so tut, als sei auch dieser irgendwie
> minderbemittelt. Dieser Umkehrschluss ist falsch und wenig fein. Aber da
> scheinen wir uns ja einig zu sein.
>

Ich hoffe, dazu noch einige Spitzen geliefert zu haben :-))



> > Es ist letztlich eine Frage der Musikerziehung, und die hat in unserer
> > Gesellschaft zur Zeit einen äußerst geringen Stellenwert.
>

> Ohne allzu sehr in die Kritik zu verfallen, ist der Kulturbetrieb
> schon in extremer Weise vom Konservativismus geprägt.

exakt! - Und der Konservatismus hoert nicht auf, wenn man das Mass aller
Dinge nicht mehr in der Wiener Klassik, sondern 125 Jahre spaeter sucht.
Das Mass der Dinge kann immer nur die Kunst der Gegenwart sein.

> Wenn
> unsere Angebote "schlecht" sind, darf sich keiner wundern, dass der junge
> "Kunde" diese ablehnt und sich wo anders bedient. Ist sein gutes Recht.
>

eben drum!

>
> Ich möchte das ja auch gerne glauben, aber mit so bewanderten Musikhörern
> wie Hitler, wird die Theorie recht schnell wackelig. Man sollte wirklich
> meinen, die Auseinandersetzung mit "wahrhaftiger Musik", die die Kunstmusik
> nun einmal ist, würde der Mensch zum "Besseren" gebracht.

ja, ja, das wurde schon einmal melancholisch hier festgestellt, dass
klassische Musik keine besseren Menschen mache ...

> Leider habe ich
> die Erfahrung gemacht, dass gerade Hörer, die sich extensiv in einer
> bestimmten "Ecke" umhertreiben, zum Intollerantesten gehören, was mir je
> untergekommen ist. Das gilt sowohl für die Klassik-Freunde, als auch für die
> meisten Verfechter der Moderne, denen ich begegnet bin. Toleranz lässt sich
> sicherlich nicht durch Einseitigkeit erreichen.

Da kommt jetzt natuerlich die verfluchte Dialektik zur Anwendung :-) Ohne
die gute Kenntnis der Traditionen, auf die sich gegenwaertige Musik
bezieht, kann man das Spezifische gegenwaertiger Musik gar nicht
erkennen. Wer dem Menschen seine Geschichte raubt, raubt ihm seine
Wuerde. (Sobald man anfaengt den Menschen als geschichtliches Wesen zu
sehen, ist mit der Einseitigkeit nicht mehr viel anzufangen.)

>
> Das wäre in der Tat schön, wenn wir das als Musikliebhaber hinbekommen
> würden. Das wäre schon der erste Schritt, den Freunden Rieu'scher
> Meisterschaft doch auch mal ein anderes Angebot machen zu können, weil sie
> merken, man nimmt sie ernst und ist an Ihnen interessiert.
>

Und das waere als schaffender Kuenstler genau eben der Ehrgeiz, der mich
packte ...

Harald Schollmeyer

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Hallo Andreas,

in diesem Thread gibt es soviele diskussionswürdige Details, aber
ich möchte doch mal eines herausgreifen:

> [...] Heute halten die Leute Boccelli für


> einen guten Tenor und Andre Rieu für einen hervorragenden Geiger.

Ist es nicht vielmehr so, daß die umgangssprachlichen Definitionen
für "guter Tenor" und "guter Geiger" sich dann ändern?
Daß die beiden instrumental/vokal ihr Metier beherrschen, dürfte doch wohl
unbestritten sein. Wer kaum andere Tenöre bzw. andere Geiger kennt, richtet
seine Maßstäbe also an Bocelli und Rieu aus.

Viele Grüsse,
Harald

Harald Schollmeyer
Gladbeck, Germany

Peter Brixius

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Andreas,

aus *Eurem* Generationenkonflikt halt ich mich mal raus ...

In article <8mp2h6$2up$16$1...@news.t-online.com>, acp-p...@t-online.de
says...


>
> > Bei Rieu darf man Schunkeln und Tanzen, wo darf man dass sonst im
> > Konzert.
>
> Aber genau das war doch meine Kritik der letzten Postings an diesem
> stockkonservativen Kulturbetrieb. Warum ist es quasi ein Sakrileg im Konzert
> zur einen oder anderen Musik zu tanzen, mitzusummen oder sonst irgendwas zu
> machen, an dem man erkennt, das einen die Musik mitnimmt?

Ja, lieber Andreas, seit man im 19. Jahrhundert Kunst zur Religion erhob,
scheint man die Stille und das Verhalten etwa bei der Wandlung als Mass-
stab fuer den Konzertsaal zu nehmen. Nur durch hoechste Konzentration und
Hingabe nimmt man an dem Wunderakt kuenstlerischer Schoepfung teil, halt
ein Kulturbetrieb fuer wohlerzogene Untertanen.

> Ich habe z. B. die
> für meine Nebensitzer blöde Angewohnheit, dass ich bei Musik, die mich
> mitreisst mit den Füssen leicht den Takt mitstampfe.

Ja, wie kannst Du nur? :-)

> Kann ich nix dagegen
> machen, passiert ganz automatisch ;-) Warum muss ich denn im Konzert steif
> und stumm sitzen, als würde mich das, was da vorne passiert gar nichts
> angehen? Und wenn dann das "Ewig" im "Abschied" von Mahlers "Lied von der
> Erde" erklinkt, kann ich mich anstrengen wie ich will, dass bringt mich
> immer zum Schluchzen. Sollte ich dann aus Rücksicht vor den aufgrund der
> Konvention kaum zu atmen wagenden Nachbarn den Saal verlassen?

Noee, das stoert ihn auch in seiner Erbauung, zur Salzsaeule sollst Du
erstarren ...

> Gerade Du als Musiker wirst doch wissen, dass der Zugang zur Musik durch das
> Mitmachen immer ein weitaus besserer ist, als das distanzierte blosse
> Lauschen (was nicht heissen soll, dass man nicht auch letzteres machen kann,
> ist eben eine persönliche Angelegenheit jedes einzelnen). Bei Konzerten mit
> zeitgenössischer Musik geht es selten still ab, da gibt es immer
> "Zwischenreins", seien sie Bekundungen der freudvollen Überraschung oder
> Missmutbekundungen. Ich finde das herrlich, weil es zeigt, dass die Musik
> einen betrifft und man nicht den Anschein bekommt, als sei das Publikum
> völlig unbeteiligt.

Bist Du sicher, dass Du da in den richtigen Konzerten bist? :-)

> Es hat auch mehr den Charakter des "Dazugehörens" und
> wirkt weniger wie die Versammlung der Aristokratie, wenn ich ehrlich bin.

Keine Verleumdung der Aristokratie - es handelt sich hier um eine
buergerliche Sitte. In aristokratischen Zeiten konnte man in seiner Loge
all seinen Vergnuegungen nachgehen - auch die eines Gespraeches. Ein
Beethoven schmiss da schon bei einer Andeutung das Konzert mit "Vor
Schweinen spiele ich nicht" - das war eine der neuen buergerlichen
Tugenden.

> Es
> ist ja auch musikalisch eher widersinnig, sich zu Musik nicht zu bewegen,
> denn Bewegung und Musik waren vom Anfang der Musik immer zusammenhängend.
> Das änderte sich erst später. Da lob ich mir die Italiener, denen es völlig
> egal ist, wie man sich normalerweise im Konzert zu verhalten hat. Wenn die
> Arie toll gesungen wird, springen sie mittendrin auf und brüllen durch den
> ganzen Saal "Bravissimo!" ;-) Musik hat doch ganz viel mit Emotion zu tun,
> die kann ich doch nicht aufgrund der KOnzertsituation irgendwie verdrängen
> oder mich nur aufs Schwitzen verlegen.
>

Die Deutschen sind doch die besseren Soldaten :-))

>
> > Andererseits, gäbe es Rieu, Lotti& Co nicht würden ja noch
> > weniger Leute als Heute Klassik hören.
>

IMHO nicht mehr und nicht weniger ...

>
> > Wenn ich heutzutage VIVA anschaue und sehe wie sich die Jugend in
> > meinem Alter in 130 Db-Anlagen mit Stoff vollschütten, dann kommt
> > mir irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich in da der Musik
> > von Debussy etc. ziemlich wohlfühle, und Discos als Ohrenzerstörende
> > Fehlinstitutionen ansehe.
>
> Was aber, wenn ein gleichaltriger das komplett umgekehrt sieht:
> "Wenn ich heutzutage 3Sat anschaue und sehe wie sich manche in meinem ALter
> als Fiedler in Symphonieorchestern mit Stoff vollschütten, dann kommt mir
> irgendwie das tiefe grauen, wohingegen ich mich in der Musik von Madonna
> etc. ziemlich wohlfühle, und Konzerthäuser als Spasszerstörende
> Fehlinstitutionen ansehe."
>
> Wer hat jetzt - aus einer objektiven Warte - recht? Wohl keiner oder beide.
>

Nachdruecklichst meine Zustimmung. Es handelt sich um zwei verschiedene
Arten von Musik. Ein abendliches Tanzvergnuegen mit der Musik von Kagel
haette mir kaum eine Alternative geboten. Oder sollte ich meine
Tanzvergnuegungen aufgeben? Beethoven, das ist klar, der hatte damit
weniger am Hut (ebenso wie Bruckner), aber das sind doch eher die
Ausnahmen, oder?



> > Ja aber wie soll die Jugend heutzutage an Klassik herangeführt
> werden??!???
>

Ich glaube, das beste ist stets das, was man selbst entdeckt. Wenn ich
etwas entdeckt habe, dann nehme ich (vielleicht) Hilfen an, aber die
Bereitschaft muss aus mir selbst kommen.

Es sit halt so, als wuerde ich fordern, dass die Leute gefaelligst jeden
Sonntag in die Kirche gehen sollen (oder haeufiger - und evt. noch in die
Vesper), weil man dadurch Jugendliche auch an die Musik heranfuehren
kann.

> Wenn Dich einer dazu bringen wollte, Dir einmal Musik von ... was weiss ich
> ... Public Enemy anzuhören, hätte er sicherlich nicht viel Erfolg, wenn er
> Deine bisherigen Hörerfahrungen in den Orkus argumentiert. Es geht - gerade
> bei Jugend - darum, Angebot zu unterbreiten. Je geschickter man diese
> Angebote gestaltet, desto eher wird man jemanden erreichen.
>

Das finde ich auch - Angebote - nicht *ein* Angebot. Wenn sie Musik
moegen, dann sollte man eben bei der Musik ansetzen, die sie moegen. Wenn
man es erreicht, dass man mit ihnen ueber Musik sprechen kann, dann ist
ein entscheidender Durchbruch geschehen, dann kann man sie eben auch fuer
andere Musik interessieren. Aber man muss sie schon da abholen, wo sie
sind.



> > Im Musikuntericht sitzt jeder gelangweilt da, weil Bach und Beethoven als
> > altmodisch, Kirchenmusik als befremdend da man selbst ja nie in einer
> Kirche
> > war, Ravels Bolero als Impressionismus und moderne Musik als eine
> > Zusammensetzung dissonanter Störlaute gelehrt wird. Selbst der Musiklehrer
>
> > sieht Klassik für die Jungend nur als Belästigung an. Wo ist der Lehrer
> der
> > die Jugend zur Alternative in der Klassik erzieht???
>
> Den hatte ich, ok, hatte ich halt Glück gehabt.

... und ich hatte ihn nicht, das hat aber auch nicht so viel Unterschied
gemacht. Ich entdeckte in der VHS eine Reihe ueber Musik von einem
Musiklehrer eines anderen Gymnasiums, da ging ich halt freiwillig hin.
Von meinem Musiklehrer profitierte ich erst in den letzten Klassen der
Oberstufe.

> Ich habe - so vor einem
> Jahr - eine Radiosendung mitverfolgt, eine Diskussionsrunde von Musiklehrern
> und ähnlichen, die für musikalische Erziehung zuständig sind. Das war höchst
> interessant, was manche Lehrer - die den selben Lehrplan haben als andere
> Lehrer, die einfach nach Schema F langweilige Inhalte herunterbeten -
> anstellen, um damit eine etwas ander Musik anderen Menschen nahezubringen.
> Das war erstaunlich. Und der Schlüssel in all diesen Positivbeispielen war
> immer das Mitmachen.

genau!

> Es liegt doch nicht an der Musik, dass die Schüler gelangweilt im Unterricht
> hocken, wenn es ums Thema Bach geht. Und es liegt auch nicht an den "bösen
> Schülern", die nichts mehr interessiert.
> Es liegt daran, wie man für eine Sache wirbt. Man muss die Menschen, egal
> welchen ALters, begeistern. Und das kann man nicht, indem man trockene
> Fachinhalte herunterbetet.
>

Das ist - zugegebenermassen - nicht besonders leicht im Schulalltag. Bei
uns war Musikerziehung ein Fach, das nicht besonders ernst genommen wurde
von den meisten. Da ich sehr gerne sang, in der Folge Instrumente zu
spielen lernte, wir dann irgendwann an der Schule unser eigenes Quartett
aufmachten, ging alles irgendwie von alleine. Aber es ist so wie im
Elias: das Opferholz kann man aufschichten, aber es bedarf des Feuers vom
Himmel, um es zu entzuenden. Sonst verlischt es sehr schnell und
endgueltig.

>
> > Warum zieht sich der Jugendliche beim Lernen statt Hosen mal einen Wagner
> > oder Mahler rein???
>

Na, da gibt es doch die schlauen Versuche a la "Besser lernen mit
Vivaldi" (vorzugsweise langsame Saetze). Beim Lernen Wagner? Finde ich
nicht so gelungen. (Uebrigens Punk a la Hosen auch nicht, hinterher zum
Abtanzen vielleicht ...)

> Für mich geantwortet: Weil mich Wagner/Mahler zu sehr ablenken würden. Aber
> warum zieht sich der Klassik-Hörer beim Zeitunglesen nicht auch mal die
> Hosen rein statt den immergleichen Sinfonien oder Opern?
>
> Die Frage stellt sich doch nicht.
> Die Frage, die sich stellt ist, warum Jugendliche selten an der "Kultur der
> Vorfahren" etwas entdecken können oder wollen oder aber auch in ihrem
> eigenen Sinne dürfen[!].
>

Meist liegt das daran, dass sie ihre unmittelbaren Vorfahren (i.e. ihre
Eltern) zu wenig kennen oder zu wenig interessant finden. Wenn man das
Fernsehen zum Hausgoetzen macht, kann das schon passieren :-)

>
> > Es ist nicht alles Ihre Schuld, sondern die des so
> > kunstfeindlichen Bildungs- und Erziehungswesen!!!!
>
> Ob das Bildungswesen kunstfeindlich ist, weiss ich nicht. Dazu bin ich wohl
> zu lange da raus. Dass es im Bildungswesen einiges zu reformieren gäbe ist
> wiederum klar und jedem offensichtlich (nicht nur wegen der
> Green-Card-Diskussion). Aber dann ist das doch nichts, was man ständig der
> Jugend vorwerfen sollte, sondern den VErantwortlichen, die in aller Regel
> zwischen 30 und 60 Jahren alt sein dürften.
>

Eines ist klar, wenn im oeffentlichen Leben die Kultur keine Rolle
spielt, so kann man von der Schule nicht verlangen, dass sie das
kompensiert (wie sie auch nicht die mangelnde Erziehung der Eltern
kompensieren kann). Wenn zu Hause Kunst nicht selbstverstaendlicher Teil
des Lebens ist - und zwar nicht nur reproduzierende - wie kann dann ein
Jugendlicher Kunst entdecken? Gehe ich mit meinen Kindern nur immer zum
Spielplatz (weil sie dorthin gehoeren), nicht aber auch einmal in die
Kirche, wo sie Architektur, bildende Kunst und (Altenberg ist in der
Naehe) Musik erleben, fuehre ich mit ihnen nicht auch mal
"Werkstattgespraeche" ueber ihre Bilder oder wir raeubern zusammen die
Kueche aus und machen ein droehnendes Schlagzeugkonzert auf allen Topefen
und Pfannen usw. usf. - woher soll denn ihre Lust an Kunst kommen? Woher
ihre Fragen an die Kunst?



>
> Toleranz ist doch was ganz anderes, findest Du nicht? Toleranz ist doch,
> wenn ich zum meinem Freund sage, dass ich ok finde, dass er Mahler zum
> Kotzen findet und lieber Bon Jovi hört und er in Ordnung findet, dass ich
> lieber Mahler statt Bon Jovi höre. Dem anderen seines lassen und so zu
> akzeptieren, wie es ist, bedeutet für mich Toleranz. Dem anderen das eigene
> aufzwängen zu wollen ist Missionarstum und hat mit Toleranz gar nichts zu
> tun (vor allem weil man dadurch genau das Gegenteil von dem erreicht, was
> man eigentlich erreichen wollte).
>

Dem habe ich nichts hinzuzufuegen :-))

Es gruesst Peter

Peter Brixius

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Hallo Martin,

nur einige kleine Bemerkungen meinerseits ...

In article <20000809060333...@nso-ba.aol.com>,
mmk...@aol.com says...


>
> diese Befürchtung ist sicher begründet. Andererseits habe ich in den 70er
> Jahen, als die Verramschung klassischer Themen mit dem "Song of Joy" von Miguel
> Rios begann, eine Menge Leute erlebt, die sich sagten: "Jetzt will ich das im
> Original hören" und die dann bei den klassischen Originalen geblieben sind.
> Zugegebenermaßen war das aber eine kleine Minderheit.
>

Es muss ja doch etwas an den melodischen Faehigkeiten Beethovens gewesen
sein ... :-)



>
> Vorschreiben nicht, klar. Aber hier ist Aufklärungsarbeit zu leisten. Es ist
> erstaunlich, dass Qualitätsunterschiede im Bereich der literarischen Produktion
> leichter anerkannt werden als im musikalischen Bereich. Der qualitative
> Unterschied zwischen Groschenromanen und Thomas Mann (oder Max Frisch oder
> Grass oder Lenz oder oder...) ist leichter zu vermitteln als der zwischen Rieu
> und Bartok.

Bezweifele ich - der quantitative Unterschied allerdings sicherlich. In
beiden Faellen ist es die Frage "zugaenglich" oder "schwierig". Ich kenne
ebensoviele frustrierte Deutschlehrer wie frustrierte Musiklehrer - und
trotzdem habe ich das Gefuehl, dass die Musiklehrer noch das bessere Ende
erwischt haetten.

> Käme man dahin, dass auch hier der Niveauunterschied akzeptiert
> oder überhaupt erst einmal erkannt würde, hätte immer noch jeder das Recht zu
> sagen: "OK, ich erkenne die musikalische Qualität von beispielsweise
> Strawinsky, aber jetzt bin ich in Feierabendstimmung und will die Ballade pour
> Adeline hören (oder auf dem Klavier spielen). Der Thomas-Mann-Leser liest ja
> eventuell im Urlaub am Strand auch Karl May. Aber er weiß, auf welches Terrain
> er sich damit begibt und akzeptiert das für sich.
>

eigentlich ist es eher umgekehrt - im Urlaub hat unser Thomas-Mann-Leser
endlich Zeit fuer die Joseph-Trilogie (meinen Hans Henny Jahnn habe ich -
abgesehen von Schule und Studium - auch vorzugsweise waehrend des Urlaubs
gelesen, im Unterschied zu seiner Biografie, die konnte ich in kleineren
Haeppchen auch ausserhalb der Urlaubszeit lesen). Naja, und Karl May ist
ein weites Feld ...

>
> Die "hehre Stille" in klassischen Konzerten hat nur zum Teil etwas mit
> konservativem Musikbetrieb zu tun. Es ist einfach eine Frage der Rücksicht auf
> andere Konzertbesucher. Die haben nämlich auch den z.T. recht hohen
> Eintrittspreis bezahlt und sich damit ein Recht darauf erworben, alle Nuancen,
> auch feinste Pianissimi, mitzubekommen. Im Sprechtheater nimmt man ja auch
> Rücksicht, damit alle anderen den Text auf der Bühne verstehen. Feine
> musikalische Nuancen sind genauso Teil der Darbietung wie Dialoge auf der
> Theaterbühne.

Es wird sicher immer auf das Konzert ankommen, in das man geht. Ich habe
es haeufiger erlebt, wie Kinder diszipliniert wurden, dass sie auch nur
keinen Muckser machten - ob die hinterher noch einmal freiwillig in in
Konzert gingen? Das Problem ist doch, das wir auch im Konzert die 15.
oder 20. Auffuehrung des 3. Klavierkonzertes von Beethoven in unserem
Leben hoeren - und dann natuerlich auf jede Feinheit achten. Hoerten wir
ein Stueck zum ersten Mal, ginge es weit mehr darum, das Kunstwerk kennen
zu lernen, als darum, jede Nuance zu erfassen - dann waeren wir
vielleicht auch toleranter - und koennten es auch sein. (Ich weiss ja
auch nicht, was ich bei einem laermenden Andreas neben mir anstellen
wuerde - wahrscheinlich einfach mittun, denn der ist groesser als ich
...)

Was nun etwa Beethoven ueber die sterilen Auffuehrungsbedingungen unserer
Tage gesagt haette, weiss ich nicht, vielleicht haette ihm das auch
gefallen. Aber - um das festzuhalten - es ist eine Gewohnheit, die sich
erst im 19. Jahrhundert herausbildete, die also nicht etwa von der Musik
(oder auch dem Schauspiel) notwendig gefordert wurde.

>
>
> Hier muss man, glaube ich, unterscheiden zwischen Adaptionen klassicher Musik,
> die wirklich eine kreative Synthese anstreben (z.B. Play Bach oder Ekseption),
> und rein kommerziellen Wegwerfprodukten (James Last, Clayderman etc.) Auch
> innerhalb des Klasik-Genres haben Auseinandersetzungen mit vorgefundenen
> Originalen stattgefunden. (Ravels Instrumentierung der "Bilder einer
> Ausstellung", Schönbergs Bach-Bearbeitungen etc.) Mozart hat Händels "Messias"
> neu instrumentiert. Aber in diesen Fällen geschah dies eben auf einem Niveau,
> das dem Original entsprach. Dagegen verkommen bei James Last die edlen Vögel
> aus Tschaikowskys "Schwanensee" zu gerupften Weihnachtsgänsen.
>

Ein wenig muss ich hier die Harmonie stoeren, denn es werden Aepfel mit
Birnen verglichen. Zunaechst einmal Mozart/Haendel - da war das eine
Anpassung an die Hoergewohnheiten seiner Zeit, etwas
Selbstverstaendliches, das unsere HIP-Puristen natuerlich ins Schwitzen
bringen duerfte. Es war *keine* kreative Aneignung der Haendelchen
Komposition. Die genannten Instrumentationen sind auch Produkte einer
historischen Aneignung und Uebersetzung in Hoergewohnheiten der
Gegenwart. Ravels Instrumentation der "Bilder" bringt einen
"verfaelschten" Mussorgski, ueber den man das Original fast vergessen
hat. Die Instrumentionen der 2. Wiener Schule sind wahre Wunderwerke
einer Aneignung. Jetzt koennte ich natuerlich zum Vergleich (die heute
wohl nicht mehr sonderlich bekannten) Emerson Lake and Palmer mit ihren
Pictures of an Exhibition anfuehren, die sicher auch eine gekonnte
Aneignung mit den Mitteln der zeitgemaesen Rockmusik waren, dann haben
wir eine breite Palette zwischen zeitgemaesser Anpassung, schoepferischer
Aneignung durch Instrumentation und kreativer Aneignung durch die
Verwandlung in ein zeitgemaesses Idiom.

Kommerzielle Aspekte hatten alle diese Aneignungen. In eine HIP von
Haendels Messias haette man die Zeitgenossen Mozarts nicht locken
koennen, obwohl das Original gar nicht so lange zurueck lag. Aber macht
der Kommerz die Einspielung der E.L.P. deshalb schlechter. Und wo ist da
der Unterschied zu Loussier und Ekseption? Und mit dem Niveau des
Originals habe ich so meine Probleme - ist das wirklich der Kritikpunkt
bei Last (oder Rieu)?

> >Man darf aber nicht vergessen, dass bei es in punkto anspruchsvoller Musik
> >weit mehr bedarf, als das blosse Konsumieren. Und viele sind einfach nicht
> >bereit, da mehr zu leisten, als nur hinzuhören.

Das ist natuerlich der entscheidende Punkt, da sind wir uns einig. Aber
da sind wir wieder bei der Kritik des Hoerers :-)

>
> Das ist sehr die Frage. Es muss ja auch nicht gleich der "Falstaff" sein, den
> der "unbedarfte Zuhörer" besucht. (Rossini täte es für den Anfang auch!)
> Andererseits: Vielleicht begreift auch der unvorgebildete Hörer ganz intuitiv
> die Größe des "Falstaff". Mozart hat über seine Klavierkonzerte einmal
> geschrieben, sie seien so beschaffen, dass der Kenner "Satisfaktion erhalte",
> andererseits auch der Laie sie schön finden könne, ohne zu wissen warum.
>

... und dafuer habe ich viel uebrig! ...



>
> Zwischen bloßem Spaß und wirklicher Freude ist eben ein Unterschied. Das eine
> ist unreflektierte Hingabe, das andere resultiert aus einer geistigen
> Auseinandersetzung mit Musik. Womit soll ich mich denn bei Slatko
> auseinandersetzen? Das ist doch ganz einfach nichts da, wo ich einhaken könnte.

:-))

>
> Ein Pädagoge, der das lehrt, gehört vom Dienst supendiert.
>

Lass das nicht die Gewerkschaft hoeren ... Wie viele der Lehrer fuer den
von ihnen gewaehlten Beruf berufen sind ...



>
> Richtig. Im Grunde ist das auch kein musikalisches Problem, sondern eher ein
> soziokulturelles. Abneigung gegen Klassik hat viel mit Auflehnung gegen die
> Kultur der Elterngeneration zu tun.

Aber das duerfte doch nur die Musik der Elterngeneration betreffen. Wenn
man die Neue Musik betrachtet, geht sie ja manchmal genau so ruppig mit
der Musik dieser Elterngeneration um, wie sie es aus dem Gesichtspunkt
einer Generationenrebellion tun sollte.

> Das ist in einem gewissen Alter normal.
> Leider macht die Tonträgerindustrie mit dieser Abwehrhaltung ein Geschäft, und
> das ist das eigentlich Fatale an der Situation. Jugendlichen wird
> Selbsbestimmung vorgegaukelt, und dabei merkt der große Teil nicht, wie er
> manipuliert wird und wie es die Musikindustrie nur darauf abgesehen hat, ihm
> das Taschengeld aus der Tasche zu ziehen.
> ...

Man muss es sich aber auch aus der Tasche ziehen lassen ...

>
> Da sind wir wieder bei dem Problem, das ich weiter oben durch meinen Vergleich
> zwischen Literatur und Musik angesprochen habe. In unserer Kulturgesellschaft
> gilt es offensichtlich als Schande, Picasso nicht von Dürer, Goethe nicht von
> Brecht unterscheiden zu können. Und die gleichen Leute, die sich über solche
> "Ignoranten" mokieren, finden nichts dabei, Strawinsky mit Bach zu verwechseln
> oder die "Brandenburgischen Konzerte" für Opern zu halten. Warum das so ist,
> habe ich leider noch nicht herausgefunden.
>

Eigentlich hast Du es schon gesagt. So lange dieser Bereich nicht als
wichtig in unserer Lebenswelt begriffen wird, sind Informationen darueber
auch nicht interessant. Man blamiert sich eher, wenn man E-mail und
Posting, Netiquette und Hoeflichkeit, Quoting und Zitieren miteinander
verwechselt, als wenn man Mozart fuer den Produzenten der gleichnamigen
Kugeln haelt.

Peter Brixius

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Andreas,

In article <8nqngk$1qi$16$1...@news.t-online.com>, acp-p...@t-online.de
says...
>
> ein schwieriges Thema!
>
OK noch einmal zu Rieu (und Boccelli) ...

>
> Und ich fürchte, die Situation hat sich "verschlimmert". Die Light-Klassiker
> a la Rios oder Clayderman gab es damals nur sporadisch. Und der extreme
> Unterschiede zu heute war, dass die Leute wussten, dass sie leicht
> konsumierbare Lightversionen anbieten. Heute halten die Leute Boccelli für
> einen guten Tenor und Andre Rieu für einen hervorragenden Geiger. Und weil
> das so ist, wird heute weit weniger vorkommen, dass deren Fans "auch mal das
> klassische Original hören wollen", weil sie nach ihrer Ansicht, nach
> Meinungsmache der Medien usw. meinen, bereits das Beste zu hören :-(
>

Und ich glaube trotzdem, dass die Leute ein Konzert mit Rieu anders
angehen als eines mit Gidon Kremer. Es sind ganz klar andere
Erwartungshaltungen - selbst wenn das Konzert nur per Fernsehen im
Wohnzimmer stattfindet. Waehrend man von Rieu "gehobene" Unterhaltung
erwartet, von mir aus auch noch den Cekt oder den Champagner rieseln
laesst, wird man ein Konzert mit Kremer doch weit eher mit einer
gesammelten Konzentration angehen, eben wie vor einer geistigen
Anstrengung. Die Unterscheidung ist also den Leuten deutlich.

[Musik vorschreiben]


>
>
> Wie viele
> Klassik-Hörer, die sich z. B. bei Haydn bis Beethoven bestens auskennen,
> gibt es, die z. B. Bartok als furchtbares Gekrache ansehen und das standhaft
> behaupten, auch wenn man ihnen noch so oft erzählt, das Bartok wunderbare
> Musik gemacht hat und eine ganz zentrale Figur im letzten Jahrhundert war?
> Das sind Legionen! Wenn man dann gar nach Bartok anfängt, wird es ganz
> problematisch. Da fängt dann selbst der auf die BArock-Musik spezialisierte
> Musik-Professor unter Umständen an, einer kompletten Musikergeneration den
> Topos "Musik" überhaupt abzusprechen. Bei Musik ist eben alles irgendwie
> anders.

Meine Befuerchtung ist, dass es bei der Literatur inzwischen nicht
besser, sondern eher schlimmer aussieht. Wer liest denn heute noch einen
Roman von Goethe, Jean Paul, Fontane oder Musil - wie vergnueglich er
auch sein mag. Auch unsere Barockliebhaber wuerden sich wohl ungern von
mir ueber literarische Erzeugnisse des Barocks examinieren lassen. (Um
einen meiner Lieblinge der 2. Schlesischen Schule zu nennen:
Daniel Caspar von Lohenstein waere ein mir sehr willkommenes Thema, ob es
sein Arminius, seine Gedichte oder seine Dramen waeren. Aber von mir aus
auch der bekanntere Grimmelhausen, und nicht nur die Landstoerzerin
Courage oder der Simplizissimus ...) Frag mal, was als Allgemeingut
geblieben ist, was man an literarischen Werken des Barocks kennen sollte
- und mit der Aufklaerung machen wir weiter bis in die Moderne. Den Harry
Potter ziehen sich die Leute rein, aber die Insel Felsenburg oder der
hoechst vergnuegliche Ulysses - in der Musik ist eben alles irgendwie
anders - viel besser, das kann ich Dir sagen.

> Denke doch nur einmal, wie es sich in der bildenden Kunst verhält (die
> Literatur hat da eher das ähnliche Schicksal wie Musik):

... da sagst Du es ...

> Klar verehrt man
> noch und zurecht die alten Meister des Barock, der Renaissance usw. Aber
> "Stadtgespräch" sind die Modernen. Die Museen und Gallerien hängen voll
> damit und wer hat nicht irgendwo einen zwischen 30 und 3000 Mark teuren
> Kunstdruck eines Miro-, Kandinsky-, Picasso- oder Dali-Bildes in seiner
> Wohnung hängen? Aber wie viele von denen, die es als ganz normal empfinden,
> sich mit moderner Malerei zu beschäftigen, hören statt Mozart einmal Boulez
> oder statt Bach einmal Nono? Es ist bei Musik tatsächlich irgendwie alles
> anders.
>

Und unverstaendlich ist das trotz alledem. Aber es kostet vielleicht doch
weniger Muehe den Miro an die Wand zu pappen, als 10 Minuten Boulez zu
hoeren ...

[Schunkeln contra hehre Stille]


>
> > Die "hehre Stille" in klassischen Konzerten hat nur zum Teil etwas mit
> > konservativem Musikbetrieb zu tun. Es ist einfach eine Frage der
> > Rücksicht auf andere Konzertbesucher.
>
> Natürlich, ich wollte ja jetzt auch nicht zum kollektiven Geschunkel bei
> Dvoraks 9ter aufrufen ;-) Aber die Steifheit des Konzertbetriebes ist nunmal
> Fakt. Das ist alles irgendwie ritualisiert, mit Standesdünkel versehen, eine
> hermetische Veranstaltung, nur für Eingeweihte usw. Dadurch ist vielen
> Aussenstehenden der Zugang erschwert bzw. wirkt für viele abschreckend.
>

Und diese tiefe Ergriffenheit ist doch nicht immer das, was sich die
Komponisten wuenschten, oder?



> Ich war mal in einer
> Vorstellung des Rheingoldes in der Oper. Neben mir sass eine Frau mit ihrer
> Tochter - vermutlich so um die 8 Jahre alt. Die haben permanent geplappert,
> weil die Mutter dem Kind - logischerweise - so manch Verwirrendes dort auf
> der Bühne entwirren musste. Und die Augen des Kindes leuchteten, sie
> lächelte, war selig und berauscht von der Vorstellung. Bis es zu
> tumultartigen Szenen der "Alteingesessenen" kam, die sich gestört fühlten.
> Anstatt sie sich über den Nachwuchs freuen, spucken sie Gift. Na ja ...
>

wobei das Wagner-Publikum ...

Aber BTW: es sollte viel mehr Konzerte fuer Kinder geben, wenigstens
eines pro Woche - das waere doch schon mal ein Anfang!

[Viel Einvernehmliches gesnippt]

> Aber dem "Laien" (nicht böse gemeint) wird es schwer fallen, Rieu als etwas
> anderes, als den Walzerkönig zu sehen, wenn ihm dieser doch überall (in der
> Werbung, im CD-Laden, im Fernsehen) als solcher angepriesen wird und er
> sieht, welchen Erfolg der Knabe aus dem Land der Wassertomaten hat.
> Das muss man den Leuten sagen - die meisten wollen es leider nicht hören :-(
>

Nun, man braucht ja die Episode aus Winklers "Der tolle Bomberg" nicht
ganz Ernst zu nehmen, wo er einen eitlen Walzerkoenig (diesmal der echte
J. Strauss II) hochbezahlt vor einer Reihe Schweinen aufspielen laesst
(was gleichzeitig die Einstellung des Barons zum westfaelischen Adel
charakterisierte) - aber das gab es schon gewisse Verwandtschaften
zwischen den beiden Walzerkoenigen. Nur - und das macht den
entscheidenden Unterschied - beurteilen wir Strauss gerechterweise als
Komponisten und Rieu als Interpreten volkstuemlicher Arrangements.

Es gruesst herzlich Peter

Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Peter,

besten Dank für Deine klugen Ergänzungen, jetzt wird langsam ein Schuh
draus.

[...]

> Also kurz gefasst, mit der Entstehung der buergerlichen Gesellschaft
> wurde Musik zur Ware, wurde Musik fuer einen Markt produziert, der ja
> auch andererseits eine Unabhaengigkeit des Kuenstlers zu garantieren
> versprach, eine Unabhaengigkeit von der personalen Abhaengigkeit eines
> Fuersten, wie sie etwa Zelenka zu seinem Nachteil erdulden musste - oder
> eben Bach als gebeutelter Angestellter eines Leipziger Magistrats.

Das durchaus. Der Wandel der Musik zur Ware hat auch IMO eher für den Hörer
Negativauswirkungen - aber auch das wohl eher erst in den letzten 30 Jahren.
Die Musik zumindest ist dadurch nicht schlechter geworden (wenn sie sich
auch immer schlechter verkauft).

> > Dass man dem vergnügungshungrigen Volk gibt, was es will,
> > ist pädagogisch vielleicht wenig sinnvoll, aber marktstrategisch
durchaus
> > nachvollziehbar.
> >
> Nun, mit der Paedagogik kommt man immer dann, wenn sich anders kein Geld
> verdienen laesst :-)

So quasi als geringstes Übel? ;-)

[Toleranz unter Hörern der "wahren Musik"]

> Zumindest sind ja die Klassik-Freunde auch auf die Toleranz der
> ueberwiegenden Mehrheit angewiesen :-))

Ja, wir werden geduldet ;-))
Aber Spass beiseite: Mich fuxt schon immer mehr, dass ausgerechnet von
Männern und Frauen, die die selbe Musik schätzen wie ich, ein gehörig Mass
an Intolleranz gegenüber Andershörenden ausgeht - meist noch gepaart mit
massig Überheblichkeit. Schade :-(

Bis dann.
--
Andreas Heck.

Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Peter,

was soll ich dazu noch sagen, ich häng' mir Deine Ausführungen lieber übers
Bett? ;-)

> Wenn man sich mal ueberlegt, *warum* es so ein Phaenomen wie Rieu gibt,
> erklaert es sicher etwas, von dem Groll, den gestandene Musikfreunde bei
> dem Treiben empfinden. Wenn er nun Pop produzierte, nun gut, das waere

> nun auch fuer andere Beduerfnisse, halt Tanzmusik und ihre Derivate, [...]

Aber weshalb dieser Groll? Es könnte uns doch egal sein, wir wissen ja um
das Original und ziehen das der short version vor. Es hat wohl wirklich mit
dieser Heiligkeit zu tun, die man der Kunstmusik ab dem 19. Jahrhundert
aufgeladen hat. Die müsste man der mit hohen Erwartung belasteten armen Muse
mal wieder von den Schultern nehmen, damit sie sich leichter und wieder
freier bewegen kann.

Für die meisten scheint es aber dann doch, wie Du sagst, erschröcklich zu
sein, die Lieblinge so verhunzt zu hören. Mich ärgert immer nur, dass
Strahlemann Rieu so tut, als sei das das Wahre. Und der Gag ist ja wirklich,
dass er sich damit just in der guten Gesellschaft der schimpfenden und
tobenden Klassikfreunde weiss ;-)

> Diese Rieus gab es schon immer [...]

Wobei ich schon den empirischen Eindruck habe, als würden das immer mehr.
Aber vielleicht habe ich es früher nur weniger registriert. Und - in Deinen
weiteren Ausführungen - hör' mir auf mit Sarasate! Das ist ja dann wirklich
die historische Variante von Rieu.

> Wie viel von der Musik, die wir moegen, setzt Vorkenntnisse voraus, die
> wir selbst nicht haben (die wir aber immer mal wieder gerne vorgeben)?

In der Tat, das nehme ich auch gerne für mich in Anspruch ;-)

> Wir haben uns in ein riesiges Arsenal von Experten verwandelt,
> vorzueglich von Musikhistorikern. Die Reproduzierbarkeit der Musik hat
> neue Musik und neue Kuenstler unter einen Druck gesetzt, dem man
> teilweise nur noch in einem selbstgewaehlten Exil unter ausgwaehlten
> Aposteln (ich denke da mal an einen Herren, der in meiner Naehe wohnt und
> seine Wochentags-Opern fuer ein Publikum der Zukunft schreibt)
> standhalten kann.
>
> Massstab der Musik von gestern ist die von heute, nicht umgekehrt. Und
> wenn ein Kuenstler der Gegenwart sich sarkastisch bis im hoechsten Grade
> polemisch ueber einen Komponisten der Vergangenheit aeussert, so ist das
> sein Recht - denn er hat fuer seine Musik zu sprechen und nicht fuer die
> von laengst Dahingeschiedenen.

Das kann ich einfach nicht wegsnippen, das muss so stehen bleiben, damit es
jeder noch einmal lesen kann ;-)

> Wenn ich Musik als Bildungsprojekt vermittele, brauche ich
> mich nicht zu wundern, wenn die Kinder das als laestigen Schulstoff
> nehmen.

Zumal man nicht vergessen sollte, dass sich Musik *zu erst* immer emotional
mitteilt. Der Intellekt kommt danach an die Reihe und den kann man bei
Kindern bis zu einem gewissen Alter auch gerne erst einmal aussparen.

[betrogen und belogen]

[...]

> Mundus vult decipi - die Welt will betrogen sein, das wussten schon die
> alten Lateiner - und das hat sich im Pokemon-Zeitalter auch nicht
> geaendert. Troesten wir uns, dafuer vergiessen wir die echten Traenen,
> die wertvollen, bei Mahlers X. etwa ...

Wobei mich - Deine Abneigung als Verne-tiker sei Dir bei der US-Filmversion
unbenommen - auch das nicht sonderlich kratzt, solange man immer auch das
"Andere" ... na, das Wahre eben ;-) ... hat. Klar höre ich Mahlers 10te und
tue auch sonst ganz viele ganz wertvolle und furchtbar intellektuelle
Geschichten. Ich setz mich aber auch an die Glotze, um ja nicht eine Folge
von Star Trek zu versäumen. Und Samstags um 18:30 die Sendung auf Sat1 zu
verpassen, bedeutet für mich Schmerz ;-) In einer nur "hehren" oder auf der
anderen Seite nur "poppigen" Welt möchte ich nicht leben. Als Konsummensch
möchte ich die Wahl haben.

[...]

> > Jedoch ärgert mich im gleichen Masse mittlerweile, wenn von diesem
> > Minderwert der musikalischen Ware auf die Hörer dieser Musik geschlossen
> > wird und der "erlesene Musikhörer" so tut, als sei auch dieser irgendwie
> > minderbemittelt. Dieser Umkehrschluss ist falsch und wenig fein. Aber da
> > scheinen wir uns ja einig zu sein.
> >
> Ich hoffe, dazu noch einige Spitzen geliefert zu haben :-))

Das hast Du durchaus - trotz der fehlenden Smilies ;-)

> > Ohne allzu sehr in die Kritik zu verfallen, ist der Kulturbetrieb
> > schon in extremer Weise vom Konservativismus geprägt.
>
> exakt! - Und der Konservatismus hoert nicht auf, wenn man das Mass aller
> Dinge nicht mehr in der Wiener Klassik, sondern 125 Jahre spaeter sucht.
> Das Mass der Dinge kann immer nur die Kunst der Gegenwart sein.

Du sagst das in solch herrlicher Manier, dass man meinen könnte, es sei so.
Erzähl' das mal den "Anderen" ;-)

[...]

> ja, ja, das wurde schon einmal melancholisch hier festgestellt, dass
> klassische Musik keine besseren Menschen mache ...

Aber ist das nicht die Tragik an sich? Ok, klar, Utopien sind wahrscheinlich
nicht dazu da, tatsächlich realisiert zu werden? Aber zu was brauche ich
dann all die Monteverdis, Bachs, MOzarts, Beethovens, Verdis, Schönbergs
oder Henzes, wenn man sich zwar an deren Musik ergötzt, daraus aber keine
Schlussfolgerungen fürs eigene Leben zieht und Taten folgen lässt? Ist doch
traurig.

[die verfluchte Dialektik]

> Ohne die gute Kenntnis der Traditionen, auf die sich gegenwaertige Musik
> bezieht, kann man das Spezifische gegenwaertiger Musik gar nicht
> erkennen. Wer dem Menschen seine Geschichte raubt, raubt ihm seine
> Wuerde. (Sobald man anfaengt den Menschen als geschichtliches Wesen zu
> sehen, ist mit der Einseitigkeit nicht mehr viel anzufangen.)

Sollte man meinen, würde ich auch gerne glauben. Aber in der Praxis? Verhält
es sich da nicht so, dass man den Menschen eben nicht als geschichtliches
Wesen ansieht, und z. B. im Bereich der Musik beliebig ein Glied aus der
ewig langen Kette herausbricht, es poliert, hochhält und in den
Reliquien-Schrein packt, anstatt die Kontinuität zu sehen (die meiner
Ansicht nach zwangsläufig dazu führen *MUSS*, dass einem musikalisch
"vielgereisten" Hörer egal ist, ob auf der CD Pergolesi oder Penderecki,
Weber oder Webern, Bach oder Offenbach steht)? Es müsste doch - hilfe! - der
Dialektik folgend? - sich ergeben, dass es kein gut/schlecht, höher/tiefer
geben kann, sondern einfach nur verschiedene Glieder einer Kette, die zwar
alle verschieden sein mögen, aber dennoch - jede einzelne! - unabdingbar von
Nöten sind, damit aus der Kette eine Kette wird?
Hach, es ist zum Haare wursteln. Jetzt hab ich aber, der italienischen Mode
folgend, gar keine mehr auf dem Kopp ;-)

> > Das wäre schon der erste Schritt, den Freunden Rieu'scher
> > Meisterschaft doch auch mal ein anderes Angebot machen zu können, weil
sie
> > merken, man nimmt sie ernst und ist an Ihnen interessiert.
>
> Und das waere als schaffender Kuenstler genau eben der Ehrgeiz, der mich
> packte ...

Aber da hätten Dich dann wiederum die Moderne-Verfechter am Wickel, die Dir
dann was von Anbiederung ans Publikum ins Fleissheft schreiben würden, Dich
an der Marterpfahl der Postmodern heften oder was weiss ich schlimme Dinge
anstellen würden. Jetzt komm' ich dann bald zum gordischen Knoten ;-)

Liebe Grüsse eines Gleichgesinnten, den Deine Fähigkeit zur "Viel- und
Verschiedenhörerei" begeistert.
--
Andreas Heck.

Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Harald,

da erwischst Du mich auf dem falschen Bein - ist aber meine Schuld, wenn ich
mich zu weit aus dem Fenster lehne.
Ich bin - aufgrund jahrelangem Desinteresses - kein Spezialist für
Interpreten, weil mir trotz Rom-Anhängerschaft die Musik weit wichtiger ist,
als die Schönheit der Stimme.
Aber trotzdem, wenn ich in meiner Diskographie krame und Vergleiche
anstelle, würde ich tatsächlich behaupten wollen, dass Bocelli kein "guter
Tenor" im kompletten Sinne ist. Da geht es mir weniger um den Klang der
Stimme, als um die interpretatorische Fähigkeit, Musik zu interpretieren -
was ja immer auch eines "Nachkomponierens" von Seiten des Interpreten
verlangt. Und die klassischen Arien, die ich bisher von Bocelli geschmettert
hören durfte, haben mich nicht sonderlich überzeugen können. Seine verpoppte
Klassik oder besser klassisch angereicherte Pop-Musik macht er hübsch,
durchaus. Aber eine komplette Interpretation einer italienischen Tenor-Rolle
würde ich ihm in der Tat nicht zutrauen (stimmlich! hat nichts mit seiner
Behinderung zu tun!!!).

> Ist es nicht vielmehr so, daß die umgangssprachlichen Definitionen
> für "guter Tenor" und "guter Geiger" sich dann ändern?

Die ändern sich nicht nur, da hast Du völlig recht, die hängen zudem noch
vom persönlichen Geschmack ab. Während die einen Peter Hofmann für einen
hervorragenden Siegfried halten, werden das andere von gleichnamigem
Jerusalem behaupten. Wieder andere werden ganz andere "Siegfrieds" auf dem
Plan haben und schwelgen.
Aber wenn ich den Tenor als professionelles Stimmfach auffasse, dazu
"bestimmst" Opernrollen auszufüllen und in für die Kirche bestimmten
Grosswerken zu glänzen, feine Liederabende mit allerlei lichten
Meisterstücken zu gestalten etc., behaupte ich einfach, dass da Boccelli in
einer Liga weiter unten spielt. Das soll ihm nichts nehmen, ein wunderbarer
Unterhalter wird er weiterhin bleiben.

> Daß die beiden instrumental/vokal ihr Metier beherrschen, dürfte
> doch wohl unbestritten sein.

Bezüglich Boccelli ... vielleicht. Ich bin mir da unsicher. Bezüglich Rieu
aber kann es meiner Ansicht nach keinen Streit geben. Vielleicht beherrscht
er ja das virtuose Geigenspiel tatsächlich - dann zeigt er es aber nie. Denn
was er bietet, sind elegante Playback-Bewegungen, die nicht mal einen
Solopart darstellen sollen, sondern er fiedelt einfach Unisono mit dem
geeichten Plüsch-Orchester mit. Na ja, die Beherrschung des Metiers würde
ich bei Rieu tatsächlich bestreiten wollen.

> Wer kaum andere Tenöre bzw. andere Geiger kennt, richtet
> seine Maßstäbe also an Bocelli und Rieu aus.

Wem wäre damit geholfen (ausser den Bankkonten Boccellis und Rieus)?

Johannes Roehl

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
On Mon, 21 Aug 2000, Peter Brixius wrote:
> In article <8nqngk$1qi$16$1...@news.t-online.com>, acp-p...@t-online.de
> says...

---snip---

> > problematisch. Da fängt dann selbst der auf die BArock-Musik spezialisierte
> > Musik-Professor unter Umständen an, einer kompletten Musikergeneration den
> > Topos "Musik" überhaupt abzusprechen. Bei Musik ist eben alles irgendwie
> > anders.
>
> Meine Befuerchtung ist, dass es bei der Literatur inzwischen nicht
> besser, sondern eher schlimmer aussieht. Wer liest denn heute noch einen
> Roman von Goethe, Jean Paul, Fontane oder Musil - wie vergnueglich er
> auch sein mag. Auch unsere Barockliebhaber wuerden sich wohl ungern von

es gibt doch aber einen wesentlichen Unterschied: Literatur muss nicht
aufgeführt werden und Dramen aus den letzten 400 Jahren (o.k. mit
Aischylos 2500...) werden ja durchaus aufgeführt und an anderer Literatur
ist sehr viel prinzipiell in Buchform erhältlich.
Musik in Notenform ist jedoch nicht mal die Hälfte des Kunstwerks...

> mir ueber literarische Erzeugnisse des Barocks examinieren lassen. (Um
> einen meiner Lieblinge der 2. Schlesischen Schule zu nennen:
> Daniel Caspar von Lohenstein waere ein mir sehr willkommenes Thema, ob es
> sein Arminius, seine Gedichte oder seine Dramen waeren. Aber von mir aus
> auch der bekanntere Grimmelhausen, und nicht nur die Landstoerzerin
> Courage oder der Simplizissimus ...) Frag mal, was als Allgemeingut
> geblieben ist, was man an literarischen Werken des Barocks kennen sollte
> - und mit der Aufklaerung machen wir weiter bis in die Moderne. Den Harry
> Potter ziehen sich die Leute rein, aber die Insel Felsenburg oder der
> hoechst vergnuegliche Ulysses - in der Musik ist eben alles irgendwie
> anders - viel besser, das kann ich Dir sagen.

Es ist vielleicht weniger untergegangen, aber ich wüsste nicht, dass die
Barockdichtung im 19. Jhd irgendwie zum Bildungsgut gehört hätte. Manche
Werke kommen eben irgendwie in den Kanon, manche werden vergessen, ob zu
recht oder nicht ist immer sehr schwer zu sagen


> Und unverstaendlich ist das trotz alledem. Aber es kostet vielleicht doch
> weniger Muehe den Miro an die Wand zu pappen, als 10 Minuten Boulez zu
> hoeren ...

anscheinend. Das wäre ein interessantes Problem. Bildende Kunst scheint
zugänglicher (mir überhaupt nicht, ich gehe zwar ab und an in Museen, aber
ich wüsste nicht, dass mir ein Bild jemals so viel bedeutet hätte wie
ein Buch, oder Musikstück)zu sein, ist jedenfalls immer präsent.

> Und diese tiefe Ergriffenheit ist doch nicht immer das, was sich die
> Komponisten wuenschten, oder?

es ist v.a. nicht einfach zwischen tiefer Ergriffenheit, Langerweile und
blasierter Arroganz zu unterscheiden (von aussen)

> > Ich war mal in einer
> > Vorstellung des Rheingoldes in der Oper. Neben mir sass eine Frau mit ihrer
> > Tochter - vermutlich so um die 8 Jahre alt. Die haben permanent geplappert,
> > weil die Mutter dem Kind - logischerweise - so manch Verwirrendes dort auf
> > der Bühne entwirren musste. Und die Augen des Kindes leuchteten, sie
> > lächelte, war selig und berauscht von der Vorstellung. Bis es zu
> > tumultartigen Szenen der "Alteingesessenen" kam, die sich gestört fühlten.
> > Anstatt sie sich über den Nachwuchs freuen, spucken sie Gift. Na ja ...
> >
> wobei das Wagner-Publikum ...
>
> Aber BTW: es sollte viel mehr Konzerte fuer Kinder geben, wenigstens
> eines pro Woche - das waere doch schon mal ein Anfang!

Rheingold für 8jährige ist aber schon etwas heftig...

> charakterisierte) - aber das gab es schon gewisse Verwandtschaften
> zwischen den beiden Walzerkoenigen. Nur - und das macht den
> entscheidenden Unterschied - beurteilen wir Strauss gerechterweise als
> Komponisten und Rieu als Interpreten volkstuemlicher Arrangements.

Und Strauss war mitunter ein verdammt fähiger Komponist (trotz der
Volkstümlichkeit), deswegen finde ich die Rieu-Verramschung ja so schade.

Den grösseren Teil der Menschheit habe ich längst aufgegeben; man kann
versuchen, in eigenen Bekanntenkreis das Schlimmste zu verhindern (und da
scheitere ich meistens auch wegen eines gewissen Hangs zur Polemik)

Johannes

--
Der gesunde Verstand ist die bestverteilte Sache der Welt, denn jedermann
meint, damit so gut versehen zu sein, dass selbst diejenigen, die in allen
übrigen Dingen sehr schwer zu befriedigen sind, doch gewöhnlich nicht mehr
Verstand haben wollen, als sie wirklich haben.


Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Peter,

> aus *Eurem* Generationenkonflikt halt ich mich mal raus ...

Gerne.

[Bewegung im Konzert]

> Ja, lieber Andreas, seit man im 19. Jahrhundert Kunst zur Religion erhob,
> scheint man die Stille und das Verhalten etwa bei der Wandlung als Mass-
> stab fuer den Konzertsaal zu nehmen. Nur durch hoechste Konzentration und
> Hingabe nimmt man an dem Wunderakt kuenstlerischer Schoepfung teil, halt
> ein Kulturbetrieb fuer wohlerzogene Untertanen.

So mag es mir scheinen. Die stille Andacht des Messbetriebes wäre
zumindest - in dem von Dir gewählten Bild - tatsächlich eine Analogie, die
man der Heiligmachung der Kunstmusik in die Schuhe schieben könnte.

[...]

> > Sollte ich dann aus Rücksicht vor den aufgrund der
> > Konvention kaum zu atmen wagenden Nachbarn den Saal verlassen?
>
> Noee, das stoert ihn auch in seiner Erbauung, zur Salzsaeule sollst Du
> erstarren ...

Den Gefallen kann ich ihm einfach nicht tun ;-) Die Konsequenz ist für mich,
dass ich hauptsächlich nur noch Konzerte besuche, bei denen mein
Bewegungsdrang gerne geduldet wird ;-))

[Die anderen Konzerte]

> > Ich finde das herrlich, weil es zeigt, dass die Musik
> > einen betrifft und man nicht den Anschein bekommt, als sei das Publikum
> > völlig unbeteiligt.
>
> Bist Du sicher, dass Du da in den richtigen Konzerten bist? :-)

Unbedingt! ;-)

> > Es hat auch mehr den Charakter des "Dazugehörens" und wirkt
> > weniger wie die Versammlung der Aristokratie, wenn ich ehrlich bin.
>
> Keine Verleumdung der Aristokratie - es handelt sich hier um eine
> buergerliche Sitte. In aristokratischen Zeiten konnte man in seiner Loge
> all seinen Vergnuegungen nachgehen - auch die eines Gespraeches. Ein
> Beethoven schmiss da schon bei einer Andeutung das Konzert mit "Vor
> Schweinen spiele ich nicht" - das war eine der neuen buergerlichen
> Tugenden.

Da dank' ich Dir für das Geraderücken der Historie - ich wollte da keinem
Unrecht tun ... obwohl ich Makel lieber den Aristokraten anlaste, als den
Bürgern ;-)
Wobei natürlich den Aristokraten bei Ihrem Gebrabbel und Gemache sicher an
anderem lag, als mir.

> > Musik hat doch ganz viel mit Emotion zu tun, die kann ich doch nicht
> > aufgrund der KOnzertsituation irgendwie verdrängen oder mich nur aufs
> > Schwitzen verlegen.
>
> Die Deutschen sind doch die besseren Soldaten :-))

Erschreckend, ja ;-)

> > > Andererseits, gäbe es Rieu, Lotti& Co nicht würden ja noch
> > > weniger Leute als Heute Klassik hören.
> >
> IMHO nicht mehr und nicht weniger ...

Das meine ich auch.

[Wer hat recht?]

> Nachdruecklichst meine Zustimmung. Es handelt sich um zwei verschiedene
> Arten von Musik. Ein abendliches Tanzvergnuegen mit der Musik von Kagel
> haette mir kaum eine Alternative geboten. Oder sollte ich meine
> Tanzvergnuegungen aufgeben? Beethoven, das ist klar, der hatte damit
> weniger am Hut (ebenso wie Bruckner), aber das sind doch eher die
> Ausnahmen, oder?

Doch wohl. Mit dem blöden Vergleich wollte ich eben das zeigen: Es lässt
sich nicht vergleichen, es sind zwei paar Stiefel.

[Jugend an Klassik heranführen]

> Ich glaube, das beste ist stets das, was man selbst entdeckt. Wenn ich
> etwas entdeckt habe, dann nehme ich (vielleicht) Hilfen an, aber die
> Bereitschaft muss aus mir selbst kommen.
>
> Es sit halt so, als wuerde ich fordern, dass die Leute gefaelligst jeden
> Sonntag in die Kirche gehen sollen (oder haeufiger - und evt. noch in die
> Vesper), weil man dadurch Jugendliche auch an die Musik heranfuehren
> kann.

Du triffst den Punkt des Versagens: Unter Zwang geht es erst recht nicht.
All die sagenhaft klugen Gründe, die so mancher anführt, dem
"fehlgeleiteten" Jugendlichen zu erklären, warum er Klassik hören *MUSS*,
sind vergebliche Liebesmüh, vielleicht gut gemeint, aber nichts desto trotz
zum Scheitern verurteilt.

[Angebote unterbreiten]

> Das finde ich auch - Angebote - nicht *ein* Angebot. Wenn sie Musik
> moegen, dann sollte man eben bei der Musik ansetzen, die sie moegen. Wenn
> man es erreicht, dass man mit ihnen ueber Musik sprechen kann, dann ist
> ein entscheidender Durchbruch geschehen, dann kann man sie eben auch fuer
> andere Musik interessieren. Aber man muss sie schon da abholen, wo sie
> sind.

Das ist ein ganz, ganz entscheidender Punkt - und einer der Gründe, warum
das Angebote-Machen so oft in die Hosen geht. Wenn ich nicht weiss bzw. nur
oberflächlich weiss oder gar nur meine, zu wissen, was Jugend musikalisch
bewegt, wird mein Angebot mit all dieser kontraproduktiven Überheblichkeit
und altväterlicher Besserwisserei ausfallen, die genau das ist, was
Jugendlich am allerwenigsten hören wollen.

[Gesnippe wegen Einverständnis]

> > > Warum zieht sich der Jugendliche beim Lernen statt Hosen mal einen
Wagner
> > > oder Mahler rein???
> >
> Na, da gibt es doch die schlauen Versuche a la "Besser lernen mit
> Vivaldi" (vorzugsweise langsame Saetze). Beim Lernen Wagner? Finde ich
> nicht so gelungen. (Uebrigens Punk a la Hosen auch nicht, hinterher zum
> Abtanzen vielleicht ...)

Aber das wird immer gerne aufs Spielfeld gebracht ;-)

[an der Erwachsenenkultur etwas entdecken]

> Meist liegt das daran, dass sie ihre unmittelbaren Vorfahren (i.e. ihre
> Eltern) zu wenig kennen oder zu wenig interessant finden. Wenn man das
> Fernsehen zum Hausgoetzen macht, kann das schon passieren :-)

Oder aber, wenn man Konservativismus mit in die Wiege gelegt bekommt und
bereits als 20jähriger wirkt, wie mein Opa in seinen letzten Atemzügen ;-)
Ich gestehe offen, dass mich manches Mal schon erschreckt, welch
Spiessigkeit und Altbackenheit bereits bei meinen Altersgenossen umgeht. Die
ablehnende Jugend hat dann in der Tat etwas mit dem gegenseitigen
Unverständnis zu tun. Soll ja nicht heissen, dass jetzt jeder 30, 40 oder
50jährig mit Jeans-Hosen, die in den Knien hängen rumrennen muss ;-) Aber
zumindest weiss ich keinen Grund, warum sich so viele diesen Alters darüber
aufregen, wenn das ein 15jähriger "konkret krass" findet.

> Eines ist klar, wenn im oeffentlichen Leben die Kultur keine Rolle
> spielt, so kann man von der Schule nicht verlangen, dass sie das
> kompensiert (wie sie auch nicht die mangelnde Erziehung der Eltern
> kompensieren kann).

Das ist unbestritten und es wäre zu einfach, immer alles den Lehrern
anzuhängen.

> Wenn zu Hause Kunst nicht selbstverstaendlicher Teil des Lebens ist -
> und zwar nicht nur reproduzierende - wie kann dann ein Jugendlicher
> Kunst entdecken?

Jedenfalls nicht spielend, villeicht hat er einmal eine glückliche
Begegnung - mit Betonung auf Glück.

> Gehe ich mit meinen Kindern nur immer zum Spielplatz (weil sie
> dorthin gehoeren), nicht aber auch einmal in die Kirche, wo sie
> Architektur, bildende Kunst und (Altenberg ist in der Naehe)
> Musik erleben,

Kirchenbesuche (ausserhalb der religiösen Praxis) sind ganz spannende Events
für Kinder - wenn man es richtig macht!

> fuehre ich mit ihnen nicht auch mal "Werkstattgespraeche" ueber
> ihre Bilder oder wir raeubern zusammen die Kueche aus und machen
> ein droehnendes Schlagzeugkonzert auf allen Topefen und Pfannen
> usw. usf. -

Letzteres ist der absolute Hit für Kinder. Ich habe mittlerweile ein ganzes
Arsenal an "Klangerzeugern" angelegt - von der kaputten Geige über die
Trommel bis hin zu Irgendwas, was halt schnarzt und knarrt - und damit
veranstalte ich mit meinen Kindern des öfteren berühmt-berüchtige Jam
Sessions ;-)

> woher soll denn ihre Lust an Kunst kommen? Woher
> ihre Fragen an die Kunst?

Ganz richtig. Deshalb ärgert mich ja immer so sehr, dass gerade diejenigen,
die mithelfen könnten, es zu "richten", über die "schlimme Jugend" wettern!

Liebe Grüsse.
--
Andreas Heck.

Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Peter,

auch nur eine Bemerkung ;-)

Es ging um die Abneigung gegen Klassik bzw. darum, dass das mit der
Auflehnung gegen die Kultur der Eltern zu tun habe. Da schreibst Du
dankenswerter Weise:

> Aber das duerfte doch nur die Musik der Elterngeneration betreffen. Wenn
> man die Neue Musik betrachtet, geht sie ja manchmal genau so ruppig mit
> der Musik dieser Elterngeneration um, wie sie es aus dem Gesichtspunkt
> einer Generationenrebellion tun sollte.

Zudem man sich nur einmal die durchschnittsalter-mäßige Zusammensetzung des
Publikums in solchen Konzerten ansehen muss. Da wird man glücklich und
schöpft Hoffnung ;-)

Bis bald.
--
Andreas Heck.

Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 3:00:00 AM8/21/00
to
Lieber Peter,

da weiss ich jetzt eigentlich gar nicht, wie ich widersprechen könnte ;-)

> > Und ich fürchte, die Situation hat sich "verschlimmert". Die
Light-Klassiker
> > a la Rios oder Clayderman gab es damals nur sporadisch. Und der extreme
> > Unterschiede zu heute war, dass die Leute wussten, dass sie leicht
> > konsumierbare Lightversionen anbieten. Heute halten die Leute Boccelli
für
> > einen guten Tenor und Andre Rieu für einen hervorragenden Geiger. Und
weil
> > das so ist, wird heute weit weniger vorkommen, dass deren Fans "auch mal
das
> > klassische Original hören wollen", weil sie nach ihrer Ansicht, nach
> > Meinungsmache der Medien usw. meinen, bereits das Beste zu hören :-(
> >
> Und ich glaube trotzdem, dass die Leute ein Konzert mit Rieu anders
> angehen als eines mit Gidon Kremer.

Trotzdem meine ich - und kann ich darin natürlich täuschen -, dass Hörer,
die Rieu für einen hervorragenden Geiger halten, gar nicht erst auf die Idee
kommen werden, Kremer zu hören. Täusche ich mich darin so sehr? Es wäre
schön!

> Es sind ganz klar andere Erwartungshaltungen - selbst wenn das
> Konzert nur per Fernsehen im Wohnzimmer stattfindet. Waehrend
> man von Rieu "gehobene" Unterhaltung erwartet, von mir aus auch
> noch den Cekt oder den Champagner rieseln laesst, wird man ein
> Konzert mit Kremer doch weit eher mit einer gesammelten Konzentration
> angehen, eben wie vor einer geistigen Anstrengung. Die Unterscheidung
> ist also den Leuten deutlich.

Ich weiss es wirklich nicht. Ich fürchte nämlich, dass diejenigen, die zum
Kreise der Rieu-Fans zählen, gar keine Unterscheidung zwischen der gehobenen
Unterhaltung eines Rieu und der anspruchsvollen Interpretation von Kunst
eines Kremer mach können oder wollen. Oder wenn doch, werfen sie beide in
einen Hut.

[Bei Musik ist irgendwie alles anders]

> Meine Befuerchtung ist, dass es bei der Literatur inzwischen nicht
> besser, sondern eher schlimmer aussieht.

Da wiederum gebe ich Dir recht. Nicht so sehr im Bereich der Klassiker - die
bekommt man wenigstens irgendwann einmal irgendwie mit. Aber der
zeitgenössischen (avancierten) Literatur geht es wohl weit schlechter, als
der Musik der selben Zeit.

> Wer liest denn heute noch einen Roman von Goethe, Jean Paul,
> Fontane oder Musil - wie vergnueglich er auch sein mag.

Es müssen ja auch nicht unbedingt die sein - ein Böll oder Frisch wäre auch
schon schön ;-)

> Auch unsere Barockliebhaber wuerden sich wohl ungern von
> mir ueber literarische Erzeugnisse des Barocks examinieren lassen. (Um
> einen meiner Lieblinge der 2. Schlesischen Schule zu nennen:
> Daniel Caspar von Lohenstein waere ein mir sehr willkommenes Thema, ob es
> sein Arminius, seine Gedichte oder seine Dramen waeren. Aber von mir aus
> auch der bekanntere Grimmelhausen, und nicht nur die Landstoerzerin
> Courage oder der Simplizissimus ...)

Da muss ich wirklich passen - aber ich kann mich damit herausreden, dass ich
(ausserhalb der römischen Architektur und bildenden Kunst) keine sonderliche
Ahnung von Barock habe ;-))

> Frag mal, was als Allgemeingut geblieben ist, was man an literarischen
> Werken des Barocks kennen sollte - und mit der Aufklaerung machen wir
> weiter bis in die Moderne. Den Harry Potter ziehen sich die Leute rein,
> aber die Insel Felsenburg oder der hoechst vergnuegliche Ulysses - in
> der Musik ist eben alles irgendwie anders - viel besser, das kann ich
> Dir sagen.

Dem kann ich gar nicht widersprechen, Du hast recht.
Aber auch da denke ich, dass es irgendwie mit Zeit oder vielleicht sogar dem
Ort in der Zeit zu tun hat. Eine Installation von Beuys wird mich nicht
sonderlich lange quälen, wenn mich Beuys quält - da gehe ich halt vorbei.
Bei Musik wird es schon schwieriger - seltenst "quält" man den Unmodernen
mit solch kurzen Spitzen wie die von Kurtag, das sind meist 10 oder mehr
Minuten. Da rutscht man dann schon gerne einmal mit Ungemach auf dem Sessel
herum. Und bei Literatur ist es dann ganz aus, denn wenn mich bereits die
ersten 5 Seiten nicht überzeugen, werde ich als Uninteressierter den Teufel
tun und mir auch noch die restlichen 487 Seiten geben.

Und eben da wieder der Ausdruck meiner Hilflosigkeit: Was machen?

> Und unverstaendlich ist das trotz alledem. Aber es kostet vielleicht doch
> weniger Muehe den Miro an die Wand zu pappen, als 10 Minuten Boulez zu
> hoeren ...

Na, da sagst Du ja genau das Gleiche, wie ich weiter oben - wir zwei
versehen uns halt ;-)

[Schunkeln contra hehre Stille]

> > Natürlich, ich wollte ja jetzt auch nicht zum kollektiven Geschunkel bei
> > Dvoraks 9ter aufrufen ;-) Aber die Steifheit des Konzertbetriebes ist
nunmal
> > Fakt. Das ist alles irgendwie ritualisiert, mit Standesdünkel versehen,
eine
> > hermetische Veranstaltung, nur für Eingeweihte usw. Dadurch ist vielen
> > Aussenstehenden der Zugang erschwert bzw. wirkt für viele abschreckend.
> >
> Und diese tiefe Ergriffenheit ist doch nicht immer das, was sich die
> Komponisten wuenschten, oder?

Wenn ich da an so manchen denke, bin ich mir dessen sicher, dass viele genau
diese Art von Konzertbetrieb nicht wollten (und viele Provokationen der
jüngeren Musikgeschichte waren eben mehr als reine Provokation, sondern dazu
angelegt, diese Kruste - wenn auch nur temporär und nur zum Teil -
aufzubrechen).

[Kinder in Rheingold]

> wobei das Wagner-Publikum ...

Na ja, dazu zählen wir beide ja auch ... irgendwie ;-)

> Aber BTW: es sollte viel mehr Konzerte fuer Kinder geben, wenigstens
> eines pro Woche - das waere doch schon mal ein Anfang!

Fänd' ich schon mal nicht schlecht. Wobei man dabei auf vorsichtig sein
muss. Denn schöner wäre für mich schon, wenn Generationen gemeinsam im
Konzert sitzen ... sonst sind wir wieder beim "Sandkasten", dem Ort, an dem
die meisten Kinder vermuten.

> > Aber dem "Laien" (nicht böse gemeint) wird es schwer fallen, Rieu als
etwas
> > anderes, als den Walzerkönig zu sehen, wenn ihm dieser doch überall (in
der
> > Werbung, im CD-Laden, im Fernsehen) als solcher angepriesen wird und er
> > sieht, welchen Erfolg der Knabe aus dem Land der Wassertomaten hat.
> > Das muss man den Leuten sagen - die meisten wollen es leider nicht hören
:-(
> >
> Nun, man braucht ja die Episode aus Winklers "Der tolle Bomberg" nicht
> ganz Ernst zu nehmen, wo er einen eitlen Walzerkoenig (diesmal der echte
> J. Strauss II) hochbezahlt vor einer Reihe Schweinen aufspielen laesst
> (was gleichzeitig die Einstellung des Barons zum westfaelischen Adel
> charakterisierte) - aber das gab es schon gewisse Verwandtschaften
> zwischen den beiden Walzerkoenigen. Nur - und das macht den
> entscheidenden Unterschied - beurteilen wir Strauss gerechterweise als
> Komponisten und Rieu als Interpreten volkstuemlicher Arrangements.

Mehr will ich auch gar nicht erwartet haben ;-) MIr passt nur nicht, mit
welcher Inbrunst man ihn (aus marketingtechnischen Erwägungen heraus)
stilisiert.

Alfred Schmidt

unread,
Aug 21, 2000, 6:16:37 PM8/21/00
to

Hallo, Andreas, Hallo Peter

Es ist nix gequotet, weil Ihr habt euch ja brillant gegenseitig wiederlegt.
:-)

Aber man kann das Problem: Klassik für Millionen auch anders betrachten.

Bevor ich das erörtere bitte ich vor allem Andreas das Riechsalz
bereitzuhalten, für den Fall daß ihm überl wird :;-)
(ich glaub nämlich, daß ich weltanschaulich ein ziemlicher Antipode von ihm
bin ;-))

Ich behaupte, daß Klassik, Kultur (zumindest, das was ich darunter verstehe
(heute sagt man Hochkultur dazu) von jeher nichts für die breite Masse war
und ist.
Während man im Mittelalter Sorge trug, daß nur jene Armen, Lesen und
Schreiben lernten, die im weitesten Sinne des Wortes dem geistlichen Stand
zuneigten, bemühten sich (nach Maria Theresia und Joeph dem 2.)
intellektuelle Linke um die Bildung des Arbeiters.Der Erfolg war bescheiden,
weil der Großteil dieser Schicht Bildung als "bürgerlich" betrachtete und
daher ablehnte. (daher auch das "Schimpfwort" Bildungsbürgertum)
Wer mir entgegenhält, das ware nicht so, der betrachte einmal das Progremm
diverser Fernsehsender.Bei der 2 Staffel
von "Big Brother" sollen Bücher im Container ausdrücklich verboten sein.

Bildung ist immer ein Privileg einer Elite gewesen.
Nun hat jeder Zugang dazu, aber die Mehrheit macht sich nichts daraus. Wo
ist da das Unglück??
Das ist ja nicht nur ein Problem der Musik, sonst könnten sich gewisse
"Frißconter", welche sich noch erfrechen sich als Restaurants zu bezeichnen,
gar nicht existieren.
In der Literatur und Malerei sieht es da nicht besser aus.

Das war vor zwanzig Jahren auch nicht viel anders
Was hat sich aber tatsächlich verändert. Verändert hat sich, daß heute viele
Leute in Schlüsselposition abgrundtief dumm sind und mehr
Durchsetzungsvermögen besitzen als Hirn. Das gilt für Quotenbringer beim
Fernsehen, fürPolitiker und für Manager in den Schallplattenkonzernen. Sie
haben durchwegs von der Ware(Musik), die sie verkaufen keine Ahnung und sie
interessiert sie auch nicht. Ihr gesamtes Denken dreht sich um : Wie kann
ich bei minimalster Leistung in kürzester Zeit die höchste Rendite
erwirtschaften ?? Wie kann ich die Qualität (unmerklich) senken? Wie bringe
in die Ware massenweise an?

Das wäre an sich recht schlimm für uns.Katalogstreichungen en masse .
Umstieg ins Crossover-Geschäft.
Compilationen von Uraltaufnahmen unter dem Namen " Best of YYY"

"Kuschelklassik für Fast-Food-Esser"

etc. etc.

Aber da gibt es seit einigen Jahren einige "Kleinlabels", die längst nicht
mehr klein sind sondern den Klassikmarkt bestens versorgen. Wozu also die
Aufregung ?
Ich glaube auch ferner, daß "Musikerziehung" ein falscher Weg ist, das ist
nicht notwendig. Die Leute finden ihren Weg auch ganz alleine zu den
Computerspielen und Surfbrettern und zu seichter Unterhaltung. Wer für
klassische Musik "prä-destiniert"
ist , wird sowieso dort landen, und wer niiiiicht .......... (Wie geht jetzt
schnell der Smiley für "Achselzucken" ?) ;-)))

So das wärs für momentan
ich lass Euch weiter bei Eurem (hochinteressanten) Zwiegespräch
weil mit eurer Energie (des Schreibens)
kann ich leider nicht mithalten

Es grüsst euch

Alfred


Andreas Heck

unread,
Aug 21, 2000, 8:50:30 PM8/21/00
to
Lieber Alfred, ein letzter Gruss zu viel zu später Stunde.

> Es ist nix gequotet, weil Ihr habt euch ja brillant gegenseitig
wiederlegt.
> :-)

Bist Du Dir sicher, dass Du Dich nicht verlesen hast? Dass Peter und ich
einmal nicht an einem Strang ziehen, wäre ein historisches Ereignis in
dieser NG ;-))

> Aber man kann das Problem: Klassik für Millionen auch anders betrachten.

Da bin ich mir sicher - da liessen sich viele Varianten finden.

> Bevor ich das erörtere bitte ich vor allem Andreas das Riechsalz
> bereitzuhalten, für den Fall daß ihm überl wird :;-)

Da behelfe ich mich lieber mit einem anderen altbewährten Hausmittel und
greife zur Grappa-Flasche ;-)

> (ich glaub nämlich, daß ich weltanschaulich ein ziemlicher Antipode von
ihm
> bin ;-))

Da wärst Du nicht der erste, der mir in meinem Leben begegnet ;-)

> Ich behaupte, daß Klassik, Kultur (zumindest, das was ich darunter
verstehe
> (heute sagt man Hochkultur dazu) von jeher nichts für die breite Masse war
> und ist.

Einverstanden. Es ging aber weder mir noch - so denke ich - Peter darum,
"Klassik" nun von heute auf morgen und zum ersten Mal seit 500 Jahren
massentauglich zu machen. Mich beschäftigt die Frage, schon allein aus
meiner subjektiven Perspektive als Vater von zwei Kleinkindern, wie man es
anstellen *könnte*, dass die Musik der Hochkultur, wie Du anführst, eine
Kultur aller Generationen wird und nicht - wie leider in der REgel der
Fall - eine Veranstaltung des jeweils älteren bis ältesten Semesters bleibt.

> Während man im Mittelalter Sorge trug, daß nur jene Armen, Lesen und
> Schreiben lernten, die im weitesten Sinne des Wortes dem geistlichen
> Stand zuneigten, bemühten sich (nach Maria Theresia und Joeph dem 2.)

> intellektuelle Linke um die Bildung des Arbeiters. Der Erfolg war


> bescheiden, weil der Großteil dieser Schicht Bildung als "bürgerlich"
> betrachtete und daher ablehnte. (daher auch das "Schimpfwort"
> Bildungsbürgertum)

Wobei man aber - gerade beim Stichwort MIttelalter - nicht vergessen sollte,
dass den Mächten - vor allem den klerikalen - sicherlich nicht viel daran
gelegen haben kann, den Plebs plötzlich geistig auf der selben Stufen stehen
zu haben. Es bedurfte, wenn wir bei der Geistlichkeit bleiben wollen, eines
Hl. Hyronimus und später eines Martin Luthers, um die Bibel zu
"popularisieren".

> Wer mir entgegenhält, das ware nicht so, der betrachte einmal das Progremm
> diverser Fernsehsender.Bei der 2 Staffel von "Big Brother" sollen Bücher
> im Container ausdrücklich verboten sein.

Jetzt ist natürlich wieder Big Brother an allem schuld ;-) Ich finde es
schon irgendwie köstlich: Jeder regt sich von Anfang an darüber auf, keiner
will es je gesehen haben, man hält es für den Untergang der hart über
Jahrhunderte erkämpften Zivilisation - und trotzdem dient es so manchem im
einen Falle als Pro- im anderen als Contra-Argument. Wie arm wären wir doch
ohne ;-)

> Bildung ist immer ein Privileg einer Elite gewesen.

Zumindest bis Anfang letzten Jahrhunderts. Heute gilt das mit der "Bildung
für die Elite" meinetwegen noch im Nord-Süd-Gefälle zwischen den reichen
Industrienationen und den immer weiter verarmenden Ländern Afrikas, Asiens
und Südamerikas.

> Nun hat jeder Zugang dazu, aber die Mehrheit macht sich nichts
> daraus. Wo ist da das Unglück??

Weiss ich nicht. Das Unglück besteht für mich nicht darin, dass nur 7% des
Tonträgermarktes in den Bereich der sog. Klassik fallen - mit betrübt, dass
von diesen 7% wahrscheinlich nicht viel mehr als 10-20% unter 30 Jahre alt
sein werden (Stichwort: Tradierung).

> Das ist ja nicht nur ein Problem der Musik, sonst könnten sich gewisse
> "Frißconter", welche sich noch erfrechen sich als Restaurants zu
bezeichnen,
> gar nicht existieren.
> In der Literatur und Malerei sieht es da nicht besser aus.

In Ordnung, wir leben in wüsten Zeiten. Die Zeit wird knapp und knapper, der
Tiefgang weicht der Oberflächlichkeit, Spass macht, was nicht anstrengt und
trotzdem zum Schwitzen bringt - und wenn das alles nicht hilft, schmeisst ma
n sich eben eine Spass-Pille ein etc. pp. Aber war das in anderen Zeiten so
sonderlich anders? Da war die Fun-Gesellschaft vielleicht nicht so gross an
Zahl - aber schon die alten Römer waren tunlichst darauf bedacht, mit
möglichst wenig möglichst viel zu erreichen - und sich mal flugs beim
Erledigen der Staatsgeschäfte von einem Sklaven in den Caracalla-Thermen
massieren zu lassen. Das scheint mir menschlich und kein Problem der Zeit.

> Das war vor zwanzig Jahren auch nicht viel anders Was hat sich aber
> tatsächlich verändert.

Ich möchte fast sagen: Nichts ;-) Oder doch: es ist besser geworden. Ich
hoffe, Du staunst jetzt ;-))

> Verändert hat sich, daß heute viele Leute in Schlüsselposition
> abgrundtief dumm sind und mehr Durchsetzungsvermögen besitzen
> als Hirn.

Na gut, dafür hatte man vor 40, 50 Jahren bis in unsere Tage - trotz
bemühter Entnazifizierung - massenhaft Alt-Braune in Schlüsselpositionen,
die nicht nur dumm waren/sind, sondern zudem auch noch meist ihrer nicht
mehr ganz so hellen Weste einen neuen Anstrich verpassen mussten. Ich weiss
jetzt nicht, welche Variante ich da vorziehen würde. Wahrscheinlich aber die
Deine.

> Das gilt für Quotenbringer beim Fernsehen, fürPolitiker und für
> Manager in den Schallplattenkonzernen.

Tut mir leid, aber mir hört sich das zu sehr nach "die Welt ist schlecht"
an. Das will ich Dir natürlich nicht nehmen, aber sonderlich näher kommen
wir dem Problem irgendwie dann auch nicht.

> Sie haben durchwegs von der Ware(Musik), die sie verkaufen keine Ahnung
> und sie interessiert sie auch nicht.

Aber wo ist da das Übel? Die Tonträger(gross)industrie ist nunmal keine
Bildungseinrichtung wie eine Universität zum Beispiel. Das ist ein modernes
Wirtschaftsunternehmen und da setzt man am besten nicht einen gebildeten
Musikus an die Spitze (der das Unternehmen wahrscheinlich schnellsten in den
Keller bringen würde), sondern einen Top-Manager und Wirtschaftsstrategen,
der dann halt Bach nicht von Bloch unterscheiden kann.
Für Adidas wird es auch nicht wichtig sein, ob ihr Chef Langstreckenläufer
oder Profifussballer ist.

> Ihr gesamtes Denken dreht sich um : Wie kann ich bei minimalster
> Leistung in kürzester Zeit die höchste Rendite erwirtschaften ??

Und da bin ich eben der Meinung (siehe oben), dass das irgendwie ein
menschlicher Zug ist - vielleicht sogar, um mich aufs Glatteis darwin'schen
Parketts zu begeben, ein Grund für die "Erfolgsstory" des Säugetieres
Mensch.

> Wie kann ich die Qualität (unmerklich) senken? Wie bringe
> in die Ware massenweise an?
>
> Das wäre an sich recht schlimm für uns.Katalogstreichungen en masse .
> Umstieg ins Crossover-Geschäft.
> Compilationen von Uraltaufnahmen unter dem Namen " Best of YYY"
>
> "Kuschelklassik für Fast-Food-Esser"
>
> etc. etc.
>
> Aber da gibt es seit einigen Jahren einige "Kleinlabels", die längst nicht
> mehr klein sind sondern den Klassikmarkt bestens versorgen. Wozu also die
> Aufregung ?

Das müsste ich dann jetzt eigentlich Dich fragen, denn Du wetterst ja so
über die bösen Bosse ;-) Mir ging es um die Frage: Wie kann ich einen (im
besten Fall jungen) Menschen für Musik begeistern, zu der er bisher keinen
Zugang fand. Das ist auf keinen Fall etwas, was die Tonträgerindustrie lösen
kann. Jeder einzelne von uns kann das in seinem direkten Umfeld, wie
Johannes ganz richtig festgestellt hat. Aber mir schwebt noch immer irgend
etwas "im grossen Stil" vor ... und finde keine rechte Antwort.

> Ich glaube auch ferner, daß "Musikerziehung" ein falscher Weg ist,
> das ist nicht notwendig.

Wenn Du das im schulischen Sinne verstehst, vielleicht wirklich nicht. Aber
auch ich wurde musikalisch erzogen - wenn auch eher von innen bzw. von der
Musik selbst, als von irgendwelchen autoritären Mächten von Aussen. Soll ja
nur eine HIlfe bedeuten, sich zu entwickeln.

> Die Leute finden ihren Weg auch ganz alleine

Auch das gibt es - und trotzdem ist es nicht schlecht, wenn man bei den
anfänglich tapsigen und unbeholfenen Schritten jemanden hat, der einem
weiterhilft.

> zu den Computerspielen und Surfbrettern und zu seichter Unterhaltung.

Nichts gegen Computerspiele und seichte Unterhaltung, die möchte ich nicht
missen ;-)

> Wer für klassische Musik "prä-destiniert" ist, wird sowieso


> dort landen, und wer niiiiicht ..........

Na gut, dann eben nicht. Aber was hast Du dagegen, wenn man versucht, eine
Entdeckung sanft anzuschubsen?

Beste Grüsse und geruhsamen Schlaf.
--
Andreas Heck.


Martin Mueller

unread,
Aug 22, 2000, 3:00:00 AM8/22/00
to
Im Artikel <MPG.140b3b066...@news.ndh.net>, Peter Brixius
<Peter....@Koeln.Netsurf.de> schreibt:(u.a.)

>Der qualitative
>> Unterschied zwischen Groschenromanen und Thomas Mann (oder Max Frisch oder
>> Grass oder Lenz oder oder...) ist leichter zu vermitteln als der zwischen
>Rieu
>> und Bartok.
>
>Bezweifele ich - der quantitative Unterschied allerdings sicherlich. In
>beiden Faellen ist es die Frage "zugaenglich" oder "schwierig". Ich kenne
>ebensoviele frustrierte Deutschlehrer wie frustrierte Musiklehrer - und
>trotzdem habe ich das Gefuehl, dass die Musiklehrer noch das bessere Ende
>erwischt haetten.

Lieber Peter,
das Problem bei der Musikrezeption durch Jugendliche ist meiner Ansicht nach
weniger die Zugänglichkeit auf der rein musikalischen Ebene. Da ließen sich
Brücken bauen. Die größere Barriere ist die pubertäts- oder überhaupt
generationsbedingte Ablehnung der sogenannten Grufti-Musik. Die ist deshalb
stärker ausgeprägt als der Widerstand gegen Literatur, weil das musikalische
Feld viel mehr von der Werbung und Publikationen wie "Bravo" besetzt ist als
das literarische. (Wahrscheinlich, weil da mehr Geld zu verdienen ist.) Es gibt
weit weniger Kultbücher als Kult-Musik. Und gerade dieser Kult, den die
Tonträgerindustrie um alle möglichen dümmlichen Produktionen inszeniert, steht
der unvoreingenommenen Begegnung mit der sogenannten Klassik im Wege.

> Naja, und Karl May ist ein weites Feld ...

Allerdings... Aber hat nicht auch Schubert eine Schwäche für blutrünstige
Indianergeschichten gehabt?

>Was nun etwa Beethoven ueber die sterilen Auffuehrungsbedingungen unserer
>Tage gesagt haette, weiss ich nicht, vielleicht haette ihm das auch
>gefallen. Aber - um das festzuhalten - es ist eine Gewohnheit, die sich
>erst im 19. Jahrhundert herausbildete, die also nicht etwa von der Musik
>(oder auch dem Schauspiel) notwendig gefordert wurde.

Auch die bürgerliche Kultur im 19. Jahrhundert hatte bisweilen ihr Gutes, in
diesem Falle die Errungenschaft des konzentrierten Zuhörens. Warum sollen wir
in unseren Tagen diesen Fortschritt aufgeben, nur weil immer mehr Leute nicht
mehr die Disziplin aufbringen, ihre Eindrücke zu speichern und erst hinterher
in Worte zu kleiden? Im Grunde ist das nichts anderes als ein Sichgehenlassen,
für das ich herzlich wenig Verständnis aufbringen kann. Zumindest, wenn es um
Erwachsene geht. Und für Kinder sollten eben altersgerechte Konzerte geboten
werden, wie das ja auch in vielen Städten geschieht. (In meiner Region die
Familienkonzerte der Stuttgarter Philharmoniker oder das Projekt "Junge Oper"
der Stuttgarter Staatsoper.)

>Ein wenig muss ich hier die Harmonie stoeren, denn es werden Aepfel mit
>Birnen verglichen. Zunaechst einmal Mozart/Haendel - da war das eine
>Anpassung an die Hoergewohnheiten seiner Zeit, etwas
>Selbstverstaendliches, das unsere HIP-Puristen natuerlich ins Schwitzen
>bringen duerfte. Es war *keine* kreative Aneignung der Haendelchen
>Komposition. Die genannten Instrumentationen sind auch Produkte einer
>historischen Aneignung und Uebersetzung in Hoergewohnheiten der
>Gegenwart. Ravels Instrumentation der "Bilder" bringt einen
>"verfaelschten" Mussorgski, ueber den man das Original fast vergessen
>hat. Die Instrumentionen der 2. Wiener Schule sind wahre Wunderwerke
>einer Aneignung. Jetzt koennte ich natuerlich zum Vergleich (die heute
>wohl nicht mehr sonderlich bekannten) Emerson Lake and Palmer mit ihren
>Pictures of an Exhibition anfuehren, die sicher auch eine gekonnte
>Aneignung mit den Mitteln der zeitgemaesen Rockmusik waren, dann haben
>wir eine breite Palette zwischen zeitgemaesser Anpassung, schoepferischer
>Aneignung durch Instrumentation und kreativer Aneignung durch die
>Verwandlung in ein zeitgemaesses Idiom.

Danke für die Präzisierung. Du hast natürlich Recht.

>Kommerzielle Aspekte hatten alle diese Aneignungen. In eine HIP von
>Haendels Messias haette man die Zeitgenossen Mozarts nicht locken
>koennen, obwohl das Original gar nicht so lange zurueck lag. Aber macht
>der Kommerz die Einspielung der E.L.P. deshalb schlechter. Und wo ist da
>der Unterschied zu Loussier und Ekseption? Und mit dem Niveau des
>Originals habe ich so meine Probleme - ist das wirklich der Kritikpunkt
>bei Last (oder Rieu)?

Bei Last auf jeden Fall, schon weil er den Originalrhythmus mit einem sturen
Beat niederprügelt. Andererseits ist dadurch auch für den naivsten Hörer keine
Verwechslungsgefahr mit dem Original mehr gegeben. Rieu ist vielleicht gerade
deshalb "gefährlicher", weil er in seinen Bearbeitungsmitteln nicht so weit
geht

>> Es muss ja auch nicht gleich der "Falstaff" sein, den der "unbedarfte
Zuhörer" >>besucht. (Rossini täte es für den Anfang auch!)
>> Andererseits: Vielleicht begreift auch der unvorgebildete Hörer ganz
>intuitiv
>> die Größe des "Falstaff". Mozart hat über seine Klavierkonzerte einmal
>> geschrieben, sie seien so beschaffen, dass der Kenner "Satisfaktion
>erhalte",
>> andererseits auch der Laie sie schön finden könne, ohne zu wissen warum.

>... und dafuer habe ich viel uebrig! ...

Ich auch, gar keine Frage!

>> Richtig. Im Grunde ist das auch kein musikalisches Problem, sondern eher
>ein
>> soziokulturelles. Abneigung gegen Klassik hat viel mit Auflehnung gegen die
>> Kultur der Elterngeneration zu tun.
>
>Aber das duerfte doch nur die Musik der Elterngeneration betreffen

Nicht nur, aber vor allem. (Übrigens auch innerhalb des Genres Popmusik: Die
Beatles sind für viele Kids genauso Grufti-Musik wie Beethoven.)
.


>Wenn
>man die Neue Musik betrachtet, geht sie ja manchmal genau so ruppig mit
>der Musik dieser Elterngeneration um, wie sie es aus dem Gesichtspunkt
>einer Generationenrebellion tun sollte.

Verstehe ich nicht ganz: Wer geht hier mit welcher Msuik wie um?

>> Das ist in einem gewissen Alter normal.
>> Leider macht die Tonträgerindustrie mit dieser Abwehrhaltung ein Geschäft,
>und
>> das ist das eigentlich Fatale an der Situation. Jugendlichen wird
>> Selbsbestimmung vorgegaukelt, und dabei merkt der große Teil nicht, wie er
>> manipuliert wird und wie es die Musikindustrie nur darauf abgesehen hat,
>ihm
>> das Taschengeld aus der Tasche zu ziehen.
>> ...
>
>Man muss es sich aber auch aus der Tasche ziehen lassen ...

Erwartest Du im Ernst, dass Jugendlichen wirksame Strategien zu Gebote stehen,
mit denen sie sich gegen das Gebrüll der Werbung zur Wehr setzen können? Das
schaffen ja viele Erwachsene nicht! Ich möchte nicht wissen, wie viele
Klassik-Hörer sich die "Vier Jahreszeiten" mit Anne Sophie Mutter gekauft
haben, bloß weil die eben geschickter vermarktet wurde. Oder, anderes Beispiel:
die "Mozart Sessions" mit Bobby McFerrin und Chick Corea. Der Masche dieses
singenden "Dirigenten" ist seinerzeit sogar der Kritiker von "Fono Forum" in
Gestalt einer meiner Meinung nach durch nichts gerechtfertigten positiven
Rezension auf den Leim gegangen.
Hinzu kommt bei den Jugendlichen noch der Gruppenzwang. Der geht so weit, dass
manche, die insgeheim Mozart mögen, es nicht zugeben, aus Angst, zum
Außenseiter abgestempelt zu werden.

Liebe Grüße
Martin

Martin Mueller

unread,
Aug 22, 2000, 3:00:00 AM8/22/00
to
Im Artikel <8nqngk$1qi$16$1...@news.t-online.com>, "Andreas Heck"
<acp-p...@t-online.de> schreibt:(u.a.)

>Hallo Martin,
...


> Wie viele
>Klassik-Hörer, die sich z. B. bei Haydn bis Beethoven bestens auskennen,
>gibt es, die z. B. Bartok als furchtbares Gekrache ansehen und das standhaft
>behaupten, auch wenn man ihnen noch so oft erzählt, das Bartok wunderbare
>Musik gemacht hat und eine ganz zentrale Figur im letzten Jahrhundert war?
>Das sind Legionen! Wenn man dann gar nach Bartok anfängt, wird es ganz
>problematisch. Da fängt dann selbst der auf die BArock-Musik spezialisierte
>Musik-Professor unter Umständen an, einer kompletten Musikergeneration den
>Topos "Musik" überhaupt abzusprechen. Bei Musik ist eben alles irgendwie
>anders.

Hallo Andreas!

Wäre die größere (und mehr verbreitete) Beliebtheit von Mozart, Haydn,
Beethoven und meinetwegen auch Rossini nicht u.a. damit zu erklären, dass
Singen, und sei es in der Badewanne, möglicherweise ein menschliches
Urbedürfnis ist und Komponisten, die "melodiös" im Sinne von "nachsingbar"
schreiben, dem sangesfreudigen Konsumenten damit eine Art Köder vorwerfen, mit
dem sie ihn da abholen, wo er steht? Und er dadurch eher bereit ist, ihnen auch
in Gefilde zu folgen, wo´s etwas komplizierter zugeht? Im Grunde tut ja ein
Romanautor, der die Darstellung seines Weltenwurfes, seiner Gesellschaftskritik
mit dem Köder einer packenden Story versieht, nichts anderes: Er versucht
zunächst einmal, den Kommunikationston seiner Leser zu treffen. Das haben viele
"moderne" Komponisten aufgegeben. Bereits Schumann äußerte einmal sinngemäß, er
wolle gar nicht von allen verstanden werden.

>... und wer hat nicht irgendwo einen zwischen 30 und 3000 Mark teuren


>Kunstdruck eines Miro-, Kandinsky-, Picasso- oder Dali-Bildes in seiner
>Wohnung hängen?

Eine Beuys´sche Badewanne aber schon nicht mehr!!!

>Aber wie viele von denen, die es als ganz normal empfinden,
>sich mit moderner Malerei zu beschäftigen, hören statt Mozart einmal Boulez
>oder statt Bach einmal Nono? Es ist bei Musik tatsächlich irgendwie alles
>anders.

Es wäre natürlich zu fragen, wie viele, die einen Picasso-Druck im Wohnzimmer
hängen haben, Picasso tatsächlich verstehen. Bei vielen ist er wohl eher so
eine Art Plakat: "Du bist hier in der Wohnung eines aufgeschlossenen, modern
denkenden Kunstliebhabers!" Mit der Zurschaustellung moderner Kunst in den
eigenen vier Wänden will man sich halt vom Spießer mit seinem röhrenden Hirsch
in Öl abgrenzen. Für derartige Demonstrationen taugt moderne Musik eben nicht.
Und welcher sogenannte Bildungsbürger hat schon den gesamen Goethe, den er
protzig im Regal stehen hat, gelesen oder gar verstanden?!

>[Schunkeln conctra hehre Stille]
>
>> Die "hehre Stille" in klassischen Konzerten hat nur zum Teil etwas mit
>> konservativem Musikbetrieb zu tun. Es ist einfach eine Frage der
>> Rücksicht auf andere Konzertbesucher.
>
>Natürlich, ich wollte ja jetzt auch nicht zum kollektiven Geschunkel bei
>Dvoraks 9ter aufrufen ;-) Aber die Steifheit des Konzertbetriebes ist nunmal
>Fakt. Das ist alles irgendwie ritualisiert, mit Standesdünkel versehen, eine
>hermetische Veranstaltung, nur für Eingeweihte usw. Dadurch ist vielen
>Aussenstehenden der Zugang erschwert bzw. wirkt für viele abschreckend.

Ich meine aber trotzdem, dass die Ausführenden eines Konzerts einen Anspruch
darauf haben, dass man ihrer Darbietung erst einmal zuhört und seine Kommentare
auf die Pause verschiebt. Die Kultur des Zuhörenkönnens bröckelt an allen Ecken
und Enden. Emotionen erst einmal zu speichern, um sie dann zu einer passenden
Zeit in Worte zu kleiden, ist eine Kunst, die mehr und mehr verlernt wird, wie
man im Fernsehen bei sogenannten Diskussionsrunden immer wieder vorgeführt
bekommt.

> Im Sprechtheater nimmt man ja auch
>> Rücksicht, damit alle anderen den Text auf der Bühne verstehen. Feine
>> musikalische Nuancen sind genauso Teil der Darbietung wie Dialoge auf der
>> Theaterbühne.
>
>Ist auch richtig, was Du sagst. Aber was mach ich z. B., wenn ich gerne
>einmal mit meinen Kindern in die Oper gehen würde?

Das Problem müsste von den Veranstaltern gelöst werden, indem beispielweise
extra Vorstellungen für Kinder in Programm genommen würden. Ich erinnere mich
mit großem Vergnügen an eine "Zauberflöte für Kinder" in Salzburg. Da spielte
der Papageno-Darsteller Christian Boesch gleichzeitig den "Moderator", der sein
jugendliches Publikum direkt ansprach und in den Ablauf der Vorstellung
intergrierte. In Stuttgart beispielweise gibt es das Projekt "Junge Oper", das
seit Jahren einen großen Erfolg hat.

>Da spielt natürlich viel auch die eigene Einstellung mit. Wenn hinter mir
>ein Hörer plötzlich ausrufen würde, wie herrlich das alles ist, würde ich
>lächeln und ihm beipflichten. Was stört es mich?

Kann man von einem Erwachsenen denn tatsächlich nicht verlangen, dass er wartet
bis zum Schlussapplaus, um seine Reaktionen kundzutun? Ich halte das für eine
Frage der Selbstdisziplin. Wo kämen wir denn hin, wenn immer alle gleich und
gleichzeitig Gott und die Welt an ihren Gefühlen teilhaben lassen wollten?
Und was Begleitgeräusche durch die Interpreten selbst betrifft: Oft sind sie
doch nicht mehr als ein Markenzeichen. Was hat beispielsweise der quietschende
Klavierhocker Glenn Goulds mit seiner Interpretation zu tun?
...


>Aber dem "Laien" (nicht böse gemeint) wird es schwer fallen, Rieu als etwas
>anderes, als den Walzerkönig zu sehen, wenn ihm dieser doch überall (in der
>Werbung, im CD-Laden, im Fernsehen) als solcher angepriesen wird und er
>sieht, welchen Erfolg der Knabe aus dem Land der Wassertomaten hat.
>Das muss man den Leuten sagen - die meisten wollen es leider nicht hören :-(

Die Werbung ist in der Tat ein Machtfaktor, der nicht zu unterschätzen ist. Und
ist die millionenfache Verbreitung eines musikalischen Produkt erst mal
erreicht, gilt der alte Sponti-Spruch: "Fresst ruhig weiter Scheiße. Millionen
Fliegen können nicht irren!"

>Aber auch der bietet mehr als die Anhäufung netter Arien.

Aber er "ködert" sein Publikum wirksamer. (siehe oben!)

>Versteh mich nicht falsch, ich habe gar nichts dagegen, wenn ein Besucher
>völlig unbedarft - vielleicht zum ersten Mal - in die Oper marschiert und
>keine Ahnung hat, was da vorne abgeht. Aber dann soll er bitte einfach
>geniessen oder den Nachbarn mit Fragen ärgern.

Letzteres, meine ich nach wie vor, sollte er unterlassen.

>Wie oft steht man aber nach
>der Opernvorstellung in der Nähe eines Pulks selbsterklärter Spezialisten,
>die sich über dieses oder jenes aufregen, während man sich selbst fragt, ob
>es noch eine andere Veranstaltung zur gleichen Zeit gab, weil man nicht
>weiss, von was die da gerade faseln.

Das hat Georg Kreisler in seinem "Opernboogie" in seiner unnachahmlichen Art
auf den Punkt gebracht. ("Was halten Sie von dem Tenor?" - "Der kommt mir
wirklich schrecklich vor." - "Was halten Sie von seinem hohen C?" - "Das war
doch kein C, das war ein B!" - "Von Musik versteh ich jeden Ton, meine
Schwester spielt sehr gut Grammophon!")
...


>Ein qualitatives
>Differenzierungsvermögen wird einem ja nicht mit den Genen mitgegeben,
>sondern bedarf eines langen Lernprozesses. Und die Frage ist - vor allem
>auch für mich, da ich zwei kleine Kinder habe, denen ich etwas mitgeben
>möchte -, wie man diesen Lernprozess fruchtbar unterstützt.

Da fallen mir immer wieder die "Young Peoples´Concerts" von Leonard Bernstein
ein. Ich glaube bloß nicht, dass sehr viele Jugendliche unserer Tage sie noch
verstehen. Die Zeiten haben sich einfach geändert.

>> Zwischen bloßem Spaß und wirklicher Freude ist eben ein Unterschied. Das
>> eine ist unreflektierte Hingabe, das andere resultiert aus einer geistigen
>> Auseinandersetzung mit Musik. Womit soll ich mich denn bei Slatko
>> auseinandersetzen? Das ist doch ganz einfach nichts da, wo ich einhaken
>> könnte.
>
>Das kann gut sein - aber was, wenn das bei zahlreichen Operngänger nicht
>anders ist? Wer ist da jetzt "besser"?

Zunächst keiner. Aber der sich naiv freuende Opernbesucher ist besser dran,
weil er am Anfang einer möglicherweise spannenden Entdeckungsreise steht,
während der Slatko-Hörer bereits das Ende der Fahnenstange erreicht hat. Das
Lied verklingt - und basta! Zu entdecken gibt´s da nichts mehr.

> Abneigung gegen Klassik hat viel mit Auflehnung gegen
>die
>> Kultur der Elterngeneration zu tun. Das ist in einem gewissen Alter
>normal.
>
>Genau das meinte ich, als ich gegen den konservativen Konzertbetrieb
>wetterte.

Nur glaube ich, dass sich der Protest der Kids nur zum Teil gegen das steife
Ambiente richtet. Die Popmusik der Elterngeneration lehnen sie doch genauso ab.
Die Beatles sind in den Augen der Rap-Generation eben was für Grufties. Und
Woodstock kommt auch nicht besonders an.

Liebe Grüße
Martin

Peter Brixius

unread,
Aug 23, 2000, 3:00:00 AM8/23/00
to
Hallo Martin,

In article <20000822074114...@nso-bj.aol.com>,
mmk...@aol.com says...
> ...


>
> Wäre die größere (und mehr verbreitete) Beliebtheit von Mozart, Haydn,
> Beethoven und meinetwegen auch Rossini nicht u.a. damit zu erklären, dass
> Singen, und sei es in der Badewanne, möglicherweise ein menschliches
> Urbedürfnis ist und Komponisten, die "melodiös" im Sinne von "nachsingbar"
> schreiben, dem sangesfreudigen Konsumenten damit eine Art Köder vorwerfen, mit
> dem sie ihn da abholen, wo er steht? Und er dadurch eher bereit ist, ihnen auch
> in Gefilde zu folgen, wo´s etwas komplizierter zugeht?

Nein, sie ist es nicht IMHO. Wir koennen uns ja die Koepfe zerbrechen,
warum bei *uns* Mozart, Haydn oder Beethoven beliebt ist - ja auch nicht
bei allen, oder warum es bei dem anderen Bach und bei wieder einem
anderen Schuetz ist. Ich halte diese Frage fur alles andere als leicht
entscheidbar - ich koennte mir in der Arie eher jemanden vorstellen, der
Celeste Aida schmettert als - um beim Fach zu bleiben - eine Arie aus dem
Idomeneo. Da ist doch schon das erste Problem, um bei Mozart zu bleiben:
nicht Mozart ist populaer, einige wenige Stuecke von ihm sind populaer -
und diese meist wegen eines Missverstaendnis. Denn die Arien bei Mozart
sind nicht einfach auch eine Gesangslinie zu reduzieren, die von einem
Orchester begleitet wird, da spielt sich viel im Orchester und in
Korrespondenz mit der Gesangslinie ab. Nur weil man ihn oberflaechlich
hoert, hat Mozart noch gewisse Hitchancen. Aber die Marterarie oder
Beethoven "Abscheulicher, so eilst Du hin" wird man wohl kaum in einer
Badewanne hoeren, das bedarf schon eines etwas geschulten Saengers :-)
Und Schubert ist auch nicht so beliebt, obwohl er leichter nachsingbar
ist als vieles von Mozart und Beethoven. Wenn ich aus Mozart einen
Pralinésoldaten mache, ihn konsumierbar *mache*, dann verfaelsche ich
ihn.

Der Anteil von Mozart bei Last oder Rieu oder anderen, die hier genannt
wurden als beliebte Kuenstler geht gegen Null - Rossini ist etwas anderes
und ein anderes Thema. Wenn man also nach populaeren und nachsingbaren
Titeln sucht - und nicht gleich Poptitel nennen moechte - dann landet man
bei der Operette und beim Musical. Brahms Deutsches Requiem wird eben
auch nicht in der Badewanne gesungen, wenn das das Kriterium ist.

Ich moechte lieber wissen, warum man Mozart hoert, von dem (und seiner
Zeit) man wenig versteht - und nicht etwa Eisler, von dem man sehr viel
verstehen kann, weil er noch an unserer Zeit Teil hat, geschweige denn
einen Lachenmann, der in unserer Zeit und fuer unsere Zeit schreibt.
Moechte man sich einlullen, aber mit Niveau?

Um es hier deutlich zu sagen: Natuerlich kann und sollte man heute Mozart
hoeren, aber eben mit Niveau, mit einem aufgeklaerten Hoeren, das ihm
gerecht wird. Dazu versuche ich in meinen Beitraegen zu Mozart Anregungen
zu geben. Nur das Kriterium der Nachsingbarkeit bringt uns zu dem
groessten Hit der Musikgeschichte - "Da, da, da ..." Und von dem "Der
Vogelfaenger bin ich ja ..." hat man schnell genug, das nutzt sich ab,
wird fad - wenn man nicht etwas mehr davon versteht (dazu demnaechst im
Thread zur "Zauberfloete").

> Im Grunde tut ja ein
> Romanautor, der die Darstellung seines Weltenwurfes, seiner Gesellschaftskritik
> mit dem Köder einer packenden Story versieht, nichts anderes:

Einspruch: Wer so schreibt, schreibt schlecht. Das sind Kinderbuecher
oder auf die Erwachsenen uebertragene Kinderbucher im schlechtesten
Sinne. Und Musils Mann ohne Eigenschaften, Manns Zauberberg, Fontanes
Effi Briest, Goethes Wahlverwandschaften - sie alle entbehren einer
packenden Story - und sind Welten besser als etwa Johannes Mario Simmel
mit seinen gut gemeinten "Darstellungen seines Weltentwurfs, seiner
Gesellschaftskritik, mit dem Koeder einer packenden Story" versehen -
nicht die Story, die Sprache muss packend sein ...


> Er versucht
> zunächst einmal, den Kommunikationston seiner Leser zu treffen. Das haben viele
> "moderne" Komponisten aufgegeben.

Uebrigens auch viele "moderne" Romanautoren - aber Romanleser scheinen da
intelligenter zu sein als Musikhoerer ... (wenn ich mal so in die NG
de.rec.buecher hereinschaue werden dort relativ wenig Bedenken gegen
schwierige Romane geaeussert, Joyce Ulysses sogar mehrfach und nachhaltig
empfohlen) - oder sind Musikhoerer einfach nur fauler - ein Leser weiss,
dass er sich in seiner Fantasie die Welt erschaffen muss, von der der
Autor eben nur Bruchstuecke liefern kann, er laesst sich auf dieses Spiel
ein - lesen heisst eben kreativ nachschaffen - und fuer mich ist das auch
der Anspruch an jeden Hoerer von Musik, ob es nun Musik von Mozart oder
von Krenek oder von Aho ist.


> Bereits Schumann äußerte einmal sinngemäß, er
> wolle gar nicht von allen verstanden werden.
>

Und auch Leopold Mozart ermahnte seinen Sohn, an die Leute mit den langen
Ohren zu denken ...

> >... und wer hat nicht irgendwo einen zwischen 30 und 3000 Mark teuren
> >Kunstdruck eines Miro-, Kandinsky-, Picasso- oder Dali-Bildes in seiner
> >Wohnung hängen?
>
> Eine Beuys´sche Badewanne aber schon nicht mehr!!!
>

... die waere nun auch fuer einen normalen sterblichen zu teuer - ganz
abgesehen mal von dem Platzbedarf ...



>
> Es wäre natürlich zu fragen, wie viele, die einen Picasso-Druck im Wohnzimmer
> hängen haben, Picasso tatsächlich verstehen. Bei vielen ist er wohl eher so
> eine Art Plakat: "Du bist hier in der Wohnung eines aufgeschlossenen, modern
> denkenden Kunstliebhabers!" Mit der Zurschaustellung moderner Kunst in den
> eigenen vier Wänden will man sich halt vom Spießer mit seinem röhrenden Hirsch
> in Öl abgrenzen.

korrekt - da bin ich einverstanden :-) Und doch kann man es damit nicht
so einfach abnicken, denn es gibt genug Leute, fuer die das eben nicht
nur ein Tapetenersatz ist, sondern die bei jedem Hinschauen auch wieder
einen Gedanken daran verschwenden (gerade etwa bei einem Picasso, einem
Miro oder einem Chagall). Ob sie das bei einem Spitzweg taeten, sei mal
angefragt.

> Für derartige Demonstrationen taugt moderne Musik eben nicht.
> Und welcher sogenannte Bildungsbürger hat schon den gesamen Goethe, den er
> protzig im Regal stehen hat, gelesen oder gar verstanden?!
>

Welcher sogenannte Bildungsbuerger hat denn noch den gesamten Goethe im
Regal stehen? Wenn es den auf Video gaebe ...

Es waere doch schon schoen, es gaebe diese Bildungsbuerger ueberhaupt
noch, aber die kommen schon ins Rentenalter, scheint mir.

[Schunkeln conctra hehre Stille]


> >
>
> Ich meine aber trotzdem, dass die Ausführenden eines Konzerts einen Anspruch
> darauf haben, dass man ihrer Darbietung erst einmal zuhört und seine Kommentare
> auf die Pause verschiebt.

Bei dem herkoemmlichen Ablauf darf man wohl von dieser gegenseitigen
Erwartungshaltung ausgehen.

> Die Kultur des Zuhörenkönnens bröckelt an allen Ecken
> und Enden. Emotionen erst einmal zu speichern, um sie dann zu einer passenden
> Zeit in Worte zu kleiden, ist eine Kunst, die mehr und mehr verlernt wird, wie
> man im Fernsehen bei sogenannten Diskussionsrunden immer wieder vorgeführt
> bekommt.
>

Auch hier bin ich einverstanden.

[Kinder]


>
> Das Problem müsste von den Veranstaltern gelöst werden, indem beispielweise
> extra Vorstellungen für Kinder in Programm genommen würden. Ich erinnere mich
> mit großem Vergnügen an eine "Zauberflöte für Kinder" in Salzburg. Da spielte
> der Papageno-Darsteller Christian Boesch gleichzeitig den "Moderator", der sein
> jugendliches Publikum direkt ansprach und in den Ablauf der Vorstellung
> intergrierte. In Stuttgart beispielweise gibt es das Projekt "Junge Oper", das
> seit Jahren einen großen Erfolg hat.
>

und wenn man es intelligent genug machte (und nicht nur auf
Simplifizierung setzte), kann das auch ein Erfolg bei Erwachsenen sein
...

>
> Kann man von einem Erwachsenen denn tatsächlich nicht verlangen, dass er wartet
> bis zum Schlussapplaus, um seine Reaktionen kundzutun?

In einer HI-Auffuehrung nicht, dann waere ja die Vergegenwaertigung nicht
angekommen - da muessen Spucknaepfe aufgestellt werden und das Publikum
erst mit kraeftigen Koerpergeruechen ausgestattet werden. Und das wird
natuerlich auch laermen, wenn ihm etwas gelungen, und schimpfen, wenn ihm
etwas misslungen erscheint :-)

> Ich halte das für eine
> Frage der Selbstdisziplin.

Ob man/frau so lange mit seiner/ihrer unmittelbaren Betroffenheit
aushalten kann?

> Wo kämen wir denn hin, wenn immer alle gleich und
> gleichzeitig Gott und die Welt an ihren Gefühlen teilhaben lassen wollten?

... vielleicht in eine menschlichere Gesellschaft? - Oder halt einfach zu
einer anderen Mode. In einem Jazz- oder einem Rockkonzert stoert es eben
nicht, aber das ist natuerlich Musik, die nur das Idiom spricht, das alle
verstehen ...

> Und was Begleitgeräusche durch die Interpreten selbst betrifft: Oft sind sie
> doch nicht mehr als ein Markenzeichen. Was hat beispielsweise der quietschende
> Klavierhocker Glenn Goulds mit seiner Interpretation zu tun?
> ...

[Jugendliche]


>
> Da fallen mir immer wieder die "Young Peoples´Concerts" von Leonard Bernstein
> ein. Ich glaube bloß nicht, dass sehr viele Jugendliche unserer Tage sie noch
> verstehen. Die Zeiten haben sich einfach geändert.
>

In England habe ich so etwas mit unterschiedlichen Interpreten und
Dirigenten erlebt, hier scheint es dafuer keinen Bedarf zu geben - aber
vielleicht koennte man Rattle auf die Idee bringen ...

[Generationenkonflikt]


>
> Nur glaube ich, dass sich der Protest der Kids nur zum Teil gegen das steife
> Ambiente richtet. Die Popmusik der Elterngeneration lehnen sie doch genauso ab.
> Die Beatles sind in den Augen der Rap-Generation eben was für Grufties. Und
> Woodstock kommt auch nicht besonders an.
>

Wenn ich dazu noch ein Wort schreiben darf: Was bei Kids aller Zeiten
nicht ankam, waren die Luegen und die Heucheleien der Elterngenerationen.
Wenn man eben vorgab, Mozart zu moegen, ohne etwas von ihm zu verstehen,
schwimmen wollte, ohne nass zu werden, bei Musikereignissen die Musik die
geringste Rolle spielte, man Gefuehle heuchelte, die man gar nicht hatte
- dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn sich die Kidz zu den
Emotions statt der falschen Gefuehle wenden.

Es gruesst Peter

--
Zu ueberzeugen ist der Poebel nicht, oder sehr selten. Durch listige
Lenkung seines Aberglaubens kann er doch noch zuweilen zu guten
Handlungen gebracht werden. (Lichtenberg)

Martin Mueller

unread,
Aug 24, 2000, 3:00:00 AM8/24/00
to
Im Artikel <MPG.140e327a4...@news.ndh.net>, Peter Brixius
<Peter....@Koeln.Netsurf.de> schreibt:(u.a.)

> Da ist doch schon das erste Problem, um bei Mozart zu bleiben:

>nicht Mozart ist populaer, einige wenige Stuecke von ihm sind populaer -
>und diese meist wegen eines Missverstaendnis.

Hallo Peter!

Das hängt davon ab, welchen Personenkreis man im Auge hat. Klammern wir mal das
untere Ende der Skala aus: die Leute, die sich nach einem Big-Brother-Abend in
RTL II vielleicht noch den Kopfsatz der Kleinen Nachtmusik reinziehen und als
Background beim Hemdenbügeln wahlweise Roy Black oder ein Potpourri aus der
"Zauberflöte" auflegen. Und klammern wir ebenfalls das obere Ende aus:
ernsthafte Amateure (von Berufsmusikern will ich gar nicht reden), die ihren
Stefan Kunze, ihren Braunbehrens, Hildesheimer, Einstein, Paumgartner etc.
gelesen haben, stundenlang am Klavier um Nuancen eines Mozart-Adagios ringen.
Dann bleibt ein großes Mittelfeld von Musikliebhabern übrig, die regelmäßig
(auf welchem Nieveau, ist sicher recht unterschiedlich) mit Werken wie KV 466,
491, 543, aber auch einigen frühen Sinfonien sowie den großen Opern umgehen.
Wenn sie den "Figaro" hören und plötzlich der Strom ausfällt, haben sie eine
mehr oder weniger deutliche Vorstellung davon, wie´s weiter geht. Sie haben ein
Konzertabo bei einem Kleinstadtorchester und freuen sich immer, wenn Mozart
oder Haydn auf dem Programm stehen. Sie wissen so viel über Mozart, dass ihnen
die gröbsten historischen Schnitzer in Milos Formans "Amadeus" auffallen. -
Diese Leute lieben Mozart doch nicht auf Grund eines Missverständnises, ihnen
fehlt nur jenes Wissen, das den Kenner ausmacht. Deshalb ist ihr
Mozartverständnis unvollständig. (Wobei ich der Meinung bin, dass es ein
vollkommenes Verständnis seiner Musik gar nicht geben kann.)

>Denn die Arien bei Mozart
>sind nicht einfach auch eine Gesangslinie zu reduzieren, die von einem
>Orchester begleitet wird, da spielt sich viel im Orchester und in
>Korrespondenz mit der Gesangslinie ab.

Dieses Wissen ist nötig, um Mozart zu verstehen. Um ihn zu mögen und schön zu
finden, nicht unbedingt. Um eine antike Skulptur schön zu finden, muss ich ja
auch nicht das Prinzip des Goldenen Schnitts verstanden haben. So gibt es,
denke ich, auch der Musik Mozarts gegenüber so etwas wie eine intuitive
Bewunderung. Deren Wert auf Grund mangelnder Belesenheit des Bewunderers herab
zu würdigen halte ich nicht für fair.

>Nur weil man ihn oberflaechlich
>hoert, hat Mozart noch gewisse Hitchancen.

In dem Moment, in dem man seine Werke zu "Hits" verkommen lässt und sie
häppchenweise in "Klassik Radio" serviert, unterbrochen von Bocelli-Schnulzen
und dem "Krieg der Sterne"-Thema, hört er sowieso auf, Mozart zu sein. Da täte
es dann genau so gut Andrew Llloyd Webber.

>Aber die Marterarie oder
>Beethoven "Abscheulicher, so eilst Du hin" wird man wohl kaum in einer
>Badewanne hoeren, das bedarf schon eines etwas geschulten Saengers :-)

Wer sagt denn, dass der "Gesang" schön sein muss? Wer die Marterarie vorher
gehört hat, wird "lass dich bewegen, verschone mich" oder "zuletzt befreit mich
doch der Tod" schon irgendwie über die Lippen kriegen. Das innere Ohr hört dann
automatisch nicht den eigenen Gesang, sondern die Profisängerin von der CD, der
eigene Singsang ist nur das "Lineal", um sich die Arie noch einmal zu
vergegenwärtigen. Wenn Karajan seinem Orchester eine Stelle vorkrächzte,
wussten die auch, wie er´s meinte.

>Und Schubert ist auch nicht so beliebt, obwohl er leichter nachsingbar
>ist als vieles von Mozart und Beethoven. Wenn ich aus Mozart einen
>Pralinésoldaten mache, ihn konsumierbar *mache*, dann verfaelsche ich
>ihn.

"Konsumierbar machen" ist ein sehr dehnbarer Begriff. Im neutralsten Sinn
bedeutet er, die Musik für jemanden, der sie sich auf Grund der Partiturlektüre
nicht vorstellen kann, hörbar zu machen, also sie aufzuführen. In seiner
schlimmsten Auslegung führt er natürlich zu James Last oder einer Spieluhr.
(Gegen die Mozart übrigens nichts einzuwenden hatte, er schrieb sogar Musik für
solche Dinger!)
Aber was ist mit Justus Frantz in seiner Sendung "Achtung Klassik!" (die ich
persönlich furchtbar finde)? Er macht Musik doch dadurch "konsumierbar", dass
er sie mit Anekdoten garniert, vielleicht auch ab und zu, aber eher selten,
etwas Erhellendes sagt. Ich denke, es ist immer noch besser, die Leute lassen
sich auf die Frantzsche Trivial-Tour über das eine oder andere Werk "aufklären"
als gar nicht.

>Ich moechte lieber wissen, warum man Mozart hoert, von dem (und seiner
>Zeit) man wenig versteht - und nicht etwa Eisler, von dem man sehr viel
>verstehen kann, weil er noch an unserer Zeit Teil hat, geschweige denn
>einen Lachenmann, der in unserer Zeit und fuer unsere Zeit schreibt.
>Moechte man sich einlullen, aber mit Niveau?

Vielleicht, weil man die Zeitlosigkeit Mozarts erkannt hat, während die eines
Eisler oder Lachenmann sich erst noch erweisen muss? Und hat nicht die
"Dreigroschenoper" wahre Begeisterungsstürme ausgelöst? Damit sind wir wieder
bei meiner "Köder-Theorie": Weill hat das Publikum mit seinen fetzigen Songs
eben zu ködern verstanden, und schon hat es Brechts Aussage geschluckt! Wer
versteht denn eine Lachenmann oder einen Boulez? Da muss man doch erst ein
paar Bände der "Musik-Konzepte" durchackern. Nenne mir einen einzigen Grund,
warum der durchschnittliche Konzertbesucher das auf sich nehmen sollte, um sich
dann abends von "Le marteau sans maitre" erschlagen zu lassen. Das Unbehagen
beginnt doch schon damit, dass er die Lyrik Henri Chars nicht begreift.
Es gibt allerdings auch Gegenbeispiele. Als in Stuttgart vor über 30 Jahren
Pendereckis "Teufel von Loudun" Premiere hatten, war es ein Riesenerfolg. (Was
allerdings z.T. auch an der geschickten Inszenierung lag.)

>Um es hier deutlich zu sagen: Natuerlich kann und sollte man heute Mozart
>hoeren, aber eben mit Niveau, mit einem aufgeklaerten Hoeren, das ihm
>gerecht wird.

Dazu ist aber nicht jeder in der Lage. Willst Du die weniger Gebildeten mit
Mozart-Entzug bestrafen, oder, wie Gulda das mal vorgeschlagen hat, die
Opernhäuser in die Luft sprengen?

>Dazu versuche ich in meinen Beitraegen zu Mozart Anregungen
>zu geben.

Prima. Ich lese Deine Beiträge gern. Aber tut´s der "Achtung Klassik!"-Fan
auch?
...


>> Im Grunde tut ja ein
>> Romanautor, der die Darstellung seines Weltenwurfes, seiner
>Gesellschaftskritik
>> mit dem Köder einer packenden Story versieht, nichts anderes:
>
>Einspruch: Wer so schreibt, schreibt schlecht. Das sind Kinderbuecher
>oder auf die Erwachsenen uebertragene Kinderbucher im schlechtesten
>Sinne.

Auch Frisch, Dürrenmatt, Thomas Wolfe, Hemingway?

>Und Musils Mann ohne Eigenschaften, Manns Zauberberg, Fontanes
>Effi Briest, Goethes Wahlverwandschaften - sie alle entbehren einer
>packenden Story - und sind Welten besser als etwa Johannes Mario Simmel
>mit seinen gut gemeinten "Darstellungen seines Weltentwurfs, seiner
>Gesellschaftskritik, mit dem Koeder einer packenden Story" versehen -
>nicht die Story, die Sprache muss packend sein ...

Natürlich ist de "Zauberberg" besser als alle Simmel-Romane zusammen. Aber auch
hier finde ich: lieber Simmel lesen als gar nichts oder "Nachtschwester
Erika"-Heftchen oder Konsalik.

> - lesen heisst eben kreativ nachschaffen - und fuer mich ist das auch
>der Anspruch an jeden Hoerer von Musik, ob es nun Musik von Mozart oder
>von Krenek oder von Aho ist.

Nur: Bei Büchern, die man spontan mag, tut man´s lieber als bei solchen, die
einem nicht "liegen". Und für Musik gilt, nehme ich an, das Gleiche. Manche
zeitgenössische Musik kommt mir vor wie eine Publikumsbeschimpfung von Handke.
Da vergeht einem die Lust eben schon bei den ersten Takten.

Liebe Grüße aus Süddeutschland
Martin

Peter Brixius

unread,
Aug 25, 2000, 3:00:00 AM8/25/00
to
Hallo Martin,

ein Zitat im Voraus.Es stammt aus dem Vortrag den Ulrich Konrad bei der
Eroeffnung des 48. Mozartfestes 1999 in Augsburg gehalten hat:

"In dieser Situation muss der Ruf, anders als um 1900, heute nicht
'Mehr', sondern 'Weniger Mozart' lauten. [...] Mir geht es um die
qualitative Intensivierung des Umgangs mit Mozarts Kunst, um das immer
wieder zu weckende Bewusstsein, dass Mozart nicht bloss da ist, sondern
dass wir uns zu ihm hinbewegen muessen." (Konrad: Mozart an den
Zeitenwenden 1800 - 1900 - 2000, in: Acta Mozartiana, 46. Jg. 1999,
S. 74)

Ich werde auf diesen Vortrag noch mehrfach zurueckkommen ...

In article <20000824184857...@nso-ba.aol.com>,
mmk...@aol.com says...
>
[Die Popularitaet Mozarts ist ein Missverstaendnis]


>
> Das hängt davon ab, welchen Personenkreis man im Auge hat.

Das wollte ich auch deutlich machen, schoen, dass Du es ebenso siehst.

> Klammern wir mal das
> untere Ende der Skala aus: die Leute, die sich nach einem Big-Brother-Abend in
> RTL II vielleicht noch den Kopfsatz der Kleinen Nachtmusik reinziehen und als
> Background beim Hemdenbügeln wahlweise Roy Black oder ein Potpourri aus der
> "Zauberflöte" auflegen.

Warum ist das das untere Ende der Skala? Die Leute sind doch wenigstens
ehrlich. Sie nehmen Mozart als Entertainment.

> Und klammern wir ebenfalls das obere Ende aus:
> ernsthafte Amateure (von Berufsmusikern will ich gar nicht reden), die ihren
> Stefan Kunze, ihren Braunbehrens, Hildesheimer, Einstein, Paumgartner etc.
> gelesen haben, stundenlang am Klavier um Nuancen eines Mozart-Adagios ringen.

Du willst also die Leser dieser NG, soweit es Mozartfreunde sind,
ausklammern? Das finde ich schade, denn an eben diese hatte ich einige
Fragen, deren Beantwortung mich interessiert.

> Dann bleibt ein großes Mittelfeld von Musikliebhabern übrig, die regelmäßig
> (auf welchem Nieveau, ist sicher recht unterschiedlich) mit Werken wie KV 466,
> 491, 543, aber auch einigen frühen Sinfonien sowie den großen Opern umgehen.
> Wenn sie den "Figaro" hören und plötzlich der Strom ausfällt, haben sie eine
> mehr oder weniger deutliche Vorstellung davon, wie´s weiter geht.

Und gegenueber den beiden anderen Gruppen, die genau zu bestimmen sind,
haben wir hier eine unklare "(Neue) Mitte", die jeder fuer sich in
Anspruch nehmen moechte. Und das macht auch die Einlassung deutlich, wenn
zu regelmaessigem Umgang die Attribute "unterschiedliches Niveau" und
"mehr oder weniger deutliche Vorstellung" dazu kommt - denn um die
praezise Ausfuellung dieser Attribute geht es. Kunst ist eben nicht
irgendwie - und das gilt auch fuer Musik und das gilt auch fuer Mozart.
Da hilft weiter, wenn man - von mir aus fuer sich selber - eine
Standortbestimmung macht, wie man dem Anspruch der Musik Mozarts gerecht
wird. Eine gewisse Vertrautheit entsteht durch anderes (hier wieder
Konrad:) "Wenn in der Fernseh- oder Hoerfunkwerbung Mozarts Musik
vorzugsweise zur Charakterisierung von Minaralwaessern, Gesundheitstees
und schonenden Abfuehrmitteln eingesetzt wird, dann zeugt das in meinen
Augen nicht von ernsthaftem, sondern von frivolem Umgang mit Mozart. Und
wenn seine Musik nur noch zur Hintergrundausstattung von "Wellness-
Einrichtungen" oder, wie auf den Bahnsteigen grosser Bahnhoefe zu
erleben, zur akustischen Berieselung dient, dann frage ich mich schon,
welchen Wert / Mozarts Musik noch hat." (S. 74f.)

Es geht eben nicht um ein irgendwie Umgehen, irgendwie Vertrautsein - es
geht darum, wie weit man Mozart mit wachen Ohren aufnimmt - und wie sehr
man sein Ohr schult, dass man Mozart auch mit wachen Ohren aufnehmen
kann.


> Sie haben ein
> Konzertabo bei einem Kleinstadtorchester und freuen sich immer, wenn Mozart
> oder Haydn auf dem Programm stehen.

Warum freuen sie sich darueber, wenn sie etwas hoeren, was sie schon
kennen? Wenn ich etwas kenne, moechte ich kontroverse Ansichten darueber
kennen lernen, dann brauche ich aber andere Interpretationen als ich sie
von einem Kleinstadtorchester bekomme. Nur wenn ich etwas nicht kenne,
dann werde ich freudig einem Kennenlernen auch von einem
Kleinstadtorchester entgegensehen.

> Sie wissen so viel über Mozart, dass ihnen
> die gröbsten historischen Schnitzer in Milos Formans "Amadeus" auffallen. -

Das muesstest Du mal genauer sagen - welche Schnitzer meinst Du und
weshalb fallen sie auf, wenn man viel ueber Mozart weiss (wie viel denn?
Doch Braunbehrens? Oder Robbins Landon?)

> Diese Leute lieben Mozart doch nicht auf Grund eines Missverständnises, ihnen
> fehlt nur jenes Wissen, das den Kenner ausmacht.

Man kann doch nur etwas lieben, das man kennt - und wenn man es liebt,
moechte man es immer besser kennen lernen. Was fuer ein Zeugnis stellst
Du denn diesen Leuten, die ich nicht kenne, aus, dass sie von einer
Kleinstadtorchesterauffuehrung hoch erfreut nicht mehr ueber das Objekt
ihrer Liebe erfahren wollen? Das macht doch eben den Liebhaber von
Mozart-Musik aus, denke doch nicht zu gering von diesen Leuten.


> Deshalb ist ihr
> Mozartverständnis unvollständig.

... und wenn es unvollstaendig ist, dann verstehen sie ihn doch richtig?
Ist es das, was Du unterstellst? Wie kann ich denn MOzart verstehen, wenn
mein Verstaendnis unvollstaendig ist?

> (Wobei ich der Meinung bin, dass es ein
> vollkommenes Verständnis seiner Musik gar nicht geben kann.)
>

Mir reicht ein hinlaengliches Verstaendnis, das sich seiner Luecken
bewusst ist - nicht aber die Meinung, man wisse alles ueber Mozart, man
kenne seine Musik - und man wolle nicht mehr ueber sie wissen. Denn dann
liebt man seine Musik nicht ... (und die Ausrede mit - "Nobody is
perfect" ist doch so haeufig der Passepartout fuer Denkverweigerung ...)

Und noch einmal: Wir koennen Mozart nicht als gegeben nehmen, wir muessen
uns auf ihn hinbewegen. Das bedarf Anstrengung - wie bei jedem Kunstwerk.
Wieder Konrad: "Dass Mozarts Musik hoerenswert ist, dass sie einen
unermesslichen Hoerwert besitzt, steht ausser Frage. Aber sind wir als
Hoerer ihrer wert".

Auf den Rest des Postings werde ich in dem folgenden Posting eingehen.

Es gruesst Peter


--
Die Leute, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten.
(Lichtenberg)

Martin Mueller

unread,
Aug 25, 2000, 3:00:00 AM8/25/00
to
Im Artikel <MPG.141039962...@news.ndh.net>, Peter Brixius
<Peter....@Koeln.Netsurf.de> schreibt:(u.a.)

>ein Zitat im Voraus.Es stammt aus dem Vortrag den Ulrich Konrad bei der

>Eroeffnung des 48. Mozartfestes 1999 in Augsburg gehalten hat:
>
>"In dieser Situation muss der Ruf, anders als um 1900, heute nicht
>'Mehr', sondern 'Weniger Mozart' lauten. [...] Mir geht es um die
>qualitative Intensivierung des Umgangs mit Mozarts Kunst, um das immer
>wieder zu weckende Bewusstsein, dass Mozart nicht bloss da ist, sondern
>dass wir uns zu ihm hinbewegen muessen." (Konrad: Mozart an den
>Zeitenwenden 1800 - 1900 - 2000, in: Acta Mozartiana, 46. Jg. 1999,
>S. 74)

Konrad hat natürlich recht. Wenn er mit "weniger" meint, dass das gedankenlose
Konsumieren zurück gehen müsse zu Gunsten einer bewussten, um Verständnis
bemühten Rezeption, kann ich das nur begrüßen. Nur hängt eben die Intensität
dieses Bemühens von den Lebensumständen des Einzelnen ab. Wer im Berufsalltag
Leistung abliefern muss, vielleicht noch eine Familie hat, für die er da sein
muss, hat zwangsläufig weniger Zeit als ein Pensionär. Der durchschnittliche
Konzertbesucher hat doch in der Regel einen anstrengenden Arbeitstag hinter
sich, vielleicht bleibt ihm noch die Zeit, sich im Schnellverfahren mittels
eines Konzertführers auf den Abend "vorzubereiten". Aber das war´s dann.



>[Die Popularitaet Mozarts ist ein Missverstaendnis]
>>
>> Das hängt davon ab, welchen Personenkreis man im Auge hat.
>
>Das wollte ich auch deutlich machen, schoen, dass Du es ebenso siehst.
>
>> Klammern wir mal das
>> untere Ende der Skala aus: die Leute, die sich nach einem Big-Brother-Abend
>in
>> RTL II vielleicht noch den Kopfsatz der Kleinen Nachtmusik reinziehen und
>als
>> Background beim Hemdenbügeln wahlweise Roy Black oder ein Potpourri aus der
>> "Zauberflöte" auflegen.
>
>Warum ist das das untere Ende der Skala? Die Leute sind doch wenigstens
>ehrlich. Sie nehmen Mozart als Entertainment.

Das dürfen sie ja auch. Aber uns geht es doch um ein Bemühen um die Msik
Mozarts. Und dazu hat diese Gruppe vermutlich keine Lust, weil sie andere
Interessenschwerpunkte verfolgt.


>
>> Und klammern wir ebenfalls das obere Ende aus:
>> ernsthafte Amateure (von Berufsmusikern will ich gar nicht reden), die
>ihren
>> Stefan Kunze, ihren Braunbehrens, Hildesheimer, Einstein, Paumgartner etc.
>> gelesen haben, stundenlang am Klavier um Nuancen eines Mozart-Adagios
>ringen.
>
>Du willst also die Leser dieser NG, soweit es Mozartfreunde sind,
>ausklammern? Das finde ich schade, denn an eben diese hatte ich einige
>Fragen, deren Beantwortung mich interessiert.

Nein, keineswegs; ich halte sie nur für eine ziemlich kleine Minderheit, die
ihre "Hausaufgaben" sowieso macht und um die wir uns, wenn es um die
Mozartrezeption des Durchschnittsbürgers geht, nicht weiter zu kümmern
brauchen. Wir wollen doch wohl nicht so weit gehen, uns für einen elitären
Zirkel zu halten, der das Recht, Mozart zu hören, für sich gepachtet hat.


>
>> Dann bleibt ein großes Mittelfeld von Musikliebhabern übrig, die regelmäßig
>> (auf welchem Nieveau, ist sicher recht unterschiedlich) mit Werken wie KV
>466,
>> 491, 543, aber auch einigen frühen Sinfonien sowie den großen Opern
>umgehen.
>> Wenn sie den "Figaro" hören und plötzlich der Strom ausfällt, haben sie
>eine
>> mehr oder weniger deutliche Vorstellung davon, wie´s weiter geht.
>
>Und gegenueber den beiden anderen Gruppen, die genau zu bestimmen sind,
>haben wir hier eine unklare "(Neue) Mitte", die jeder fuer sich in
>Anspruch nehmen moechte. Und das macht auch die Einlassung deutlich, wenn
>zu regelmaessigem Umgang die Attribute "unterschiedliches Niveau" und
>"mehr oder weniger deutliche Vorstellung" dazu kommt - denn um die
>praezise Ausfuellung dieser Attribute geht es.

Diese Präzisierung ist immer nur für eine kleine Gruppe möglich. Wenn wir die
"Neue Mitte" für Mozart oder für Klassik allgemein gewinnen wollen, kann eine
Bestandsaufnahme der Voraussetzungen nur ganz pauschal ausfallen. Die Realität
ist nun mal so, dass sich Musikrezeption auf fast so vielen Niveaustufen
abspielt, wie es Individuen gibt.Wir haben eben in einem Konzert alles
vertreten, vom Besucher, der außer seiner Bereitschaft zuzuhören nichts
mitbringt, bis zum belesenen Hobbymusiker, der die Fähigkeit zum analytischen
Hören ebenso besitzt wie eine breite Skala von Kriterien, die ihm helfen, das
Ereignis des Abends einzuordnen. Und ich meine, dass beide, jeder auf seine
Weise, etwas von dem Konzert haben.

>Kunst ist eben nicht
>irgendwie - und das gilt auch fuer Musik und das gilt auch fuer Mozart.

Kunst nicht, aber der Umgang mit ihr. ("Irgendwie" in der Bedeutung von
"irgendwo zwischen völlig naiv und intellektuell".)


>Da hilft weiter, wenn man - von mir aus fuer sich selber - eine
>Standortbestimmung macht, wie man dem Anspruch der Musik Mozarts gerecht
>wird.

Natürlich stellt die Musik Mozarts einen Anspruch an den Hörer, einen ziemlich
hohen sogar. Der ist mit axiomatischer Bestimmtheit und Unveränderbarkeit da.
Die Variable im musikalischen Kommunikationprozess ist hingegen der Anspruch,
den der Rezipient an sich und seinen Umgang mit der Musik stellt. Und da gibt
es eben den genügsamen Papageno-Typ (leicht abgewandelt: "Kämpfen (um
Verständnis) ist meine Sache nicht. ... Ich bin so ein Naturmensch, der sich
mit ein paar schönen Melodien begnügt. Und wenn es sein könnte, dass ich mir
nach dem Konzert ein Autogramm des Dirigenten einfange...") - Und es gibt den
Konzertbesucher vom Schlage eines Tamino: "Erkenntnis sei mein Sieg, die Musik
Mozarts mein Lohn!"

>Eine gewisse Vertrautheit entsteht durch anderes (hier wieder
>Konrad:) "Wenn in der Fernseh- oder Hoerfunkwerbung Mozarts Musik
>vorzugsweise zur Charakterisierung von Minaralwaessern, Gesundheitstees
>und schonenden Abfuehrmitteln eingesetzt wird, dann zeugt das in meinen
>Augen nicht von ernsthaftem, sondern von frivolem Umgang mit Mozart. Und
>wenn seine Musik nur noch zur Hintergrundausstattung von "Wellness-
>Einrichtungen" oder, wie auf den Bahnsteigen grosser Bahnhoefe zu
>erleben, zur akustischen Berieselung dient, dann frage ich mich schon,
>welchen Wert / Mozarts Musik noch hat." (S. 74f.)

Ist mir aus der Seele gesprochen. Dir vermutlich auch und noch einigen anderen.
Trotzdem sieht´s eine große Mehrheit anders.

>Es geht eben nicht um ein irgendwie Umgehen, irgendwie Vertrautsein - es
>geht darum, wie weit man Mozart mit wachen Ohren aufnimmt - und wie sehr
>man sein Ohr schult, dass man Mozart auch mit wachen Ohren aufnehmen
>kann.

Diese Haltung unterstelle ich allen hier in der NG. Nur, um das noch einmal
festzustellen: Wir sind eine verdammt kleine Minderheit!

>> Sie haben ein
>> Konzertabo bei einem Kleinstadtorchester und freuen sich immer, wenn Mozart
>> oder Haydn auf dem Programm stehen.
>
>Warum freuen sie sich darueber, wenn sie etwas hoeren, was sie schon
>kennen? Wenn ich etwas kenne, moechte ich kontroverse Ansichten darueber
>kennen lernen, dann brauche ich aber andere Interpretationen als ich sie
>von einem Kleinstadtorchester bekomme. Nur wenn ich etwas nicht kenne,
>dann werde ich freudig einem Kennenlernen auch von einem
>Kleinstadtorchester entgegensehen.

Erstens "kennen" sie es keineswegs. Im Übrigen: Du glaubst gar nicht, wie viele
Leute ich kenne (auch Akademiker, sogar Germanisten!!!), die sich nicht einmal
vorstellen können, dass es verschiedene Interpretationen gibt. Für die ist
Jupitersinfonie gleich Jupitersinfonie: "So groß wird der Unterschied schon
nicht sein, zumindest würde ich ihn nicht heraushören!"
Ich weiß nicht, ob Du das unsägliche Buch "Keine Angst vor klassischer Musik"
von Michael Walsh kennst. Zunächst habe ich mich wahnsinnig über die
katastrophal oberflächliche Herangehensweise des Autors an Musik geärgert. Aber
inzwischen wird mir immer klarer, dass er die Voraussetzungen und Bedürfnisse
seiner angepeilten Leser wohl recht gut kennt. Der Großteil will sich eben
(leider!!!!) nur "ein bisschen" mit der Materie befassen.

>> Sie wissen so viel über Mozart, dass ihnen
>> die gröbsten historischen Schnitzer in Milos Formans "Amadeus" auffallen. -
>
>Das muesstest Du mal genauer sagen - welche Schnitzer meinst Du und
>weshalb fallen sie auf, wenn man viel ueber Mozart weiss (wie viel denn?
>Doch Braunbehrens? Oder Robbins Landon?)

Bei einem großen Teil des Kinopublikums halte ich es schon für eine Leistung,
wenn es die haarsträubende Mordgeschichte als künstlerische Freiheit Shaffers
erkennt. Oder merkt, dass in der Szene, wo Mozart das Finale von KV 482 spielt,
Bild (Hammerflügel) und Soundtrack (moderner Konzertflügel) nicht zusammen
passen. Dazu muss man nicht einmal Braunbehrens gelesen haben, die
Hildesheimer-Biografie tut´s auch.
...


>Man kann doch nur etwas lieben, das man kennt - und wenn man es liebt,
>moechte man es immer besser kennen lernen.

Du hast Recht. Ich hätte mich anders ausdrücken sollen. "Lieben" war ein zu
hoch gegriffener Ausdruck, der allerdings in der Umgangssprache reichlich
inflationär verwendet wird. Vielleicht hätte ich sagen sollen: "Die Leute sind
von der Musik angetan." Oder: "Sie finden sie schön." Und schön finden kann man
viel, ohne sich über den Grund Gedanken zu machen.

>Was fuer ein Zeugnis stellst
>Du denn diesen Leuten, die ich nicht kenne, aus, dass sie von einer
>Kleinstadtorchesterauffuehrung hoch erfreut nicht mehr ueber das Objekt
>ihrer Liebe erfahren wollen? Das macht doch eben den Liebhaber von
>Mozart-Musik aus, denke doch nicht zu gering von diesen Leuten.

>Wie kann ich denn MOzart verstehen, wenn
>mein Verstaendnis unvollstaendig ist?

Auch da habe ich mich gestern zu später Stunde (es ging gegen ein Uhr)
missverständlich ausgedrückt. Was ich sagen wollte, ist dies: Ein
unvorgebildeter Konzertbesucher kann durchaus spüren, dass er es mit großer
Musik zu tun hat, er kann das Singuläre Mozarts fühlen, ohne zu wissen, warum
er so empfindet.
...


>Mir reicht ein hinlaengliches Verstaendnis, das sich seiner Luecken
>bewusst ist - nicht aber die Meinung, man wisse alles ueber Mozart, man
>kenne seine Musik - und man wolle nicht mehr ueber sie wissen. Denn dann
>liebt man seine Musik nicht ...

Letztere Haltung habe ich nun aber wirklich nicht propagiert!


Für den Augenblick liebe Grüße. Bis demnächst!
Martin

Peter Brixius

unread,
Aug 27, 2000, 3:00:00 AM8/27/00
to
Hallo Martin,

leider ist mir der zweite Teil der Antwort einmal in den unergruendlichen
Tiefen meines Systems verschwunden - aber vielleicht formuliere ich bei
der Wiederholung wenn schon nicht anders so denn kuerzer.

> >Denn die Arien bei Mozart
> >sind nicht einfach auch eine Gesangslinie zu reduzieren, die von einem
> >Orchester begleitet wird, da spielt sich viel im Orchester und in
> >Korrespondenz mit der Gesangslinie ab.
>
> Dieses Wissen ist nötig, um Mozart zu verstehen. Um ihn zu mögen und schön zu
> finden, nicht unbedingt. Um eine antike Skulptur schön zu finden, muss ich ja
> auch nicht das Prinzip des Goldenen Schnitts verstanden haben. So gibt es,
> denke ich, auch der Musik Mozarts gegenüber so etwas wie eine intuitive
> Bewunderung. Deren Wert auf Grund mangelnder Belesenheit des Bewunderers herab
> zu würdigen halte ich nicht für fair.
>

Das haengt davon ab, was man unter moegen versteht - deshalb habe ich den
Begriff "Missverstaendnis" angeboten. Wenn man etwas liebt, so versucht
man alles darueber zu erfahren. Etwas "schoen zu finden" - ohne dass es
Konsequenzen fuer das eigene Leben hat, ist fuer Kunst zu wenig. Ich
zitierte schon Mozarts Meinung aus dem Brief vom 1. Mai 1778 an seinen
Vater: "geben sie mir das beste Clavier von Europa, aber die leüt zu
zuhoerern die nichts verstehen, oder nichts verstehen *wollen*, und die
mit mir nocht Empfinden was ich spielle, so werde ich alle freüde
verlieren."

Warum man sich mit Mozart beschaeftigt, wenn man ihn nicht liebt, ist ein
anderes Thema - aber die "Mozart fuer Millionen", von denen ich mit einem
Verschreiber (ich wollte eigentlich "Klassik fuer Millionen" schreiben)
aprach´, kann und wird es nicht geben, sicherlich das Missverstaendnis
von Millionen, dass sie Mozart lieben koennten, ohne ihn zu verstehen -
da liebt man eben seine eigene Projektion auf Mozart, muss den Kanon grob
verkuerzen - und selbst die Verkuerzung bringt wenig, denn wer hoert
heute denn noch das Grollen im Aufbegehren gegen die Adelsgesellschaft,
das Wetterleuchten der Grossen Franzoesischen Revolution, die Kritik des
willfaehrigen Klerus - und misst an den Anspruechen an eine humane
Gesellschaft die eigene? Wenn dies ein Regisseur so auf die Buehne
bringt, wie man es heute bringen *muss*, damit Mozart denselben Anstoss
erregt, wie damals mit seiner "cochonnerie" des Titus, dann werden eben
diese angeblichen Mozartfreunde dagegen protestieren.

Solange Mozart lebt, wird er Anstoss erregen, nur totgeschlagen
verbreitet er dumpfen Wohlklang.

> >Nur weil man ihn oberflaechlich
> >hoert, hat Mozart noch gewisse Hitchancen.
>
>

> >Und Schubert ist auch nicht so beliebt, obwohl er leichter nachsingbar
> >ist als vieles von Mozart und Beethoven. Wenn ich aus Mozart einen
> >Pralinésoldaten mache, ihn konsumierbar *mache*, dann verfaelsche ich
> >ihn.
>
> "Konsumierbar machen" ist ein sehr dehnbarer Begriff.

Richtig, so war er gemeint, aber er enthaelt als Kern eben doch eine
Verstuemmelung.

> Im neutralsten Sinn
> bedeutet er, die Musik für jemanden, der sie sich auf Grund der Partiturlektüre
> nicht vorstellen kann, hörbar zu machen, also sie aufzuführen. In seiner
> schlimmsten Auslegung führt er natürlich zu James Last oder einer Spieluhr.
> (Gegen die Mozart übrigens nichts einzuwenden hatte, er schrieb sogar Musik für
> solche Dinger!)
> Aber was ist mit Justus Frantz in seiner Sendung "Achtung Klassik!" (die ich
> persönlich furchtbar finde)? Er macht Musik doch dadurch "konsumierbar", dass
> er sie mit Anekdoten garniert, vielleicht auch ab und zu, aber eher selten,
> etwas Erhellendes sagt. Ich denke, es ist immer noch besser, die Leute lassen
> sich auf die Frantzsche Trivial-Tour über das eine oder andere Werk "aufklären"
> als gar nicht.
>

Das bezweifele ich, moechte mich aber der Wahl zwischen Luege und
Nichtwissen nicht unbedingt stellen :-)

> >Ich moechte lieber wissen, warum man Mozart hoert [...]

>
> Vielleicht, weil man die Zeitlosigkeit Mozarts erkannt hat, während die eines
> Eisler oder Lachenmann sich erst noch erweisen muss?

Das glaube ich auch nicht. Homers Zeitlosigkeit oeffnet ihm auch nicht
einem Massenpublikum - oder die von Josquin Des Prez. Bei Eisler und bei
Lachenmann ist es einfacher, sie sind von unserer Zeit her einholbar, sie
haben fuer unsere Zeit geschrieben, bzw. wir stehen noch in einer
unmittelbaren Kontinuitaet zu der Zeit, fuer die sie geschrieben haben -
das trifft eben auch Mozart nicht zu.


> Und hat nicht die
> "Dreigroschenoper" wahre Begeisterungsstürme ausgelöst?

Hier allerdings der Zeitgenossen.

> Damit sind wir wieder
> bei meiner "Köder-Theorie": Weill hat das Publikum mit seinen fetzigen Songs
> eben zu ködern verstanden, und schon hat es Brechts Aussage geschluckt!

Ich denke, da waren beide daran beteiligt, denn Brecht war in seiner Zeit
auch populaer. Aber nicht immer sind solche Erfolge Massstaebe von
wirklicher Bedeutung, wenn ich an Beethovens groessten Erfolg,
"Wellingtons Sieg in der Schlacht bei Vittoria" denke. Wurde schon damit
damals einer fuer die Werke Beethovens "gekoedert"?


> Wer
> versteht denn eine Lachenmann oder einen Boulez? Da muss man doch erst ein
> paar Bände der "Musik-Konzepte" durchackern.

So viele gibt es doch zu Boulez und Lachenmann gar nicht :-) Wenn man
einigermassen auf dem Laufenden der aktuellen Diskussion ist, duerfte das
auch schon reichen - und das muss man doch auch bei allen anderen
Kunstwerken ...


> Nenne mir einen einzigen Grund,
> warum der durchschnittliche Konzertbesucher das auf sich nehmen sollte, um sich
> dann abends von "Le marteau sans maitre" erschlagen zu lassen.

Allein schon einmal der Neugierde wegen :-)

> Das Unbehagen
> beginnt doch schon damit, dass er die Lyrik Henri Chars nicht begreift.

Tja, wie gesagt, moderne Kunst setzt Wissen voraus, das gilt fuer die
Lyrik auch nicht erst seit heute, Hoelderlin, Rilke oder Celan haben
nicht immer so geschrieben, dass man mit einem fluechtigen Blick das
Ganze erfasste - und sie sind dabei noch nicht einmal die Schwierigsten.
Man kann eben keine tiefe Welt-Ein-Sicht verlangen und einen einfachen
Zweizeiler.

> Es gibt allerdings auch Gegenbeispiele. Als in Stuttgart vor über 30 Jahren
> Pendereckis "Teufel von Loudun" Premiere hatten, war es ein Riesenerfolg. (Was
> allerdings z.T. auch an der geschickten Inszenierung lag.)
>

Um es vielleicht doch noch einmal zusammenfassend festzuhalten: Kunst war
zu keiner Zeit ausschliesslich eine Kunst fuer ein Massenpublikum, wenn
sich Kunst an ein Publikum wandte, so doch an eines, das auf der Hoehe
der Zeit war. Es gab auch immer eine Kunst, die sich hermetisch gab, nur
dem Kenner zugaenglich. Wenn also auch nicht immer der Kenner verlangt
war, so doch sicherlich nicht der naive Hoerer oder Leser etc. Kunst ist
immer zu allererst eine Kunst fuer die Zeitgenossen, je laenger sie
historisch zurueckliegt, umso schwerer ist sie zu erschliessen bzw. umso
leichter stellen sich falsche Freunde ein - Missverstaendnisse.
Zeitgenoessische Musik kann unmittelbar und spontan verstaendlich wirken
- wie etwa Liebermann Concerto for Jazzband and Symphony Orchestra oder
Killmayers Hoelderlin-Lieder - ueber ihren Wert entscheidet dann
allerdings auch eben das, was ueber den ersten Effekt hinausgeht, die
konzise kompositorische Arbeit.

Eine gute Inszenierung kann immer helfen - ich sehe im Moment auf Video
die Kupfer-Inszenierung von Zimmermanns "Soldaten" - ich finde sie
bewundernswert und dem Verstaendnis des Werkes von Zimmermann hilfreich.

> >Um es hier deutlich zu sagen: Natuerlich kann und sollte man heute Mozart
> >hoeren, aber eben mit Niveau, mit einem aufgeklaerten Hoeren, das ihm
> >gerecht wird.
>
> Dazu ist aber nicht jeder in der Lage. Willst Du die weniger Gebildeten mit
> Mozart-Entzug bestrafen, oder, wie Gulda das mal vorgeschlagen hat, die
> Opernhäuser in die Luft sprengen?
>

Konrad versucht auch bei aller "altmodischen" Forderung an die Qualitaet
des Hoerers deutlich zu machen, dass er nicht in "elitaeren Snobs" die
Alternative sieht (S. 74). Auch da hilft der Begriff des
Missverstaendnisser IMHO weiter - ich bin nicht der Meinung, das jemand
nicht "wuerdig" sei, Mozart zu hoeren, aber dass wir alle (und mich
eingeschlossen) uns ernsthaft um das Verstaendnis Mozarts bemuehen
muessen. Mit meiner Kritik meine ich nur diejenigen, die sich nicht um
der Verstaendnis bemuehen - wie weit man damit gekommen ist, ist fuer
mich weniger erheblich. Aber zu behaupten, man liebe Mozart - und ihn
gleich mit der Missachtung zu strafen, dass man sich nicht um ihn bemueht
- das scheint mir doch ein Widerspruch zu sein.

> >Dazu versuche ich in meinen Beitraegen zu Mozart Anregungen
> >zu geben.
>
> Prima. Ich lese Deine Beiträge gern. Aber tut´s der "Achtung Klassik!"-Fan
> auch?

Mit einem Fan[atiker] moechte ich eigentlich nicht so viel zu tun
haben...


[Noch etwas OT zur Literatur]

> >> Im Grunde tut ja ein
> >> Romanautor, der die Darstellung seines Weltenwurfes, seiner
> >Gesellschaftskritik
> >> mit dem Köder einer packenden Story versieht, nichts anderes:
> >
> >Einspruch: Wer so schreibt, schreibt schlecht. Das sind Kinderbuecher
> >oder auf die Erwachsenen uebertragene Kinderbucher im schlechtesten
> >Sinne.
>
> Auch Frisch, Dürrenmatt, Thomas Wolfe, Hemingway?
>

Ich habe jetzt auf die "spannende Story mit der Botschaft" reagiert.
Spannung kann ein Gestaltungselement sein, muss es aber nicht. Ich kenne
nun auch mehr Frisch und Duerrenmatt als Wolfe und Hemingway. Insgesamt
scheint mir der literarische Wert bei Frisch am wenigsten bestreitbar -
das ist dann allerdings auch der Meister mit den geringsten
offensichtlichen Spannungsmomenten. Aber fuer alle gilt, dass nicht die
Gesellschaftskritik ihre Botschaft ist, sie ist in unterschiedlicher
Weise Teil ihrer literarischen Verarbeitung der Wirklichkeit. Im Uebrigen
- wie will man ueberhaupt realistisch schreiben, ohne immanent die
Gesellschaft zu kritisieren, von der man schreibt?

> >Und Musils Mann ohne Eigenschaften, Manns Zauberberg, Fontanes
> >Effi Briest, Goethes Wahlverwandschaften - sie alle entbehren einer
> >packenden Story - und sind Welten besser als etwa Johannes Mario Simmel
> >mit seinen gut gemeinten "Darstellungen seines Weltentwurfs, seiner
> >Gesellschaftskritik, mit dem Koeder einer packenden Story" versehen -
> >nicht die Story, die Sprache muss packend sein ...
>
> Natürlich ist de "Zauberberg" besser als alle Simmel-Romane zusammen. Aber auch
> hier finde ich: lieber Simmel lesen als gar nichts oder "Nachtschwester
> Erika"-Heftchen oder Konsalik.
>

Da sind wir gluecklich wieder an dem Punkt angelangt, um den es mir ging:
was man liest ist dem gegenueber nebensaechlich, *wie man liest*. Wenn
ich den Zauberberg wie ein "Nachtschwester Erika"-Heft lese, den
Duerrenmatt wie einen Konsalik - dann habe ich ein Kunstwerk
missverstanden oder missverstaendlich gebraucht oder eben missbraucht.

> > - lesen heisst eben kreativ nachschaffen - und fuer mich ist das auch
> >der Anspruch an jeden Hoerer von Musik, ob es nun Musik von Mozart oder
> >von Krenek oder von Aho ist.
>
> Nur: Bei Büchern, die man spontan mag, tut man´s lieber als bei solchen, die
> einem nicht "liegen".

Das ist richtig. Nur - je groesser die Leseerfahrung wird, um so mehr
stellt man fest, dass man die Faehigkeit entwickeln kann, auch
schwierigere Gegenueber zu verstehen - und haeufig stellt man fest, dass
jene einem mehr mitteilen, bei denen man um ihr Verstaendnis ringen muss.
Es ist halt so wie mit den Menschen ...

> Und für Musik gilt, nehme ich an, das Gleiche.

eben :-)

> Manche
> zeitgenössische Musik kommt mir vor wie eine Publikumsbeschimpfung von Handke.

Es mag sein, dass man eine bestimmte Art von Publikum vertreiben moechte
(aber dieser Trick ist so neu auch wieder nicht) :-) Aber in der Regel
geht es weit mehr darum, die eingefahrenen Hoergewohnheiten zu
durchbrechen, um Neues mitzuteilen.

> Da vergeht einem die Lust eben schon bei den ersten Takten.
>

Wie gesagt, das ist eine Sache der Erfahrung. Mir vergeht halt eher schon
einmal die Lust nach den ersten Takten eines routiniert
heruntergespielten Mozarts oder eines geschluderten Telemanns (weil man
meint, der sei sowieso nur "zweitklassig").

Es gruesst Peter

--
Wenn das Ungefaehr nicht mit seiner geschickten Hand in unser
Erziehungswesen hineinarbeitete, was wuerde aus unserer Welt
geworden sein?
(Lichtenberg)

Martin Rucker

unread,
Aug 27, 2000, 3:00:00 AM8/27/00
to

Frederic Ponten <Frederi...@gmx.de> schrieb in im Newsbeitrag:
8mpc0f$25i$11$1...@news.t-online.com...
>
>

> Hallo Martin,
> ich gebe Andreas recht, in dem, was er über Toleranz geschrieben hat.
> Ich bin auch 17 Jahre alt, spiele auch Klavier und höre auch gerne
Klassik.
> Vielleicht nicht gerade Bach, da gefällt mir Debussy und vor allem auch
> Ravel doch wesentlich besser.

Du bist mein Freund ;-))))) !!!

> Aber - ich höre genauso gerne die heutige Musik. Das muss kein Widerspruch
> sein!

Hey, Hab ja nicht gesagt, dass ich die nicht hören würde, z.B. Prodigy,
Electropop, Type o negative uvm.

> Was du über das affige rumgehopse der Hip-Hopper geschrieben hast, kann
ich
> nicht so stehen lassen.
> Von der anderen Seite aus betrachtet sieht jeder Dirigent doch mindestens
> genauso bekloppt aus, wie er sich mit schmerzerfülltem Grinsen um seinen
> Stab windet.

........Passion hin, Passion her, Das ist wirklich doof, aber merkst Du dass
nicht selbst wenn Du was tolles klassisches hörst, wie Du Dich da mitwiegst,
und wenn man das noch dirigieren darf, dann kommt man schon in tierische
Erregung, jawohl!

> Oder hast du schon mal Glenn Gould spielen sehen. Kurz vorm Orgasmus.
> Entschuldige diese übertriebenen Vergleiche, aber ich hoffe du weißt, was
> ich meine.

Dach, hast recht

> Das Problem der Klassik ist meiner Meinung nach, dass nur vielleicht 20%
> (vielleicht auch 30, darüber will ich nicht streiten) der Menscheit sie
> wirklich richtig hören können, aufgrund ihrer Hirnleistung.

Das ist genau der richtige Punkt. Ich denke, dass meine Schulkumpels den
Inhalt von z.B. Debussys Musik gar nicht erfassen, es einfach so "hinnehmen"
als folge von Tönen, aber den gesamten Komplex seiner musikalischen Absicht
nicht deuten! Genau wie dir breite Masse der Hörer

> Das hört sich
> etwas krass an, aber eigentlich stimmt es doch.
> Es macht einfach keinen Spaß, eine lustige Geschichte in absoluter
> Hochsprache erzählt zu bekommen, wenn man die nicht versteht...
> Dann lieber vulgär, auch wenn ein paar Pointen verloren gehen.

;-))))

> Techno wird schon seit 10.000en Jahren gemacht, früher mit Hilfe von
> Buschtrommeln heute mit was weiß ich was. Diese primitive Art von Musik,
> noch unterstützt durch das Tanzen, kann Menschen glücklich machen.
> Und das ist doch eigentlich der Hauptgrund für die Existenz von Musik.
> Ich glaube übrigens, dass jeder noch so begeisterte Klassikhörer auch bei
so
> einfacher Musik Glück empfinden kann.

Nöö ich nich!!

> Man setzt seine gestige Aktivität
> herab und überwindet den vielleicht vorhandenen Ekel, lässt sich gehen.
Dann
> müsste es eigentlich klappen.

Ich werds mal versuchen ;-)

> Nun gut, natürlich ist die geistige Freude ( bei der Klassik) die länger
> anhaltende. Aber das andere ist auch nicht schlecht.
> Ich weiß, dass dies hier Menschen dazu verleiten kann, sich zu denken:
> Ach ich bin zu dumm, dann hör ich einfache Musik, obwohl sie vielleicht
wohl
> in der Lage gewesen wären. Denn jeder noch so kluge muss sich ersteinmal
> einen Zugang zur Klassik schaffen und das ist sehr viel Arbeit.
> Man kann nur sagen: Die Arbeit lohnt sich! Glaube mir oder glaube mir
> nicht, es stimmt.

Bei mir hat es sich wohl sehr gelohnt!!! Den über 60% der Musik die ich höre
ist klassisch, und die gibt mir einfach das meiste. Ich meine, es ist
einfach mehr Effekt wenn ich z.B. das Andante von z.B. Schostakovichs
Klavierkonzert 2 höre, im vergleich zu irgendwelchen Kuschelschnulzen von
diversen Kuschelsamplern, obwohl es da ja auch Megadinger gibt!!!

> Man muss sagen: Rieu&co haben ihre Daseinsberechtigung.
> Ich verstehe nicht ganz, warum man sich nicht von Rieu zur richtigen
> Klassik weiterentwickeln könnte.

Weil er mit seinem Stil fettes Geld macht, aber die armen Künstler der
wahren Klassik
hungern müssen!!!

> Rieu-Hörer stammen oft aus einer Schicht, in der der Umgang mit der
Klassik
> nicht gang und gäbe ist, wo sollen sie denn anfangen? Direkt bei 100 geht
ja
> wohl kaum. Und nur, weil der Vater Dachdecker war, heißt das ja nicht,
dass
> man geistig nicht in der Lage ist, Klassik zu hören.

Gutes Argument, aber ich stamme auch nicht aus einer Familie wo Klassik gang
und gebe ist, genau wie Grand Claude de France!!!

> Um mal auf das Schulsystem zu sprechen zu kommen. Ich habe jetzt schon
> oftmals die Beobachtung gemacht, dass sehr viele Schüler allein schon bei
> dem Wort _Klassik_ zurückschrecken und in eine Ablehnungshaltung
verfallen.

Genau dass isses ja, obwohl die noch gar nichts davon gehört haben

> Ich weiß nicht woran es liegt, wahrscheinlich an dem Alter der Musik.
Sogar
> bei mir war das so, ich weiß noch genau, was es mich für Selbstüberwindung
> gekostet hat, meine erste Klassik-CD zu kaufen.

Es gibt übrigens sehr viele Komponisten, die in den letzen hundert jahren
sehr erträgliche Musik geschrieben haben, teilweise tausendmal schöner als
die Alten Meister!!! z.B. Bartok, Debussy, J. Marx, H. Hanson, F. Peeters,
Schostakovich und viele mehr. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele
Leute allein aus dem Fakt her, das diese Musik weniger als hundert jahre alt
ist, daran gefallen finden.

> Ich glaube, an dieser
> Entscheidung hat die Schule nicht mitgewirkt.

Bingo, de facto, von der Schule her liebe ich die Klassik auch nicht, und
ich glaube kaum das dies jemand tut

> Entweder, man bekommt die Klassik als Kind von seinen Eltern nahe gebracht
> oder man kommt mit 20-30 von selbst darauf, doch gerade in der Schulzeit
mit
> Pubertät usw. können die Lehrer nicht viel erreichen. Vielleicht eine(r)
mit extrem viel
> Ausstrahlung, wie es unter hundert einen gibt, der seine Klasse richtig
fesseln kann.

Ich habe einen Musiklehrer der die Klasse richtig fesseln kann, doch leider
fehlt meiner Ansicht nach bei ihm die große Liebe zur Klassik, denn seine
Schüler gehören ebenso zur oben beschriebenen Spezies

> Ich glaube, in der Schule kann man nicht sehr viel ändern, Deutsch ist
> nunmal wichtiger als Musik und muss auch dementsprechend viele Stunden
> zugewiesen bekommen.

is leider war, aber zuviel Mechanisierung tut nicht gut, z.B. in Frankreich
sind die Schüler viel offener für Kunst, weil andere Fächer damit verknüpft
werden, und weil Debussy auf dem 20 Franc schein drauf ist ;-)

> Man muss vielmehr die Klassik aktueller machen, man braucht einen Mozart,
> der ja zu seiner Zeit U-Musik gemacht hat und keinen Stockhausen (nichts
> gegen Stockhausen), dass die Kinder und Jugendlichen auch auf einslive im
> Radio Klassik hören, da sie gerade in den Charts ist.

Meiner ansicht nach ist ein entscheidender Fakt, dass heutzutage die
erfolgreichen Komponisten nur Musik für ein extrem geringes Publikum machen.
Postmoderne oder Klassizisten wie Henze, Schnittke oder von Schweinitz haben
ja nicht so großen erfolg. Sollte es gelingen, dass die allgemeine
zeitgenössische Klassikszene wieder auf ein erträglich melodisches Maß
zurückgreift, so wird dies auch garantiert mehr hörer Anziehen

> Mir ist aufgefallen, dass viele, die mit Klassik nichts zu tun haben, doch
> gerne zusehen, wie ich Klavier spiele, also live.

;-)))

> Hier könnte man ansetzen,
> dass die Klassik die Gezwungenheit verliert, dieses Image von Frack im
> Konzertsaal. Konzerte im Open-air-Stadion! Scheiß auf die Akkustik! Die
> Leute müssen zwischendurch klatschen dürfen, wenn ihnen gerade eine Stelle
> gefallen hat, wieso denn nicht?

Doch hast recht; da war ich falsch

> Zwischen den Sätzen - kein Problem. Dann
> geht halt etwas Spannung verloren, aber dafür haben die Zuhörer ein ganz
> anderes Erlebnis. Dies muss ja nicht zur Folge haben, dass die
musikalische
> Qualität auf das Rieu-Niveau sinkt, man setzt sich halt nur nicht mehr hin
> und dudelt seine wunderschöne Interpretation herunter, sondern nimmt
> Rücksicht auf das Publikum.

sofern dieses rücksicht auf die Musik nimmt :-)

> Und wem das nicht gefällt, kann immer noch in die Kölner Philharmonie

übrigens die mit dem meiner Ansich nach besten Repertoire!!!!!!!!

> oder sonstwohin gehen.

nach Dresden ;-))

> Die eropäische Hochmusik oder wie auch immer das heißt braucht neue
Impulse,
> will ich damit sagen, im Moment habe ich mehr das Gefühl, dass sie
sichmehr
> und mehr von den Menschen entfernt.

Ich teile dieses Gefühl mit Dir. Ich persönlich plane auch Komponist zu
werden, und mein Stil wird weißgott nicht aus einer Anreihung
unindefizierbarer Störgeräusche bestehen. Mann kann heutzutage nicht mehr
wie Beethoven und co. komponieren, aber die Tonalität ist nie!!!!
ausgeschöpft

> Tut mir leid, dass ich hier so einen Brei an Gedanken geschrieben habe,
klaro

> ich
> hab irgendwie keinen roten Faden reingekriegt.
> Euer undurchdachten Blödsinn schreibender Frederic

cool,

Martin


Peter Brixius

unread,
Aug 27, 2000, 3:00:00 AM8/27/00
to
Hallo Martin,

In article <20000825145729...@nso-bd.aol.com>,
mmk...@aol.com says...


>
> Konrad hat natürlich recht. Wenn er mit "weniger" meint, dass das gedankenlose
> Konsumieren zurück gehen müsse zu Gunsten einer bewussten, um Verständnis
> bemühten Rezeption, kann ich das nur begrüßen. Nur hängt eben die Intensität
> dieses Bemühens von den Lebensumständen des Einzelnen ab. Wer im Berufsalltag
> Leistung abliefern muss, vielleicht noch eine Familie hat, für die er da sein
> muss, hat zwangsläufig weniger Zeit als ein Pensionär. Der durchschnittliche
> Konzertbesucher hat doch in der Regel einen anstrengenden Arbeitstag hinter
> sich, vielleicht bleibt ihm noch die Zeit, sich im Schnellverfahren mittels
> eines Konzertführers auf den Abend "vorzubereiten". Aber das war´s dann.
>

Ich finde es sympathisch, wie Du den "normalen Mozarthoerer" verteidigst.
Nun bin ich auch jemand, der im Berufsalltag voll eingespannt ist, umso
wichtiger ist mir, dass ich das wenige an Zeit, das ich habe, moeglichst
gut nutze. Und das sollte eigentlich jeder tun. Bei einem Kunstwerk der
neuen Musik bleibt mir haeufig erst nur einmal das Programmheft, v.a. da
ich haeufig nur kurzfristig Konzertbesuche planen kann. Insofern bin ich
eben auch nur ein "normaler Konzertbesucher". Aber - wie bei jedem, der
seine "Freizeitbeschaeftigung" ernst nimmt - nehme ich mir viel Zeit im
Umfeld, spaetestens danach. Dann versuche ich eine CD zu bekommen, eine
Aufzeichnung oder auch Noten, um das Erlebte zu vertiefen und zu
befragen. Da brauche ich sicher nicht mehr Zeit als ein engagierter
Briefmarkensammler oder Freizeitsurfer - nur sammele ich keine
Briefmarken und surfe auch nicht, meine Freizeit, wo immer ich sie habe,
gehoert der Musik und der Literatur - und warum sollte ich das von jedem
anderen ernsthaften Musikfreund nicht auch fordern? Was fuer ein Hobby
selbstverstaendlich ist, sollte fuer die Beschaeftigung mit Musik zu
wenig sein?



[Die Popularitaet Mozarts ist ein Missverstaendnis]

> >> Klammern wir mal das
> >> untere Ende der Skala aus: die Leute, die sich nach einem Big-Brother-Abend
> >in
> >> RTL II vielleicht noch den Kopfsatz der Kleinen Nachtmusik reinziehen und
> >als
> >> Background beim Hemdenbügeln wahlweise Roy Black oder ein Potpourri aus der
> >> "Zauberflöte" auflegen.
> >
> >Warum ist das das untere Ende der Skala? Die Leute sind doch wenigstens
> >ehrlich. Sie nehmen Mozart als Entertainment.
>
> Das dürfen sie ja auch. Aber uns geht es doch um ein Bemühen um die Msik
> Mozarts. Und dazu hat diese Gruppe vermutlich keine Lust, weil sie andere
> Interessenschwerpunkte verfolgt.

Da gehe ich mit Dir eins. Es gefaellt mir auch, dass Du da "Bemuehen um
die Musik Mozarts" hinschreibst :-)

> >
> >Du willst also die Leser dieser NG, soweit es Mozartfreunde sind,
> >ausklammern? Das finde ich schade, denn an eben diese hatte ich einige
> >Fragen, deren Beantwortung mich interessiert.
>
> Nein, keineswegs; ich halte sie nur für eine ziemlich kleine Minderheit, die
> ihre "Hausaufgaben" sowieso macht und um die wir uns, wenn es um die
> Mozartrezeption des Durchschnittsbürgers geht, nicht weiter zu kümmern
> brauchen. Wir wollen doch wohl nicht so weit gehen, uns für einen elitären
> Zirkel zu halten, der das Recht, Mozart zu hören, für sich gepachtet hat.

Dazu hatte ich schon etwas im zweiten Teil meiner Antwort geschrieben,
die Du noch nicht kennen konntest, da sie viel spaeter losging, als ich
es mir wuenschte. Ich denke, dass es immer eine Minderheit ist, die sich
fuer eine Kunst engagiert und sich mit der Kunst engagiert beschaeftigt.
Deshalb muss das nicht ein elitaerer Zirkel sein, man kann sich
eigentlich mit jedem verstaendigen, der auf gleichen Niveau sich um
anderes bemueht - und das sind schon wieder nicht so wenige. Aber eine
Elite, eine Minderheit, ist das immer, das ist leider nicht zu aendern,
da muessten sich unser Leben und die gesellschaftlichen Verhaeltnisse
aendern. Solange die Kunst bei den meisten eben nur eine Nebensache ist,
wird es keine Mehrheiten fuer die Kunst geben, auch fuer Mozart nicht.

Eine Elite sind wir, warum es verleugnen, aber wir haben nicht das Recht
fuer uns gepachtet, Mozart zu hoeren, warum auch. Wir haben eher die
Pflicht, jedem bei Bedarf weiterzuhelfen, Fragen zu beantworten,
aufzuklaeren - eben ein Stueckchen Menschlichkeit in unserem Leben dazu
zu gewinnen in einer dunklen Zeit.

>
> Diese Präzisierung ist immer nur für eine kleine Gruppe möglich.

einverstanden

> Wenn wir die
> "Neue Mitte" für Mozart oder für Klassik allgemein gewinnen wollen, kann eine
> Bestandsaufnahme der Voraussetzungen nur ganz pauschal ausfallen.

Wie sollten wir diese "Neue Mitte" fuer die Klassik gewinnen, wenn wir
sie gar nicht erreichen? Zu gewinnen ist niemand durch Simplifizierung,
sondern nur durch den Nachweis, dass eine Sache einen selbst existentiell
betrifft. Man kann die Neugier wecken (und deshalb bin ich so allergisch
bei Aeusserungen, die die Neugier verjagen), man kann weiterfuehrende
Hinweise geben - aber doch nur noch bei dem, wo ein Grundinteresse schon
vorhanden ist. Wer wird sich die NG alt.fan.harry-potter laden, um sich
fuer Harry Potter begeistern zu lassen (wer kein erpichter Harry-Potter-
Fan ist, wird sich eher abschrecken lassen)? Es wird eher so sein, dass
man die Gruppe abonniert, wenn man schon fuer die Werke von Rowlings
gewonnen ist.

Fuer die Musik jemanden zu gewinnen, wird im allgemeinen die Aufgabe der
Eltern ihren Kindern gegenueber sein. Ich kann in dieser NG nur unsere
gemeinsame Aufgabe darin sehen, dass wir unsere Erfahrungen austauschen,
unser Wissen weitergeben, unsere Frage diskutieren.


> Die Realität
> ist nun mal so, dass sich Musikrezeption auf fast so vielen Niveaustufen
> abspielt, wie es Individuen gibt.Wir haben eben in einem Konzert alles
> vertreten, vom Besucher, der außer seiner Bereitschaft zuzuhören nichts
> mitbringt, bis zum belesenen Hobbymusiker, der die Fähigkeit zum analytischen
> Hören ebenso besitzt wie eine breite Skala von Kriterien, die ihm helfen, das
> Ereignis des Abends einzuordnen. Und ich meine, dass beide, jeder auf seine
> Weise, etwas von dem Konzert haben.
>

Natuerlich finden die genannten Personen sich in dem Konzert mit einer
Reihe anderer. Und diese Personen werden etwas von dem Konzert haben - da
sind wird wieder bei der Unschaerfe: als Musikpsychologe werde ich mir
Gedanken darueber machen, was Musik (und Mozart) bei den verschiedenen
VPn bewirkt (und warum sie die Milchleistung froehlicher Kuehe erhoeht) -
doch hat das haeufig nur noch vermittelt mit der Musik selbst etwas zu
tun ...

> >Kunst ist eben nicht
> >irgendwie - und das gilt auch fuer Musik und das gilt auch fuer Mozart.
>
> Kunst nicht, aber der Umgang mit ihr. ("Irgendwie" in der Bedeutung von
> "irgendwo zwischen völlig naiv und intellektuell".)
>

Das ist aber kein Niemandsland. "Voellig naiv" und "intellektuell"
scheinen mir auch nicht die Eckwerte zu sein, eher der Grad der
emotionalen Bildung, der Faehigkeit aesthetischer Reflexion, der
Bereitschaft zuzuhoeren.



>
> Natürlich stellt die Musik Mozarts einen Anspruch an den Hörer, einen ziemlich
> hohen sogar. Der ist mit axiomatischer Bestimmtheit und Unveränderbarkeit da.
> Die Variable im musikalischen Kommunikationprozess ist hingegen der Anspruch,
> den der Rezipient an sich und seinen Umgang mit der Musik stellt.

Die Variable ist (zumindest nicht allein) die Bereitschaft des
Rezipienten, sich auf die Musik einzulassen, sondern erst einmal die
Faehigkeit dazu. Wenn ich mit jemanden kommunizieren will, dessen Sprache
ich nicht verstehe, hilft alle Bereitschaft nicht weiter - ich muss erst
seine Sprache erlernen. Selbst wenn ich nur wenige
Kommunikationsmoeglichkeiten habe, brauche ich auch ein Feedback, wie
weit diese Kommunikation gelungen ist, sonst *glaube* ich nur, den
anderen verstanden zu haben.

Der Anspruch koennte nun sein, dass man moeglichst viel von dem anderen
versteht, wenn dieser fuer einen selbst wichtig ist, kann der Anspruch
nicht gering sein.


> Und da gibt
> es eben den genügsamen Papageno-Typ (leicht abgewandelt: "Kämpfen (um
> Verständnis) ist meine Sache nicht. ... Ich bin so ein Naturmensch, der sich
> mit ein paar schönen Melodien begnügt. Und wenn es sein könnte, dass ich mir
> nach dem Konzert ein Autogramm des Dirigenten einfange...") - Und es gibt den
> Konzertbesucher vom Schlage eines Tamino: "Erkenntnis sei mein Sieg, die Musik
> Mozarts mein Lohn!"
>

Der Papageno-Typ geht es am Ende ja auch nur darum, dass er sein Weibchen
hat und moeglichst so weiter leben kann wie bisher - Tamino aber aendert
sein Leben - und das ist es, was die Kunst von uns verlangt.

>
> Diese Haltung unterstelle ich allen hier in der NG. Nur, um das noch einmal
> festzustellen: Wir sind eine verdammt kleine Minderheit!
>

Stimmt, aber das waren Liebhaber der Kunst stets. Nur als Harry-Potter-
Fan zaehlt man nach Millionen ...



> >> Sie haben ein
> >> Konzertabo bei einem Kleinstadtorchester und freuen sich immer, wenn Mozart
> >> oder Haydn auf dem Programm stehen.
> >
> >Warum freuen sie sich darueber, wenn sie etwas hoeren, was sie schon
> >kennen? Wenn ich etwas kenne, moechte ich kontroverse Ansichten darueber
> >kennen lernen, dann brauche ich aber andere Interpretationen als ich sie
> >von einem Kleinstadtorchester bekomme. Nur wenn ich etwas nicht kenne,
> >dann werde ich freudig einem Kennenlernen auch von einem
> >Kleinstadtorchester entgegensehen.
>
> Erstens "kennen" sie es keineswegs. Im Übrigen: Du glaubst gar nicht, wie viele
> Leute ich kenne (auch Akademiker, sogar Germanisten!!!), die sich nicht einmal
> vorstellen können, dass es verschiedene Interpretationen gibt. Für die ist
> Jupitersinfonie gleich Jupitersinfonie: "So groß wird der Unterschied schon
> nicht sein, zumindest würde ich ihn nicht heraushören!"

Das mag sein, da ich die Germanistik kenne, ueberrascht mich das nicht.
Auch ist allgemein Akademiker kein Qualitaetsausweis, wenigstens kein
notwendiger. Bei der Verschulung der meisten Studiengaenge kommt eben
nicht mehr dabei heraus, als man hereinsteckt - und wenn ich sehe, mit
wie wenig gelesener Literatur man z.B. durch ein Literaturstudium
durchkommt ... Und wie viele tatsaechlich eine Neigung zu dem Fach haben,
das sie studieren ...

Nein, das kann und darf nicht der Massstab sein! Ich habe umgekehrt die
Erfahrung gemacht, dass - ein Interesse einmal vorausgesetzt - auch
Nichtakademiker sich durchaus ueber den Vergleich verschiedener
Interpretationen zu konkreteren Fragen an das Werk an- und verleiten
lassen (und dass ich mit meinen Musiktreffs unter Bekannten auch
Nachahmer habe).

Aber wiederum die Frage - warum hoeren die Leut' denn die
Jupitersinfonie? Sooo schoen und interessant ist sie nicht, wenn man sie
nicht etwas genauer kennt, ein oberflaechliches Gefallen traegt sich
schnell ab (weshalb ich es uebrigens gut verstehe, warum eine Anzahl der
hier postenden Mitdiskutanten ihre Probleme mit Mozart hat - ich halte
diese Probleme halt fuer loesbar :-)), da waere man doch mit L'après-midi
d'un faune viel besser bedient oder mit einem jener raetselhaften Werke
Weberns - das ist doch anregend fuer die ganze folgende Woche ...

> Ich weiß nicht, ob Du das unsägliche Buch "Keine Angst vor klassischer Musik"
> von Michael Walsh kennst.

Kenne ich leider nicht ... Ein Blick bei Amazon.de sagt mir, dass es bei
Piper erschienen, aber derzeit nicht erhaeltlich ist. Als Alternativen
bietet man mir "Keine Angst vor Opern" und ein Buch ueber Webber an, naja
...


> Zunächst habe ich mich wahnsinnig über die
> katastrophal oberflächliche Herangehensweise des Autors an Musik geärgert. Aber
> inzwischen wird mir immer klarer, dass er die Voraussetzungen und Bedürfnisse
> seiner angepeilten Leser wohl recht gut kennt. Der Großteil will sich eben
> (leider!!!!) nur "ein bisschen" mit der Materie befassen.
>

dann erfuellt Kunst aber nur eine gewisse soziale, aber keine
aesthetische Funktion ...



> ...
> >Man kann doch nur etwas lieben, das man kennt - und wenn man es liebt,
> >moechte man es immer besser kennen lernen.
>
> Du hast Recht. Ich hätte mich anders ausdrücken sollen. "Lieben" war ein zu
> hoch gegriffener Ausdruck, der allerdings in der Umgangssprache reichlich
> inflationär verwendet wird. Vielleicht hätte ich sagen sollen: "Die Leute sind
> von der Musik angetan." Oder: "Sie finden sie schön." Und schön finden kann man
> viel, ohne sich über den Grund Gedanken zu machen.
>

Nein, mir der Wortwahl bin ich schon einverstanden - fuer mich als
Musikliebhaber ist das Wort das richtige - es hat natuerlich Konsequenzen
:-))



> >Was fuer ein Zeugnis stellst
> >Du denn diesen Leuten, die ich nicht kenne, aus, dass sie von einer
> >Kleinstadtorchesterauffuehrung hoch erfreut nicht mehr ueber das Objekt
> >ihrer Liebe erfahren wollen? Das macht doch eben den Liebhaber von
> >Mozart-Musik aus, denke doch nicht zu gering von diesen Leuten.
>
> >Wie kann ich denn MOzart verstehen, wenn
> >mein Verstaendnis unvollstaendig ist?
>
> Auch da habe ich mich gestern zu später Stunde (es ging gegen ein Uhr)
> missverständlich ausgedrückt. Was ich sagen wollte, ist dies: Ein
> unvorgebildeter Konzertbesucher kann durchaus spüren, dass er es mit großer
> Musik zu tun hat, er kann das Singuläre Mozarts fühlen, ohne zu wissen, warum
> er so empfindet.

Ich denke, dass Du Dich - trotz vorgerueckter Stunde - schon richtig
ausgedrueckt hast, das Problem liegt nicht bei Dir, sondern bei den
Leuten, die du charakterisierst. Es sind eben Leute, die zufrieden sind,
etwas zu empfinden, ohne sich zu fragen, warum sie es so empfinden. Aber
dann stumpft eben diese Empfindung schnell ab, man kann eben nicht noch
einmal die "Kleine Nachtmusik" hoeren ... (ich kann es ;-))


> ...
> >Mir reicht ein hinlaengliches Verstaendnis, das sich seiner Luecken
> >bewusst ist - nicht aber die Meinung, man wisse alles ueber Mozart, man
> >kenne seine Musik - und man wolle nicht mehr ueber sie wissen. Denn dann
> >liebt man seine Musik nicht ...
>
> Letztere Haltung habe ich nun aber wirklich nicht propagiert!
>

Nein, Du hast sie nicht progapiert, Du hast sie angesprochen - und sie
ist ja existent - sie ist ebenso defiziaer ...

Matthias Warkus

unread,
Aug 27, 2000, 3:00:00 AM8/27/00
to
It was the Sun, 27 Aug 2000 21:34:38 +0200...

...and Martin Rucker <martin...@gmx.de> wrote:
> Bei mir hat es sich wohl sehr gelohnt!!! Den über 60% der Musik die ich höre
> ist klassisch, und die gibt mir einfach das meiste. Ich meine, es ist
> einfach mehr Effekt wenn ich z.B. das Andante von z.B. Schostakovichs
> Klavierkonzert 2 höre, im vergleich zu irgendwelchen Kuschelschnulzen von
> diversen Kuschelsamplern, obwohl es da ja auch Megadinger gibt!!!

Nichts gegen dich, aber weißt du, was Terry Pratchett über Leute
gesagt hat, die mehrfache Ausrufezeichen benutzen?



> > Ich glaube, in der Schule kann man nicht sehr viel ändern, Deutsch ist
> > nunmal wichtiger als Musik und muss auch dementsprechend viele Stunden
> > zugewiesen bekommen.
>
> is leider war, aber zuviel Mechanisierung tut nicht gut, z.B. in Frankreich
> sind die Schüler viel offener für Kunst, weil andere Fächer damit verknüpft
> werden, und weil Debussy auf dem 20 Franc schein drauf ist ;-)

Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich war mal drei Monate lang an
einem x-beliebigen staatlichen Lycée-Collège in Frankreich, und
eigentlich gibt es dort weder Kunst- noch Musikunterricht.



> > Zwischen den Sätzen - kein Problem. Dann geht halt etwas Spannung
> > verloren, aber dafür haben die Zuhörer ein ganz anderes Erlebnis.
> > Dies muss ja nicht zur Folge haben, dass die musikalische Qualität
> > auf das Rieu-Niveau sinkt, man setzt sich halt nur nicht mehr hin
> > und dudelt seine wunderschöne Interpretation herunter, sondern
> > nimmt Rücksicht auf das Publikum.
>
> sofern dieses rücksicht auf die Musik nimmt :-)

Hierzu muss man sagen, dass die Konventionen eigentlich momentan erst
wieder anfangen, auf ein Maß zurückzusinken, das jahrhundertelang
normal war. Opern waren z.B. früher eine Art Stehparty, bei der man
kam, ging, aß, trank und applaudierte, wann man wollte; und dass man
nach Soli und anderen besonders beeindruckenden Szenen den Musikern
keinen "Szenenapplaus" mehr gibt, ist auch eine recht neue Erfindung.



> > Und wem das nicht gefällt, kann immer noch in die Kölner Philharmonie

Wunderbares Gebäude. Sicht und Akustik sind exzellent.

> wie Beethoven und co. komponieren, aber die Tonalität ist nie!!!!
> ausgeschöpft

Nun ja... Vor einer halben Ewigkeit hatten wir vier dissonante
Intervalle in der Musik (Sekund und Terz jeweils klein und groß),
heutzutage wird die Terz als nicht mehr dissonant empfunden, und damit
ist man zur Erzeugung harmonischer Spannungen auf kleine und große
Sekunden angewiesen. Wer weiß, vielleicht ändert sich in den nächsten
Jahrhunderten das Hörempfinden so weit, dass z.B. einer von diesen
Intervallen gleichfalls als konsonant anerkannt wird? Oder beide?

Das wäre wirklich ein Super-GAU, und als ich noch zuviel Zeit hatte,
habe ich über sowas viel nachgedacht... :)

mawa
--
Echtnichttollfinder!
Sitzplatzerkämpfer!
Neuwagenschoner!
Leiserülpser!

Martin Mueller

unread,
Aug 27, 2000, 8:08:23 PM8/27/00
to

Hallo Peter,
da unsere Diskussion im Begriff ist, etwas auszuufern und sich im Kreise zu
drehen, möchte ich nur punktuell auf einige Stellen Deines Postings eingehen.

Im Artikel <MPG.14136e519...@news.ndh.net>, Peter Brixius
<Peter....@Koeln.Netsurf.de> schreibt:(u.a.)

>Warum man sich mit Mozart beschaeftigt, wenn man ihn nicht liebt, ist ein

>anderes Thema - aber die "Mozart fuer Millionen", von denen ich mit einem
>Verschreiber (ich wollte eigentlich "Klassik fuer Millionen" schreiben)
>aprach´, kann und wird es nicht geben, sicherlich das Missverstaendnis
>von Millionen, dass sie Mozart lieben koennten, ohne ihn zu verstehen -
>da liebt man eben seine eigene Projektion auf Mozart, muss den Kanon grob
>verkuerzen

Diese "Verkürzung", und zwar des Bildungskanons ganz allgemein, findet
spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert fortschreitend statt. Das Abitur
ist mittlerweile, was die klassische Allgemeinbildung betrifft, zu einer mehr
oder weniger lächerlichen Farce verkommen. Die Industrie versucht die Schule,
vor allem die Realschule, zum willfährigen Zuarbeitsbetrieb für ihre Interessen
zu machen, und ihre Vertreter machen mittlerweile aus ihrer Geringschätzung
gegenüber literarischer, musikalischer und künstlerischer Bildung gar keinen
Hehl mehr: betriebswirtschaftliches Denken anstatt Umgang mit Literatur und
Musik soll vermittelt werden. (Ich formuliere etwas überspitzt, gewiss, aber
der Trend geht in diese Richtung.) Wo soll denn der ideale Musikhörer mit all
den Voraussetzungen, die er braucht, um ein in die Tiefe gehendes Verständnis
zu entwickeln, herkommen? Zudem steuern die Massenmedien das Interesse der
Jugend in eine andere, auf kurzlebigen Spaß und eine möglichst spektakuläre
Event-Kultur zielende Richtung. Die Interessenlage der Pennälergeneration Ende
des 19. Jahrhunderts, wie sie Stefan Zweig in seinem autobiografischen Buch
"Die Welt von gestern" beschreibt - die jugendliche Neugier (und auch Gier) auf
neue Literatur, Veröffentlichungen über neue philosophische Ansätze, aktuelle
Theaterinszenierungen -, ist einem passiven Konsumentendasein in den
Niederungen von RTL und SAT1 gewichen. Realschulabgänger, die außer der
Pflichtlektüre im Deutschunterricht noch kein einziges Buch gelesen haben, sind
keine Seltenheit.
Was ich damit sagen will: Du hängst dem Klassikhörer den Brotkorb einfach zu
hoch. Was Du von ihm verlangst, kann er gar nicht leisten.

> - und selbst die Verkuerzung bringt wenig, denn wer hoert
>heute denn noch das Grollen im Aufbegehren gegen die Adelsgesellschaft,
>das Wetterleuchten der Grossen Franzoesischen Revolution, die Kritik des
>willfaehrigen Klerus - und misst an den Anspruechen an eine humane
>Gesellschaft die eigene?

Um das "Wetterleuchten der Großen Französischen Revolution" (Du dachtest
vermutlich an den "Figaro"?) heraus zu hören, gehören Geschichtskenntnisse, die
heute an den Schulen nur noch recht mangelhaft vermittelt werden.
Wir sind in Sachen Bildung doch schon so weit gekommen, dass ein Buch, das die
Hoffnung weckt, auf ein paar hundert Seiten "alles, was man wissen muss"
(Dietrich Schwanitz, "Bildung") vermitteln zu können, wochenlang die
Bestsellerliste im SPIEGEL anführt. Trotzdem hat der Autor meine Sympathie: Er
versucht zu retten, was noch zu retten ist. (Musik ist ihm dabei gerade mal 22
Seiten wert!)
- Ich glaube auch nicht, dass Abbado und Pollini, als sie in den frühen 70ern
Werkkonzerte für die FIAT-Arbeiter in Turin zum Nulltarif veranstalteten, an
ihr Publikum - einfache Arbeiter - Deine hohen Erwartungen stellten.

>Wenn dies ein Regisseur so auf die Buehne
>bringt, wie man es heute bringen *muss*, damit Mozart denselben Anstoss
>erregt, wie damals mit seiner "cochonnerie" des Titus, dann werden eben
>diese angeblichen Mozartfreunde dagegen protestieren.

Das hängt vom Geschick des Regisseurs ab. Peter Zadek hat in Stuttgart vor 15
Jahren den "Figaro" so inszeniert, dass das Publikum kaum noch glauben konnte,
dass das Werk vor 200 Jahren entstand. Da waren es eher die Kritiker, die
aufmuckten. Die "Stuttgarter Zeitung" fasste sein Regiekonzept mit der
Überschrift "Mozarts Kinder vom Bahnhof Zoo" zusammen. Das Publikum reagierte
aufgeschlossener. Und bei Peter Sellars Mozart-Inszenierungen ist es vor allem
eine konsevative Schicht eher fortgeschrittenen Alters, die protestiert.

>Solange Mozart lebt, wird er Anstoss erregen, nur totgeschlagen
>verbreitet er dumpfen Wohlklang.

Ich denke, auch der lebende Mozart darf Wohlklang verbreiten; freilich nicht
nur das.
...


>Bei Eisler und bei
>Lachenmann ist es einfacher, sie sind von unserer Zeit her einholbar, sie
>haben fuer unsere Zeit geschrieben, bzw. wir stehen noch in einer
>unmittelbaren Kontinuitaet zu der Zeit, fuer die sie geschrieben haben -
>das trifft eben auch Mozart nicht zu.

Aber sie bemühen sich nicht genügend darum, ihrem Publikum entgegen zu kommen.
Und dieses Entgegenkommen ist heute wichtiger denn je, wenn man überhaupt noch
jemanden erreichen will.


...
>> Nenne mir einen einzigen Grund,
>> warum der durchschnittliche Konzertbesucher das auf sich nehmen sollte, um
>sich
>> dann abends von "Le marteau sans maitre" erschlagen zu lassen.

>Allein schon einmal der Neugierde wegen :-)

Das sehe ich umgekehrt: Ein Komponist muss erst einmal für eine Initialzündung
bei seinem Publikum sorgen. Dann wird es, wenn er Glück hat, neugierig und
befasst sich näher mit seiner Musik. Es ist unfair, dem Publikum allein den
Schwarzen Peter zuzuschieben, wenn das Interesse an zeitgenössischer Musik
gering ist. Vielleicht sollten sich die Herren Komponisten ein wenig aus ihrem
Elfenbeinturm herausbewegen. (Die Amerikaner - Copland, Bernstein - hatten da
den Bogen eher raus. Viele europäische Tonschöpfer dreschen erbarmungslos mit
einem Idiom, das dem durchschnittlichen Zuhörer fremd ist, auf ihr Publikum ein
und spielen dann beleidigte Leberwurst, wenn ihnen niemand zuhört.)

>Tja, wie gesagt, moderne Kunst setzt Wissen voraus, das gilt fuer die
>Lyrik auch nicht erst seit heute, Hoelderlin, Rilke oder Celan haben
>nicht immer so geschrieben, dass man mit einem fluechtigen Blick das
>Ganze erfasste - und sie sind dabei noch nicht einmal die Schwierigsten.
>Man kann eben keine tiefe Welt-Ein-Sicht verlangen und einen einfachen
>Zweizeiler.

Das geschriebene Wort ist greifbarer und gestattet andere Zugangsmöglichkeiten
als die Musik. Eine Kunstform, die für ihr Publikum nur in dem kurzen Moment
ihres Erklingens präsent ist, muss naturgemäß andere Wege gehen. Da sollte beim
ersten Kontak schon eine Art Funke überspringen, die erwähnte Initialzündung
eben, die dann weiteres, sprich: den Wunsch den Wiederhörend, die
intellektuelle Auseinandersetzung auslöst.
...


> Kunst ist
>immer zu allererst eine Kunst fuer die Zeitgenossen, je laenger sie
>historisch zurueckliegt, umso schwerer ist sie zu erschliessen bzw. umso
>leichter stellen sich falsche Freunde ein - Missverstaendnisse.

Ich glaube eher, dass die musikalische Sprache und die Durchschaubarkeit ihrer
Struktur über die schwierigere oder einfachere Erschließbarkeit seitens des
Publikums entscheiden. Wenn die Aufführung mancher zeitgenössicher Werke selbst
für die ausführenden Berufsmusiker größere Schwierigkeiten bereitet als die
Umsetzung einer Haydn-Partitur - und das meine ich nicht nur technisch - dann
darf man sich doch nicht wundern, wenn das Publkum - es besteht aus Laien -
überfordert ist. Wenn der Chor Stimmgabeln braucht, um die Töne zu finden, wie
soll sich denn der Zuhörer dann zurechtfinden?
...
>...ich bin nicht der Meinung, das jemand

>nicht "wuerdig" sei, Mozart zu hoeren, aber dass wir alle (und mich
>eingeschlossen) uns ernsthaft um das Verstaendnis Mozarts bemuehen
>muessen.

Aber eben jeder mit den geistigen und bildungsmäßigen Mitteln, die ihm zur
Verfügung stehen.

>Mit meiner Kritik meine ich nur diejenigen, die sich nicht um
>der Verstaendnis bemuehen - wie weit man damit gekommen ist, ist fuer
>mich weniger erheblich.

Mit dieser Kritik kannst Du fairerweise aber nur Hörer überziehen, denen oben
erwähnte Mittel tatsächlich zur Verfügung stehen. Und das werden im Laufe der
Zeit keinesfalls mehr, eher im Gegenteil. Dem ganz einfachen, ungebildeten
Hörer muss es aber gestattet sein, Mozart "nur" schön zu finden. Er darf das
Recht für sich in Anspruch nehmen, Musik naiv auf sich wirken zu lassen. (Wie
war das in der Bibel mit den anvertrauten Talenten? Wer wenig anvertraut bekam,
von dem wurde auch weniger gefordert!)

>Aber zu behaupten, man liebe Mozart - und ihn
>gleich mit der Missachtung zu strafen, dass man sich nicht um ihn bemueht
>- das scheint mir doch ein Widerspruch zu sein.

Dazu will ich Dir noch eine kleine Episode aus meiner Kindheit erzählen. Als
ich zehn oder elf war, fiel mir ein Rclamheft aus der Gymnasialzeit meiner
Mutter in die Hände: Goethes "Faust". Da ich schon damals ein Faible fürs
Theaterspielen hatte, begann ich, den Anfang in meinem Kasperl-Theater zu
spielen. Begriffen hatte ich natürlich gar nichts, und über die
Studierzimmerszene kam ich bei meiner Lektüre nicht hinaus. (Sonst hätte ich
wohl eher die "Hexenküche" aufgeführt.) Aber ich hatte Gefallen an der Sache
gefunden. Vielleicht hatte mir irgend jemand etwas über mittelalterliche
Alchimistenküchen erzählt, vielleicht gefielen mir auch einfach die Verse. Auf
jeden Fall wurde der "Faust" eine Zeitlang meine Bettlektüre. Meine Mutter
hätte mir nun das Heft wegnehmen können, weil "das nichts für Kinder" sei. Sie
tat´s nicht. (Ganz sicher ging sie zu weit, wenn sie mich meine
Theateraufführungen vor ihren Akademikerfreundinnen, die zum Tee kamen, spielen
ließ. Die fanden das natürlich drollig und applaudierten entsprechend.)
Kurz und gut: Auf meine kindliche, naive Weise liebte ich Goethes Verse damals
sehr. Obwohl ich nichts verstanden hatte. Und später in der Schule konnte ich
es kaum erwarten, bis wir in Deutsch endlich an den "Faust" kamen. Und da kam
dann auch - Jahre später - das Bemühen um diese Dichtung.
Sollte es so nicht dem einen oder anderen auch mit Mozart gehen können?

- So, nun ist meine Antwort doch wieder länger geworden als geplant, und zwei
Uhr nachts ist es auch schon wieder.

Liebe Grüße
Martin

Peter Brixius

unread,
Aug 28, 2000, 2:52:19 AM8/28/00
to
Hallo Martin,

In article <20000827200823...@nso-fj.aol.com>,
mmk...@aol.com says...


>
> da unsere Diskussion im Begriff ist, etwas auszuufern und sich im Kreise zu
> drehen, möchte ich nur punktuell auf einige Stellen Deines Postings eingehen.
>

Das sehe ich zwar nicht so. Gegen das Ausufern kann man einfach nach
Bedarf mit einem Unterthema einen neuen Thread beginnen. Im Kreise drehte
sich die Diskussion nur, wenn dieselben Argumente mit denselben
Begruendungen auftauchten.



> Im Artikel <MPG.14136e519...@news.ndh.net>, Peter Brixius
> <Peter....@Koeln.Netsurf.de> schreibt:(u.a.)
>
> >Warum man sich mit Mozart beschaeftigt, wenn man ihn nicht liebt, ist ein
> >anderes Thema - aber die "Mozart fuer Millionen", von denen ich mit einem
> >Verschreiber (ich wollte eigentlich "Klassik fuer Millionen" schreiben)
> >aprach´, kann und wird es nicht geben, sicherlich das Missverstaendnis
> >von Millionen, dass sie Mozart lieben koennten, ohne ihn zu verstehen -
> >da liebt man eben seine eigene Projektion auf Mozart, muss den Kanon grob
> >verkuerzen
>
> Diese "Verkürzung", und zwar des Bildungskanons ganz allgemein, findet
> spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert fortschreitend statt.

Das kann man nicht so sagen. Zunaechst ist der Umfang des Bildungskanons
kontinuierlich gestiegen und hat sich gleichzeitig verlagert. Waehrend im
19. Jahrhundert die Kenntnis der Antike noch zentrale Bildungsgut war,
wurde das im 20. Jahrhundert nicht mehr so gesehen. Die Explosion des
Wissens im Bereich der Naturwissenschaft musste ihren Platz auch im
Bildungskanon finden.

Was den speziellen Bereich der Kunst anging, vor allem der Musik, so
haben Schallplatten (CDs), Film und Fernsehen erst einmal den Kreis der
Musikbegeisterten erheblich ausgeweitet. Die Zahl der Klassikliebhaber
ist eher konstant geblieben. Was verloren ging, war allenfalls die
Attraktion von Oper und Konzert fuer die "besseren" Klassen, die sich
(nehmen wir einmal Bayreuth u.ae. Relikte bis zum Opernball aus) nicht
mehr in der Art repraesentieren konnten, wie zuvor. Aber diese "besseren"
Klassen beschaeftigten sich auch nicht sonderlich intensiv mit der Musik.

Die Schwierigkeit, die wir auch heute (trotz Schwanitz) haben, ist einen
einverstaendlichen Bildungskanon zu definieren - da dieser nicht
vorhanden ist, bzw. wenn man einen voraussetzte, doch in weiten Teilen
sehr umstritten, scheint die Schnittmenge "verkuerzt".

> Das Abitur
> ist mittlerweile, was die klassische Allgemeinbildung betrifft, zu einer mehr
> oder weniger lächerlichen Farce verkommen. Die Industrie versucht die Schule,
> vor allem die Realschule, zum willfährigen Zuarbeitsbetrieb für ihre Interessen
> zu machen, und ihre Vertreter machen mittlerweile aus ihrer Geringschätzung
> gegenüber literarischer, musikalischer und künstlerischer Bildung gar keinen
> Hehl mehr: betriebswirtschaftliches Denken anstatt Umgang mit Literatur und
> Musik soll vermittelt werden. (Ich formuliere etwas überspitzt, gewiss, aber
> der Trend geht in diese Richtung.)

Auch wenn ich Dir in der Tendenz nicht widersprechen moechte, dass
Bildungsinhalte den Verwertungsinteressen der Industrie unterworfen
werden, so sehe ich da keinen grossen Unterschied zu Anno dazumal. Es ist
das Recht jeder Zeit, ihre eigenen Anforderungen an die Ausbildung zu
stellen. Ob Dir der Gymnasialunterricht am Ende des 19. Jahrhundert
gepasst haette, darf ich einmal bezweifeln: er forderte weit mehr
Faktenwissen, also durfte der Schueler sich von Geschichtsdaten bis hin
zu Griechischvokabeln alles einpauken, selbstaendiges Arbeiten war eher
verpoent. Die Ausrichtung im Wilhelmismus war schon eine deutliche: Am
deutschen Wesen soll die Welt genesen, Literatur (im Fach Deutsch) und
Musik (auch nicht mit mehr Wochenstunden als heute) diente vor allem der
Heroisierung deutschler Kuenstler, die Kunst war teil einer aggressiven
Ideologie und sollte sie begruenden. Ein Schueler jener Zeit waere bei
dem heutigen Abitur ebenso ueberfordert wie umgekehrt. Die musikalische
Bildung und Ausbildung fand in der Hauptsache *ausserhalb* der Schule
statt - und erst einmal in der Familie - damals wie heute.

> Wo soll denn der ideale Musikhörer mit all
> den Voraussetzungen, die er braucht, um ein in die Tiefe gehendes Verständnis
> zu entwickeln, herkommen? Zudem steuern die Massenmedien das Interesse der
> Jugend in eine andere, auf kurzlebigen Spaß und eine möglichst spektakuläre
> Event-Kultur zielende Richtung. Die Interessenlage der Pennälergeneration Ende
> des 19. Jahrhunderts, wie sie Stefan Zweig in seinem autobiografischen Buch
> "Die Welt von gestern" beschreibt - die jugendliche Neugier (und auch Gier) auf
> neue Literatur, Veröffentlichungen über neue philosophische Ansätze, aktuelle
> Theaterinszenierungen -, ist einem passiven Konsumentendasein in den
> Niederungen von RTL und SAT1 gewichen.

Es gibt genuegend andere (und glaubhaftere) Schilderungen des Gymnasiums
im 19. oder beginnenden 20. Jahrhundert. Dass es im Bildungsbuergertum
auch immer Eliteschulen gab, die in besonderer Weise kulturelles Wissen
foerderten, sei unbestritten. Sie waren aber eben nur fuer eine kleine
Elite erreichbar, heute wie gestern. Wedekinds "Fruehlings Erwachen"
scheint mir etwas realistischer die Interessenlage der
Pennaelergeneration Ende des 19. Jahrhunderts darzustellen :-)

Dass sich die jetzigen Abiturientenjahrgaenge nur noch einem passiven
Konsumentendasein in den Niederungen von RTL und SAT1 widmen, bezweifele
ich mit Nachdruck. die mir bekannten (selbstverstaendlich nicht
repraesentativen) beteiligen sich in Theater-AGs, gehen in Violin- und
Klavierunterricht ... Auch solche Einrichtungen wie die Waldorf-Schulen
scheinen mir das kulturelle Bildungsziel nicht hintangestellt zu haben.
Klagen ueber den sittlichen und kulturellen Verfall der Jugend sind so
alt wie die Menschheitsgeschichte :-)


> Realschulabgänger, die außer der
> Pflichtlektüre im Deutschunterricht noch kein einziges Buch gelesen haben, sind
> keine Seltenheit.

Die Schulbuecher hast Du wohl nicht mitgezaehlt :-) Das kommt - wie immer
- auf das Elternhaus und das Vorbild der Eltern an. Das sehe ich in
meinem Bekanntenkreis anders - und fuer meine Kinder gehoeren Buecher zum
wichtigen Bestandteil ihres Lebens, da bedurfte es keiner Schule oder
Anleitung, wenn sie ihre Eltern eifrig lesen sehen und gerne vorgelesen
bekommen. Es wird immer solche und solche geben - und die Soldaten, die
in den ersten Weltkrieg mit Hoelderlin im Rucksack zogen, haben in der
Regel diesen Hoelderlin auch nicht verstanden - und vielleicht war es ihr
Zweitbuch neben dem Soldbuch ...

> Was ich damit sagen will: Du hängst dem Klassikhörer den Brotkorb einfach zu
> hoch. Was Du von ihm verlangst, kann er gar nicht leisten.
>

Doch, er kann es, wenn er sich darum bemueht. Ich habe vor einigen Jahren
angefangen, Freunde am Wochenende bei mir einzuladen, wo wir uns
Einsichten in ein Werk erarbeiten, da wir umgezogen sind, wurde der
Anfahrtsweg betraechtlich, aber es sind weitere Freunde dazu gekommen, so
dass es jetzt mehrere Gruppen sind, die sich bei mir an unterschiedlichen
Wochenenden treffen. Der Bildungsstand ist hoechst unterschiedlich (eine
erste Gruppe kam aus meinem Schachverein), aber etwa das Treffen, bei dem
wir uns in Bergs Violinkonzert hereinhoerten, war fuer alle
unvergesslich (und hat den Beteiligten den Mut vermittelt, sich weiter
mit Werken dieser Wiener Schule zu beschaeftigen). Es ist nicht so
wichtig, wieviel man hoert (oder liest), sondern dass man lernt, wie man
hoert (oder liest). Ich habe von einigen NGlern lesen duerfen, dass sie
Aehnliches unternehmen - und das ist eben doch das Wichtigste: die eigene
Liebe zur Musik weiterzugeben. Ich weiss also, was ich sage, wenn ich
sage: Der Klassikhoerer kann das leisten, er muss das leisten, wenn er
aus der klassischen Musik nicht ein Surrogat machen will.

>
> Um das "Wetterleuchten der Großen Französischen Revolution" (Du dachtest
> vermutlich an den "Figaro"?) heraus zu hören, gehören Geschichtskenntnisse, die
> heute an den Schulen nur noch recht mangelhaft vermittelt werden.

Dieses Wetterleuchten (bzw. seine Vorboten) ist schon in der Finta
Giardiniera zu hoeren und im Idomeneo. Und mit der Geschichte ist es halt
wie mit allem "Bildungsgut" - der eine begeistert sich von frueh an
dafuer, der andere spielt halt lieber Fussball. Die Schule hat fuer mich
die Aufgabe, Grundfaehigkeiten zu vermitteln, was man daraus macht, wird
bei jedem verschieden sein. Aber Du verstehst Doch nun meine Skepsis: Wie
kann man aeltere Musik hoeren und lieben, wenn man nichts von der Zeit
weiss, in der sie entstanden ist?

> Wir sind in Sachen Bildung doch schon so weit gekommen, dass ein Buch, das die
> Hoffnung weckt, auf ein paar hundert Seiten "alles, was man wissen muss"
> (Dietrich Schwanitz, "Bildung") vermitteln zu können, wochenlang die
> Bestsellerliste im SPIEGEL anführt. Trotzdem hat der Autor meine Sympathie: Er
> versucht zu retten, was noch zu retten ist. (Musik ist ihm dabei gerade mal 22
> Seiten wert!)

Ich habe auch interessiert in diesem Buch geblaettert. Wie immer: die
Reaktionen sind auf jeden Fall interessanter als das Buch selbst :-)

> - Ich glaube auch nicht, dass Abbado und Pollini, als sie in den frühen 70ern
> Werkkonzerte für die FIAT-Arbeiter in Turin zum Nulltarif veranstalteten, an
> ihr Publikum - einfache Arbeiter - Deine hohen Erwartungen stellten.
>

Ich weiss davon zu wenig, weiss aber, dass es genuegend Kuenstler gab und
gibt, die es nicht nur bei einer Begegnung belassen.



>
> >Solange Mozart lebt, wird er Anstoss erregen, nur totgeschlagen
> >verbreitet er dumpfen Wohlklang.
>
> Ich denke, auch der lebende Mozart darf Wohlklang verbreiten; freilich nicht
> nur das.
> ...

Wohlklang und Anstoss widersprechen sich fuer mich nicht
notwendigerweise :-)

> >Bei Eisler und bei
> >Lachenmann ist es einfacher, sie sind von unserer Zeit her einholbar, sie
> >haben fuer unsere Zeit geschrieben, bzw. wir stehen noch in einer
> >unmittelbaren Kontinuitaet zu der Zeit, fuer die sie geschrieben haben -
> >das trifft eben auch Mozart nicht zu.
>
> Aber sie bemühen sich nicht genügend darum, ihrem Publikum entgegen zu kommen.
> Und dieses Entgegenkommen ist heute wichtiger denn je, wenn man überhaupt noch
> jemanden erreichen will.
> ...

Ich weiss nicht, wie Du bei Eisler darauf kommst, der mir doch relativ
zugaenglich erscheint.

> >> Nenne mir einen einzigen Grund,
> >> warum der durchschnittliche Konzertbesucher das auf sich nehmen sollte, um
> >sich
> >> dann abends von "Le marteau sans maitre" erschlagen zu lassen.
>
> >Allein schon einmal der Neugierde wegen :-)
>
> Das sehe ich umgekehrt:

Du wolltest einen Grund, den habe ich genannt :-))

> Ein Komponist muss erst einmal für eine Initialzündung
> bei seinem Publikum sorgen. Dann wird es, wenn er Glück hat, neugierig und
> befasst sich näher mit seiner Musik. Es ist unfair, dem Publikum allein den
> Schwarzen Peter zuzuschieben, wenn das Interesse an zeitgenössischer Musik
> gering ist. Vielleicht sollten sich die Herren Komponisten ein wenig aus ihrem
> Elfenbeinturm herausbewegen.

Ich kenne aus England (aber nicht nur dort gibt es so etwas)
Gespraechskonzerte, einstuendige Einfuehrungen in ein Werk vor einem
Konzert u.ae. (manchmal sogar mit dem Komponisten selbst) - und da waren
Konzerte mit neuer Musik nicht schlecht besucht. Und dann erlebt man es
im Konzert (um ein Beispiel zu nennen), dass Andriessens "De Tijd" auf
grossen Beifall stoesst (denn darueber hat man vorher einiges gehoert),
waehrend Martins "Tryptichon" (eigentlich "zugaenglicher") nicht so
ankommt (denn in dem Werkstattgespraech ging es nur um Andriessen). An
die Komponisten die Forderung zu stellen, mag populaer sein, trifft die
Sache nicht. Ich will dabei nicht verkennen, dass es Elfenbeintuerme
gibt, aber die gibt es in allen Bereichen ...

> (Die Amerikaner - Copland, Bernstein - hatten da
> den Bogen eher raus. Viele europäische Tonschöpfer dreschen erbarmungslos mit
> einem Idiom, das dem durchschnittlichen Zuhörer fremd ist, auf ihr Publikum ein
> und spielen dann beleidigte Leberwurst, wenn ihnen niemand zuhört.)
>

Und wuerdest Du das fuer Ives und Cage (auch Amerikaner) auch so sagen?

> ...
> > Kunst ist
> >immer zu allererst eine Kunst fuer die Zeitgenossen, je laenger sie
> >historisch zurueckliegt, umso schwerer ist sie zu erschliessen bzw. umso
> >leichter stellen sich falsche Freunde ein - Missverstaendnisse.
>
> Ich glaube eher, dass die musikalische Sprache und die Durchschaubarkeit ihrer
> Struktur über die schwierigere oder einfachere Erschließbarkeit seitens des
> Publikums entscheiden. Wenn die Aufführung mancher zeitgenössicher Werke selbst
> für die ausführenden Berufsmusiker größere Schwierigkeiten bereitet als die
> Umsetzung einer Haydn-Partitur - und das meine ich nicht nur technisch - dann
> darf man sich doch nicht wundern, wenn das Publkum - es besteht aus Laien -
> überfordert ist. Wenn der Chor Stimmgabeln braucht, um die Töne zu finden, wie
> soll sich denn der Zuhörer dann zurechtfinden?
> ...

Schwierigkeiten koennen, sie muessen ueberwunden werden. Die Gefahr beim
"leichten" Haydn ist es, dass diese Schwierigkeiten nicht mehr empfunden
werden, dass das Produkt eine Dutzendauffuehrung wird. Deshalb ist HIP ja
so populaer geworden, weil diese Auffuehrungen erst einmal wieder die
Schwierigkeiten ahnen liessen (und sei es nur auf dem Trompetennachbau
dieser speziellen Trompete, fuer die Haydn sein Konzert schrieb, bei
aller Virtuositaet erst einmal von der Intonation sicher zu spielen -
John Wallace hat da einmal sein Cannae erlebt). Und diese Auffuehrungen
machten erst einmal viele Nuancen deutlich, die in der durchschnittlichen
Auffuehrungspraxis mit verfettetem Orchesterklang plattgewalzt wurden.

Dass Berufsmusiker nicht immer zu den Bannertraegern der Musik gehoeren,
gilt eben wie fuer Deutschlehrer, die nicht unbedingt durch die Liebe zur
Literatur glaenzen - es gibt eben solche und solche ...

> >...ich bin nicht der Meinung, das jemand
> >nicht "wuerdig" sei, Mozart zu hoeren, aber dass wir alle (und mich
> >eingeschlossen) uns ernsthaft um das Verstaendnis Mozarts bemuehen
> >muessen.
>
> Aber eben jeder mit den geistigen und bildungsmäßigen Mitteln, die ihm zur
> Verfügung stehen.
>
> >Mit meiner Kritik meine ich nur diejenigen, die sich nicht um
> >der Verstaendnis bemuehen - wie weit man damit gekommen ist, ist fuer
> >mich weniger erheblich.
>
> Mit dieser Kritik kannst Du fairerweise aber nur Hörer überziehen, denen oben
> erwähnte Mittel tatsächlich zur Verfügung stehen.

Nun ja, diese Mittel sind ja erwerbbar. Wenn mir Tolstojs "Krieg und
Frieden" gefaellt, werde ich mich ja auch ueber Zeit u.a. kundig machen -
wenn ich sehe, was an Wissen sich Kinder erwerben, wenn es um Pokémons
geht, dann kann ich an Erwachsene doch andere Ansprueche stellen :-)

> Und das werden im Laufe der
> Zeit keinesfalls mehr, eher im Gegenteil. Dem ganz einfachen, ungebildeten
> Hörer muss es aber gestattet sein, Mozart "nur" schön zu finden. Er darf das
> Recht für sich in Anspruch nehmen, Musik naiv auf sich wirken zu lassen. (Wie
> war das in der Bibel mit den anvertrauten Talenten? Wer wenig anvertraut bekam,
> von dem wurde auch weniger gefordert!)
>

Ich fuerchte, da steht es mit Deiner Bibelkenntnis nicht zum Besten, es
ging nicht um die Zahl der Talente, sondern wie man mit den Talenten
wucherte (ganz im Sinne meiner Argumentation). Die Verteidigung der
Naivitaet in unserer Zeit finde ich putzig. Ob man Mozart ueberhaupt
"naiv" hoeren kann, sei mal dahin gestellt, es braucht sicherlich einer
Intitialzuendung, da bin ich Deiner Meinung. Nur wenn man dabei stehen
bleibt, dann verliert man auch schnell wieder die Lust daran.

>
[Beispiel: Faust im fruehen Alter]
Mir ging es da nicht anders als Dir. Ich las den "Faust" auch "viel zu
frueh". Normalerweise geht so etwas nicht so gut aus, die meisten
ueberheben sich an einer solchen Lektuere und ruehren sie nicht mehr an.
Da wir zu den Gluecklichen gehoeren, denen das nicht widerfuhr: Es war
gerade das ernsthafte (wenn auch nicht angemessene) Bemuehen, das uns
zwar vieles nicht verstehen liess, aber die Freude am Kunstwerk bewahrte.
Ich hatte schon eine grosse Lese-Erfahrung und mit 9 hatte ich auch schon
meine ersten Theaterstuecke geschrieben (etwa einen Matteo Falcone nach
Merimee, bei dem am Ende alle Personen tot waren - das
Schicksalstraechtige der Merimeeschen Dichtung hatte ich wohl erahnt,
aber kindlich musste ich es ueberhoehen). Man braucht eben auch noch ein
gutes Stueck Lebenserfahrung, um etwas verstehen zu koennen - und den
Faust nicht zuletzt. Das kann man uebrigens bei Interpreten auch
beobachten, die als Kinder oder Jugendliche schon erstaunliche
Solistenleistungen bringen - aber erst einer kuenstlerischen Reifung
beduerfen, um ueber das senstationell Virtuose hinaus zu kommen.

> Sollte es so nicht dem einen oder anderen auch mit Mozart gehen können?
>

Warum nicht - wenn er sich ernsthaft weiter damit beschaeftigt (und auch
so ein allgemeines Interesse wie Deines am Theater mit sich bringt, das
auch eine gewisse Praxis einschliesst) ...

martin adler

unread,
Aug 28, 2000, 3:00:00 AM8/28/00
to

aus einem der eindrucksvollen Beitraege von P.B. reisse ich mal was
grausam aus dem Zusammenhang:

On Mon, 21 Aug 2000, Peter Brixius wrote:

> Das Mass der Dinge kann immer nur die Kunst der Gegenwart sein.

So wie es da steht, koennte man sagen: so haetten das manche wohl gerne
;-)

Ich schuettel das mal ein bissle durch:

"Das Mass der Kunst koennen immer nur die Dinge der Gegenwart sein"

servus

martin adler (aus dem Urlaub zurueck).

Claus Huth

unread,
Aug 28, 2000, 3:00:00 AM8/28/00
to
Lieber Martin,

ich will doch nur mal einen Aspekt aus Deinem langen Posting aufreifen.

Martin Mueller schrieb in Nachricht
<20000827200823...@nso-fj.aol.com>...


>
>Aber sie bemühen sich nicht genügend darum, ihrem Publikum entgegen zu
kommen.
>Und dieses Entgegenkommen ist heute wichtiger denn je, wenn man überhaupt
noch
>jemanden erreichen will.

Da bin ich nun gänzlich anderer Ansicht. Wer entgegenkommt, läuft (viel zu)
schnell GEfahr, sich anzubiedern und eben nicht mehr ehrlich zu sein -
gerade in der Kunst.

>Das sehe ich umgekehrt: Ein Komponist muss erst einmal für eine
Initialzündung
>bei seinem Publikum sorgen. Dann wird es, wenn er Glück hat, neugierig und
>befasst sich näher mit seiner Musik.

Es wäre ja wirklich fein, wenn ich da sagen könnte: So ist es! Aber: Ein
Patentrezept für Initialzündungen gibt es nun leider nicht. Bei mir war
Bergs "Wozzeck" so eine Initialzündung, in einer Aufführung, die von einem
Grossteil des Publikums türenschlagend verlassen wurde. Aber ich kann doch
nun den Komponisten nicht verpflichten, möglichst viel einzubauen, was
eventuell gefällt, damit er dann "durch die Hintertüre" auch noch das machen
darf, was er will......

> (Die Amerikaner - Copland, Bernstein - hatten da
>den Bogen eher raus.

Nu ja. Copland sorgte mit seinem Klavierkonzert für einen mittleren Eklat,
BErnsteins "Mass" stiess, so ich mich recht erinnere, auf viel Zustimmung
und auf mehr Widerspruch. Nur zwei Beipiele. Und dann gibt es ja noch andere
Amerikaner: was ist's mit einem Cage, mit einem Ives, einem Feldman?

>Publikums entscheiden. Wenn die Aufführung mancher zeitgenössicher Werke
selbst
>für die ausführenden Berufsmusiker größere Schwierigkeiten bereitet als die
>Umsetzung einer Haydn-Partitur - und das meine ich nicht nur technisch -
dann
>darf man sich doch nicht wundern, wenn das Publkum - es besteht aus Laien -
>überfordert ist. Wenn der Chor Stimmgabeln braucht, um die Töne zu finden,
wie
>soll sich denn der Zuhörer dann zurechtfinden?

Nun, der Vergleich hängt doch nun schief. Wenn ein Stück für einen Chor so
anspruchsvoll ist, dass sich die einzelnen Sänger der Stimmgabel behelfen,
um ihre Töne zu finden, sagt das doch überhaupt nichts darüber aus, ob sich
das Publikum in dem Stück zurechtfindet. (Es sagt ja auch nichts darüber
aus, wie sich die Interpreten in dem Stück zurechtfinden, es ist eine rein
technische Hilfe bei der Aufführung.) Die Schwierigkeit (rein technisch)
eines Stückes für die Ausführenden und die Schwierigkeit eines Stückes für
das Publikum sind meines Erachtens nicht gleichzusetzen. Man denke da nur an
die Schwierigkeiten für den Chor in Bethovens "Missa solemnis" - tut das dem
Erfahren, Erleben des Stückes für das Publikum Abbruch? Oder ist umgekehrt
ein STück wie 4'33 von Cage für das Publikum einfach zu hören, weil es für
den Interpretan einfach(st) aufzuführen ist? (Und - BTW: - bei manchem Chor
und manchem Stück wären Stimmgabeln auch bei "einfacher" Literatur durchaus
angebracht ;-))

Beste Grüsse

Claus

Claus Huth

unread,
Aug 28, 2000, 3:00:00 AM8/28/00
to
Da muss ich mich noch schnell selbst korrigieren:

Claus Huth schrieb:


>
> Nu ja. Copland sorgte mit seinem Klavierkonzert für einen mittleren Eklat,
> BErnsteins "Mass" stiess, so ich mich recht erinnere, auf viel Zustimmung
> und auf mehr Widerspruch. Nur zwei Beipiele.

Stimm so für Bernsteins "Mass" nicht. Man soll eben nicht aus dem
Gedächtnis sowas schreiben. Die Biographie von Gradenwitz beschreibt,
wie das Publikum nach dem letzten Ton drei Minuten still verharrte, um
dann in begeisterten Applaus auszubrechen.

Bei Copland stimmt meine Aussage: Das Beiheft zu der Aufnahme des
Klavierkonzertes mit Ohlson/Tilson-Thomas gibt einen Kritiker der
Uraufführung wieder: "Keine Musik hat in diesen Konzerten in den
letzten 15 Jahren eine solche Sensation geschaffen: Das Publikum
vergass seine guten Manieren, tauschte vernichtende Bemerkungen aus
und kicherte unruhig."

Nichtsdestotrotz bezweifle ich, das man "die Amerikaner" so gegen "die
Europäer" ausspielen kann.....

Beste Grüsse

Claus


Martin Mueller

unread,
Aug 29, 2000, 3:00:00 AM8/29/00
to
Im Artikel <8oddk7$ftccn$1...@hades.rz.uni-sb.de>, "Claus Huth"
<clhu...@stud.uni-saarland.de> schreibt:(u.a.)

>Martin Mueller schrieb in Nachricht
><20000827200823...@nso-fj.aol.com>...
>>
>>Aber sie bemühen sich nicht genügend darum, ihrem Publikum entgegen zu
>kommen.
>>Und dieses Entgegenkommen ist heute wichtiger denn je, wenn man überhaupt
>noch
>>jemanden erreichen will.
>
>Da bin ich nun gänzlich anderer Ansicht. Wer entgegenkommt, läuft (viel zu)
>schnell GEfahr, sich anzubiedern und eben nicht mehr ehrlich zu sein -
>gerade in der Kunst.

Hallo Claus!

Das ist zweifellos eine Gratwanderung: Anbiederung einerseits - da landen wir
schnell bei Andrew Lloyd Webber - und eine zunehmende Ausgrenzung größerer
Publikumskreise andererseits. Letzten Endes muss sich ein Komponist aber doch
fragen, ob er für eine Handvoll intellektueller Kritiker oder für ein Publikum
schreibt. Ein schöner Beweis, dass man auch in unserer Zeit noch ein größeres
Publikum erreichen kann, ohne sich in die seichten Gefilde musikalischen
Populismus zu begeben, war für mich die in der vergangenen Saison in Stuttgart
von Carl St. Clair dirigierte deutsche Erstaufführung von Richard Danielpours
"The Night Rainbow".


...
>> (Die Amerikaner - Copland, Bernstein - hatten da
>>den Bogen eher raus.
>

>Nu ja. Copland sorgte mit seinem Klavierkonzert für einen mittleren Eklat,
>BErnsteins "Mass" stiess, so ich mich recht erinnere, auf viel Zustimmung

>und auf mehr Widerspruch. Nur zwei Beipiele. Und dann gibt es ja noch andere
>Amerikaner: was ist's mit einem Cage, mit einem Ives, einem Feldman?

Bernstein ist für mich ein absoluter Glücksfall für die Musik des 20.
Jahrhunderts, nicht nur wegen seiner polulären West Side Story. Es ist geradezu
ein Geniestreich, wie er in Candide mit den Mitteln der Operette Voltaire für
ein Publikum des 20. Jahrhunderts wieder interessant und packend gemacht hat.
Hat er sich damit etwas von seiner Ernsthaftigkeit vergeben? Ich denke nicht.
Bei Cage bin ich mir nicht sicher, ob er immer ernst genommen werden
wollte.(Bei Satie war´s ähnlich!)
...


>Nun, der Vergleich hängt doch nun schief. Wenn ein Stück für einen Chor so
>anspruchsvoll ist, dass sich die einzelnen Sänger der Stimmgabel behelfen,
>um ihre Töne zu finden, sagt das doch überhaupt nichts darüber aus, ob sich
>das Publikum in dem Stück zurechtfindet. (Es sagt ja auch nichts darüber
>aus, wie sich die Interpreten in dem Stück zurechtfinden, es ist eine rein
>technische Hilfe bei der Aufführung.) Die Schwierigkeit (rein technisch)
>eines Stückes für die Ausführenden und die Schwierigkeit eines Stückes für
>das Publikum sind meines Erachtens nicht gleichzusetzen. Man denke da nur an
>die Schwierigkeiten für den Chor in Bethovens "Missa solemnis" - tut das dem
>Erfahren, Erleben des Stückes für das Publikum Abbruch? Oder ist umgekehrt
>ein STück wie 4'33 von Cage für das Publikum einfach zu hören, weil es für
>den Interpretan einfach(st) aufzuführen ist? (Und - BTW: - bei manchem Chor
>und manchem Stück wären Stimmgabeln auch bei "einfacher" Literatur durchaus
>angebracht ;-))

Das Notwendigwerden von Stimmgabeln hängt aber doch - im Gegensatz
beispielsweise zu den technischen Problemen eines Thalberg in seinen sicher
musikalisch nicht zum Allerwertvollsten gehörenden Opernparaphrasen - mit der
vom Gehör allein nicht mehr nachzuproduzierenden Linienführung zusammen.
Vergleichbar damit wäre ein dadaistischen Theaterstück, das für die
Schauspieler die permanente Präsenz des Souffleurs nötig machen würde, weil die
Gedächtsnisbrücke herkömmlicher syntaktischer Strukturen nicht mehr gegeben
wäre. Und hier ist doch die parallel verlaufende Schwierigkeit des
rezipierenden Publikums klar ersichtlich.

Viele Grüße
Martin

Peter Brixius

unread,
Aug 29, 2000, 3:00:00 AM8/29/00
to
Hallo Martin,

nur eines ...

(Aus Versehen auch gemailt, sorry ...)

In article <20000829074338...@nso-ba.aol.com>, you say...


>Anbiederung einerseits - da landen wir
> schnell bei Andrew Lloyd Webber - und eine zunehmende Ausgrenzung größerer
> Publikumskreise andererseits. Letzten Endes muss sich ein Komponist aber doch
> fragen, ob er für eine Handvoll intellektueller Kritiker oder für ein Publikum
> schreibt.

Zunaechst schreibt ein Komponist - so denke ich doch - fuer sich. Der
eine mag ein konkretes Publikum im Kopfe haben (oder einen konkreten
Anlass), der andere nicht, im Laufe der Jahrhunderte hat es immer wieder
andere Ausgestaltungen dieses Spannungsfeldes gegeben. Dabei gibt es die
Extremposition, die ein Pfitzner (der sich da mit Palestrina eins glaubt)

vertrat, wo die verstorbenen Kollegen das Publikum bilden, oder ein
Weill, der bei der Dreigroschenoper auf ein Arbeiterpublikum zielte.
Beide haben sich geirrt :-) - wenigstens was wir heute von dem Nachleben
dieser Opern sagen koennen.

Der Komponist kann sich auf ein Publikum zubewegen, ein intelligentes
Publikum bewegt sich auf den Komponisten zu.

Claus Huth

unread,
Aug 30, 2000, 2:04:32 AM8/30/00
to
Lieber Martin,

Martin Mueller schrieb:


>
> Im Artikel <8oddk7$ftccn$1...@hades.rz.uni-sb.de>, "Claus Huth"
> <clhu...@stud.uni-saarland.de> schreibt:(u.a.)

[Wer kommt wem warum entgegen??]

> Das ist zweifellos eine Gratwanderung: Anbiederung einerseits - da landen wir


> schnell bei Andrew Lloyd Webber - und eine zunehmende Ausgrenzung größerer
> Publikumskreise andererseits.

Das würde ich so noch nicht mal sagen - ich glaube, grosse Kreise des
Publikums grenzen sich auch gerne selbst aus, anstatt sich eine
(gesunde!) Neugier zu wahren. Ich meine, wenn jemand schon nach dem
Lesen des Programmes genau sagen kann, dass ihm die Uraufführung nicht
gefallen wird (hab ich erlebt!) - kann man da noch helfen??

> Ein schöner Beweis, dass man auch in unserer Zeit noch ein größeres
> Publikum erreichen kann, ohne sich in die seichten Gefilde musikalischen
> Populismus zu begeben, war für mich die in der vergangenen Saison in Stuttgart
> von Carl St. Clair dirigierte deutsche Erstaufführung von Richard Danielpours
> "The Night Rainbow".

Nun, es gibt vieles, denke ich, was bei einem - nicht böse gemeint -
"konservativen" Publikum gute Chancen hätte, wenn man ihm denn
vorurteilsfrei begegnete.

[Bernstein und Copland]

> Bernstein ist für mich ein absoluter Glücksfall für die Musik des 20.
> Jahrhunderts, nicht nur wegen seiner polulären West Side Story. Es ist geradezu
> ein Geniestreich, wie er in Candide mit den Mitteln der Operette Voltaire für
> ein Publikum des 20. Jahrhunderts wieder interessant und packend gemacht hat.
> Hat er sich damit etwas von seiner Ernsthaftigkeit vergeben? Ich denke nicht.

Aber lachen darf ich doch während dem Candide, oder? Da nimmt
Bernstein sich selbst und einige andere wohl auch nicht bierernst....

> >Nun, der Vergleich hängt doch nun schief. Wenn ein Stück für einen Chor so
> >anspruchsvoll ist, dass sich die einzelnen Sänger der Stimmgabel behelfen,
> >um ihre Töne zu finden, sagt das doch überhaupt nichts darüber aus, ob sich
> >das Publikum in dem Stück zurechtfindet. (Es sagt ja auch nichts darüber
> >aus, wie sich die Interpreten in dem Stück zurechtfinden, es ist eine rein
> >technische Hilfe bei der Aufführung.) Die Schwierigkeit (rein technisch)
> >eines Stückes für die Ausführenden und die Schwierigkeit eines Stückes für
> >das Publikum sind meines Erachtens nicht gleichzusetzen. Man denke da nur an
> >die Schwierigkeiten für den Chor in Bethovens "Missa solemnis" - tut das dem
> >Erfahren, Erleben des Stückes für das Publikum Abbruch? Oder ist umgekehrt
> >ein STück wie 4'33 von Cage für das Publikum einfach zu hören, weil es für
> >den Interpretan einfach(st) aufzuführen ist? (Und - BTW: - bei manchem Chor
> >und manchem Stück wären Stimmgabeln auch bei "einfacher" Literatur durchaus
> >angebracht ;-))

Das hab ich alles mal stehenlassen, denn:

> Das Notwendigwerden von Stimmgabeln hängt aber doch - im Gegensatz
> beispielsweise zu den technischen Problemen eines Thalberg in seinen sicher
> musikalisch nicht zum Allerwertvollsten gehörenden Opernparaphrasen - mit der
> vom Gehör allein nicht mehr nachzuproduzierenden Linienführung zusammen.

Ich weiss nicht ganz: Die Linienführung kann für den einzelnen
Choristen nicht nachvollziehbar sein, für das Publikum mag sich doch
ein unmittelbar erfahrbarer Eindruck ergeben. Ich weiss nicht, an
welche Stücke Du dachtest, aber ich dachte etwa an Berios "Coro". Da
kann man einfach nicht sagen: Das Stück ist schwer für die
Ausführenden, deshalb kann es das Publikum auch nicht verstehen. Dass
das Stück für das Publikum auch nicht leicht ist, steht auf einem
anderen Blatt.....

Beste Grüsse

Claus


Martin Mueller

unread,
Aug 31, 2000, 6:55:27 PM8/31/00
to
Im Artikel <MPG.14142a83f...@news.ndh.net>, Peter Brixius
<Peter....@Koeln.Netsurf.de> schreibt:(u.a.)

Hallo Peter,

auf Deinen Beitrag vom 28.8. möchte ich - weil es mal wieder spät ist - nur
kurz eingehen.

>> Diese "Verkürzung", und zwar des Bildungskanons ganz allgemein, findet
>> spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert fortschreitend statt.
>
>Das kann man nicht so sagen. Zunaechst ist der Umfang des Bildungskanons
>kontinuierlich gestiegen und hat sich gleichzeitig verlagert. Waehrend im
>19. Jahrhundert die Kenntnis der Antike noch zentrale Bildungsgut war,
>wurde das im 20. Jahrhundert nicht mehr so gesehen. Die Explosion des
>Wissens im Bereich der Naturwissenschaft musste ihren Platz auch im
>Bildungskanon finden.

Natürlich! Nur tragen naturwissenschaftliche Kenntnisse kaum etwas zum
Kunstverständnis bei. Schwanitz rechnet sie nicht einmal der Allgemeinbildung
zu, und die hatte ich mit meiner Äußerung im Sinn.
...

>Dass sich die jetzigen Abiturientenjahrgaenge nur noch einem passiven
>Konsumentendasein in den Niederungen von RTL und SAT1 widmen, bezweifele
>ich mit Nachdruck. die mir bekannten (selbstverstaendlich nicht
>repraesentativen) beteiligen sich in Theater-AGs, gehen in Violin- und
>Klavierunterricht ...

Da habe ich mich sicher etwas überspitzt ausgedrückt. Aber - Dein
Bekanntenkreis in Ehren, ich kenne andere Leute! - der Trend scheint mir schon
in diese Richtung zu gehen.

>Doch, er kann es, wenn er sich darum bemueht. Ich habe vor einigen Jahren
>angefangen, Freunde am Wochenende bei mir einzuladen, wo wir uns
>Einsichten in ein Werk erarbeiten, da wir umgezogen sind, wurde der
>Anfahrtsweg betraechtlich, aber es sind weitere Freunde dazu gekommen, so
>dass es jetzt mehrere Gruppen sind, die sich bei mir an unterschiedlichen
>Wochenenden treffen. Der Bildungsstand ist hoechst unterschiedlich (eine
>erste Gruppe kam aus meinem Schachverein), aber etwa das Treffen, bei dem
>wir uns in Bergs Violinkonzert hereinhoerten, war fuer alle
>unvergesslich (und hat den Beteiligten den Mut vermittelt, sich weiter
>mit Werken dieser Wiener Schule zu beschaeftigen). Es ist nicht so
>wichtig, wieviel man hoert (oder liest), sondern dass man lernt, wie man
>hoert (oder liest). Ich habe von einigen NGlern lesen duerfen, dass sie
>Aehnliches unternehmen - und das ist eben doch das Wichtigste: die eigene
>Liebe zur Musik weiterzugeben. Ich weiss also, was ich sage, wenn ich
>sage: Der Klassikhoerer kann das leisten, er muss das leisten, wenn er
>aus der klassischen Musik nicht ein Surrogat machen will.

Die Forderung an den Klassikhörer, sich um geistige Durchdringung bemühen zu
MÜSSEN, ja, überhaupt irgend etwas zu müssen, geht mir - ich weiß, ich
wiederhole mich - zu weit. Aus unserer Sicht mögen wir ihn bedauern, weil wir
abschätzen können, was ihm entgeht. Er verzichtet eben auf etwas, was uns lieb
und wert ist. Aber dazu hat er ein Recht, und wir haben nicht das Recht ihn
zurechtzuweisen. Wenn es jemanden glücklich macht, zu Mozarts
Klarinettenkonzert bei Kerzenlicht mit der Seele zu baumeln und zu träumen,
dann sollte er das tun dürfen. Auch die apodiktische Belehrung, das sei "kein
richtiges, echtes Glück", halte ich für anmaßend. Glück sollte doch wohl jeder
für sich selbst definieren dürfen.

>Aber Du verstehst Doch nun meine Skepsis: Wie
>kann man aeltere Musik hoeren und lieben, wenn man nichts von der Zeit
>weiss, in der sie entstanden ist?

Darüber könnte man natürlich stundenlang diskutieren. Solange die Begriffe
"hören" und "lieben" nicht klar definiert sind, hat das aber wenig Sinn. Klar
ist dabei "hören" im Sinne von "zuhören" gemeint, beinhaltet also mehr als pure
physiologische Wahrnehmung. Aber bereits das Erkennen von Anfang und Ende einer
musikalischen Phrase hat mit "zuhören" zu tun. Jeder, der dazu in der Lage ist,
kann im Prinzip die "Feuerwerksmusik" hören. Er braucht dazu nicht zu wissen,
dass es sich um Barockmusik handelt, er braucht auch nichts über den
Österreichischen Erbfolgekrieg zu wissen, Satzbezeichnungen wie Bourrée oder
Siciliano dürfen Fremdwörter für ihn sein, und Ouvertüre darf er mit Ofentüre
verwechseln. Solange ihn der bloße Klang der Musik freut, soll er sich freuen
dürfen. Und wenn er mehr wissen will, na prima! Aber das muss er dann wirklich
von sich aus wollen. Und solange ihm ständig ein paar Intellektuelle einreden,
was für ein Armleuchter er sei, wird er das nie wollen.
...



>Und wuerdest Du das fuer Ives und Cage (auch Amerikaner) auch so sagen?

Nein. Es war falsch, allgemein von "dem Amerikanern" zu sprechen; ich hätte
mich präziser ausdrücken müssen.
...

>(Wie
>> war das in der Bibel mit den anvertrauten Talenten? Wer wenig anvertraut
>bekam,
>> von dem wurde auch weniger gefordert!)
>>
>Ich fuerchte, da steht es mit Deiner Bibelkenntnis nicht zum Besten,

Irrtum meinerseits! Die Stelle, die ich meinte ("Jedem aber, dem viel gegeben
ist - viel wird von ihm verlangt werden; und wem man viel anvertraut hat, von
dem wird man desto mehr fordern") - und ich war außerdem der Meinung, der
Umkehrschluss sei auch ausformuliert - steht in Lukas 12 / 48 und hängt nicht
mit dem Gleichnis von den anvertrauten Talenten zusammen.

> Die Verteidigung der
>Naivitaet in unserer Zeit finde ich putzig.

Diese Formulierung, lieber Peter, halte ich für reichlich überheblich! "Putzig"
wäre so ziemlich das letzte Attribut, das ich damit in Verbindung brächte.
(Und eigentlich entzieht eine derart herabwürdigende Äußerung jeder weiteren
Diskussion die Grundlage und mir den Wunsch, sie zu führen.)

Beste Grüße
Martin

Peter Brixius

unread,
Sep 1, 2000, 9:13:48 AM9/1/00
to
Hallo Martin,

um mit dem Ende anzufangen:

In article <20000831185527...@nso-fj.aol.com>,
mmk...@aol.com says...

> > Die Verteidigung der
> >Naivitaet in unserer Zeit finde ich putzig.
>
> Diese Formulierung, lieber Peter, halte ich für reichlich überheblich! "Putzig"
> wäre so ziemlich das letzte Attribut, das ich damit in Verbindung brächte.
> (Und eigentlich entzieht eine derart herabwürdigende Äußerung jeder weiteren
> Diskussion die Grundlage und mir den Wunsch, sie zu führen.)

Ueberheblich findest Du diese Formulierung, ja herabwuerdigend und ein
guter Vorwand sich aus der Diskussion zu entfernen. Empfindlichkeiten
sollten eigentlich keine Rolle spielen, wenn es um die Sache geht, aber
wenn es um die Sache schlecht steht, dann kann man sie wohl schon einmal
herauskramen. Statt "putzig" (mein Duden bietet mir da "drollig, niedlich
bzw. seltsam, komisch) haette ich staerkere Woerter gebrauchen koennen,
will aber anhand der Duden-Definition das gebrauchte rechtfertigen:

Unter "naiv" duerfen wir doch einvernehmlich eine vorkritische Haltung
verstehen (derselbe Duden - uebrigens das Bedeutungswoerterbuch - sagt
mir dazu: "kindlich unbefangen, einfaeltig" bzw. "wenig Erfahrung
besitzend und dadurch oft laecherlich wirkend" - *das* habe jetzt nicht
ich zu verantworten). Wenn man nach ueber 200 Jahre Obsiegen des
kritischen Denkens wieder auf Naivitaet setzt, so ist das doch wirklich
seltsam.

Immerhin hat Kant sich gegen die Bestimmung des Schoenen durch das nur
subjektiv bestimmbare Angenehme (etwa bei du Bos, Shaftesbury, Hutcheson,
Burke und v.a. Hume) gewandt. Er hat ebenso diese Haltung wie die der
rationalistischen (klassizistischen) Aesthetik kritisiert, die noch auf
das Handwerkliche setzte, also meinte, dass es zur Erzeugung von
Schoenheit genuege, bestimmte, genau benennbare Regeln zu befolgen (s.
Hauskeller. Was ist Kunst. Positionen der Aesthetik von Plato bis Danto,
Muenchen, 2. Aufl. 1998, S. 33ff). Kant "zufolge liess sich die
Schoenheit weder an irgendwelchen Bestimmungen festmachen und begrifflich
fassen, noch konnte etwas schon deshalb als schoen gelten, weil es
irgendjemandem oder auch allen Lust bereitete". (S. 34)Was uns als "gut"
gefaellt, muss begrifflich bestimmt sein, weil wir es sonst nicht
beurteilen koennen, "Nicht gut, sondern /angenehm/ nennen wir hingegen,
was ohne jede Vermittlung der Vernunft bloss den Sinnen in der Empfindung
gefaellt." (S. 33) Entscheidend ist, dass der Gegenstand des Schoenen den
Eindruck von Gesetz- und Zweckmaessigkeit vermittelt. Da der Kuenstler,
das Genie, sich die eigenen Regeln schafft, ist zur Erkenntnis des
Kunstwerks die Erkenntnis des Regelhaften notwendig.

Schiller hat (etwa in seinem Aufsatz "Ueber das Naive und das
Sentimentalische" und in "Ueber die aesthetische Erziehung des Menschen
in einer Reihe von Briefen") diese Begrifflichkeit noch geschaerft. Er
unterscheidet zwischen dem Stofftrieb (der sinnlichen Erfahrung)und dem
Formtrieb, dem es um die Einheit der Gestalt geht (Hauskeller, S. 41). In
der Kunst sieht er ein ideales Verhaeltnis zwischen Stoff- und Formtrieb,
zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. Vermittelt werden Sinnlichkeit und
Vernunft im Kunstwerk ueber das Spiel ("Er ist nur da ganz Mensch, wo er
spielt"), Das spielerische Verhaeltnis ist die Eigentuemlichkeit des
aesthetischen Zustandes.

Mozart hat Kant wohl gekannt, zumindest sind seine Gedanken in Wien
Allgemeingut der Kreise, in denen er verkehrt. Nun ja, und das fand ich
eben komisch, dass ausgerechnet Mozart, der nach Ansicht seiner
Zeitgenossen viel zu kuenstlich komponiert (deshalb zieht man ja Kozeluch
vor), von dem in Cramers "Magazin der Musik" gemeint wird: "nur Schade,
dass er sich in seinem kuenstlichen und wirklich schoenen Satz um ein
neuer Schoepfer zu werden, zu hoch versteigt, wobei freylich Empfindung
und Herz wenig gewinnen" - dass als eben dieser Mozart als Statthalter
des naiven Kunsterlebnisses herhalten soll - das eben meinte ich mit
Missverstaendnis.

Also, seltsam und komisch ist das, wenn ein naives Kunstverstaendnis
einer Zeit und Kunst gefordert oder verteidigt wird, wenn diese Zeit und
Kunst selbst gegen ein naives Kunstverstaendnis votierte. So kann es
nicht das Denotat von "putzig" gewesen sein, dass Dich veraergerte,
sondern ein Konnotat, fuer das ich mich nicht verantwortlich fuehle. Aber
selbstverstaendlich ziehe ich den eher freundlich gemeinten Ausdruck
gerne zurueck und ersetze ihn durch "mE aussserordenlich seltsam".

Was es mit Deiner Wortwahl auf sich hat, etwa mit dem "ueberheblich",
ueberlasse ich Deiner eigenen Selbstschau. Mich hindern solche
unangemessenen Formulieren jedoch nicht, angemessen und sachlich zu
reagieren und mir weiterhin die groesste Muehe zu geben, Deinen
Standpunkt zu verstehen und aus meiner Sicht darauf zu antworten.


>
> Da habe ich mich sicher etwas überspitzt ausgedrückt. Aber - Dein
> Bekanntenkreis in Ehren, ich kenne andere Leute! - der Trend scheint mir schon
> in diese Richtung zu gehen.
>

Du darfst Dich auch weiterhin ueberspitzt ausdruecken, ohne dass ich
anfange Dich zu siezen, ich kann auch Deine Art des Humors wohlwollend
zur Kenntnis nehmen.

Du kennst Leute, ich kenne Leute - das ist eben der Nachteil von
Urteilen, die man nicht auf einer gesicherten sozialwissenschaftlichen
Erhebung gefunden hat, wenn es um gesellschaftliche Tendenzen geht. Aber
allgemein sind die Musikschulen eher ueberfuellt, als dass sie versuchen,
neue Klientel zu gewinnen. Dass auf diese Art und Weise allerdings die
sozial und bildungsmaessig benachteilten Schichten mehr oder weniger
ausgeschlossen werden, ist die Kehrseite der Medaille. Ich will die
Misere der Bildungspolitik wahrlich nicht beschoenigen, erst recht nicht
der musischen Erziehung, gerade auch wenn man es mit anderen Laendern
vergleicht. Aber es ist genug Substanz vorhanden, man foerdert sie eben
nicht, wenn man von ihr nichts fordert.



>
> Die Forderung an den Klassikhörer, sich um geistige Durchdringung bemühen zu
> MÜSSEN, ja, überhaupt irgend etwas zu müssen, geht mir - ich weiß, ich
> wiederhole mich - zu weit. Aus unserer Sicht mögen wir ihn bedauern, weil wir
> abschätzen können, was ihm entgeht. Er verzichtet eben auf etwas, was uns lieb
> und wert ist. Aber dazu hat er ein Recht, und wir haben nicht das Recht ihn
> zurechtzuweisen. Wenn es jemanden glücklich macht, zu Mozarts
> Klarinettenkonzert bei Kerzenlicht mit der Seele zu baumeln und zu träumen,
> dann sollte er das tun dürfen. Auch die apodiktische Belehrung, das sei "kein
> richtiges, echtes Glück", halte ich für anmaßend. Glück sollte doch wohl jeder
> für sich selbst definieren dürfen.
>

Jetzt bin ich auch noch "anmassend", soll das jetzt alles Vergeltung fuer
ein missverstandenes "putzig" sein? Und dass ich apodiktisch belehre,
nehme ich auch zur Kenntnis. Ein Wunder, wie lang meine Postings bei
aller Apodiktik werden ...

Um mal aus der Polemik das Kommunikable herauszufischen. Wie ich an den
Leser Forderungen stelle, bzw. diese Forderungen sich von selbst stellen,
wenn er sich mit Literatur beschaeftigt, so stellt auch ein musikalisches
Kunstwerk Forderungen an den Hoerer. Jeder kann diesen Forderungen folgen
oder sie missachten, selbstverstaendlich. Aber wenn ich noch nicht einmal
in einer Klassik-NG diese Forderungen *interessierten* Musikfreunden
nennen darf, dann ist es doch etwas seltsam bestellt mit der
Ernsthaftigkeit, mit der man sich mit klassischer Musik beschaeftigt. Ich
denke auch nicht daran jemanden zurechtzuweisen. Aber ich halte es fuer
unangemessen zu sagen: "Goennen wir ihm doch sein kleines Glueck, fuer
ein grosses ist er eben nicht geschaffen." Wie man eine solche Haltung
bezeichnen kann, ueberlasse ich Deiner Sprachempfindlichkeit.

Mozart schreibt eine hochkuenstliche Musik, sie ist fur den Kenner
geschrieben, freuen wir uns, wenn sie ein Massenpublikum erreicht. Aber
das heisst doch nicht, sich den Hoergewohnheiten eines Massenpublikums
anzupassen.

Ich habe uebrigens schon in meinem Studium weidlich mit meinen
Kommilitoninnen und Kommilitonen ueber dieses Beispiel gestritten: Dieses
herzige Tete-a-tete bei Rotwein, feinem Essen und Mozart. Ich habe es
schon damals fuer einen Missbrauch Mozarts gehalten, eben einen
unangemessenen Umgang. Mozart als Geschmacksausloeser und erotischen
Assistenten (fuer die Hardcore-Fans gab es dann wohl irgendwann Ravels
Bolero). Deshalb sind die Leute fuer mich keine Barbaren, es sind eben
keine Klassikfreunde, was nicht ausschliesst, dass sie die freundlichsten
und intelligentesten Menschen meiner Bekanntschaft sind.

>
> Darüber könnte man natürlich stundenlang diskutieren. Solange die Begriffe
> "hören" und "lieben" nicht klar definiert sind, hat das aber wenig Sinn.

Bei einer weiteren Diskussion ohne die hier gezeigte Empfindlichkeit
werde ich mich gerne auch darum bemuehen, sowohl das Hoeren wie die
Kunstliebe enger zu fassen.

> Klar
> ist dabei "hören" im Sinne von "zuhören" gemeint, beinhaltet also mehr als pure
> physiologische Wahrnehmung. Aber bereits das Erkennen von Anfang und Ende einer
> musikalischen Phrase hat mit "zuhören" zu tun. Jeder, der dazu in der Lage ist,
> kann im Prinzip die "Feuerwerksmusik" hören. Er braucht dazu nicht zu wissen,
> dass es sich um Barockmusik handelt, er braucht auch nichts über den
> Österreichischen Erbfolgekrieg zu wissen, Satzbezeichnungen wie Bourrée oder
> Siciliano dürfen Fremdwörter für ihn sein, und Ouvertüre darf er mit Ofentüre
> verwechseln. Solange ihn der bloße Klang der Musik freut, soll er sich freuen
> dürfen. Und wenn er mehr wissen will, na prima! Aber das muss er dann wirklich
> von sich aus wollen. Und solange ihm ständig ein paar Intellektuelle einreden,
> was für ein Armleuchter er sei, wird er das nie wollen.
> ...

Geht es jetzt gegen die Intellektuellen im Sinne einer gesunden
Naivitaet? Mit Geistfeindlichkeit habe ich nun wirklich wenig am Hut.
Zunaechst habe ich auf die Frage geantwortet und da auch weitergefragt,
wie man Mozart hoeren sollte, wenn man ein weitergehendes Interesse an
Mozart hat. Ich werde nun immer wieder mit Beispielen bombardiert, bei
denen es um Dritte geht. Ich habe fuer mich selbst gesprochen und habe
nur durch Gegenbeispiele mE unzulaessige Verallgemeinerungen angegangen.
Mir wuerde es nicht im Traume einfallen, jemanden mit "Armleuchter" zu
titulieren, da habe ich auch mein sprachliches Feingefuehl. Erst recht
denke ich nicht daran, jemanden zu beschimpfen, der etwas anderes meint,
als ich es tue. Ich bin ein Intellektueller, das gebe ich gerne zu, es
hat mich harte Arbeit gekostet, den Wissensstand zu erreichen, den ich
heute habe, und ich arbeite hart daran, ihn zu erweitern. Ich bin aber
gerne bereit, ihn zu teilen, jedem zu helfen, dem ich helfen kann.
Deshalb mir zu unterstellen, dass ich andere fuer geistig minderbemittelt
halte oder gar als "Armleuchter" ist schon starker Toback.

Warum ploetzlich ein solcher Hassausbruch jemanden gegenueber, der sich
umfaenglich bemuehte, seinen Standpunkt offenzulegen und zu
argumentieren? Ich kann es eigentlich nur so verstehen:

Das Eingestaendnis, dass man sich um Mozart bemuehen muss wie um jeden
anderen Komponisten, eben auch um moderne, legt Aengste offen, die nur
noch mit Abwehrreaktionen zu bewaeltigen sind. Das eben ist fuer mich das
Wesen der Kunst: Wenn wir sie ernst nehmen, begegnen wir uns in ihr wie
in einem Spiegel,

"denn da ist keine Stelle, die uns nicht sieht" (Rilke)

Es gruesst Peter

>
> >Und wuerdest Du das fuer Ives und Cage (auch Amerikaner) auch so sagen?
>
> Nein. Es war falsch, allgemein von "dem Amerikanern" zu sprechen; ich hätte
> mich präziser ausdrücken müssen.
> ...
>
> >(Wie
> >> war das in der Bibel mit den anvertrauten Talenten? Wer wenig anvertraut
> >bekam,
> >> von dem wurde auch weniger gefordert!)
> >>
> >Ich fuerchte, da steht es mit Deiner Bibelkenntnis nicht zum Besten,
>
> Irrtum meinerseits! Die Stelle, die ich meinte ("Jedem aber, dem viel gegeben
> ist - viel wird von ihm verlangt werden; und wem man viel anvertraut hat, von
> dem wird man desto mehr fordern") - und ich war außerdem der Meinung, der
> Umkehrschluss sei auch ausformuliert - steht in Lukas 12 / 48 und hängt nicht
> mit dem Gleichnis von den anvertrauten Talenten zusammen.
>
> > Die Verteidigung der
> >Naivitaet in unserer Zeit finde ich putzig.
>
> Diese Formulierung, lieber Peter, halte ich für reichlich überheblich! "Putzig"
> wäre so ziemlich das letzte Attribut, das ich damit in Verbindung brächte.
> (Und eigentlich entzieht eine derart herabwürdigende Äußerung jeder weiteren
> Diskussion die Grundlage und mir den Wunsch, sie zu führen.)
>
> Beste Grüße
> Martin
>
>

--
Wenn ich doch Kanaele in meinem Kopf ziehen koennte, um den
inlaendischen Handel zwischen meinem Gedankenvorrate zu be-
foerdern! Aber da liegen sie zu Hunderten, ohne einander zu nutzen.
(Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Sep 1, 2000, 3:38:24 PM9/1/00
to
Bei meiner Lektuere zur Rezeption Mozart habe ich bei Braunbehrens
einen passenden Text gefunden (Braunbehrens: Mozart. Muenchen, Mainz,
erw. Neuausgabe 1994, S. 85 ff), den ich in Auszuegen in die Debatte
werfen moechte.

Braunbehrens stellt einleitend fest, dass Mozart in diesem "sehr
anschaulichen Bericht" im Weimarer Journal des Luxus und der Moden vom
Juni 1788 gegen seine falschen Bewunderer verteidigt werde. Der Text
handelt wohl von dem Klavierquartett KV 478, zu dem man auch im von
Klueppelholz und Busch herausgegebenen Sammelband zur
Rezeptionsgeschichte "Musik gedeutet und gewertet" (Muenchen, Kassel,
Basel, London, 1983) einen eigenen Abschnitt findet, wo der folgende
Text auch ausfuehrlicher als bei Braunbehrens zitiert wird (S. 39-41)
neben weiteren Texten zur Rezeption der beiden Klavierquartette.

"Es kam vor einiger Zeit von ihm ein einzelnes Quadro (fuer Clavier,
1. Violin, 1. Viola und Violoncell) gestochen heraus, welches sehr
kuenstlich gesetzt ist, im Vortrage die aeusserste Praecision aller
vier Stimmen erfordert, aber auch bey gluecklicher Ausfuehrung doch
nur, wie es scheint, Kenner der Tonkunst in einer Musica di Camera
vergnuegen kann und soll. Der Ruf: 'Mozart hat ein neues gar
besonderes Quadro gesetzt, und die und die Fuerstin oder Graefin
besitzt es und spielt es!' - verbreitete sich bald, reitzte die
Neugier und veranlasste die Unbesonnenheit, diese originelle
Composition in grossen laermenden Concerten zu produciren, und sich
damit, invita Minerva, zum Prunk hoeren zu lassen. Manches andre
Stueck soutenirt sich noch auch bey einem mittelmaessigen Vortrage;
dieses Mozartsche Produkt aber ist wuerklich kaum anzuhoeren, wenn es
unter mittelmaessige Dilettanten-Haende faellt, und vernachlaessigt
vorgetragen wird. [...] So verleidet man wahre Musik Liebhaberey,
macht den gesunden Menschenverstand und gesundes Natur-Gefuehl irre,
und hindert diejenige Geradheit und Gruendlichkeit in Cultur, ohne
welche doch keine Kunst zu haltbarer Hoehe emporsteigt. Welch ein
Unterschied, wenn dieses vielbemeldete Kunstwerk von vier geschickten
Musikern, die es wohl studirt haben, in einem stillen Zimmer, wo auch
die Suspension jeder Note dem lauschenden Ohr nicht entgeht, nur in
Gegenwart von zwey oder drey aufmerksamen Personen, hoechst praecis
vorgetragen wird. Aber freylich ist hierbey an keinen Eclat, an keinen
glaenzenden Mode-Beyfall zu denken, noch conventionelles Lob zu
lucriren."

Busch/Klueppelholz stellen zu dem zitierten Text fest, dass er die
Einsicht dokumentiere, "dass solche Musik nicht laenger Medium der
Selbstdarstellung des Interpreten und zur Unterhaltung des Publikums
ist, sondern zur Szene subtiler musikalischer Kommunikations wird".
(S. 37)

Constanzes zweiter Ehemann, Georg Nikolaus Nissen, schreibt in seiner
Biografie Mozarts (1828): "Das Fremdartige der originellen Werke, die,
aus einem tiefen Innern entsprungen, in eigenthuemlicher Gestalt
auftreten, verbluefft, reizt auch wohl zum Widerspruch, ihren
eigenthuemlichen Sinn fasst man nicht leicht, oder kann sich ihn doch
nicht aneignen, ihre Manier scheint erzwungen [...] (a.a.O, S. 38)

Uebrigens erwaehnt auch Schoenberg in seinem Aufsatz "Brahms der
Fortschrittliche" Mozarts Klavierquartett in folgendem Zusammenhang:

"Der Sinn fuer Logik und Oekonomie und die Erfindungskraft, die
zusammen so natuerlich fliessende Melodien bilden, verdienen die
Bewunderung jedes Musikliebhabers, der von der Musik mehr als Suesse
und Schoenheit erwartet. Aber obwohl ich aus dem Stegreif von einem
Komponisten vor Brahms nur ein einziges Beispiel von solcher
Komplexitaet der Konstruktion kenne - von Mozart natuerlich [...] -
muss ich feststellen, dass die Strukturanalyse sogar noch groessere
Verdienste an den Tag bringt.
Das Beispiel von Mozart ist ein Raetsel - nicht fuer den
Ausfuehrenden, sondern fuer den Analytiker [...]"

(zit. nach Klueppelholz/Busch, S. 48f.)

Martin Mueller

unread,
Sep 2, 2000, 3:28:57 PM9/2/00
to
Im Artikel <MPG.1419c9df8...@news.ndh.net>, Peter Brixius
<Peter....@Koeln.Netsurf.de> schreibt:(u.a.)

Zur Formulierung "putzig":

>Ueberheblich findest Du diese Formulierung, ja herabwuerdigend und ein
>guter Vorwand sich aus der Diskussion zu entfernen. Empfindlichkeiten
>sollten eigentlich keine Rolle spielen, wenn es um die Sache geht, aber
>wenn es um die Sache schlecht steht, dann kann man sie wohl schon einmal
>herauskramen.

Um meine Argumente durch die Formulierung "putzig" herabgewürdigt zu sehen
bedurfte es nicht des "Hervorkramens" von Empfindlichkeiten. Die Synonyme lt.
Duden ("drollig", "niedlich") weisen, wenn man sie auf die Argumentation eines
Diskussionspartners anwendet, in eine ziemlich eindeutige Richtung: die des
Nichternstnehmens.

>Statt "putzig" (mein Duden bietet mir da "drollig, niedlich
>bzw. seltsam, komisch) haette ich staerkere Woerter gebrauchen koennen,
>will aber anhand der Duden-Definition das gebrauchte rechtfertigen:

Jede Formulierung, die Ablehnung ausdrückt, wäre für mich - egal wie hart -
akzeptabel gewesen. Nicht akzeptieren kann ich den mokanten Unterton, den die
von Dir gewählte rüberbringt.(Womit wir bei dem von Dir weiter unten
angesprochenen Konnotat wären.)


>
>Unter "naiv" duerfen wir doch einvernehmlich eine vorkritische Haltung
>verstehen (derselbe Duden - uebrigens das Bedeutungswoerterbuch - sagt
>mir dazu: "kindlich unbefangen, einfaeltig" bzw. "wenig Erfahrung
>besitzend und dadurch oft laecherlich wirkend" - *das* habe jetzt nicht
>ich zu verantworten).

Es fragt sich dann aber immer noch, wessen naive Haltung auf wen lächerlich
wirkt.

>Wenn man nach ueber 200 Jahre Obsiegen des
>kritischen Denkens wieder auf Naivitaet setzt, so ist das doch wirklich
>seltsam.

Zwischen "auf Naivität setzen" und sie bei einem großen Personenkreis lediglich
zu konstatieren und diesen Personenkreis dann, weil er sich seine Haltung ja
nicht frei ausgewählt hat, sondern sie vielmehr das zwangsläufige Resultat
seiner Sozialisation ist, zu verteidigen - zwischen diesen beiden Ansätzen
besteht ein himmelweiter Unterschied.

Du führst nun Kant (" Da der Kuenstler, das Genie, sich die eigenen Regeln


schafft, ist zur Erkenntnis des Kunstwerks die Erkenntnis des Regelhaften

notwendig.") und Schiller ("Stofftrieb (der sinnlichen Erfahrung)und ...


Formtrieb, dem es um die Einheit der Gestalt geht (Hauskeller, S. 41). In der

Kunst sieht er ein ideales Verhaeltnis zwischen Stoff- und Formtrieb...") an.
Der Kantschen Forderung ist natürlich nichts entgegenzusetzen. Im Zusammenhang
mit unserem Thema - Musik für Millionen - ist die Frage doch aber die: In
welchem Ausmaß lässt sich die Erkenntnis des Regelhaften einem breiteren
Publikum vermitteln? Und das ist doch der Knackpunkt unserer Diskussion! Es
geht hier doch weder um Deinen Umgang mit Musik noch um meinen.Und wenn von
Musik für eine breite Schicht die Rede ist, denke ich in erster Linie an meine
Schüler. Ich unterrichte seit fast einem Vierteljahrhundert Musik an der
Realschule. (Fachfremd übrigens.) Deshalb kenne ich die Voraussetzungen, die
Jugendliche mitbringen, bestens. Ebenso die Haltung gegenüber anspruchsvoller
Musik und die Ausdauer der jungen Leute. Ich weiß, dass die Bereitschaft, sich
längerfristig an eine Thematik zu binden, rapide abnimmt. (Das sehe ich nicht
zuletzt an den von Jahr zu Jahr größer werdenden Schwierigkeiten, Schüler für
meine Theater-AG, die bereit sind, sich für ein ganzes Schuljahr zur
regelmäßigen Probenarbeit zu verpflichten.Die meisten Schulen im Umkreis haben
längst keine Theater-AG mehr, und darum, dass ich immer noch jedes Jahr ein
abendfüllendes Stück auf die Bühne bringe, werde ich allenthalben beneidet.)
Und ich habe die Entwicklung der Lehrbücher über 25 Jahre miterlebt. (Im Moment
sind wir an einem Punkt angekommen, wo Lehrbuchverlage ihre neuen Musikbücher
u.a. mit dem Argument, sie verzichteten auf jegliche Wertung, anpreisen. Da
steht also dann "Cats" gleich"wertig" neben der "Zauberflöte". Man hat offenbar
kapituliert, man hat schwer vermittelbare Essentials gestrichen, man biedert
sich an!) Ich besuche mit meinen Schülern, wann immer es geht, Jugendkonzerte
und bereite sie vor - und erreiche von Jahr zu Jahr weniger Schüler. Unser
Schulchor, den ich Gott sei Dank nicht zu verantworten habe, tritt mit
Karaoke-Darbietungen aus dem "Starlight Express" auf. Und auch die erwachsene
"Basis" lerne ich regelmäßig auf Elternabenden kennen. Da sieht´s nicht viel
besser aus.(Nur ein kleines "Highlight": Als ich vor Jahren auf einem
Elternabend für einen Besuch der "Zauberflöte" warb, kriegte ich von einer
Mutter zu hören, in "so einen Scheiß" lasse sie ihr Kind nicht mit.)
SO sieht die Realität, mit der ich täglich umgehe, aus! (Mag sein, dass es in
anderen Bundesländern besser aussieht. Unsere neue Schulleiterin, die vor einem
Jahr von Bonn nach Baden Württemberg kam, meint jedenfalls, in NRW hätten die
Schüler einen "besseren kulturellen Background", was immer sie darunter
versteht.
-Vielleicht verstehst Du jetzt, warum mir Deine Anforderungen an den Musikhörer
wie von einem anderen Stern vorkommen.

>Also, seltsam und komisch ist das, wenn ein naives Kunstverstaendnis
>einer Zeit und Kunst gefordert oder verteidigt wird, wenn diese Zeit und
>Kunst selbst gegen ein naives Kunstverstaendnis votierte.

Ich habe kein naives Kunstverständnis gefordert. Ich sehe nur der (oben
geschilderten) Realität ins Auge und beginne auf Grund langjähriger Erfahrungen
Verständnis für einen unreflektierten Umgang mit Musik zu entwickeln. Du darfst
mir glauben, dass ich im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten (siehe oben)
engagiert für mehr musikalisches Wissen kämpfe. Ich bin gewohnt, kleine
Brötchen zu backen. Und das ist immer noch besser als gar keine.
Zu der Erkenntnis, dass die Vermittlung musikalischen Wissens nur in kleinen
Dosen und auf bescheidenem Niveau möglich ist, sind übrigens größere Geister
als ich auch schon vorgedrungen. Wie anders wäre sonst die wöchentliche Kolumne
Joachim Kaisers in der BUNTEN zu erklären? Der Mann, der immerhin "Beethovens
32 Klaviersonaten und ihre Interpreten" geschrieben hat, bemüht sich hier, sein
Leserpublikum da abzuholen, wo es steht, nämlich ganz am Anfang jeglicher
musikalischer Bildung. Man mag es fragwürdig finden, wenn in dieser Serie ganze
Opern auf einer Seite abgehandelt werden, und das ausgerechnet in einem
Klatschblatt wie der BUNTEN. Ich finde trotzdem, dass Kaiser auf dem richtigen
Weg ist. Er setzt sich dafür ein, einen großen Personenkreis nicht kampflos
einem Andrew Lloyd Webber und Konsorten zu überlassen. Seine Beiträge sind ganz
kleine Feuerwerke musikalischen Geistes, die vielleicht doch da und dort für
eine Initialzündung sorgen.
...


>Was es mit Deiner Wortwahl auf sich hat, etwa mit dem "ueberheblich",
>ueberlasse ich Deiner eigenen Selbstschau. Mich hindern solche
>unangemessenen Formulieren jedoch nicht, angemessen und sachlich zu
>reagieren und mir weiterhin die groesste Muehe zu geben, Deinen
>Standpunkt zu verstehen und aus meiner Sicht darauf zu antworten.

Du hast mir Empfindlichkeit bescheinigt. Hier pflegst Du offenbar die Deine.

>Du darfst Dich auch weiterhin ueberspitzt ausdruecken, ohne dass ich
>anfange Dich zu siezen, ich kann auch Deine Art des Humors wohlwollend
>zur Kenntnis nehmen.

Wo war denn von Humor die Rede? Ich glaube, keinen Blackout zu haben, wenn ich
mich nicht daran erinnern kann.


>
>Du kennst Leute, ich kenne Leute - das ist eben der Nachteil von
>Urteilen, die man nicht auf einer gesicherten sozialwissenschaftlichen
>Erhebung gefunden hat, wenn es um gesellschaftliche Tendenzen geht.

Nach 25 Jahren Arbeit an der Basis traue ich mir gewisse Feststellungen auch
ohne die Absicherung durch sozialwissenschaftliche Erhebungen zu.
...

>Jetzt bin ich auch noch "anmassend", soll das jetzt alles Vergeltung fuer
>ein missverstandenes "putzig" sein? Und dass ich apodiktisch belehre,
>nehme ich auch zur Kenntnis. Ein Wunder, wie lang meine Postings bei
>aller Apodiktik werden ...

Wer wird denn gleich in Kategorien wie "Vergeltung" denken!? Abgesehen davon
legte die Formulierung, in der die Vokabeln "anmaßen" und "apodiktisch" fielen,
nicht notwendig einen Zusammenhang mit Deiner Person nahe.

>Um mal aus der Polemik das Kommunikable herauszufischen. Wie ich an den
>Leser Forderungen stelle, bzw. diese Forderungen sich von selbst stellen,
>wenn er sich mit Literatur beschaeftigt, so stellt auch ein musikalisches
>Kunstwerk Forderungen an den Hoerer. Jeder kann diesen Forderungen folgen
>oder sie missachten, selbstverstaendlich. Aber wenn ich noch nicht einmal
>in einer Klassik-NG diese Forderungen *interessierten* Musikfreunden
>nennen darf, dann ist es doch etwas seltsam bestellt mit der
>Ernsthaftigkeit, mit der man sich mit klassischer Musik beschaeftigt.

Es ging aber nicht um die interessierten Musikfreunde dieser NG, sondern um die
im Titel des Threads angesprochenen Millionen! Haben wir tatsächlich so
aneinender vorbei geschrieben, dass ein derartiges Missverständnis entstehen
konnte?
...


>Mozart schreibt eine hochkuenstliche Musik, sie ist fur den Kenner
>geschrieben, freuen wir uns, wenn sie ein Massenpublikum erreicht. Aber
>das heisst doch nicht, sich den Hoergewohnheiten eines Massenpublikums
>anzupassen.

Ich habe nie der Anpassung an die Hörgewohnheiten eines Massenpublikums das
Wort geredet. Ich habe lediglich versucht, sie, die Hörgewohnheiten, zu
verstehen

>Ich habe uebrigens schon in meinem Studium weidlich mit meinen
>Kommilitoninnen und Kommilitonen ueber dieses Beispiel gestritten: Dieses
>herzige Tete-a-tete bei Rotwein, feinem Essen und Mozart. Ich habe es
>schon damals fuer einen Missbrauch Mozarts gehalten, eben einen
>unangemessenen Umgang. Mozart als Geschmacksausloeser und erotischen
>Assistenten (fuer die Hardcore-Fans gab es dann wohl irgendwann Ravels
>Bolero). Deshalb sind die Leute fuer mich keine Barbaren, es sind eben
>keine Klassikfreunde, was nicht ausschliesst, dass sie die freundlichsten
>und intelligentesten Menschen meiner Bekanntschaft sind.

Mozarts Musik wird diesen unangemessenen Umgang mit ihr überleben. Sie hat
schon Schlimmeres überlebt.

>> Darüber könnte man natürlich stundenlang diskutieren. Solange die Begriffe
>> "hören" und "lieben" nicht klar definiert sind, hat das aber wenig Sinn.
>
>Bei einer weiteren Diskussion ohne die hier gezeigte Empfindlichkeit
>werde ich mich gerne auch darum bemuehen, sowohl das Hoeren wie die
>Kunstliebe enger zu fassen.

Das müsste dann aber außehalb der Thematik "Musik für Millionen" geschehen!
Denn hier kann es nicht um die Formulierung von Idealen gehen, hier geht es
eher um den Ist-Zustand weiter Teile der Bevölkerung. (Mein Protest gegen das
Attribut "putzig" scheint Dich doch arg zu beschäftigen. Du kommst immer
wieder darauf zurück.)


...
>Geht es jetzt gegen die Intellektuellen im Sinne einer gesunden
>Naivitaet? Mit Geistfeindlichkeit habe ich nun wirklich wenig am Hut.

Ich auch nicht. Aber die Gesellschaft ist zu einem recht großen Teil
"geistfeindlich". Mir geht es darum, damit angemessen umgehen zu können. Darin
besteht nämlich ein Großteil meiner täglichen Arbeit.


>Zunaechst habe ich auf die Frage geantwortet und da auch weitergefragt,
>wie man Mozart hoeren sollte, wenn man ein weitergehendes Interesse an
>Mozart hat. Ich werde nun immer wieder mit Beispielen bombardiert, bei
>denen es um Dritte geht.

In dem ganzen Thread geht es um Dritte, um die besagten Millionen eben.

>Ich habe fuer mich selbst gesprochen und habe
>nur durch Gegenbeispiele mE unzulaessige Verallgemeinerungen angegangen.
>Mir wuerde es nicht im Traume einfallen, jemanden mit "Armleuchter" zu
>titulieren, da habe ich auch mein sprachliches Feingefuehl. Erst recht
>denke ich nicht daran, jemanden zu beschimpfen, der etwas anderes meint,
>als ich es tue. Ich bin ein Intellektueller, das gebe ich gerne zu, es
>hat mich harte Arbeit gekostet, den Wissensstand zu erreichen, den ich
>heute habe, und ich arbeite hart daran, ihn zu erweitern. Ich bin aber
>gerne bereit, ihn zu teilen, jedem zu helfen, dem ich helfen kann.
>Deshalb mir zu unterstellen, dass ich andere fuer geistig minderbemittelt
>halte oder gar als "Armleuchter" ist schon starker Toback.

Also, langsam weiß ich nicht mehr, wer hier der Empfindlichere von uns beiden
ist! Bei meiner Formulierung dachte ich an Intellektuelle, wie ich sie eben
auch kenne. Von Dir war doch dabei gar keine Rede! Ich beklage mich doch auch
nicht, wenn man das Verhalten einiger deutscher Touristen im Ausland zu Recht
kritisiert, nur weil ich auch Deutscher bin!

>Warum ploetzlich ein solcher Hassausbruch jemanden gegenueber, der sich
>umfaenglich bemuehte, seinen Standpunkt offenzulegen und zu
>argumentieren?

Hassausbruch??? Reden wir überhaupt noch vom selben Posting?

> Ich kann es eigentlich nur so verstehen:
>
>Das Eingestaendnis, dass man sich um Mozart bemuehen muss wie um jeden
>anderen Komponisten, eben auch um moderne, legt Aengste offen, die nur
>noch mit Abwehrreaktionen zu bewaeltigen sind.

Das halte ich für eine ziemlich gewagte Interpretation meiner Äußerungen. Zumal
ich mir nicht "eingestehen" muss, dass ich mich um Mozart und andere
Komponisten bemühen muss. Das weiß ich nämlich, und ich handle auch danach.
(Wobei ich Schwerpunkte setze. Für alle reicht die Zeit sowieso nicht.) Ob
"man" das muss, möchte ich weiterhin in Frage stellen.

Viele Grüße von der pädagogischen Basis

Martin

Peter Brixius

unread,
Sep 2, 2000, 4:49:40 PM9/2/00
to
Lieber Herr Lehrer,

um das schnell und eindeutig zu klaeren, zitiere ich noch einmal den
Kontext:

> Und das werden im Laufe der
> Zeit keinesfalls mehr, eher im Gegenteil. Dem ganz einfachen, ungebildeten
> Hörer muss es aber gestattet sein, Mozart "nur" schön zu finden. Er darf das

> Recht für sich in Anspruch nehmen, Musik naiv auf sich wirken zu lassen. (Wie


> war das in der Bibel mit den anvertrauten Talenten? Wer wenig anvertraut bekam,
> von dem wurde auch weniger gefordert!)
>

Ich fuerchte, da steht es mit Deiner Bibelkenntnis nicht zum Besten, es
ging nicht um die Zahl der Talente, sondern wie man mit den Talenten
wucherte (ganz im Sinne meiner Argumentation). Die Verteidigung der
Naivitaet in unserer Zeit finde ich putzig. Ob man Mozart ueberhaupt
"naiv" hoeren kann, sei mal dahin gestellt, es braucht sicherlich einer
Intitialzuendung, da bin ich Deiner Meinung. Nur wenn man dabei stehen
bleibt, dann verliert man auch schnell wieder die Lust daran.


In article <20000902152857...@nso-bd.aol.com>,
mmk...@aol.com says...


>
> Um meine Argumente durch die Formulierung "putzig" herabgewürdigt zu sehen
> bedurfte es nicht des "Hervorkramens" von Empfindlichkeiten. Die Synonyme lt.
> Duden ("drollig", "niedlich") weisen, wenn man sie auf die Argumentation eines
> Diskussionspartners anwendet, in eine ziemlich eindeutige Richtung: die des
> Nichternstnehmens.
>

Welches Argument wurde denn da herabgewuerdigt? "Und das werden im Laufe
der Zeit keinesfalls mehr, eher im Gegenteil." Ist das ein Argument oder
eine Beahuptung? Oder: "Dem ganz einfachen, ungebildeten Hörer muss es
aber gestattet sein, Mozart "nur" schön zu finden." Ist das nun ein
Argument oder ein Postulat? Oder: "Er darf das Recht für sich in Anspruch
nehmen, Musik naiv auf sich wirken zu lassen." Ist das nun ein Argument -
oder nicht noch wieder ein Postulat? Oder etwa der Eintrag in der
Klammer: "(Wie war das in der Bibel mit den anvertrauten Talenten? Wer
wenig anvertraut bekam, von dem wurde auch weniger gefordert!)" War das
nun das Argument - oder nur ein falscher Bibelbezug? Ich habe nichts
dagegen, wenn mich jemand, ob Paedagoge oder nicht, wegen etwas tadelt,
was ich falsch gesehen oder dargestellt habe, aber doch erheblich etwas
dagegen, wenn mir etwas unterstellt wird, woran ich nicht im Traum
gedacht habe.

>
> Jede Formulierung, die Ablehnung ausdrückt, wäre für mich - egal wie hart -
> akzeptabel gewesen. Nicht akzeptieren kann ich den mokanten Unterton, den die
> von Dir gewählte rüberbringt.(Womit wir bei dem von Dir weiter unten
> angesprochenen Konnotat wären.)

Was habe ich denn hier ironisch abgelehnt: doch den Hoerer, der meint,
voraussetzungslos hoeren zu koennen, das geht doch einfach nach den
Erkenntnissen der Psychologie nicht - und der Aesthetik eben auch nicht.
Das ist dann eben auch der Punkt, der mich interessiert und auf den ich
gerne noch eingehen werde.

> >
> >Unter "naiv" duerfen wir doch einvernehmlich eine vorkritische Haltung
> >verstehen (derselbe Duden - uebrigens das Bedeutungswoerterbuch - sagt
> >mir dazu: "kindlich unbefangen, einfaeltig" bzw. "wenig Erfahrung
> >besitzend und dadurch oft laecherlich wirkend" - *das* habe jetzt nicht
> >ich zu verantworten).
>
> Es fragt sich dann aber immer noch, wessen naive Haltung auf wen lächerlich
> wirkt.

Du hast fuer Dich in Anspruch genommen, dass Du diese naive Haltung
selbst nicht hast, sondern dass Du nur diese Haltung bei anderen
verteidigen willst. Oben beschwerst Du Dich, dass ich Deine Argumente
herabgewuerdigt haette, nun dass ich die naive Haltung von jemandenden
laecherlich gefunden habe - was gilt denn nun?

Ich halte die Verteidigung der Naivitaet in Bezug auf ein Kunstwerk fuer
nicht haltbar, das ist meine Meinung, so habe ich sie geaeussert. Das
kann ich an einem konkreten Beispiel gerne auch naeher begruenden - und
gerne an meiner eigenen Rezeption der Finta giardiniera Nr. 3 unter dem
entsprechenden Thread, denn da passt es gerade.

>
> >Wenn man nach ueber 200 Jahre Obsiegen des
> >kritischen Denkens wieder auf Naivitaet setzt, so ist das doch wirklich
> >seltsam.
>
> Zwischen "auf Naivität setzen" und sie bei einem großen Personenkreis lediglich
> zu konstatieren und diesen Personenkreis dann, weil er sich seine Haltung ja
> nicht frei ausgewählt hat, sondern sie vielmehr das zwangsläufige Resultat
> seiner Sozialisation ist, zu verteidigen - zwischen diesen beiden Ansätzen
> besteht ein himmelweiter Unterschied.
>

Ein Unterschied ja, aber kein himmelweiter. Die Rechtfertigung des naiven
Hoerens fuer einen "Durchschnittshoerer" heisst, dass man die Kategorie
der "Naivitaet" in diesem Zusammenhang fuer moeglich haelt, um ein
Rezeptionsphaenomen zu erklaeren. Das war mit "auf Naivitaet setzen" im
Ausdruck sicherlich verschaerft gemeint - aber was soll eine Diskussion
im Usenet ohne das Pfeffer einer gelegentlichen Uebertreibung oder Ironie
- ein Kolleg moechte ich hier nicht abhalten, werde es aber, wenn
gewuenscht so trocken gestalten, wie es offensichtlich gewuenscht ist.
(Das meinte ich an anderer Stelle mit dem Hinweis auf die Humorlosigkeit,
die mir allerdings abgeht, gerade ernste Dinge brauchen auch mal einen
Schuss Ironie, schade dass er Dir nicht passt.)



> Du führst nun Kant (" Da der Kuenstler, das Genie, sich die eigenen Regeln
> schafft, ist zur Erkenntnis des Kunstwerks die Erkenntnis des Regelhaften
> notwendig.") und Schiller ("Stofftrieb (der sinnlichen Erfahrung)und ...
> Formtrieb, dem es um die Einheit der Gestalt geht (Hauskeller, S. 41). In der
> Kunst sieht er ein ideales Verhaeltnis zwischen Stoff- und Formtrieb...") an.
> Der Kantschen Forderung ist natürlich nichts entgegenzusetzen. Im Zusammenhang
> mit unserem Thema - Musik für Millionen - ist die Frage doch aber die: In
> welchem Ausmaß lässt sich die Erkenntnis des Regelhaften einem breiteren
> Publikum vermitteln?

Wobei schnell einzufuegen ist, selbstverstaendlich sind die Positionen
des philosphischen Idealismus in der Aesthetik heute weiterentwickelt
worden, bzw. gibt es dazu differenzierte Anschauungen. Ich beziehe mich
da etwa auf Danto, einmal verkuerzt gesagt: Jede Rezeption eines
Kunstwerkes ist eine Interpretation. Daher meine Kritik an einer
"voraussetzungslosen" Rezeption (und so darf ich mal ins
Gegenwartsdeutsch interpretierenderweise das "naiv" uebersetzen. Ich
halte eben den Ausdruck "naiv" fuer verfehlt nach dem Stand der
Erkenntnistheorie, soweit er mir gelaeufig ist, lasse mich da aber gerne
korrigieren).

[Zu dem lesenswerten Erfahrungsbericht aus einer Realschule werde ich der
Laenge wegen gerne getrennt eingehen, ich konzentriere mich in der Replik
erst einmal auf die Grundlagen der angesprochenen Fragen]

> -Vielleicht verstehst Du jetzt, warum mir Deine Anforderungen an den Musikhörer
> wie von einem anderen Stern vorkommen.
>

Was aber nicht dagegen spricht, sie zu stellen IMHO. Und um die
Begruendung ging es mir eigentlich in unserem Diskurs. Hier auch nur
kurz: Ich entwickele die Anforderungen aus dem Wesen des Kunstwerkes,
nicht aus den Voraussetzungen eines bestimmten Rezipientenkreises, erst
recht nicht aus einem, der aus Alters- und Erfahrungsgruenden in der
Regel gar nicht alle Voraussetzungen mit sich bringen kann (deshalb war
mir auch Deine "Faust"-Rezeption argumentativ wichtig).



> >Also, seltsam und komisch ist das, wenn ein naives Kunstverstaendnis
> >einer Zeit und Kunst gefordert oder verteidigt wird, wenn diese Zeit und
> >Kunst selbst gegen ein naives Kunstverstaendnis votierte.
>
> Ich habe kein naives Kunstverständnis gefordert.

Das habe ich offensichtlich nicht deutlich genug formuliert. Die naive
Kunsterfahrung war eine der Forderungen einer philosophischen Richtung,
gegen die sich Kant und Schiller wendeten. Ich meine das aber in dem
Zitat gebracht zu haben. Schiller wandte sich gegen die Forderung, ich
gegen die Verteidigung, das war wohl zu elliptisch formuliert, sorry.

> Ich sehe nur der (oben
> geschilderten) Realität ins Auge und beginne auf Grund langjähriger Erfahrungen
> Verständnis für einen unreflektierten Umgang mit Musik zu entwickeln.

Ich bezweifele von meinen erkenntnistheoretischen Positionen her, dass es
einen unreflektierten Umgang mit Musik geben kann, ich bin der Meinung -
und diese brachte ich zum Ausdruck, dass es ein "falsches", ein
missverstaendliches Wiedererkennen gibt, das eben nicht die Musik Mozarts
abbildet, sondern etwas, was man unrichtig in sie hineinsieht. Und das
versuche ich deutlich zu machen. Ich kann mich nicht mit einer Haltung
einverstanden erklaeren, das habe ich schon gesagt, die meint, "Goennen

wir ihm doch sein kleines Glueck, fuer ein grosses ist er eben nicht

geschaffen." - Von mir aus kannst Du Glueck durch Kunsterlebnis ersetzen.


[Teil zur Didaktisierung der Musikkritik gestrichen, auch aus
Umfangsgruenden, gehe aber gerne darauf in einem weiteren Posting ein.
Die Frage der Vermittlung ist fuer mich eine andere als die der
aesthetischen Erkenntnis, ueber die wir uns erst einmal verstaendigen
sollten, bevor wir die didaktischen Konsequenzen und die Schulrealitaet,
die mir nicht so vertraut ist, angehen koennen IMHO.]

> ...
> >Was es mit Deiner Wortwahl auf sich hat, etwa mit dem "ueberheblich",
> >ueberlasse ich Deiner eigenen Selbstschau. Mich hindern solche
> >unangemessenen Formulieren jedoch nicht, angemessen und sachlich zu
> >reagieren und mir weiterhin die groesste Muehe zu geben, Deinen
> >Standpunkt zu verstehen und aus meiner Sicht darauf zu antworten.
>
> Du hast mir Empfindlichkeit bescheinigt. Hier pflegst Du offenbar die Deine.
>

Genau - es sollte demonstrieren, dass man mit solchen Empfindlichkeiten
nicht weiterkommt, dass sie allenfalls das Klima einer Diskussion
verderben koennen, wenn jeder dann ueber seine eigene Betroffenheit
spricht. Da solche Argumente und Zuweisungen auch in Deinen anderen
Postings zu finden sind, wo ich sie einfach ueberging, sollte die
Retourkutsche, die gemeint war, wohl auch deutlich sein. Ich schliesse
aus einer Diskussion auch nicht ad personam, wie koennte ich das auch?



> >Du darfst Dich auch weiterhin ueberspitzt ausdruecken, ohne dass ich
> >anfange Dich zu siezen, ich kann auch Deine Art des Humors wohlwollend
> >zur Kenntnis nehmen.
>
> Wo war denn von Humor die Rede? Ich glaube, keinen Blackout zu haben, wenn ich
> mich nicht daran erinnern kann.

(Es bezog sich hoechst unpassenderweise auf Dein Posting an die Adresse
von Peter Lemken, das ich nicht so erfreulich fand, wie ich an anderem
Ort schon feststellte.)

> >
> >Du kennst Leute, ich kenne Leute - das ist eben der Nachteil von
> >Urteilen, die man nicht auf einer gesicherten sozialwissenschaftlichen
> >Erhebung gefunden hat, wenn es um gesellschaftliche Tendenzen geht.
>
> Nach 25 Jahren Arbeit an der Basis traue ich mir gewisse Feststellungen auch
> ohne die Absicherung durch sozialwissenschaftliche Erhebungen zu.

Meine 25jaehrige Taetigkeit in einem anderen Zusammenhang laesst mich
immer noch solche praxisgewonnenen Saetze mit Skepsis ansehen, auch und
gerade,wenn sie von mir kommen. Ohne eine gruendliche Untermauerung erst
in der Begriffsbildung und dann in der Methode, Erfahrenswerte zu
bestimmen und auszuwerten, kommt man (und da meine ich nachdruecklich
auch mich) sehr schnell zu Stammtischweisheiten.

> ...
> >Jetzt bin ich auch noch "anmassend", soll das jetzt alles Vergeltung fuer
> >ein missverstandenes "putzig" sein? Und dass ich apodiktisch belehre,
> >nehme ich auch zur Kenntnis. Ein Wunder, wie lang meine Postings bei
> >aller Apodiktik werden ...
>
> Wer wird denn gleich in Kategorien wie "Vergeltung" denken!? Abgesehen davon
> legte die Formulierung, in der die Vokabeln "anmaßen" und "apodiktisch" fielen,
> nicht notwendig einen Zusammenhang mit Deiner Person nahe.
>

Das Belehren umso mehr, aber nun verstehe ich, nichts ist fuer einen
Lehrer schlimmer, als wenn er sich belehrt vorkommt, ich werde darauf
achten :-) (Auch das nicht auf die Person sondern auf die mir aus
Erfahrung ueber meine Lebenszeit - und das ist laenger als 25 Jahre -
bekannte Gattung "Lehrer" bezogen - so ist das mit den Erfahrungssaetzen
...)



> >Um mal aus der Polemik das Kommunikable herauszufischen. Wie ich an den
> >Leser Forderungen stelle, bzw. diese Forderungen sich von selbst stellen,
> >wenn er sich mit Literatur beschaeftigt, so stellt auch ein musikalisches
> >Kunstwerk Forderungen an den Hoerer. Jeder kann diesen Forderungen folgen
> >oder sie missachten, selbstverstaendlich. Aber wenn ich noch nicht einmal
> >in einer Klassik-NG diese Forderungen *interessierten* Musikfreunden
> >nennen darf, dann ist es doch etwas seltsam bestellt mit der
> >Ernsthaftigkeit, mit der man sich mit klassischer Musik beschaeftigt.
>
> Es ging aber nicht um die interessierten Musikfreunde dieser NG, sondern um die
> im Titel des Threads angesprochenen Millionen!

Habe ich das Thema des Thread verfehlt, das tut mir aber leid. Ich hoffte
doch deutlich gemacht zu haben, wie ich von der urspruenglichen
Ausgangsfrage zu meinen Darlegungen gekommen bin: Ich halte die
Polpularitaet Mozarts fuer ein Missverstaendnis [jener Millionen] -
Dieser Frage bin ich nachgegangen. Ich haette natuerlich den Titel des
Thread aendern muessen, nachdem ich mich nicht mehr zum urspruenglichen
Ausgangspunkt in der gewuenschten Quantitaet geaeussert habe. Faulheit,
Herr Lehrer, darf ich mich nun setzen?


>
> Ich habe nie der Anpassung an die Hörgewohnheiten eines Massenpublikums das
> Wort geredet. Ich habe lediglich versucht, sie, die Hörgewohnheiten, zu
> verstehen
>

Das sehe ich aber nicht so, ich sehe nichts von "verstehen", sondern von
"akzeptieren" - das ist fuer mich ein Unterschied.



>
> Mozarts Musik wird diesen unangemessenen Umgang mit ihr überleben. Sie hat
> schon Schlimmeres überlebt.
>

ohne Zweifel



>
> Das müsste dann aber außehalb der Thematik "Musik für Millionen" geschehen!

Es zwingt Dich im Usenet niemand, nur zu dem Thema eines Thread zu
schreiben, im Gegenteil. Man sollte eben nur, wenn sich das Gespraech vom
eigentlichen Thema zu einem neuen hingewandt hat - denn das ist doch ein
Gespraech und kein Aufsatz - bei Gelegenheit den Titel des Thread
aendern. Das habe ich bedauerlicherweise versaeumt ...

> Denn hier kann es nicht um die Formulierung von Idealen gehen, hier geht es
> eher um den Ist-Zustand weiter Teile der Bevölkerung. (Mein Protest gegen das
> Attribut "putzig" scheint Dich doch arg zu beschäftigen. Du kommst immer
> wieder darauf zurück.)

Klar, mit berechtigten Empfindlichkeiten kann ich leben, unberechtigte
mag ich weniger.

Noch einmal: es ist ein Missverstaendnis, dass es mir um die Formulierung
von Idealen geht, worum ich mich offensichtlich vergebens bemuehte, war
die Erklaerung meines Ausdrucks "Missverstaendnis von Mozart" - denn
Mozart ist keine Musik fuer Millionen. Habe ich jetzt dem Themenbezug
gewahrt? Ich bin in andere Gefilde nur deshalb gekommen, weil ich auf
Dinge antwortete, die von Dir vorgebracht wurden - das ist bei einem
Gespraech so. Eine Lektuere unserer Beitraege unter diesem Aspekt zeigt
das sicher jedem unbefangenem Leser.

> ...
> >Geht es jetzt gegen die Intellektuellen im Sinne einer gesunden
> >Naivitaet? Mit Geistfeindlichkeit habe ich nun wirklich wenig am Hut.
>
> Ich auch nicht. Aber die Gesellschaft ist zu einem recht großen Teil
> "geistfeindlich". Mir geht es darum, damit angemessen umgehen zu können. Darin
> besteht nämlich ein Großteil meiner täglichen Arbeit.
>

Aus bestimmten historischen Gruenden reagier *ich* empfindlich gegen
einen solchen Gebrauch des Wortes "Intellektueller". Zu Deiner taeglichen
Arbeit gerne an einem anderen Ort (mit dem richtigen Thread-Titel), sonst
waere der Vorwurf, ich verfehlte schon wieder das Thema, durchaus
zutreffend.



> >Zunaechst habe ich auf die Frage geantwortet und da auch weitergefragt,
> >wie man Mozart hoeren sollte, wenn man ein weitergehendes Interesse an
> >Mozart hat. Ich werde nun immer wieder mit Beispielen bombardiert, bei
> >denen es um Dritte geht.
>
> In dem ganzen Thread geht es um Dritte, um die besagten Millionen eben.

Das mag es Deiner Meinung nach dem Subject nach sein, eine Lektuere
meiner Beitraege duerfte aber eine Reihe von IMHO, mE und persoenlichen
Bezuegen ins Bewusstsein rufen.

>
> >Deshalb mir zu unterstellen, dass ich andere fuer geistig minderbemittelt
> >halte oder gar als "Armleuchter" ist schon starker Toback.
>
> Also, langsam weiß ich nicht mehr, wer hier der Empfindlichere von uns beiden
> ist! Bei meiner Formulierung dachte ich an Intellektuelle, wie ich sie eben
> auch kenne. Von Dir war doch dabei gar keine Rede! Ich beklage mich doch auch
> nicht, wenn man das Verhalten einiger deutscher Touristen im Ausland zu Recht
> kritisiert, nur weil ich auch Deutscher bin!
>

Nun ja, noch einmal: ich lasse es mir oder anderen nicht so einfach
unterstellen, Dritte als "Armleuchter" zu bezeichnen. Ich kenne die
Schulwirklichkeit zu wenig, dass ich beurteilen koennte, auf welche
Gruppe Intellektueller nun diese Diffamierung bezogen ist, im Gespraech
und ohne naehere Spezifikation - auf wen sollte ich diese Bemerkung denn
beziehen - Deiner Meinung nach?



> >Warum ploetzlich ein solcher Hassausbruch jemanden gegenueber, der sich
> >umfaenglich bemuehte, seinen Standpunkt offenzulegen und zu
> >argumentieren?
>
> Hassausbruch??? Reden wir überhaupt noch vom selben Posting?
>

Ich spreche noch immer davon, dass mir unterstellt wird, dass ich (oder
andere nicht benannte Intellektuelle) andere, die nicht mein (unser)
Wissen haben, als "Armleuchter" bezeichne. Das finde ich ziemlich
daneben, das darf ich doch hier feststellen.



> > Ich kann es eigentlich nur so verstehen:
> >
> >Das Eingestaendnis, dass man sich um Mozart bemuehen muss wie um jeden
> >anderen Komponisten, eben auch um moderne, legt Aengste offen, die nur
> >noch mit Abwehrreaktionen zu bewaeltigen sind.
>
> Das halte ich für eine ziemlich gewagte Interpretation meiner Äußerungen.

richtig :-) Ich auch ...

> Zumal
> ich mir nicht "eingestehen" muss, dass ich mich um Mozart und andere
> Komponisten bemühen muss. Das weiß ich nämlich, und ich handle auch danach.
> (Wobei ich Schwerpunkte setze. Für alle reicht die Zeit sowieso nicht.) Ob
> "man" das muss, möchte ich weiterhin in Frage stellen.
>

Wie gesagt, das ist fuer mich keine Frage der Ideale, sondern der
Erkenntnis. Wenn ich ein Missverstaendnis der Musik Mozarts minimieren
will (ich bin Deiner Meinung, dass die Luecke sich nicht schliessen
laesst, also dass es kein "perfektes" Verstaendnis gibt), dann muss ich
mich um Mozart bemuehen. Das war mein Ausgangspunkt und - ich denke - das
habe ich auch in jedem meiner Postings wieder aufgegriffen.

Und nach einmal am Ende: ein "putzig" auf Dich zu beziehen und mir unter
die Nase zu reiben, als habe ich Dich persoenlich herabwuerdigen wollen,
aber bei all den eigenen Invektiven zu sagen, das koenne ich nur durch
ein Missverstaendnis auf mich beziehen, ist doch etwas inadaequat. Gerade
in paedagogischen Zusammenhaengen, nicht wahr?

Es gruesst Peter

0 new messages