Google Groups no longer supports new Usenet posts or subscriptions. Historical content remains viewable.
Dismiss

de.sci.theologie-FAQ: Fragen und Antworten zur Theologie

5 views
Skip to first unread message

Adrian Suter, FAQ-Maintainer

unread,
Feb 13, 1999, 3:00:00 AM2/13/99
to
Posting-Frequency: monthly
Archive-Name: de-sci-theologie/faq
Last-modified: 13. Feb. 1999
URL: http://www.christkath.ch/usenet/dst-faq.htm

Häufig gestellte Fragen und Antworten (FAQ) der Newsgruppe de.sci.theologie

0 Vorbemerkungen

0.1 Einleitung

Diese FAQ (Frequently Asked Questions) wird in der Newsgruppe
de.sci.theologie zur Diskussion gestellt. Verbesserungsvorschläge können in
der Newsgruppe diskutiert oder per Mail an mich (Adrian Suter,
dst...@christkath.ch) geschickt werden. Eine HTML-Version ist zugänglich
unter http://www.christkath.ch/usenet/dst-faq.htm

Dies ist Version 1.3, aber sie bleibt dauerhaft "under construction". Ich
habe versucht, möglichst viele der in der bisherigen Diskussion gemachten
Vorschläge in der einen oder anderen Form zu berücksichtigen.

Diese FAQ begann ganz harmlos, als ich pragmatisch einige Fragen
zusammenfasste, die innerhalb des einen Jahres, da ich de.sci.theologie
mitgelesen hatte, regelmässig aufgetaucht waren. Ich und andere hatten sie
ebenso regelmässig beantwortet, waren aber mit diesem Zustand unzufrieden.
So ergriff ich die Initiative, sammelte einige dieser Fragen und postete
sie nach de.sci.theologie. Es gab eine ganze Reihe von Vorschlägen, was man
auch noch aufnehmen könnte, eine systematische Gliederung wurde diskutiert
und damit ein gewisser Grad an Vollständigkeit angestrebt.

0.2 An wen richtet sich diese FAQ?

Die FAQ richtet sich vor allem an Nicht-Theologen und Studienanfänger, die
sich für theologische Diskussionen in de.sci.theologie interessieren. Aber
auch fortgeschrittene Semester und ausstudierte Theologinnen und Theologen
sollten sie einmal lesen, wenn sie neu in die Newsgruppe de.sci.theologie
kommen.

0.3 Was ist der Status dieser FAQ?

Die FAQ nimmt weder für sich in Anspruch, den allgemeinen Konsens in
de.sci.theologie abzubilden, noch, endgültige Antworten auf theologische
Fragen zu geben. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil es praktisch
keine unumstrittenen Antworten auf theologische Fragen gibt.

Es ist nicht zu vermeiden, dass die persönliche theologische Meinung von
mir, Adrian Suter, dem FAQ-Schreiber, in den Antworten eine Rolle spielt.
Ich habe aber versucht, bei umstrittenen Fragen verschiedene Standpunkte zu
nennen und wenn möglich einen gemeinsamen Nenner herauszuarbeiten. Die
Tatsache, dass die in der FAQ gegebene Antwort nicht die einzig mögliche
ist, wird im folgenden vorausgesetzt und nicht bei jeder Frage wiederholt.

Schliesslich ist auch zu sagen, dass die Art des Theologie-Treibens nicht
nur in den verschiedenen Konfessionen, sondern auch in den verschiedenen
Kulturkreisen unterschiedlich ist. Diese FAQ ist von der Theologie, wie sie
im deutschen Sprachraum gepflegt wird, geprägt - was für die FAQ einer
deutschsprachigen Gruppe ja auch angemessen ist. Es ist aber beim Lesen
immer zu bedenken, dass dies die Antworten, die diese FAQ gibt, auch
relativiert.

0.4 Inhaltsübersicht

Die FAQ behandelt folgende Themen:

0 Vorbemerkungen

0.1 Einleitung
0.2 An wen richtet sich diese FAQ?
0.3 Was ist der Status dieser FAQ?
0.4 Inhaltsübersicht

1 Die Newsgruppe de.sci.theologie

1.1 Wozu dient die Gruppe de.sci.theologie?
1.2 Was kann ich in dieser Gruppe fragen oder diskutieren?
1.3 Warum sind so wenig Theologinnen und Theologen hier?
1.4 Muss man religiös sein, um der Gruppe zu schreiben?
1.5 Wie kommt Theologie eigentlich zu den wissenschaftlichen Newsgroups?
1.6 Was für andere Gruppen und Foren gibt es zu Religion und Theologie?
1.7 Was gehört eher in eine andere Gruppe?
1.8 So lange Gruppennamen… Gibt es keine Abkürzungen?

2 Die Wissenschaftlichkeit von Theologie

2.1 Wohin gehört die Theologie im Kanon der Wissenschaften?
2.2 Verliert die Theologie nicht ihre Wissenschaftlichkeit, weil sie die
Existenz Gottes nicht beweisen kann?
2.3 Geht die Theologie mit wissenschaflichen Methoden vor?
2.4 Wird die Theologie nicht von ausserwissenschaftlichen Faktoren massiv
beeinflusst und damit entwissenschaftlicht?
2.5 Könnten nicht viele Fragestellungen der Theologie durch andere
Wissenschaften abgedeckt werden?
2.6 Wie ist das mit den sogenannten Gottesbeweisen zu verstehen?
2.7 Setzt Theologie nicht den Glauben voraus?
2.8 Muss ich den Verstand abgeben, wenn ich mich mit Theologie beschäftigen
will?

3 Theologische Teilfächer und Hilfswissenschaften

3.1 Kann mir jemand eine grobe Übersicht über die Teilfächer der Theologie
geben?
3.2 Biblische Theologie des Alten und Neuen Testaments
3.3 Historische Theologie
3.4 Systematische Theologie
3.5 Praktische Theologie
3.6 Ökumenische Theologie
3.7 Hilfs- und Lehnwissenschaften
3.8 Wo bleibt die Feministische Theologie?
3.9 Integrative Ansätze

4 Die Bibel in Theologie und Glauben

4.1 Christen glauben doch an die Bibel. Also müssen Christen auch glauben,
dass...
4.2 Was hat es mit der sogenannten Kanonfrage auf sich?
4.3 Haben die biblischen Autoren einander oder von ausserbiblischen
Schriften abgeschrieben?
4.4 Und wer hat denn nun von wem abgeschrieben?
4.5 Was sagen verantwortungsvolle Christen heute zu Kreuzzügen,
Inquisition, Hexenverfolgungen etc.?
4.6 Aber da gibt es doch auch heute noch Regionen, wo sich die Menschen im
Namen Gottes bekämpfen, und Christen sind ebenfalls beteiligt: Bosnien,
Nordirland, Zypern...
4.7 Warum beten die Katholiken eigentlich Maria an, wo es doch gemäss der
Bibel nur einen Gott gibt und ihm allein Anbetung gebührt?

5 Literatursuche

5.1 Kann mir jemand in der Newsgroup bei der Suche nach theologischer
Literatur helfen?
5.2 Was muss ich beachten, um eine brauchbare Antwort zu bekommen?
5.3 Was sind denn die üblichen Hilfsmittel?
5.4 Wie finde ich Literatur zu bestimmten Bibelstellen?
5.5 Wie stelle ich sicher, alle Literatur zu einem bestimmten Thema zu
finden?
5.6 Gibt es auch Suchmittel oder besonders interessante Einstiegspunkte im
Internet?

6 Theology in a nutshell oder: theologische Grundbegriffe, kurz erklärt

6.1 Gott
6.2 Theologie
6.3 Glaube
6.4 Kirche 6.5 Rechtfertigung

7 Schlussbemerkungen
7.1 Credits
7.2 Wo ist diese FAQ überall zu finden?

1 Die Newsgruppe de.sci.theologie

1.1 Wozu dient die Gruppe de.sci.theologie?

Darüber gibt wie bei allen Newsgruppen die Charta der Gruppe Auskunft. Sie
lautet:

"Die Gruppe dient dem Informationsaustausch zu theologischen und
religionswissenschaftlichen Fragen. Die Gruppe ist nicht konfessionell
und/oder religiös gebunden. Jeder, der sich auf einem gewissen Niveau zu
religionswissenschaftlichen und theologischen Themen äußern möchte, soll
hier Gelegenheit dazu haben. Zur Sicherstellung dieses Niveaus wird
Usenet-typisch auf Killfiles zurückgegriffen. 8)

Themen:
Diskussionen und Informationen zu
aktuellen religionswissenschaftlichen und theologischen Fragen und
Problemen,
Texten (aller Religionen und Konfessionen), die wissenschaftlich relevant
sind,
Ökumene und
Religionswissenschaftler/-in und Theologin/Theologe als Beruf."

1.2 Was kann ich in dieser Gruppe fragen oder diskutieren?

Der grundsätzliche Rahmen ergibt aus der unter 1.1 zitierten Charta. Die
Aussage über das Niveau sollte dich nicht abschrecken, oft sind es die
einfachen, elementaren Fragen die in der Theologie einen sehr hohen
Stellenwert haben. "Auf einem gewissen Niveau" wendet sich vor allem gegen
fundamentalistisch-missionarisches Auftreten einerseits, anti-religiöse
Propaganda andererseits, sofern diese mit primitiven Argumenten vorgebracht
wird.

Die in der Charta genannten Schwerpunkte sind keine abschliessende Liste,
sondern nur Haltepunkte. Wenn dich ein religiöses Thema wirklich
interessiert, ist es allemal den Versuch wert, in der Gruppe einen Artikel
zu hinterlegen. Schlimmstenfalls wird man dir bedeuten, dass es in eine
andere Gruppe gehört.

Wir weisen auch darauf hin, dass keineswegs nur christliche Theologie Thema
dieser Gruppe ist. Postings zu Themen aus dem Bereich Religionswissenschaft
sind on-topic und ausdrücklich erwünscht.

1.3 Warum sind so wenig Theologinnen und Theologen hier?

Das fragen wir uns manchmal auch. Es ist ein Dauerproblem hier. Es gibt
wahrscheinlich eine ganze Reihe von Theologinnen und Theologen, die nur
lesen und kaum je schreiben, vielleicht, weil sie fürchten, Opfer
spöttischer Bemerkungen zu werden, die es hier immer wieder gibt. Du wirst
aber (hoffentlich) feststellen können, dass, wenn Du ein theologisches
Thema anschneidest, sich durchaus kompetente Leute auf eine Diskussion
einlassen. Nur beginnen tut sie selten einer.

1.4 Muss man religiös sein, um der Gruppe zu schreiben?

Nein, diese Gruppe ist auch für Nicht-Religiöse offen. Solange sie
versuchen, sich kompetent und sachlich zu einem theologischen oder
religionswissenschaftlichen Thema zu äussern, ist nichts dagegen
einzuwenden, dass auch Atheisten hier posten. Eine Newsgruppe ist nicht
dazu da, dass sich Gleichgesinnte gegenseitig auf die Schulter klopfen.
Andererseits gehören manche Postings, die von Atheisten hier gepostet
werden, eher in andere Gruppen (siehe 1.7).

1.5 Wie kommt Theologie eigentlich zu den wissenschaftlichen Newsgroups?

Thomas Roessler schreibt in den "Erläuterungen zur Einrichtung neuer
Gruppen in de.*":

"de.sci

ist den Wissenschaften gewidmet, wobei bei der Einrichtung neuer
Gruppen in dieser Hierarchie immer wieder Streit aufkommt, was
denn überhaupt eine Wissenschaft sei. In der Praxis scheint sich
bisher die Meinung durchgesetzt zu haben, daß die Lehrpläne von
Universitäten im deutschsprachigen Raum einen ganz guten
Überblick bieten."

Selbstverständlich lässt sich daraus kein Anrecht für eine Newsgruppe unter
de.sci.* ableiten. Im Einzelfall entscheidet, ob die Gruppe in einer
Abstimmung (Call for Votes) die nötige qualifizierte Mehrheit erreicht. Bei
de.sci.theologie war dies der Fall. Der alternative Name de.sci.religion
wurde in der gleichen Abstimmung abgelehnt.

Zur Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie siehe unter 2.

1.6 Was für andere Gruppen und Foren gibt es zu Religion und Theologie?

In de.* ist die Hierarchie de.soc.weltanschauung.* zu nennen, für
christliche Theologie vor allem die Gruppe
de.soc.weltantschauung.christentum. Die übrigen Gruppen jener Hierarchie
sind de.soc.weltanschauung.buddhismus, de.soc.weltanschauung.scientology
und de.soc.weltanschauung.misc. Crosspostings in de.sci.theologie und eine
Gruppe aus de.soc.weltanschauung.* werden im allgemeinen nicht gern
gesehen. Falls ein Crossposting gemacht wird, sollte (wie im Usenet
allgemein üblich) der Followup-To-Header auf eine einzige Gruppe gesetzt
werden.

In anderen deutschsprachigen Hierarchien ist auf z-netz.forum.religion und
die Hierarchie cl.religionen.* hinzuweisen. Crosspostings über mehrere
Hierarchien sind von vielen unerwünscht und führen immer wieder zu
unerfreulichen Meta-Diskussionen.

Wer Englisch spricht, findet eine Fülle von weiteren Newsgruppen in den
Big8 und anderen internationalen Hierarchien: soc.religion.* ist an erster
Stelle zu nennen. Auch eine Hierarchie talk.religion.* existiert. Ausserdem
alt.christnet.* und alt.religion.*, wobei bei der Ernsthaftigkeit mancher
der Gruppen gewisse Zweifel angebracht sind.

Eine Übersicht über Kirche und Theologie im Usenet findest Du unter
http://www.christkath.ch/usenet

1.7 Was gehört eher in eine andere Gruppe?

Es ist nicht immer einfach abzugrenzen, was nach de.sci.theologie und was
nach de.soc.weltanschauung.christentum gehört. Eine Faustregel sind die
Hierarchien sci und soc, in denen die Gruppen untergebracht sind: wenn eher
akademisch-intellektuell diskutiert werden soll, ist de.sci.theologie
angebracht. Wenn mehr die Glaubensüberzeugung oder die gesellschaftliche
Rolle der Religion im Vordergrund steht, ist
de.soc.weltanschauung.christentum die erste Wahl. Dies gilt insbesondere
für Grundsatzdiskussionen, in denen es darum geht, die Existenz Gottes oder
die Daseinsberechtigung des Christentums zu diskutieren. Die Charta von
de.soc.weltanschauung.christentum sagt nämlich ausdrücklich: "Insbesondere
soll die Diskussion zwischen Atheisten und Christen in dieser Gruppe
stattfinden."

Gelegentlich verirren sich auch Postings nach de.sci.theologie, die (falls
irgendwo) in de.alt.flame am Platz wären, etwa von der Art: Religion ist
Krankheit, Christen leiden alle an Wahn, sie sind alle Hexenverbrenner und
Schwulenmörder, und die Theologen sind einfach zu dumm, um zu erkennen,
dass Religion, Christentum und Theologie offensichtlicher Unsinn ist. Hier
ist das beste, die Ausfälligkeit zu ignorieren, auch wenn dies selbst
alteingesessenen Leserinnen und Lesern von de.sci.theologie mitunter schwer
fällt.

1.8 So lange Gruppennamen... Gibt es keine Abkürzungen?

Im Usenet werden Gruppennamen oft mit den Anfangsbuchstaben der Segmente
abgekürzt, also d.s.t für de.sci.theologie. Ganz faule Leute lassen die
Punkte weg und schreiben dst. Eine ganze Hierarchie wird mit einem Stern *
oder mit ALL abgekürzt. Nicht jede Abkürzung bezieht sich eindeutig auf
eine Gruppe, aber meist macht der Kontext klar, welche gemeint ist. Weisst
Du jetzt, worauf sich zum Beispiel mit d.s.w.ALL bezieht?

2. Die Wissenschaftlichkeit von Theologie

2.1 Wohin gehört die Theologie im Kanon der Wissenschaften?

Manche zählen sie mit Philosophie, Sprachwissenschaften und
Geschichtswissenschaften zu den Geisteswissenschaften. Andere sehen sie
zusammen mit Medizin und Rechtswissenschaft als eine "integrative
Wissenschaft" an. Manche sind der Meinung, sie sei bei den Wissenschaften
überall fehl am Platz.

Die Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie ist etwas, das in d.s.t
mit schöner Regelmässigkeit diskutiert wird. Eigentlich gehört das Thema
eher nach de.sci.sci-theorie. Die Frage der Wissenschaftlichkeit betrifft
zwar die Grundlagen und Voraussetzungen der Theologie und ist daher Thema
innerhalb der Fundamentaltheologie. Um die Wissenschaftlichkeit zu
beurteilen, sind aber bestimmte Kriterien und Standards für
Wissenschaftlichkeit nötig, und diese Diskussion gehört eindeutig nach
de.sci.sci-theorie.

Es geht hier nicht darum, das komplexe Thema der Wissenschaftlichkeit
überhaupt und der Theologie im besonderen erschöpfend auszuleuchten. Leider
werden aber immer wieder eher einfache Vorwürfe gegen die Theologie
erhoben, von denen hier gezeigt werden soll, dass sie nciht greifen. Die
Frage ist komplexer, und die Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie
ist mit den folgenden Überlegungen weder in die eine noch in die andere
Richtung entschieden. Hier nun aber die häufig erhobenen einfachen
Vorwürfe:

Theologie kann nicht beweisen, dass ihr Gegenstand (Gott) existiert (2.2).

Theologie geht nicht mit wissenschaftlichen Methoden vor (2.3).

Theologische Erkenntnisse werden durch ausserwissenschaftliche Faktoren
(Glauben, Kirche) verfälscht (2.4).

Jene Bereiche der Theologie, die noch halbwegs wissenchaftlich sind, werden
von anderen Disziplinen bereits abgedeckt (2.5).

2.2 Verliert die Theologie nicht ihre Wissenschaftlichkeit, weil sie die
Existenz Gottes nicht beweisen kann?

Es stimmt, die Theologie kann nicht beweisen, dass Gott existiert.
Andererseits: auch andere Wissenschaften können nicht beweisen, dass das,
was sie untersuchen, wirklich existiert und nicht Einbildung ist. Das
Kriterium "Beweisbarkeit der Voraussetzungen" für "Wissenschaftlichkeit"
ist in seiner Brauchbarkeit sehr umstritten.

2.3 Geht die Theologie mit wissenschaftlichen Methoden vor?

Theologie benützt unter anderem historische und linguistische Methoden.
Wenn der Theologie wegen ihrer Methoden Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen
wird, muss man entweder auch der Geschichtswissenschaft und der
Sprachwissenschaft die Wissenschaftlichkeit absprechen oder aber präzise
benennen, welches denn die unwissenschaftlichen Methoden der Theologie
seien.

Den ersten Weg gehen Theologiekritiker, die in der Tradition von Sir Karl
Popper Falsifizierbarkeit zum Kriterium für Wissenschaftlichkeit erheben.
Gemäss diesem Kriterium können nur Naturwissenschaften und allenfalls noch
einzelne empirische Gesellschaftswissenschaften überhaupt als
Wissenschaften gelten. Aufgrund inhärenter philosophischer Schwierigkeiten
(das falsifizierende Ereignis ist seinerseits fallibel) ist das
Abgrenzungskriterium Poppers sehr umstritten.

Wer hingegen den zweiten Weg geht und den Finger punktuell auf methodisch
fragwürdiges Vorgehen bei Theologen legt, erweist damit der Theologie einen
Dienst. Er gibt ihr die Chance, dieses Vorgehen zu korrigieren. Solange
sich dabei nicht herausstellt, dass die entsprechende Methode nicht
notwendigerweise zu jeder theologischen Forschung gehört, vermag ein solch
punktuelles Infragestellen der theologischen Methoden nicht die
Wissenschaftlichkeit des Gesamtgebietes zu gefährden.

2.4 Wird die Theologie nicht von ausserwissenschaftlichen Faktoren massiv
beeinflusst und damit entwissenschaftlicht?

Der Wissenschaftsbetrieb wird immer durch ausserwissenschaftliche Faktoren
beeinflusst, nicht nur in der Theologie. Dies kann geschehen durch das
Persönlichkeitsprofil derer, die Wissenschaft betreiben (Geltungsdrang,
Autoritätsgläubigkeit, Geldgier etc.), aber auch durch die Politik
(Gewährung oder Verweigerung von Forschungskrediten). Der Einfluss der
kirchlichen Hierarchie auf die Theologie, vor allem, was
Lehrstuhlbesetzungen angeht, kann sich tatsächlich auch auf die
inhaltlichen Bereich der theologischen Arbeit auswirken. Dies ist aber
nicht mehr als ein Spezialfall eines externen Faktors, wie sie in allen
Wissenschaften existieren. Der Einfluss von ausserwissenschaftlichen
Gegebenheiten auf die Theologie ist nicht grundlegend anders als in anderen
Wissenschaftsgebieten.

Davon abgesehen ist eine Kriterium für Wissenschaft, in das bereits
Begriffe wie "wissenschaftsfremde Faktoren" eingehen, zirkulär und höchst
unglücklich.

2.5 Könnten nicht viele Fragestellungen der Theologie durch andere
Wissenschaften abgedeckt werden?

Doch. Vielleicht sogar alle, das ist umstritten. Dies spricht dafür, die
Theologie als integrative Wissenschaft zu sehen, die verschiedene Ansätze
aus der Geschichte, der Literaturwissenschaft, der Religionswissenschaft,
den Sozialwissenschaften und der Religionsphilosophie aufgreift und mit
einem bestimmten Fokus untersucht. Die Überdeckung mit anderen
Wissenschaften spricht nicht gegen, sondern für die Wissenschaftlichkeit;
sie kann allenfalls in Frage stellen, ob die Art und Weise, wie die
beteiligten Wissenschaften zusammenarbeiten oder nicht zusammenarbeiten,
sinnvoll ist.

2.6 Wie ist das mit den sogenannten Gottesbeweisen zu verstehen?

Es gab in der Geschichte der Philosophie und Theologie eine ganze Reihe von
Versuchen, die Existenz Gottes zu beweisen. Diese hier alle aufzuführen,
würde zu weit führen. Mit etwas Pragmatismus kann man die Gottesbeweise in
den folgenden Gruppen zusammenfassen.

Ontologische Gottesbeweise: Ausgangspunkt ist der Begriff Gottes als das
perfekte Wesen. Diesem Wesen muss auch Existenz zukommen, sonst wäre es
nicht perfekt, so wird argumentiert. Klassischer Vertreter ist Anselm von
Canterbury, aber auch Descartes verwendet ein ähnliches
Argumentationsmuster. Gegen diesen Beweis ist anzuführen, dass "Existenz"
nicht als Prädikat betrachtet werden muss (und darf), das zur
Vollkommenheit beiträgt.

Kosmologische Gottesbeweise: Ausgangspunkt ist die Welt, von ihr wird auf
einen Ursprung der Welt geschlossen (ungeschaffener Schöpfer, unbewegter
Beweger etc.), weil man sonst von einem infiniten Regress ausgehen müsste.
Thomas von Aquin (in aristotelischer Tradition) ist klassischer Vertreter
dieser Richtung. Gegen diese Art von Gottesbeweisen ist zu sagen, dass
"Gott" eine genauso willkürliche Setzung ist wie die Annahme eines
infiniten Regresses. Ausserdem beweisen diese Beweise (wenn überhaupt
etwas) noch lange nicht Gott, sondern eben einen ungeschaffenen Schöpfer,
einen unbewegten Beweger... Von da bis zum biblischen Gott ist es noch ein
weiter Weg.

Teleologische Gottesbeweise: Der Kosmos, nach heutigem Verstaendnis der
Astronomie zunaechst unstrukturiert im Urknall entstanden, hat eine
erstaunliche Faehigkeit zur Selbstorganisation, die immer komplexeren
Strukturen erzeugt, bis
hin zum menschlichen Gehirn. Sollte man hinter dieser Faehigkeit zur
Selbstorganisation nicht einen bewussten Planer vermuten (eben einen, der
die Naturgesetze so gemacht hat, dass sich einfache Bausteine zu immer
komplexeren Gebilden formen)?

Natürlich kann man auch hier einwenden, dass ein planender Schöpfer eine
willkuerliche Annahme sei. Genauso koenne man Zufall oder eine noch zu
findende andere Ursache als Grund dieser Faehigkeit zur Selbstorganisation
annehmen.

Pascals Wette: Blaise Pascal will nicht wasserdicht beweisen, dass Gott
existiert, aber er will zeigen, dass der vernünftige Mensch in jedem Fall
an Gott glaubt. Wenn er an Gott glaubt, so gewinnt er das ewige Leben,
falls Gott wirklich existiert, verliert aber nichts, wenn Gott nicht
existiert. Wenn er dagegen nicht glaubt, gewinnt er nichts, verliert aber
das ewige Leben, falls Gott existiert. Dagegen ist anzuführen, dass man
dann - zur Sicherheit - an jeden nur möglichen Gott glauben muss, auch an
Götter, die einander gegenseitig ausschliessen, und insbesondere auch an
einen Gott, der nur jene erlöst, die nicht aufgrund von Überlegungen wie
diejenigen Pascals glauben.

Schärfster Kritiker und Zerstörer der Gottesbeweise ist Immanuel Kant in
seinem Werk "Kritik der reinen Vernunft".

Heute wird von fast allen Theologen akzeptiert, dass die Gottesbeweise
nicht stringente Beweiskraft besitzen und man die Existenz Gottes nicht
beweisen kann. Viele schätzen allerdings die Gottes"beweise" trotzdem, nun
nicht mehr als Beweise, sondern als Indiz, dass Glaube an Gott nicht a
priori unvernünftig sein muss, sondern vor der Vernunft verantwortet und
plausibel gemacht werden kann. Letzteres wird jedoch von Religionskritikern
bestritten.

2.7 Setzt Theologie nicht den Glauben voraus?

Theologie als Forschungsgebiet setzt voraus, dass es Menschen gibt, die an
Gott glauben. Würde es niemanden geben ,der an Gott glaubt, so gäbe es
trivialerweise auch niemanden, der die genauere Untersuchung dieses
Gegenstandes für sinnvoll erachtete, und somit gäbe es auch keine
Theologie. Der Glaube ist insofern Voraussetzung für das Entstehen und den
Fortbestand der Theologie.

Für den einzelnen Theologen ist für die Beschäftigung mit dem
Forschungsgegenstand "Gott" nicht a priori Glaube an die Existenz dieses
Gegenstandes vorausgesetzt. Allerdings ist die individuelle
Studienmotivation schwer vorstellbar, und das konkrete Theologisieren steht
in der Gefahr, nicht über die Grundlagen hinauszukommen, wenn jemand diese
Grundlagen bestreitet.

Andererseits ist auch der gläubige Theologe nicht gegen "Störfaktoren"
immun. Dies zeigt sich vor allem dann, wenn er an einem bestimmten
Gottesbild im Glauben festhält, und zwar entgegen seiner theologischen
Erkenntnis.

2.8 Muss ich den Verstand abgeben, wenn ich mich mit Theologie beschäftigen
will?

Bitte, tu's nicht! (Den Verstand abgeben, meine ich.) Es gibt (auch im
Usenet) immer wieder Leute, die den Verstand abgeben, wenn sie über
theologische Themen reden. Sie pflegen dann das, was dabei herauskommt, als
besondere Glaubensleistung anzusehen, auf die sie stolz sind. Mit "Glaube"
in einem theologischen Sinn hat das nichts zu tun (s.u. 6.3).

3 Theologische Teilfächer und Hilfswissenschaften

3.1 Kann mir jemand eine grobe Übersicht über die Teilfächer der Theologie
geben?

Es gibt verschiedene Versuche, die Teilgebiete der Theologie systematisch
zu ordnen. Auch die Bezeichnungen der Teilgebiete sind (z.T. konfessionell)
unterschiedlich. Ich vertrete hier eine Aufteilung in fünf Teilfächer, die
ich als übersichtlich und sinnvoll empfinde. Andere
Einteilungsmöglichkeiten sind in bei den einzelnen Fächern genannt.

Die Biblische Theologie untersucht die Bibel nach verschiedenen
Gesichtspunkten. Sie ist weiter in die Fächer Altes Testament und Neues
Testament unterteilt. (3.2)

Die Historische Theologie untersucht die Geschichte des Christentums. (3.3)

Die Systematische Theologie beschäftigt sich mit den Glaubensinhalten des
Christentums und seinen ethischen Forderungen. (3.4)

Die Praktische Theologie beschäftigt sich mit der kirchlichen Praxis,
leitet dazu an und hinterfragt sie zugleich kritisch. (3.5)

Die Ökumenische Theologie befasst sich mit Fragen, die sich aus der
Tatsache der Existenz verschiedener Konfessionen und der weltweiten
Dimension der Kirche ergeben. (3.6)

3.2 Biblische Theologie des Alten und Neuen Testaments

In der Praxis handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Fächer,
soweit es Studienpläne, Institute, Lehrstühle und Prüfungen angeht. Dennoch
gibt es viel, was das Fach Altes Testament und das Fach Neues Testament
gemeinsam haben. Beide befassen sich mit Teilen der Bibel, beide lassen
sich ähnlich untergliedern, beide benutzen ähnliche Methoden.

Folgende Teilgebiete werden in den biblischen Fächern untersucht:

Einleitungswissenschaft: wer hat einen bestimmten Text geschrieben, wann,
wo, mit welcher Absicht, welche Quellen hat er benutzt, welche Zusätze oder
redaktionelle Bearbeitungen hat es später gegeben...

Geschichte Israels (AT): sie benutzt das Alte Testament als historisches
Quellenmaterial, um die realgeschichtlichen Ereignisse zu erhellen. Dazu
werden weitere schriftliche Quellen aus der Umwelt Israels, aber auch
archäologische Funde beigezogen.

Neutestamentliche Zeitgeschichte (NT): sie unterscheidet sich nicht nur im
viel kürzeren Zeitraum, den sie abdeckt, von der Geschichte Israels (grob:
ein Jahrhundert gegenüber einem Jahrtausend), sondern auch dadurch, dass
die Fülle ausserbiblischer Quellentexte viel grösser ist. Bei der
Geschichte Israels ist das AT eine der wichtigsten Quellen,
neutestamentliche Zeitgeschichte kann man praktisch ohne Beizug des NT
schreiben.

Theologie des Alten bzw. Neuen Testaments: was ist das theologische
Grundanliegen eines Textes, welches Gottesbild steckt dahinter, welche
ethischen Anliegen vertritt er, welche Aussagen macht er über theologisch
wichtige Themen wie Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Menschenverständnis,
Weltbild...

Hermeneutik: wie ist der Text für heute zu verstehen, welche Konsequenzen
für den Glauben können und sollen wir daraus ziehen. In diesen Bereich
gehört auch die Frage, ob es eine "Mitte" des Alten bzw. Neuen Testamentes
gibt, d.h. eine Grundaussage oder Grundeinstellung, von der her das ganze
AT, das ganze NT oder sogar die ganze Bibel verstanden werden soll; und
natürlich, welches gegebenenfalls diese Mitte wäre. Die Hermeneutik ist
damit der Schnittpunkt der Biblischen Theologie sowohl zur Systematischen
als auch zur Praktischen Theologie.

3.3 Historische Theologie

Die Historische Theologie untersucht die Geschichte des Christentums durch
die Jahrhunderte hindurch. Die praktische Untergliederung (Institute,
Lehrstühle) orientiert sich meist an Zeitperioden (Urchristentum, Alte
Kirche, Mittelalter, Zeitalter der Reformation, Neuzeit).

Die Geschichte des Urchristentums wird bisweilen dem Fachbereich Neues
Testament zugerechnet, einerseits aus praktischen Gründen (die
Neutestamentler wissen über diese Zeit eh besser Bescheid), andererseits
aus systematischen Gründen (das NT ist eine wichtige Quelle für dieses
Teilgebiet). Ich halte es in einer Wissenschaftssystematik aber für
sauberer, diese Periode ebenfalls in die Historische Theologie
einzugliedern.

Von einem systematischen Standpunkt unterscheidet man in der Historischen
Theologie folgende Teilgebiete:

Kirchengeschichte: sie behandelt die Realgeschichte des Christentums. Sie
fragt, welche Ereignisse wann und wo stattgefunden haben, welche Leute wann
wo gelebt und welche Ämter bekleidet haben, was sie mit welchen Gründen
getan oder unterlassen haben, welche Auswirkungen dies auf die
soziologische Grösse "Kirche" hatte, wie diese soziologische Grösse mit
anderen soziologischen Grössen interagierte... kurz und gut, weniger
blumig, dafür salopp: die Kirchengeschichte untersucht, was in der Kirche,
mit ihr und durch sie so alles passiert ist.

Dogmen­ und Theologiegeschichte: sie behandelt die Ideengeschichte des
Christentums. Sie fragt, wann welcher Gedanke von wem gedacht wurde, wer
ihn dabei beeinflusst hat, welche dieser Gedanken offiziellen Status einer
Lehre der Kirche erlangten, welche Lehre sich gegen welche andere Lehre
richtete, wer wen wie interpretiert und (miss-)verstanden hat.

Dass die beiden Bereiche Kirchengeschichte einerseits, Dogmen- und
Theologiegeschichte andererseits eng miteinander zusammenhängen, liegt auf
der Hand. Manchmal werden auch Dogmengeschichte und Theologiegeschichte als
zwei unterschiedliche Bereiche angesehen, wobei erstere die Entwicklung der
offiziellen Lehre der Kirche, letztere die Entwicklung theologischer
Lehrmeinungen untersucht. Die Trennung erscheint mir aber dermassen
künstlich, dass ich lieber darauf verzichten möchte (man nenne mir eine
offizielle kirchliche Lehre, die nie theologische Lehrmeinung war).

Die Historische Theologie lässt sich aber auch sachlich-längsschnittartig
untergliedern. Man kann zum Beispiel eine Geschichte der Konzilien, eine
Geschichte des Mönchtums oder eine Geschichte der Mission schreiben. Eine
sachliche Ausgliederung aus der Alten Kirchengeschichte ist die Patrologie
(Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, ca. bis ins 7. Jahrhundert).
Sie hat sich an vielen römisch-katholischen Fakultäten als eigene
Teildisziplin etablieren können und ist ein sehr schönes Beispiel für das
Ineinandergreifen von Kirchen­, Dogmen­ und Theologiegeschichte.

3.4 Systematische Theologie

Die Systematische Theologie beschäftigt sich mit den Glaubensinhalten des
Christentums. Sie tut dies in systematischer Weise - daher der Name -, und
nicht wie die Biblische Theologie aufgrund des zufälligen Auftauchens eines
Themas in einem biblischen Text.

In der Systematischen Theologie kann man die folgenden Teilbereiche
unterscheiden:

Fundamentaltheologie (v.a. in evangelischer Theologie auch oft: Prolegomena
der Dogmatik): Grundlagen und Voraussetzungen der Theologie. Wie kann man
überhaupt von Gott reden, wie entsteht theologische Erkenntnis, was ist
Offenbarung, wie vertragen sich Glaube und Vernunft... Auch diese
Ausführungen über Wissenschaftssystematik gehören zu den Grundlagen und
Voraussetzungen der Theologie und damit zum Teilbereich
Fundamentaltheologie.

Dogmatik: das heutige Verstehen und Ausbilden von Glaubensaussagen. Dabei
geht es nicht wie in der Fundamentaltheologie um die Voraussetzungen, unter
denen Glaubensaussagen zu machen sind, sondern um den Inhalt der
Glaubensaussagen und ihren inneren Zusammenhang: Von Gott, von Jesus
Christus, vom Heiligen Geist, Dreieinigkeit, Schöpfung, Inkarnation, Tod
und Auferstehung, Kirche, Sakramente, Vollendung. Eine recht gute Leitlinie
für den Umfang des Teilgebietes Dogmatik ist das
(nicäno-konstantinopolitanische) Glaubensbekenntnis.

Ethik (v.a. in katholischer Theologie auch: Moraltheologie): das Handeln,
zu dem der Mensch, der im Glauben leben will, gerufen ist. Die theologische
Ethik deckt den gleichen Gegenstandsbereich ab wie die philosophische
Ethik, in der Individualethik das persönliche Verhalten in verschiedenen
Lebensbereichen, in der Sozialethik zum Beispiel Wirtschaftsethik,
Bioethik, Menschenrechte.

Manchmal werden in der Systematischen Theologie nur zwei Bereiche
unterschieden, indem die Fundamentaltheologie nicht als eigenes Gebiet,
sondern als Teilgebiet der Dogmatik betrachtet wird. Andererseits wird
manchmal das Kirchenrecht hier eingeordnet, allerdings eher als
Verlegenheitslösung, weil es sonst nirgends so recht reinpasst. Allenfalls
noch in die Praktische Theologie, und auch dies wird gelegentlich gemacht.

3.5 Praktische Theologie

In der Praktischen Theologie steht die Frage nach der Praxis der Kirche.
Dazu gehören natürlich die beruflichen Tätigkeiten von Theologinnen und
Theologen in der Kirche. Es geht aber nicht um reine Umsetzungsmethoden und
Handlungsanleitungen. Praktische Theologie reflektiert auch genuin
theologische Fragestellungen. Insbesondere gehört zur Praktischen Theologie
auch die kritische Begleitung und Reflexion der kirchlichen Praxis als
ganzer (nicht nur der Praxis der Amtsträgerinnen und Amtsträger).

Man unterscheidet folgende Teilgebiete:

Homiletik: hier geht es um das Verfassen und Halten von Predigten.
Selbstverständlich werden dabei Anleihen aus der Kommunikationspsychologie
gemacht, aber auch die theologische Begründung und Bedeutung der Predigt
hat hier ihren Platz.

Katechetik/Religionspädagogik: Religionsunterricht. Auch hier ist
selbstverständlich, dass Erkenntnisse allgemeiner Pädagogik beigezogen
werden. Das Gebiet deckt auch nicht nur das Alter von Kindern und
Jugendlichen ab, auch Erwachsenenbildung ist eingeschlossen. Auch der
unterschiedliche Kontext (Schule vs. Kirche) des Unterrichts wird
thematisiert.

Liturgik: hier wird über das gottesdienstliche Feiern reflektiert.
Heortologie (Kirchenjahr/Festkreise) und Hymnologie (Kirchengesang) sind
auch hier anzusiedeln. Die Liturgik befindet sich am Schnittpunkt von
Praktischer Theologie (wie wird was gefeiert), Systematischer Theologie
(wie werden Glaubensinhalte zum Ausdruck gebracht) und Historischer
Theologie (wie haben sich die Liturgieformen entwickelt).

Pastoraltheologie/Poimenik: Lehre von der Seelsorge. Die Einsicht in
psychologische Grundmuster der Seelsorgesituation (Pastoralpsychologie) ist
ebenso wichtig wie die Reflexion über verschiedene Seelsorgekonzepte
(begleitende Seelsorge vs. Kriseninterventions-Seelsorge).

Oikodomik/Kybernetik: Kirchgemeindemanagement, Gemeindeaufbau,
Gemeindeleitung.

Spirituelle Theologie: Sie nimmt die unmittelbare spirituelle Erfahrung als
Ausgangspunkt ihrer Betrachtung. Manchmal wird sie auch "Aszetik" oder
"Theologie des geistlichen Lebens" genannt, und ihre Einordnung unter die
Praktische Theologie ist umstritten. Folgende Inhalte werden in diesem
Bereicht betrachtet:
Geschichte und Methodik der Spiritualität: Gegensätze wie Schultheologie
und Mystik (Sprache und Erfahrung der Mystik sind schwer theologisch
einzuordnen), Amt und Charisma (charismatische Gestalten stehen oft in
Opposition zur Leitung), Kampf und Kontemplation (Gottsuche im Alleinsein
und im Dienst am Menschen) und der meditative Weg von der Vielheit zur
Einheit (mit Gott) prägen das spirituelle Leben.
Themen der spirituellen Theologie: Mystische bzw. prophetische Texte und
Bewegungen, Kriterien zur "Unterscheidung der Geister" (1Jh 4), Theologie
des "Gemeinsamen Lebens", Theologie des Gebetes, Theologie der religiösen
Symbole, Kreuzes- und Leidensmystik, Privatoffenbarungen u.a.m.

3.6 Ökumenische Theologie

Die Ökumenische Theologie hat sich vielerorts (noch) nicht als eigenes,
vollwertiges Teilfach der Theologie etabliert. Was in der hier
vorgeschlagenen Systematik unter Ökumenische Theologie fällt, wird an
Theologischen Fakultäten zum Teil anderen Fachbereichen zugeschlagen.

Ökumenische Theologie im engeren Sinn: Geschichte und Fortschreiten der
ökumenischen Bewegung, Probleme und Visionen kirchlicher Einheit und
Zusammenarbeit.

Kirchen-, Konfessions- und Sektenkunde: sie untersucht die Eigenarten der
verschiedenen Kirchen, Konfessionen und Sondergruppen. Auch die
Abgrenzungsprobleme, was Kirche und was Sekte ist, werden hier behandelt.

Die Kirchen-, Konfessions- und Sektenkunde wird manchmal auch der
Historischen Theologieoder der Systematischen Theologie zugeordnet.
Andererseits wird an manchen Universitäten sogar eine bestimmte
Konfessionsfamilie als eigenes Fach behandelt (z.B. Ostkirchenkunde).

Missionswissenschaft: sie reflektiert die missionarische Aktivität der
Kirche. Missionswissenschaft kann auch der Historischen Theologie oder der
Praktischen Theologie zugewiesen werden, je nachdem, welcher Schwerpunkt
gesetzt wird. Die hier vorgenommene Zuweisung zur Ökumenischen Theologie
ergibt sich aus der weltweiten Dimension der Mission (oikoumene=Erdkreis).

3.7 Hilfs- und Lehnwissenschaften

Die Theologie macht Anleihen bei zahlreichen anderen Wissenschaften. Wenn
diese hier als Hilfs- und Lehnwissenschaften erscheinen, so ist damit nicht
ihre Eigenständigkeit bestritten; es geht bei dieser Bezeichnung nur um den
Status, den sie im Rahmen der Theologie innehaben.

Religionswissenschaft: Warum Religionsgeschichte, Religionspsychologie,
Religionssoziologie etc. für die Theologie relevant sind, bedarf wohl kaum
einer näheren Begründung. Einen besonders hohen Stellenwert nimmt dabei die
Judaistik ein, die naturgemäss zahlreiche Berührungspunkte mit der
alttestamentlichen Wissenschaft hat.

Philosophie: vor allem (aber nicht nur) Erkenntnistheorie, Ontologie und
Ethik sind für die Theologie bedeutsam. In diesen Gebieten werden ähnliche
Fragen wie in der Theologie, aber aus unterschiedlicher Perspektive
gestellt. Ausserdem ist die Philosophie ein Fach, das die Gottesfrage
unabhängig von der Theologie betrachtet, was von theologischer Seite nicht
ignoriert werden sollte.

Altphilologie: Da die Quellen, mit denen die Theologie arbeitet, oft Texte
in alten Sprachen sind (AT hebräisch und aramäisch, NT griechisch, viele
kirchengeschichtlichen Texte griechisch oder lateinisch), ist die
Altphilologie für die Theologie unentbehrlich.

Geschichte: Profangeschichte und Kirchengeschichte sind über weite Strecken
eng miteinander verbunden, so dass man das eine nicht sinnvoll ohne das
andere betrachten kann. dies gilt, soweit wir von europäischer Geschichte
sprechen, in etwa von der konstantinischen Wende (4. Jh.) bis zur
Aufklärung (18. Jh.).
Genauso sind natürlich Geschichte Israels und neutestamentliche
Zeitgeschichte ohne Profangeschichte nicht denkbar.

Kunstgeschichte: Da namentlich bildende Kunst jahrhundertelang in erster
Linie religiöse Kunst war, liefert die Kunstgeschichte wertvolle Einblicke
in die Kirchen- und Theologiegeschichte. Wo literarische Quellen fehlen
oder ungenügende Auskunft geben - und das tun sie oft -, sind Kirchenbauten
und religiöse Bilder eine wichtige Quelle des Kirchenhistorikers.

3.8 Wo bleibt die Feministische Theologie?

Feministische Theologie ist nicht eigentlich ein Teilbereich der Theologie,
sondern eine bestimmte Betrachtungsweise, ein bestimmter Standpunkt. Und
zwar ein bestimmter ideologiekritischer Standpunkt (nicht der einzige!).
Drum erscheint sie nicht in dieser Wissenschaftssystematik, ebensowenig wie
die liberale Theologie, die dialektische Theologie, die lateinamerikanische
Befreiungstheologie. Andererseits lässt sich die feministische Theologie
auch als integrativer Ansatz verstehen, der mehrere Teilbereiche der
Theologie umfasst.

3.9 Integrative Ansätze

Als integrative Ansätze bezeichne ich Fachgebiete, die sich in eine
Wissenschaftssystematik schwer einordnen lassen, weil sie
fächerübergreifend arbeiten und sich mehr auf den Fokus, unter dem sie die
Gebiete anschauen, konzentrieren. In mancherlei Hinsicht ist die hier als
eigenes Fach dargestellte Ökumenische Theologie (3.6) ein solcher
integrativer Ansatz. Auch die Feministische Theologie (3.8) kann man dazu
zählen. Sie sei gewählt, um die Problematik aufzuzeigen, welche die
Einordnung integrativer Ansätze mit sich bringt.

Es taucht immer wieder die Forderung nach verstärkter Anerkennung
feministisch-theologischer Forschungsergebnisse auf. Lehrstühle für
Feministische Theologie sind ein oft vorgebrachtes wissenschaftspolitisches
Desiderat. Ebenso oft hört man aber auch die Forderung, bestehende
Lehrstühle mit feministischen Theologinnen zu besetzen. Die Problematik
ist: soll Feministische Theologie als eigener (integrativer) Teilbereich
der Theologie angesehen werden, oder sollen eher innerhalb der bestehenden
theologischen Teildisziplinen feministisch-theologische Ansätze verfolgt
werden?

Für letzteres spricht die Wissenschaftssystematik: es gibt Biblische
Theologie, und darin gibt es feministisch-theologische Ansätze; es gibt
Historische Theologie, und darin gibt es feministisch-theologische Ansätze;
etc. Dafür spricht auch, dass die Forschungsergebnisse direkt im kritischen
Dialog mit anderen, die dieselbe Frage unter anderem Fokus untersuchen,
hinterfragt werden können.

Andererseits verliert die Feministische Theologie dadurch ihren
integrativen Charakter. Dieser ist nur gewährleistet, wenn sie sich
eigenständig und fächerübergreifend betätigt.

Selbstverständlich ist dies plakativ dargestellt. Es zeigt sich aber an
diesem Beispiel, welchen Problemen sich eine wissenschaftssystematische
Betrachtung gegenübersieht.

4 Die Bibel in Theologie und Glauben

4.1 Christen glauben doch an die Bibel. Also müssen Christen auch glauben,
dass...

Christen glauben in allererster Linie an Jesus Christus. Welche Rolle die
Bibel in diesem Glauben spielt, ist verschieden und bewegt sich zwischen
den Extremen "verbalinspirierte Offenbarungsquelle" und
"menschlich-fehlerbehafteter Bericht".

Das Argument "In der Bibel steht... also..." greift in den meisten Fällen
zu kurz. Dies liegt daran, dass die Texte vor einem kulturellen Hintergrund
zu verstehen sind, der 2000 Jahre oder mehr zurückliegt. Von den
Schwierigkeiten, den hebräischen, aramäischen oder griechischen
Originaltext ins Deutsche zu übersetzen, einmal ganz zu schweigen. Deswegen
ist schon die erste Hälfte nicht so einfach, nämlich festzustellen, was in
der Bibel wirklich steht und was damit gemeint ist. Daraus einen Schluss
für die Gegenwart zu ziehen, ist ein weiterer nicht einfacher Schritt.
Theologinnen und Theologen warnen im Allgemeinen vor kurzschlüssigen
Folgerungen aus bestimmten Bibelstellen.

4.2 Was hat es mit der sogenannten Kanonfrage auf sich?

Mit "Kanon" bezeichnet man in der Theologie unter anderem die Liste der
biblischen Schriften. Die Kanonfrage ist die Frage, was denn nun zur Bibel
gehört und was nicht.

Das ist keineswegs trivial. Der Kanon hat sich historisch entwickelt, und
manche Schriften waren längere Zeit umstritten, so etwa die Offenbarung des
Johannes. Apokryphe Evangelien und andere Schriften erhoben den Anspruch,
ebenfalls authentisch von Gott zu reden. So wurde es nötig, hier eine
Richtschnur vorzugeben. Marcion hat dies im 2. Jahrhundert versucht, er
akzeptierte allerdings nur das Neue Testament, und auch dort nur zehn
Paulusbriefe und ein von in seinen Augen judaisierenden Tendenzen
gereinigtes Lukasevangelium. Der christliche Kanon des Alten und Neuen
Testaments ist wenigstens zum Teil als Antwort auf Marcion zu verstehen,
und damit als Bekenntnis zu den eigenen jüdischen Wurzeln.

Was die Kanonfrage theologisch besonders interessant macht, ist das
Problem, dass es eine Frage ist, die man als Christ grundsätzlich nicht auf
der Grundlage der Bibel fällen kann. Denn es geht ja bei der Kanonfrage
überhaupt erst darum, abzugrenzen, was denn Bibel ist und was nicht.

Natürlich kann man sich dabei auf die Tradition berufen, und auch jene
Kirchen und Christen, die sonst auf die Tradition nicht so gut zu sprechen
sind, tun es in diesem Fall normalerweise. Das Problem wird dadurch
allerdings nicht gelöst, wir stehen nach wie vor vor einem hermeneutischen
Zirkel:

Die Entscheidung über den Kanon kann nur aus dem Glauben gefällt werden,
aber der Glaube ist auf das Offenbarungszeugnis der Bibel und damit auf den
Kanon angewiesen. Oder anders betrachtet: die Kirche entscheidet über den
Kanon, aber sie findet ihre eigene Legitimierung erst in der Bibel und ist
damit auf den Kanon angewiesen.

4.3 Haben die biblischen Autoren einander oder von ausserbiblischen
Schriften abgeschrieben?

Ja. Allerdings muss nicht jede Übereinstimmung zwischen Schriften auf
Abschreiben zurückzuführen sein.

Wenn ein Autor dem anderen abgeschrieben hat, also dessen Werk beim
Verfassen des eigenen vor sich liegen hatte und Textpassagen (weitgehend)
wörtlich daraus übernommen hat, so spricht man von literarischer
Abhängigkeit. Literarische Abhängigkeit besteht auch, wenn zwei Autoren
demselben dritten, älteren Werk abschreiben. Wichtig ist aber, dass die
Übereinstimmung wörtlich oder zumindest weitgehend wörtlich ist.

Wenn einfach die Geschichten oder die Gedanken ähnlich sind, dann liegt
wahrscheinlich eher traditionsgeschichtliche Abhängigkeit vor. Das
bedeutet, dass zwei Autoren auf gleiche mündliche Überlieferungen
zurückgreifen. Es kann aber auch heissen - und dies ist wahrscheinlich der
häufigste Fall -, dass zwei Autoren auf das gleiche kulturell geprägte
Gedankengut zurückgreifen.

Beispiel: Matthäus und Lukas erzählen beide von der Anbetung des
Neugeborenen Jesuskindes, der eine durch Weise, der andere durch Hirten,
und dass die Geburt diesen durch himmlische Ereignisse kundgetan wird
(Stern von Bethlehem bzw. Engelschar). Dies hat keiner dem anderen
abgeschrieben, aber bei beiden steht die kulturell geprägte Vorstellung im
Hintergrund, dass die Geburt des erwarteten Erlösers von himmlischen
Ereignissen begleitet wird und dass bereits dem neugeborenen Messias
Anbetung gebührt.

4.4 Und wer hat denn nun von wem abgeschrieben?

Dies im einzelnen auszuführen, ist eine Wissenschaft für sich und würde
hier zu weit führen. Eine neuere "Einleitung in das Alte Testament" bzw.
"Einleitung in das Neue Testament" leistet hier gute Dienste, ebenso
Kommentare zu einzelnen biblischen Büchern.

Einigermassen klar ist die Sachlage bei den sogenannten synoptischen
Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas). Hier liegen zahlreiche
Übereinstimmungen vor, zum Teil bis in den Wortlaut, und auch die
Reihenfolge der Perikopen (Einzelerzählungen) ist oft verblüffend ähnlich.
Aus diesen Gründen ist von literarischer Abhängigkeit auszugehen.

Man geht heute davon aus, dass Markus das älteste der Evangelien ist, und
dass Matthäus und Lukas das Markusevangelium benutzt haben. Das erklärt
aber noch nicht die Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas, wo
Markus einen Text nicht bietet. Man geht daher davon aus, dass Matthäus und
Lukas eine weitere Quelle benutzt haben, die leider nicht mehr vorliegt und
deahlb nur rekonstruiert werden kann. Diese Quelle nennen die Theologen der
Einfachheit halber einfach "Q". Da sie vor allem Jesusworte (kaum
Erzählungen) enthalten haben dürfte, spricht man auch von der
"Logienquelle" (Logion=Jesuswort).

Da Matthäus und Lukas jeder die zwei gleichen Quellen benutzt hat, spricht
man bei dieser Erklärung von der Zweiquellentheorie.

4.5 Was sagen verantwortungsvolle Christen heute zu Kreuzzügen,
Inquisition, Hexenverfolgungen etc.?

Die Kirche hat sich in den vergangenen 2000 Jahren tatsächlich vieles
getan, was keineswegs mit dem von ihr immer so propagierten Gebot der
Nächstenliebe vereinbar ist. Nicht nur Kritiker des Christentums und der
Kirche sehen das so, sondern auch Menschen, die sich ausdrücklich zum
christlichen Glauben und zur Kirche bekennen. Sie distanzieren sich von
diesem Fehlverhalten der Kirche in der Vergangenheit und setzen sich dafür
ein, dass jetzt und in Zukunft nichts Vergleichbares mehr "im Namen Gottes"
geschieht.

4.6 Aber da gibt es doch auch heute noch Regionen, wo sich die Menschen im
Namen Gottes bekämpfen, und Christen sind ebenfalls beteiligt: Bosnien,
Nordirland, Zypern...

Leider stimmt das. Leider erliegen in Konfliktsituationen viele Christen,
auch solche in kirchenleitender Funktion, der Versuchung, mehr für den
eigenen Vorteil als für den Friedenswillen Gottes Partei zu ergreifen. Und
leider lassen sich Kirchen auch allzu oft von politischen Kräften
missbrauchen, weil sie sich davon einen Vorteil erhoffen, oder weil sie zu
schwach sind, sich dagegen zu wehren.

4.7 Warum beten die Katholiken eigentlich Maria an, wo es doch gemäss der
Bibel nur einen Gott gibt und ihm allein Anbetung gebührt?

Keine christliche Kirche betet Maria an, auch nicht die römisch-katholische
oder die orthodoxen Kirchen, obwohl in diesen Kirchen die Marienverehrung
eine wichtige Rolle spielt. Maria wird verehrt, das heisst, sie wird mit
derselben Ehrerbietung behandelt, wie sie ihr auch der Erzengel
entgegenbringt (vgl. Lukas 1,26-38). Sie bekommt diese Verehrung nicht
aufgrund ihrer eigenen Verdienste, sondern aufgrund der Gnade, dass sie die
Mutter des Sohnes Gottes geworden ist (christologische Wurzel der
Mariologie).

Deutlich wird der Unterschied zum Beispiel in der Litanei. Bei den
Anrufungen der Mutter Gottes, der Engel und der Heiligen antwortet die
Gemeinde jeweils mit "bitte(t) für uns". Bei den Anrufungen an Gott
antwortet die Gemeinde mit "bewahre uns, o Herr und Gott", "wir bitten
dich, erhöre uns" oder ähnlichen Formeln. In einer Anrufung an Heilige
würde nie eine Bitte um Erhörung stehen, weil es allein in Gottes Hand ist,
Bitten zu erhören. Anrufungen an Heilige enthalten die Bitte um Fürbitte,
wie ich auch einen Freund bitten kann, mich in seine Gebete
einzuschliessen.

Allerdings ist zuzugeben, dass die Unterscheidung zwischen Anbetung
(Gottes) und Verehrung (Marias, der Heiligen, der Engel) in manchen
theologischen Entwürfen und Dokumenten stark verwischt wird. Dasselbe ist
in der Frömmigkeitspraxis vieler Menschen zu beobachten. Wenn auch kein
christ ernsthaft behaupten dürfte, Maria gebühre die gleiche Anbetung wie
Gott, so rückt die Marienverehrung doch bisweilen nahe, allzu nahe an die
Anbetung, wie sie nur Gott gebührt.

5 Literatursuche

5.1 Kann mir jemand in der Newsgroup bei der Suche nach theologischer
Literatur helfen?

Poste eine Anfrage. Wunder darfst Du keine erwarten, aber auf den einen
oder anderen nützlichen Tip kannst Du schon hoffen.

Den Zugang zu einer theologischen Bibliothek ist aber unbedingt nötig.
Erstens sind manche theologischen Werke nicht mehr ohne weiteres
erhältlich, und zweitens ist theologische Fachliteratur teuer. Neben den
theologischen Fakultäten haben häufig Landeskirchenämter (Konsistorien) und
Kirchenkreise solche Bibliotheken. Diese können häufig über Fernleihe auch
ausgefallene Werke beschaffen.

Ausserdem haben Bibliothekarinnen und Bibliothekare grosse Erfahrung im
Suchen von Literatur. Stelle Dich gut mit ihnen, ein hilfsbereiter
Bibliothekar ist Gold wert.

5.2 Was muss ich beachten, um eine brauchbare Antwort zu bekommen?

Erstens: Teile mit, wozu Du die Literatur benötigst. Wenn Du einfach mal so
Dich in das Thema Poesie in der Bibel einlesen möchtest, hilft Dir das
sechsbändige Standardwerk ebensowenig wie eine Spezialuntersuchung über das
Metrum in Psalm 22. Und wenn Du eine Dissertation zum Thema "Verantwortung
und Kompetenz des Bischofs gegenüber den Presbytern und Diakonen in den
Pastoralbriefen, bei Ignatius von Antiochien und Clemens von Rom. Ein
Vergleich" schreibst, dann möchtest Du sicher keine Empfehlung, den Artikel
"Bischofsamt" in der Theologischen Realenzyklopädie zu lesen.

Zweitens: Schreibe, wo und wie du schon Literatur gesucht hast und was Du
dabei gefunden hast. Es ist für alle nur verlorene Zeit, wenn jemand auf
Deine Anfrage Literatur sucht und findet, die Du schon hast. Wenn Deine
Anfrage im Usenet der erste Versuch ist, an Literaturangaben zu kommen,
beachte bitte den nächsten Punkt.

5.3 Was sind denn die üblichen Hilfsmittel?

Am Anfang ist es immer gut, sich einen Überblick über das Thema zu
verschaffen. Dazu leisten theologische Lexika gute Dienste. Die
Theologische Realenzyklopädie (TRE), erschienen bei de Gruyter, umfasst
bisher 24 Bände und wird laufend weitergeführt. Auch die Lexika "Religion
in Geschichte und Gegenwart" (RGG; pass auf, dass Du die dritte Auflage
erwischst), "Lexikon für Theologie und Kirche" (LThK, vor allem für
Informationen aus römisch-katholischer Sicht) und "Reallexikon für Antike
und Christentum" (RAC) sind immer wieder hilfreich. Ein guter
Lexikonartikel ist übrigens auch geeignet, um Prüfungsstoff zu repetieren
(persönlich erfolgreich getestet).

Ein vielversprechender Einstiegspunkt sind auch Kompendien. In den meisten
theologischen Teildisziplinen gibt es Werke wie "Handbuch der…" oder
"Kompendium der…" (das meistgehasste ist das Kompendium der
Kirchengeschichte von Karl Heussi), meist mit guten Registern und
weiterführenden Literaturhinweisen.

Vorwiegend für Expertinnen und Experten sind Fachbibliographien zu
einzelnen theologischen Gebieten oder Fragen gedacht. Mit den genannten
Hilfsmitteln solltest Du auf solche Fachbibliographien stossen, wenn es sie
in einem bestimmten Gebiet gibt. Meist brauchst Du solche
Spezialbibliographien auch erst, wenn Du eine grössere wissenschaftliche
Arbeit schreibst, und dann wirst Du sowieso nicht darum herumkommen,
intensiv nach Literatur zu suchen (siehe dazu auch 5.5). Ähnliches gilt für
Zeitschrifteninhaltsdienste. Hier gilt noch mehr als anderswo: frage Deinen
Lieblingsbibliothekar um Rat, er kann Dir am ehesten weiterhelfen.

Dies alles gilt in erster Linie, wenn Du Literatur zu einem theologischen
Thema, einer Person oder einer Periode der Kirchengeschichte suchst. Wenn
Du Literatur zu Bibelstellen suchst, ist der Einstieg über Kommentare
sinnvoller.

5.4 Wie finde ich Literatur zu bestimmten Bibelstellen?

Wenn Du Literatur zu einer bestimmten Bibelstelle suchst, schau mal in
einen Kommentar. Empfehlenswert sind vor allem neuere Kommentarreihen, zum
Beispiel der Evangelisch-Katholische Kommentar (EKK) und Herders
Theologischer Kommentar (HThK) für das Neue Testament, der Biblische
Kommentar (BK) für das Alte Testament. Auch die Reihen Altes Testament
Deutsch und Neues Testament Deutsch (ATD und NTD) sind empfehlenswert, da
sie immer wieder neu überarbeitet werden. Das ist nur eine Auswahl, es gibt
zahlreiche weitere Kommentarreihen und Einzelkommentare.

In diesen Kommentaren findest Du normalerweise mehr als genug
Informationen, und wenn Dir das nicht reicht, ausführliche
Literaturangaben. Gerade die neueren Kommentatoren sind so gründlich (oder
verrückt), möglichst alle aktuelle Literatur zum Thema zu verzeichnen.

Wenn Du eine wissenschaftliche Arbeit schreibst, führt kaum ein Weg an der
Zeitschrift für Alttestamentliche Wissenschaft (ZAW) oder der Zeitschrift
für Neutestamentliche Wissenschaft (ZNW) vorbei. Beide haben gute Register.
Und beide veröffentlichen Rezensionen zu allem, was ihnen unter die Finger
kommt. Arbeite Dich vom neuesten Jahrgang rückwärts durch, mindestens bis
zum Erscheinungsjahr des jüngsten Kommentars.

5.5 Wie stelle ich sicher, alle Literatur zu einem bestimmten Thema zu
finden?

Grundsätzlich: vergiss es. ;-) Es wird zu viel und zu schnell publiziert,
als dass Du Schritt halten könntest. Wenn Du Deine Literaturrecherche
abgeschlossen hast, wird es Neuerscheinungen geben, während Du noch die
alten Bücher liest.

Trotzdem gibt es natürlich ein paar Strategien und Tricks, mit vertretbarem
Aufwand möglichst wenig zu verpassen. Wenn Du ein vollständiges
Literaturverzeichnis anstrebst, bist Du meistens schon ein
fortgeschrittener Theologe, der vor einer mittelgrossen bis grossen
wissenschaftlichen Arbeit steht. Ich setze einmal voraus, dass Du die oben
genannten Tips (5.3 und 5.4) beherzigt hast.

Erstens: suche die neueste Publikation zum Thema, und arbeite Dich dann
durch die Literaturverzeichnisse rückwärts. Zweitens: achte besonders auf
Fussnoten, dort finden sich manchmal Hinweise auf Literatur, die im
Literaturverzeichnis nicht aufgeführt ist. Drittens: lege eine eigene
übersichtliche Literaturliste an (wozu hat man schliesslich einen
Computer?). Viertens: wenn Du einen Autor gefunden hast, der zu Deinem
Thema schreibt, suche in Katalogen und Zeitschriften nach weiteren
(jüngeren) Titeln dieses Autors. Oft bleiben Theologen länger an einem
Thema. Fünftens: suche systematisch das Umfeld ab, wenn Du eine besonders
passende Monographie gefunden hast. Das meine ich ganz banal: schau in der
Bibliothek alle Bücher durch, die im selben Regal stehen.

Und schliesslich: Frechheit siegt. Für meine Abschlussarbeit über das
Kirchenverständnis der Pastoralbriefe habe ich in der Reihe Herders
Theologischer Kommentar nur die beiden Bände zu den beiden Timotheusbriefen
gefunden. Im Vorwort stand, der dritte Band zum Titusbrief würde auch einen
übergreifenden Exkurs zum Thema Gemeinde und Amt enthalten - genau das, was
ich suchte. Leider war dieser Band noch nicht erschienen. Ich habe dem
Autor (Lorenz Oberlinner) geschrieben, und er hat mir Kopien der
Druckfahnen dieses Exkurses zugeschickt.

5.6 Gibt es auch Suchmittel oder besonders interessante Einstiegspunkte im
Internet?

Die gibt es, und das Internet entwickelt sich so schnell, dass es schwierig
ist, die Übersicht zu behalten. Es soll hier deshalb keine meterlange Liste
von WWW-Links aufgelistet werden, zumal ja Usenet und WWW zwei verschiedene
Dinge sind. In de.sci.theologie wurde diskutiert, ob man eine
umfangreichere Liste von URLs getrennt von der FAQ aufbauen und aktuell
halten könnte, leider hat sich bisher niemand gefunden, der dies gerne tun
würde.

In der Newsgruppe de.rec.buecher ist Oliver Gassner gerade dabei, eine neue
FAQ zum Thema "Wie finde ich Informationen zu Autoren und Buechern?"
aufzubauen. Dort findest Du nähere Informationen, wenn Dir dieses
grosszügige halbe Dutzend Links, die ich an dieser Stelle anführe, nicht
reichen:

* Virtuelle Lib in Karlsruhe mit einer Suchmaschine für einige
wissenschaftliche Bibliotheken, etliche deutsche Bibliothekenverbünde
und ein paar Nationalbibliotheken. Gleichzeitig Suche in
Buchhandelskatalogen (VLB u.a.):
http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html
* GABRIEL, Sammlung von Telnet- und WWW-OPACS (Online Public Access
Catalogue) etlicher Nationalbibliotheken:
http://renki.helsinki.fi/gabriel/en/opacs.html
* Die Leitseite des Hochschulbibliothekszentrums (HBZ). Hier ist die
Stärke das geographische Ordnungsprinzip, ich finde schnell eine
Bibliothek in der Nähe: http://sokrates.hbz-nrw.de/hbz/germlst.html
* Deutsches Bibliotheksinstitut (DBI): Wichtig am DBI ist der Katalog
der Bibliotheksadressen. Das geht noch viel weiter als oben genanntes
HBZ-Angebot. Da ist dann wirklich fast jede Krümelbibliothek in
Deutschland genannt. Da kommen dann frappierende Sachen raus, etwa
Firmen und Behördenbibliotheken und vielleicht auch etwas direkt vor
der Haustür: http://www.dbi-berlin.de/dbi_dbf/dbi_dbf.htm
* Oft geht es auch darum, ein vergriffenes Buch aufzutreiben. Bei der
folgenden Adresse kann man über eine Search Engine ca. 30 Antiquariate
mit ihren Online-Katalogen abgegrast werden - sicher die Nr. 1 für
Deutschsprachiges: http://www.zvab.com
* Die bibliomaniac List von Markus Kolbeck ist eine Linksammlung zur
Literatur, in der man Links zu allem und jedem findet, was mit Büchern
und sonstiger Literatur zu tun hat: http://www.lipsia.de/~markus/bl/
* Für Recherchen nicht speziell nach Büchern, sondern nach theologischen
Themen im Internet sei hier das ChristWeb empfohlen. Es handelt sich
dabei um eine Suchmaschine mit zusätzlicher Spartenanzeige und wird
unterhalten von evangelischen und römisch-katholischen Kirche in
Deutschland: http://www.ChristWeb.de

6. Theology in a nutshell oder: theologische Grundbegriffe, kurz erklärt

In diesem Abschnitt gilt mehr noch als in den anderen das unter 0.3
Gesagte: meine persönliche Meinung spielt in die Antworten hinein. Ich habe
mich hier vor allem bemüht, eine Gegenposition zu "landläufigem"
Verständnis zu vertreten, da dieses für viele Missverständnisse
verantwortlich ist.

6.1 Gott

Idealtypisch lassen sich drei Gottesvorstellungen unterscheiden:

Gott kann betrachtet werden als ein als Prinzip der Welterklärung. Alles,
was in der Welt nicht erklärt werden kann, wird durch Gott erklärt,
insbesondere auch die Entstehung der Welt und die Existenz der
Naturgesetze. Dies ist die Vorstellung eines weitgehend unpersonalen
Gottes.

Gott kann aber auch betrachtet werden als absoluter Machtträger. Dies ist
eine personale Gottesvorstellung, die das herrschende und richtende Element
in Gott betont.

Gott kann drittens betrachtet werden als Sinnstifter. Glaube an Gott ist
dann das Grundvertrauen, dass die Welt nicht eine sinnlose Abfolge von
Ereignissen ist, sondern einen Sinn, einen Wert, eine Qualität hat.

Das dritte der genannten Gottesbilder entspricht am ehesten den biblischen
Aussagen vom erlösenden, befreienden und liebenden Gott. Auch die
Schöpfung, oft missverstanden Gedanke der Welterklärung, ist theologisch
unter dem Vorzeichen von Gott als dem Sinnstifter zu verstehen: durch sein
Schaffen legt Gott Sinn in die Schöpfung (vgl. den Refrain "und Gott sah,
dass es gut war" in Gen 1). Und auch das Prädikat der Allmacht, das dem
zweiten Gottesbild entspricht, ist theologisch eine Aussage des Vertrauens
in Gott den Sinnstifter: wenn auch die Welt manchmal sinnlos erschient, so
vertraut der Glaubende doch darauf, dass sie letztlich in Gottes Hand
liegt, er ihr Sinn gibt und dadurch Macht über sie hat.

6.2 Theologie

Theologie heisst von der griechischen Grundbedeutung her "vernünftige Rede
von Gott". Dabei ist es eine der Grundmaximen der Theologie, dass jede Rede
von Gott nur eine Annäherung sein kann. Der Grundvorbehalt der
apophatischen (oder: negativen) Theologie ist immer mitzudenken, dass
nämlich menschliches Reden von Gott nie ganz angemessen sein kann, dass wir
Gott nie ganz in die Theologie "einfangen" können.

Theologische Aussagen sind immer nur im Hinblick auf einen bestimmten
Aspekt, eine bestimmte Fragestellung, eine bestimmte Gesprächssituation zu
verstehen. Unter einem anderen Aspekt, im Hinblick auf eine andere
Fragestellung oder Gesprächssituation kann eine anderslautende Aussage über
Gott geboten sein. Aus diesem Grund wirken Aussagen über Gott oft paradox,
wenn zwei Aussagen, die unter unterschiedlichen Aspekten und
Fragestellungen zu verstehen sind, einfach hintereinandergestellt werden
(z.B. die Aussage von der Dreieinigkeit Gottes).

6.3 Glaube

Das griechische Wort, das im Neuen Testament normalerweise mit "Glauben"
übersetzt wird, ist "pistis" und heisst genaugenommen "Vertrauen".
Theologisch gesprochen ist Glaube nicht das Für-Wahr-Halten von Sätzen,
sondern das Vertrauen in Gott. Gott selbst, und nicht ein bestimmtes
formuliertes Glaubensbekenntnis, ist das primäre Objekt des Glaubens. Damit
ist mitgedacht, dass Glaube im theologischen Sinn eine existentielle
Betroffenheit beinhaltet. Distanzierter Glaube ist unmöglich, Glaube nimmt
Stellung. Insofern verliert der Glaube, auch wenn es nicht um ein
Für-Wahr-Halten von Sätzen geht, nichts von seinem Entscheidungscharakter.

Die Tradition bringt einiges davon in der Unterscheidung zwischen fides qua
creditur und fides quae creditur zum Ausdruck. Die fides qua creditur ("der
Glaube, mit dem geglaubt wird") ist der Glaubensakt, das existentielle
Vertrauen, das der Glaubende Gott entgegenbringt, der Glaube an Gott. Die
fides quae creditur (der Glaube, der geglaubt wird") ist der
Glaubensinhalt, die Glaubenssätze, der Glaube, dass sich etwas so und so
verhält. Die fides quae ist gegenüber der fides qua sekundär.

6.4 Kirche

Um den Begriff "Kirche" gibt es in Diskussionen oft grosse Verwirrung. Er
kann (mindestens) in folgenden Bedeutungen verwendet werden:

* Kirche als theologische Grösse;
* Kirche (allgemein) als Institution;
* Kirche als Institution in ihrer konkreten konfessionellen Gestalt.

Theologisch gesprochen ist die Kirche die Gemeinschaft derjenigen, die in
Gemeinschaft mit Jesus Christus und dadurch untereinander stehen. Die
Kirche ist damit gottmenschliche Gemeinschaft. Dies kommt auch in den
grossen biblischen Bildern für die Kirche zum Ausdruck (Volk Gottes, Leib
Christi, Tempel des Heiligen Geistes, Braut Christi, Hauswesen Gottes).
Damit hat die Kirche primär nicht eine institutionelle, sondern eine
theologische Dimension.

Die Institutionalisierung der Kirche ist eine Folge davon, dass die von den
ersten Christen noch zu Lebzeiten die Wiederkunft Jesu Christi als
Herrscher in Herrlichkeit erwarteten (fachsprachlich heisst das ganze
Parusieverzögerung. Parusie meint die Wiederkunft Christi; wenn diese für
die unmittelbare Zukunft erwartet ist, spricht man von Naherwartung).

Dass es überhaupt zu einer Institutionalisierung kam, ist wahrscheinlich
eine notwendige Folge der Parusieverzögerung. Ohne Institutionalisierung
wäre es kaum zu einer längeren Überlieferung des Glaubens und der Schriften
gekommen. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, wie diese
Institutionalisierung aussehen könnte oder sollte. Es sind mehrere
Tendenzen möglich und auch tatsächlich wirksam. Einerseits die Tendenz, auf
Kontinuität und die umfassende Gemeinschaft der Christen auch über die
Zeiten hinweg Wert zu legen (horizontale Dimension). Dies führt naturgemäss
zu einer stärkeren und verbindlichen Institutionalisierung. Andererseits
gibt es auch die Tendenz, die unmittelbare Gottesbeziehung des einzelnen
Christen zu betonen (vertikale Dimension). Die Institutionalisierung ist
dann weniger ausgeprägt, wenn auch nicht ganz abwesend. Oft sind hier auch
die institutionellen Züge, obwohl vorhanden, schwieriger zu entdecken.

In jedem Fall scheint es mir fragwürdig, die Kirche auf ihre
institutionelle Form engzuführen. Wenn man die Kirche mit Paulus
theologisch als Leib Christi versteht, ist eine Antithese "Christus ja -
Kirche nein" höchst fragwürdig. Die Institution Kirche muss sich aber immer
an ihrem theologischen Anspruch messen lassen. Das impliziert, dass die
konkrete institutionelle Ausprägung der Kirche in Frage gestellt werden
darf. Wenn diese Infragestellung durch die Institution tabuisiert wird, so
verbietet die Institution, an ihrem eigenen Anspruch, Kirche = Leib Christi
zu sein, gemessen zu werden.

6.5 Rechtfertigung

Eine Rechtfertigungslehre beantwortet die Frage, unter welchen Bedingungen
der Mensch, der doch Sünder ist, Erlösung erlangen kann.

Luther, der diese Frage ins Zentrum seines Theologisierens rückt, sagte:
der Mensch kann überhaupt nichts zu dieser Erlösung (oder eben
"Rechtfertigung") beitragen. Sie wird ihm von Gott geschenkt, ohne dass
Gott ihm dies schuldig wäre (sola gratia, allein durch die Gnade), und der
Mensch kann Gott nicht dadurch wohlgesinnt stimmen, dass er gute Werke tut,
sondern nur das Gnadengeschenk Gottes im Glauben (sola fide) annehmen.
Luther beruft sich dabei auf die Bibel, insbesondere auf die paulinischen
Briefe, und lässt im Prinzip keine anderen Argumente gelten (sola
scriptura), wenn er auch durchaus in einer kirchlich-theologischen (nämlich
der augustinischen) Tradition steht. Weiter legt Luther wert darauf, dass
die Rechtfertigung, die Gott uns geschenkweise zuteil werden läßt, allein
durch Christus (solus Christus) geworden ist. Auch nachdem der Mensch
gerechtfertigt wurde, bleibt er Sünder (simul justus et peccator). Er ist
beides zu 100%, nicht halbe/halbe oder so.

Luther kämpfte gegen etwas, das er "Werkgerechtigkeit" nannte, eben die
Auffassung, man könne sich die Erlösung durch gute Werke verdienen.
"Werkgerechtigkeit" ist für Luther ein Schimpfwort. Ich persönlich würde
bei dem, was Luther meiner Meinung nach zu recht bekämpfte, eher von
"Leistungsgerechtigkeit" sprechen: Rechtfertigung aufgrund einer Leistung
des Menschen.

Der Streit, den Luther und seine Zeitgenossen selbst führten, gilt als
überholt, weil sich die Theologen verschiedenster konfessioneller Herkunft
heute weitgehend einig sind, dass eine Leistungsgerechtigkeit abzulehnen
sei. Die Frage nach der Rolle des menschlichen Handelns im
Erlösungsgeschehen ist aber weiterhin kontrovers.

Man könnte sagen, dass die Rechtfertigungslehre heute (wieder) in den
weiteren Kontext der Frage der Erlösung, des menschlichen und des
göttlichen Handelns etc. hineingestellt wird. Leider existiert aber das
Missverständnis, die Rechtfertigungslehre als isolierteFragestellung zu
betrachten, weiterhin.

Dieser Abschnitt 6 kann je nach Bedarf in der Gruppe, Enthusiasmus und
Freizeit des FAQ-Schreibers erweitert werden. Ich denke zum Beispiel an
Begriffe wie Dogma; Offenbarung; Sünde; Sohn Gottes, Messias, Herr;
Auferstehung. Weitere Vorschläge sind willkommen und werden unverbindlich
entgegengenommen.

7 Schlussbemerkungen

7.1 Credits

Folgende Leute haben mit guten Vorschlägen oder kritischen Anfragen zu
dieser FAQ beigetragen. Sie können allerdings nicht für den Text
verantwortlich gemacht werden, manche (nicht alle) von ihnen sind in
wesentlichen Punkten dezidiert anderer Meinung als ich und der FAQ-Text.

Achim Stump <St...@WriteMe.com>
Andreas Zerbst <zer...@rz.uni-leipzig.de>
Christoph Pulster <cpul...@ix.urz.uni-heidelberg.de>
Felix Pfefferkorn <f...@wal.sub.org>
Frank Bechhaus <f...@gmx.de>
Fritjof Ziegler <fzie...@ix.urz.uni-heidelberg.de>
Gebhard Kühschweiger <gkuehsc...@carinthia.com>
Gerald Huber <Gerald...@geographie.uni-regensburg.de>
Harald Ruppenthal <Harald.R...@math.uni-giessen.de>
Markus Kolbeck <mar...@sem.lipsia.de>
Norbert Rump <nr...@ifi.unizh.ch>
Oliver Gassner <fra...@poboxes.de>
Oliver Schlick <osch...@mus.ch>
Otto Dönneweg <Doen...@t-online.de>
Ralf Leistner <R.Lei...@t-online.de>
Robert Wachinger <rob...@UmKalsum.camelot.de>
Volker Bachschneider <V.Bachs...@t-online.de>

7.2 Wo ist diese FAQ überall zu finden?

* Die aktuellste Version findet man jeweils im WWW unter
http://www.christkath.ch/usenet/dst-faq.htm.
* Die ursprüngliche Heimat dieser FAQ ist die Newsgruppe
de.sci.theologie. Sie wird dort einmal monatlich gepostet.
* Ausser in ihrer Heimatgruppe ist die FAQ noch in den Gruppen
de.answers und news.answers zu finden.
* Per anonymous FTP findet man die FAQ unter
rtfm.mit.edu/pub/faqs/de-sci-theologie/faq.
* Version 1.2 der FAQ ist auf einer CD-ROM erschienen (vgl.
http://www.animabit.de/quarterly/nr3.htm).

Anregungen, Kritik und fixfertig formulierte Beiträge für die leeren
Untertitel ;-) bitte an dst...@christkath.ch.

Adrian Suter


http://www.christkath.ch/usenet/dst-faq.htm
© 1997-1999 Adrian Suter
Version 1.3 ­ aktualisiert am 13. Februar 1999

Adrian Suter

unread,
Feb 16, 1999, 3:00:00 AM2/16/99
to
dst...@christkath.ch (Adrian Suter, FAQ-Maintainer) - mit anderen
Worten, ich - habe geschrieben:

>Posting-Frequency: monthly

Ich habe nun einen Weg gefunden, wesentlich einfacher aus der
HTML-Version die Textversion zu extrahieren, das heisst, ich muss
definitiv nur noch eine Fassung pflegen und kann deswegen das
"monatlich" in Zukunft wieder etwas ernster nehmen.

>Last-modified: 13. Feb. 1999

Es wäre möglich, dieses Datum in das Subject aufzunehmen, also:

Subject: 1998-02-13> de.sci.theologie-FAQ: Fragen und Antworten zur
Theologie

Der Vorteil wäre, dass regelmässige Leserinnen und Leder der Gruppe
die FAQ ausfiltern und nur dann Downloaden könnten, wenn sich eine
Änderung ergeben hat.

Apropos Filtern: wer die FAQ nicht will, weil sie zu alt oder ohnehin
kalter Kaffee ist, aber mich trotzdem lesen möchte - oder umgekehrt,
wer mich nicht mehr lesen, aber die FAQ weiterhin bekommen möchte:
dies ist ein Grund, warum ich die FAQ (und *nur* die FAQ) unter der
Adresse dst...@christkath.ch poste.

>1.3 Warum sind so wenig Theologinnen und Theologen hier?
>
>Das fragen wir uns manchmal auch. Es ist ein Dauerproblem hier. Es gibt
>wahrscheinlich eine ganze Reihe von Theologinnen und Theologen, die nur
>lesen und kaum je schreiben, vielleicht, weil sie fürchten, Opfer
>spöttischer Bemerkungen zu werden, die es hier immer wieder gibt. Du wirst
>aber (hoffentlich) feststellen können, dass, wenn Du ein theologisches
>Thema anschneidest, sich durchaus kompetente Leute auf eine Diskussion
>einlassen. Nur beginnen tut sie selten einer.

Ich habe mit grosser Freude festgestellt, dass dieser Punkt längst
nicht mehr so aktuell ist wie früher.

>1.6 Was für andere Gruppen und Foren gibt es zu Religion und Theologie?

[...]


>Eine Übersicht über Kirche und Theologie im Usenet findest Du unter
>http://www.christkath.ch/usenet

Geändert, ab sofort ist diese Seite unter
http://www.christkath.ch/usenet/kirche.htm zu finden.

>Auch die Lexika "Religion
>in Geschichte und Gegenwart" (RGG; pass auf, dass Du die dritte Auflage
>erwischst),

Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die vierte Auflage der RGG
schon seit einiger Zeit im Erscheinen begriffen ist, und werde das
ergänzen.

>6.5 Rechtfertigung

Sind die Experten (ich bin für dieses Thema eigentlich keiner) mit dem
neuen Abschnitt zufrieden?

Adrian

Volker Biallass

unread,
Feb 16, 1999, 3:00:00 AM2/16/99
to
Hallo Adrian :-)


Weniger aus Kritik oder als Ergänzung deines Beitrags, als vielmehr
aus dem Schuldgefühl heraus, daß ich d.s.t mit der Rechtfertigungslehre
ganz gewiß einige Zeit lang penetriert hatte, hier nun der Salat aus
den Früchten meines Eiferns rund um Rechtfertigungslehren und GE...

>>6.5 Rechtfertigung

Für Luther war die Frage 'Wie erhalte ich einen gnädigen Gott?'
existentiell. Er verzweifelte daran, daß der Mensch Gott nie so
genügen kann, wie Gott es fordert, daß er sich vor Gott nie
rechtfertigen kann. Im 'Turmerlebnis' entdeckte er in Röm 1,17
die Lösung: die Gerechtigkeit liegt nicht im Tun des Menschen,
sondern in seinem Glauben, sie wird ihm von Gott unverdient
geschenkt.

Daraus wurde der Kernartikel der ev. Theologie, die Recht-
fertigungslehre (RL).

Der Mensch wird von Gott gerechtfertigt:
'sola fide' allein im Glauben (nicht durch Tun)
'sola gratia' allein aus Gnade (gänzlich unverdient)
'solus Christus' allein Chrístus (dessen Gerechtigkeit wird
dem Menschen zugerechnet, nicht seine
eigene, nicht die der Heiligen)
'sola scriptura' allein aus der Bibel (aus keiner anderen
oder weiteren Tradition)

Dem setzte die rk. Theologie im Konzil von Trient dann ihre RL
entgegen. Diese bildete aber keinen klaren Gegensatz zu den o.g.
Exklusivpartikeln, sondern widersprach in Aspekten und
Folgerungen.

Luther Tridentinum
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ freier Wille ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
ein Name ohne Sache, unvermögend, aber nicht aus-
ein Nichts gelöscht
~~~~~~~~~~~~~~~~ Empfang der Rechtfertigung ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
vollkommen passiv, die Gnade Gottes wirkt ihn, der
man kann nichts dafür tun Mensch bewegt sich darauf zu
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Heilsgewißheit ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
im Glauben ist sich der Mensch auch wer sich angesichts seines
seines Heils vollkommen gewiß Unvermögens fürchtet, kann an
die Vergebung glauben
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ das Gesetz ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
es verdammt den Menschen, der der Mensch kann und muß dem
es doch nie erfüllen kann. Gesetz folgen.
der Mensch verflucht sich, der Gott verheißt Lohn für gute
sein Gesetzestun vor Gott Werke.
anrechnen lassen will.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Sünde / Konkupiszenz ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
der Gerechtfertigte ist sowohl In dem Gerechtfertigten ist
Sünder als auch Gerechtfertigter nichts mehr, was wahrhaft Sünde
(simul iustus et peccator) ist, aber der Drang zum
Sündigen (Konkupiszenz)

Beide Theologien haben sich gegeneinander ausgeschlossen und
verworfen, nicht jedoch in ebensolcher Klarheit sich auch
widersprochen oder gar widerlegt. Eine Brücke über die Kluft
der Verwerfungen sollte die 'Gemeinsame Erklärung zur Recht-
fertigungslehre' (GE) von Lutherischem Weltbund (LWB) und
Päpstlichem Rat zur Förderung der Einheit der Christen (PRFEC)
schaffen, indem sie die gegenseitige Annäherung der Theologen
beider Konfessionen und die wachsenden Einsichten sowohl in
das eigene wie auch das andere Bekenntnis als einen Konsens
manifestiert.

Dies ist jedoch erkennbar nicht gelungen.

Die Forschung nach den Ursachen für das Scheitern der GE wird
mit Sicherheit bis in das nächste Jahrtausend fortdauern
(hoffentlich aber noch in diesem angefangen). Es mag im
wesentlichen zwei herausragende Gründe geben:
1) 'sozialpsychologische Imprägnierungen' (so Lehmann)
2) die sich strikt unterscheidende Lokalisation der RL.
Diese ist der ev. Theologie zugrundegelegt, der rk.
Theologie dagegen eingewoben. Der Radikalität und dem
strikten Rückbezug der ev. RL steht die Bedachtsamkeit
und Vergegenwärtigung der rk. RL schwerlichst vereinbar
gegenüber.


bcnu Volker


NS. Ich hoffe innigst, daß
'Die Forschung nach den Ursachen für das Scheitern der GE wird
mit Sicherheit bis in das nächste Jahrtausend fortdauern'
wenigstens auch im nächsten Jahrtausend hinfällig wird ,-)


Michael Trenkel

unread,
Feb 17, 1999, 3:00:00 AM2/17/99
to
Hallo Adrian,
du schlägst in den FAQs unter "Literatursuche" betr. exegetischer Literatur
zu bestimmten Bibelstellen besonders die EKK und HThK - Kommentarreihe vor.
Was ist in diesem Zusammenhang von den KEK-Kommentaren
(kritisch-exegetischer Kommentar von V&R) zu halten? Da ich mir ggf. privat
ein paar (gebrauchte) Kommentare besorgen möchte, und diese preiswerter zu
haben sind, wüsste ich gerne Deine /eure Meinung!

Micha

Christian Guenther

unread,
Feb 17, 1999, 3:00:00 AM2/17/99
to
Hallo Adrian,

HNT als NT-Kommentar-Reihe von Mohr/Siebeck, Tübingen, ist auch nicht
schlecht!

Gruß
Christian

R.Lei...@t-online.de

unread,
Feb 22, 1999, 3:00:00 AM2/22/99
to

Hallo Micha!
Ich nehme mal an, Adrian wollte aktuelle Reihen empfehlen. Beim KEK
kann das bestenfalls von den Bänden

12/2 Henning Paulsen: Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief
13 Hans-Friedrich Weiß: Der Brief an die Hebräer
14 Georg Strecker: Die Johannesbriefe

gesagt werden.

Sollte in den letzten Monaten noch eine Neubearbeitung erschienen
sein, die ich noch nicht zur Kenntnis genommen habe,
selbstverständlich auch diese.

mfG
Ralf

0 new messages