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Sind wir gefeit gegen Psycho-Kult?

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Hans-Peter Popowski

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Oct 5, 1998, 3:00:00 AM10/5/98
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Aus: -Focus-07-11-94-

Einweihungsschule
(Hannes Scholl - Onto-logische Trainings)

Bitte nicht denken
Bitte nicht denken
Neue Sumpfblüte unter den Psycho-Sekten: Ex-Model Hannes Scholl führt zur
"Erleuchtung". - Das Spielchen begann zu nerven. Seit mehr als zwei Stunden
tat eine Gruppe von etwa 30 Erwachsenen nichts anderes, als sich auf Befehl
eines Übungsleiters vom Stuhl zu erheben und auf ein "Danke" wieder zu
setzten. Über drei Stunden sollte es insgesamt dauern, bis die Teilnehmer
eines sogenannten Trainings sich erholen durften - nicht ohne sich vorher
noch ein Schweigegelöbnis bis zum nächsten Morgen auferlegen zu lassen.
Die durch Schlafentzug ermüdeten Teilnehmer hat das schon nicht mehr
gewundert. Sie absolvierten an diesem Sommerwochenende in München immerhin
bereits den zweiten Kurs einer Einrichtung, die sich "Hannes Scholl -
Ontologische Trainings" nannte und vor einigen Wochen in
"Einweihungsschule" umbenannt wurde.
Der Werbung zufolge ermöglichen diese Trainings eine "Erfahrung der Welt,
wie sie ist". Als erfolgreichen Abschluß annonciert Scholl, 35, die
Möglichkeit, bislang unbewältigte Probleme zu lösen, Träume zu
verwirklichen, im Beruf er
folgreich zu sein und dazu noch spirituelle Erfüllung zu erlangen. Was auf
den ersten Blick wie ein Gemischtwarenladen für gelangweilt sinnsuchende
Wohlstandsbengel daherkommt, ist für den Sektenbeauftragten der
Evangelischen Kirche Bayerns, Wolfgang Behnk, ein "sektiererischer,
destruktiver Psycho-Kult" - und Anführer Scholl ein "gefährlicher
Psycho-Guru mit totalitären Tendenzen".
Die Berichte von Aussteigern der erst drei Jahre bestehenden Organisation
bestätigen das. Und auch die Einschätzung des Gurus durch seine Jünger
weisen in diese Richtung: "Ein Mensch wie Hannes Scholl", meint etwa sein
Schüler Dieter Scherer, "steht außerhalb jeglicher Norm." Und seine
Gefährtin Janin Trapp, wie Scholl ein ehemaliges Fotomodell, sieht in dem
smarten Beau "eine Herausforderung für alle denkenden Menschen." Der Mann
hat Ausstrahlung. Selbst Manfred Weiß*, bis vor wenigen Wochen in führender
Position bei Scholl tätig und jetzt im Streit geschieden, attestiert ihm
noch immer "eine hohe spirituelle Kraft".
Vor allem aber sieht er gut aus. Scholl achtet auf exquisite Kleidung, und
auch das Design der Schulungsräumlichkeiten läßt Assoziationen an
räucherkerzenvernebelte Sektengrotten gar nicht erst aufkommen.
Pastellfarben und zeitgeistig-zurückhaltende Möblierung erzeugen, sagt der
mittlerweile aus dem Kult ausgestiegene Werbetexter Peter Gehrke*, ein
angenehmes Ambiente: "Ich hatte nie das Gefühl, bei irgendwelchen dubiosen
Sektierern gelandet zu sein."
Da fühlen sich denn auch besonders Leute angezogen, in deren Umfeld ohnehin
oder der Schein das Bewußtsein bestimmt: Mitarbeiter von PR- und
Werbeagenturen sowie Angestellte von privaten Fernsehsendern.
Nach Angaben von Kultmanagern haben schon etwa 1.500 Menschen Scholls Kurse
absolviert, an die 150 überschritten bislang die sogenannte "dritte
Einweihungsstufe". Allein dieses Training, "Die Entscheidung" genannt,
kostet derzeit 8.500 Mark.
Auf ihrem Weg zur "Erleuchtung" sollen Scholls Kunden neben einer Stange
Geld auch ihre bisherige Identität abgeben. Das fängt schon bei sogenannten
"A-Training" an, das heute "Einweihungsstufe 1" heißt und 890 Mark kostet.
Da wird in Gruppenübungen, die Psycho-Erfahrene an Schreitherapien
erinnern, nach Schlüsselsituationen aus der Kindheit gefahndet. Die Trainer
und ihre zahlreichen Assistenten sind allesamt nicht als Therapeuten
ausgebildet. Um für mögliche Folgen dieses fröhlichen Dilettierens nicht
verantwortlich gemacht zu werden, fordert Scholl von den Teilnehmern vor
Beginn der Kurse die schriftliche Bestätigung, sich derzeit nicht in
psychiatrischer Behandlung zu befinden.
Schlimmer noch: Scholl verlangt das Einverständnis, daß der Kunde im Fall
auftretender Probleme "den Trainer, den Veranstalter und sämtliche
Beteiligte von sämtlichen Haftungsansprüchen freistellt".
Auch andere Dinge zurrt der smarte Guru von Beginn an fest. Weil bei den
Trainings niemand etwas zu "verstehen" brauche, werde auch "nicht diskutiert
und es werden auch keine Meinungen ausgetauscht". Bitte nicht denken.
Für Scholl, berichtet der nach der "zweiten Einweihungsstufe" ausgestiegene
PR-Agent Frank Freimann*, ist die kritische Reflexion Teufelszeug. "Was
immer du denkst", bleuen die Trainer den Kursteilnehmern ein, "kommt nicht
wirklich von dir." Ein "Es", das Scholl als Selbstzweifel definiert, stehe
den Zöglingen bei der freien Entfaltung im Weg.
Hinderlich ist alles, was die bisherige Identität ausmacht. Deren
Beseitigung lernen die Kursteilnehmer unter anderem in einem
"Geld-Training". Um ein neues Verhältnis zum Mammon zu bekommen, verschenken
einige auch schon mal Hundertmarkscheine an Passanten.
Überwindung kostet auch der sogenannte Feuerlauf - eine nächtliche, rituelle
Handlung auf dem Land. Mit nackten Füßen laufen oder gehen die Probanden
einige Meter über glühende Kohlen.
Doch die Befreiung vom alten Ego scheint nah. Noch in diesem Sommer konnten
Kursteilnehmer ihr bisheriges Leben begraben. Und das ging so: Die
Teilnehmer der "zweiten Einweihungsstufe" krochen durch einen Wald im
Münchner Umland, gruben mit einem Teelöffel ein kleines Loch und versenkten
darin einen Zettel, auf dem sie persönliche Anmerkungen zu den Stichworten
"Was bin ich" und "Alles, was ich loslassen möchte" niederschrieben.
Damit, sagt Sektenexperte Behnk, "soll der Tod der bisherigen Persönlichkeit
sinnenfällig dokumentiert werden". Nach Angaben von Oliver Degel, Scholls
Marketingchef, habe man von diesem Ritus mittlerweile Abstand genommen.
Dennoch: Schon mit Absolvieren dieser "zweiten Einweihungsstufe" (2.500
Mark) sind die Jünger nicht mehr als ein "leeres Gefäß".
Jetzt seien die Leute reif für die dritte Stufe, die Persönlichkeits
"Transformation". Kritiker wie Behnk sehen darin lediglich eine
Umschreibung für <Gehirnwäsche>. Auch Aussteiger wie Freimann oder Gehrke
bezeichnen ihre im Kult verbliebenen Mitschüler heute schlicht
als"brainwashed".
Die Zukunft der "Einweihungsschule" liegt im Ionischen Meer. Dort hat Scholl
bereits auf einer kleinen Insel Bauland für sein "Einweihungszentrum"
ausgesucht. Der Guru schwärmt: "Es werden dort nur Menschen wohnen, die die
gleiche Ausrichtung teilen und in einem Milieu der Aufrichtigkeit und
Integrität leben wollen.
Und er teilt seinen Jüngern mit, daß der Weg zur Einweihung etwas länger
werde als geplant - er besteht fortan aus sieben Stufen. Weil das für die
potentiellen Teilnehmer recht kostspielig werden dürfte, definiert Scholl
in einem internen Papier auch gleich die Zielgruppe: "das Training richtet
sich vor allem an Menschen, die in finanziell stabilen und gesicherten
Verhältnissen leben und die beruflich etabliert und erfolgreich sind."
Marketingchef Oliver Degel bestätigt: "Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen."
Die Firma expandiert. In der Münchner Scholl-Zentrale hegt man keinen
Zweifel, daß die Anhänger durch "angemessene Spenden" auch den
Finanzierungsbedarf für die griechische Tempelanlage in Höhe von etwa 1,5
Millionen Mark aufbringen werden.
Beim Münchner Sektenpfarrer Behnk stehen hingegen die ersten Opfer,
psychisch und finanziell angeschlagen, auf der Matte. Einige von ihnen
bekommen unangenehme Anrufe, seit sie vom Weg der Erleuchtung abgebogen
sind. "Das bist doch nicht du, die das zweifelt", bleut Scholls Partnerin
Janin Trapp Abtrünnigen ein, "das ist "Es".
Diesem Feind, lehrt Scholls Mitteilungsblatt "Newsletter", kann man
überwinden. Zweiflern empfiehlt der Guru: Und ES plappert. Und ich laß ES
plappern. Und springe. Jetzt!" * Namen von der Redaktion geändert. Aus:
-Focus-07-11-94-


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