Ja, deswegen sind oben die "Mechanismen, diese [die Wurzelmorpheme] zu
kombinieren" der Knackpunkt und nicht ihre nackte Anzahl. Wie ich das
meine, habe ich schon mal ein bisschen ausführlicher geschrieben. Vor
allem auf den letzten Absatz kommt es mir dabei an.
Im Folgenden erlaube ich mir, mich selbst zu zitieren. Alles
Untenstehende ist dieses Zitat.
Newsgroups: de.etc.sprache.deutsch
Date: Sat, 3 Jul 2010 18:36:39 +0200
From: Helmut Richter <
hh...@web.de>
Subject: Re: Stiefkinder der deutschen Sprache
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5pz46vpc...@mid.crommatograph.info>
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Pine.LNX.4.64.10...@lxhri01.lrz.lrz-muenchen.de>
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9b4e...@newsspool4.arcor-online.net>
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894q8i...@mid.uni-berlin.de> <
i400g7-...@wschwanke.de>
<i0k26g$ot8$
3...@news.albasani.net> <
ute0g7-...@wschwanke.de>
<i0k3se$4g3$00$
1...@news.t-online.com>
<
5pz46vpc...@mid.crommatograph.info>
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On Sat, 3 Jul 2010, Oliver Cromm wrote:
> Da Du mich damit meintest, kommentiere ich mal. Ich glaube nicht, daß
> es viele Untersuchungen dazu gibt, denn wer außer Lexikographen ist
> daran wirklich interessiert? Für die Kernlinguistik ist die Frage
> uninteressant, die offenen Wortarten (Substantiv, Adjektiv, Verb)
> sind offen, davon kann es beliebig viele geben.
Es gibt aber nicht beliebig viele, wenigstens nicht beliebig viele
Wurzelmorpheme. Nehmen wir mal deutsche Verben: die meisten haben eine
einsilbige Wurzel aus einem Konsonantencluster, einem Vokal oder
Diphthong und einem zweiten Konsonantencluster. Da von den
Konsonantenclustern die meisten phonologisch nicht möglich sind, sind
das vielleicht rund 40×10×20 Kombinationen mit langem und 40×7×40
Kombinationen mit kurzem Vokal, zusammen rund 20000. Die kann man alle
aufschreiben und feststellen, welche davon in der Sprache benutzt
werden. Dann hat man eine erste Zahl, die durchaus einige Aussagekraft
hat. Dann macht man das unter Einbeziehung von Vorsilben und bekommt
eine zweite Zahl.
Dasselbe kann man auch in vielen anderen Sprachen machen. Beispielsweise
in den semitischen Sprachen haben Verben eine in der Regel
dreikonsonantige Wurzel, aus der nach einer festen Menge von Bauplänen
(Binjan) Verben gebaut werden können. Auch da kann man eine ziemlich
vollständige Wurzelliste und eine ziemlich vollständige Verbliste
zusammenstellen und Zahlen nennen, die vielleicht einen Faktor 1,5
Spielraum haben, aber sicher nicht 10.
Die Vergleichsarbeit ist dann natürlich nicht zu Ende, sondern fängt
erst an. Man mag dann herausbekommen, dass eine Sprache auf viele
Wurzeln setzt, eine zweite auf viele Formen aus den Wurzeln, eine dritte
auf Kombination mehrerer Wurzeln durch Zusammensetzung, eine vierte
massenhaft Homonyme in Kauf nimmt, während eine fünfte auf der Klaviatur
der übertragenen Bedeutungen ansonsten eindeutiger Wörter spielt. Das
kann durchaus interessante Vergleiche ergeben.
--
Helmut Richter