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Faust, der Komödie erster Teil - 16 - Das Moralargument

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Walter Anger

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May 31, 2009, 11:20:36 AM5/31/09
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Firma, Mephistos Büro. Morgens.

Mephisto sitzt an seinem Schreibtisch, Beine auf dem Tisch; er führt,
sichtlich den Genuß erwartend, eine Tasse Kaffe an seine Lippen. Eine
laute Explosion in der Firma; Erschütterung, Fensterscheiben klirren.
Mephisto schafft es, nichts auszuschütten; er trinkt einen Schluck.
Laufen und Rufen im Haus.

Michaela, Gabriela und Raffaela kommen herein, eine Rauchschwade in den
Raum mitnehmend. Sie husten und beginnen, ihre Sachen abzulegen.

Faust kommt herein.

Faust: Äh ... ich wollte anmerken...

Mephisto: Ich werde dann eine neue Laboreinrichtung ordern.

Faust: Fein! ... Wer war übrigens der Verbrecher gestern?

Michaela: Offenbar ging's ihm ums Geld.

Raffaela: Wir behalten ihn im Auge.

Gabriela: (direkt zu Faust) Oh, du bist ein Held! so furchtlos und
stark!

Faust wirkt ein wenig verlegen.

Mephisto: Wenigstens kannst du dich derzeit nicht beklagen, daß du mit
zu wenig Erkenntnis versorgt wirst.

Faust: Leider nicht mit Gretchen.

Mephisto: Was willst du nun? - Erkenntnis oder Gretchen.

Faust: <goethe>Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.</goethe> -
Beides natürlich!

Mephisto: Wie wär's mit Erkenntnis _über_ Gretchen?

Faust: Das besonders! Wo ist sie übrigens? doch hoffentlich nicht krank.

Michaela: Sie hat angerufen, sie kommt etwas später.

Faust: Sicher eine dringende Besorgung.

Mephisto lacht häßlich; er dreht ein Gerät auf. Es sind Liebesgeräusche
zu hören.

Faust: ... Was soll das?

Mephisto: Du wolltest Erkenntnis über Gretchen. Ich hab natürlich auch
ihr Schlafzimmer verwanzt. Sie läßt es sich grad ganz dringend besorgen.

Faust bricht innerlich zusammen.

Faust: (zu Mephisto, emotional) <goethe>Verräterischer, nichtswürdiger
Geist</goethe>!

Mephisto: Aber ja ... he, ich bin der Teufel!

Gabriela dreht das Gerät ab.

Faust: (zu Mephisto, emotional) <goethe>Hund! abscheuliches Untier! / -
du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin!</goethe>

Mephisto: <goethe>Nun sind wir schon wieder an der Grenze unseres
Witzes, da, wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst du
Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführten kannst? Willst
fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf,
oder du dich uns?</goethe>

Faust: (heftig) Du mir!

Mephisto: Äh, ja ... hätt ich fast vergessen. (bleckt die Zähne)

Faust: (zu Mephisto, emotional und gehässig) <goethe>Fletsche deine
gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir ekelt's! Warum an den
Schandgesellen mich schmieden, der sich am Schaden weidet und am
Verderben sich letzt!</goethe>

Faust stürmt fort.

Mephisto windet sich vor Lachen.

Mephisto sieht seine Engel, nebeneinander aufgereiht, sehr empört
wirkend.

Michaela: Du krankes Etwas!

Gabriela: Das war selbst für den Teufel widerwärtig!

Raffaela: Schäm dich!

Mephisto: Schämen? ich?

Michaela: Wie meinst du, wie Heinrich sich jetzt fühlt?!

Mephisto: (laut) Stop! ... (leiser) Ihr wißt, das Moralargument ist in
der Hölle allein mir vorbehalten! Moral - das ist das Protestgegacker
eines Huhns, das seine Eier vermißt! Empörungstiraden aller Art
verbitte ich mir ausdrücklich! Und das hat seinen Guten Grund - denn es
überdehnt selbst meine stählernen Nerven!

Gabriela: Aber ... der arme Heinrich...

Mephisto: Kümmert euch halt liebevoll um ihn! Er braucht jetzt einen
psychischen Ausgleich. Aber kommt mir nicht mit 'du sollst nicht, du
darfst nicht, du kannst doch nicht'!

Gretchen kommt unverhofft herein. Alle schauen sie erstaunt an.

Gretchen: Guten Morgen!

Mephisto: ... Wir dachten, du wärst ... länger weg.

Gretchen: Ich mußt nur mal schnell zur Bank.

Mephisto: Und zuhaus ... alles in Ordnung?

Gretchen: Aber ja! Valentin ist grad dort, mit Sandra, meiner besten
Freundin. Sie besorgen dort was.

Mephisto: Besorgen! ... Mit deiner besten Freundin! ... (leise, zu
Raffaela) Das nächste mal Video.


Ortswechsel, Zeitsprung: Faustfelsen.

Gott, Mephisto.

Gott: So richtig schön böse!

Mephisto: Ja! Harrharr!

Gott: ich erinnere mich voll Wehmut an die Zeit, da du noch ein ganz
normaler netter Engel warst - pausbäckig, mit lockigem Haar.

Mephisto: (sieht sich um) Sag das nicht so laut! es könnte jemand hören!

Gott: Ich hab sogar noch ein niedliches Foto von dir. (will es
herausziehen)

Mephisto: (hindert ihn panisch daran) Nicht! es könnte jemand sehen!

Gott: - Und dich nicht mehr fürchten. Das tut der Faust sowieso nicht.
Du hieltest ihn dir besser gewogen.

Mephisto: Der wird mir noch mal dankbar sein, daß ich ihn von der Liebe
geheilt habe. Und außerdem: ich hab mir angesehen, woran er so intensiv
forscht. Wenn das so weitergeht, löst der noch die Energiekrise im
Alleingang. Das muß ich torpedieren. Die Welt wäre nie wieder so
herrlich trostlos wie jetzt.

Gott: Ausgerechnet du Teufel hast einen fähigen Menschen an die
Schalthebel der Macht gelassen. Nun darfst du dich nicht wundern, wenn
etwas Gutes dabei rauskommt. Der Faust wächst dir noch über den Kopf.

Mephisto: Niemals! ... Ich schaff es! Ich schaff es! -

--
Walter Anger

http://www.moviemaster.at

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