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Microsoft: "Fremdanstrich verboten"

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W...@my-dejanews.com

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May 19, 1998, 3:00:00 AM5/19/98
to

19.05.1998 - Windelsoft verbietet Herstellern, die Windows00
auf Rechnern installieren wollen, den Fremdanstrich der
bunten Bildschirmbits frei nach dem Motto "Du sollst keine
andere Brause haben neben mir". Bislang galt ein eigentlich
selbstverstaendliches Zugestaendnis von Windelsoft: danach
hatten Computerherstersteller das Recht, die fuer Anwender
sichtbaren Bildschirmbits nach ihrem Geschmack zu gestalten
und zu faerben fuer die Auslieferung.
Dieses selbstverstaendliche Zugestaendnis zog Windelsoft
zurueck. Nun kommt es zum Prozess "Asciiland gegen Windelsoft".
Dazu ist ein juristischer Rueckblick hilfreich, der sich
mit aehnlichen Verboten und Streichen beschaeftigt.


_Vom Gasmonopol zum Bitmonopol_

Auf jedem Gaszaehler in Berlin steht:
"Eigentum der Berliner Erdgas AG - Fremdanstrich verboten".
Das schuetzt die Haeuser davor, durch Folgen falscher Farben
in die Luft zu fliegen.

Ueber Telefone der Bundespost durfte man frueher nicht einmal
eine Stoffhaube ziehen, denn angeblich haette das die Funktion
des Amtsapparates beeintraechtigen koennen und war strafbar.
Die gesetzestreue kaisertreue Omi, die die ganze Verwandtschaft
mit gehaekelten Huellen fuer Klopapierrollen im Auto beglueckte,
konnte jedoch nie begreifen, dass Haekeln fuers Telefon mit
Gefaengnis bestraft werden konnte.

Das Haekelverbot klang imposant, aber es gibt mehr als einen
Unterschied zwischen Gaszaehler und Telefon. Denn mit einem
undichten Telefon kann man nicht aus Versehen ein Gebaeude in
die Luft sprengen. Lacke, die elektrostatisch so extrem sind,
dass man bei Annaeherung auf einem Plasteteppichboden Funken
am "falsch" angemalten undichten Gaszaehler erzeugen kann, gibt
es zu Hauf. Deshalb macht das Anstreichverbot der Gaswerke Sinn.

Das sinnlose Telefonmonopol mit Haekelverbot ist gefallen,
auch zur Freude von Bill Gitter mit seinen Satellitenplaenen.
Inzwischen kann man - von Exotenlaendern wie Frankreich
abgesehen - relativ frei am Markt die Funktionalitaet sowie
Hersteller, Form und Farbe eigener Modems und Telefone aussuchen.

Es ist sogar "erlaubt", ein Telefon anzuschliessen, dessen
Tasten kompatibel sind zum Zehnerblock an der Computer-
tastatur: also die "1" links unten. Zu Zeiten der
Deutschen Bundes-Post wurde dieser Frevel nicht mit dem
Tode bestraft. Nur ein paar Jahre Gefaengnis waren angedroht
als Hoechststrafe fuer den Anschluss von "Telefonapparaten",
die zB wegen der Tasten "nicht genehmigungsfaehig" waren.

Spoetter der Rechtssystematik meinten, das fahrlaessige
Ausloesen einer atomaren Explosion wurde nach BRD-Recht
milder bestraft als der Anschluss eines Modems.

Diese Sicherheit und Ordnung bis zum Exzess verteidigende
Deutsche Postrechtskultur hat sich Lenin zum Vorbild genommen:
er wollte den ganzen Staat nach dem Vorbild der Deutschen
Post aufbauen. Dieser sozialfuersorgliche Ansatz hatte jedoch
zur Folge, dass - immerhin war die Leibeigenschaft abgeschafft
- allzuviele allzu fuersorglich behandelte Untertanen den
Staat verliessen, indem sie den eisernen Vorhang durchquerten.

Ausreiselustige nahmen zwangslaeufig in Kauf, DDR-Sprengminen
zu ueberwinden, die offiziell nur die "Gegenrichtung"
sperrten und "nur" Einreise boeser Agenten und Faschisten
verhindern sollten.

Frei nach Prof. Voelz koennen ab einem bestimmten Grad
gesellschaftlich verfuegbarer Kommunikationstechnik bestimmte
autoritaere Herrschaftsformen nicht mehr weiter ueberleben.

Da ist eine Konkretisierung hilfreich:
Die in der DDR uebliche Zugangskontrolle zu Fotokopierern
wurde dann absurd, als man auf einer Diskette die Datenmenge
von einem halben Dutzend Buecher in weniger als einer Minute
kopieren konnte. Denn im Vergleich dazu brauchen Fotokopierer
mehrere Stunden und einen Berg Papier und Toner.

Auch Fernsehuebertragungen von Talkshows, wo des Kaisers neue
Kleider samt Kaiser gezeigt werden, wirken irgendwie auf
Untertanen. Da Nacktheit in den USA verpoent ist, hiess es
ueber den Clinton-Besuch in der New York Times auch nur "Mr.
Kohl sah aus wie Mr. Clinton in einem Jahrmarkt-Zerrspiegel."

Mit diesen Vorueberlegungen macht sich Bill Gitter eigentlich
ebenso laecherlich, wenn er den Fremdanstrich "seiner"
Bildschirmoberflaeche verbieten will.

"Positiv" formuliert hat er noch nicht begriffen, dass nicht
nur die Mauer gefallen ist: er will immer noch kontrollieren,
verbieten, verhindern. Sein letzter Misserfolg waren seine
Drohungen gegen eine Computerzeitschrift, die ein paar Windows-
Interna druckte (aufmerksame Leser wissen, wovon ich schreibe).
Denn seine Drohungen bewirkten exakt das Gegenteil und die
uebernaechste Ausgabe druckte doppelt so viele "Interna".

Der Hacker geniesst und schweigt. Denn windelweiche Dummheit
sorgte hier fuer Verbraucheraufklaerung, die zwar schon bei
Produkteinfuehrung von W95 und nicht zum Zeitpunkt der
Produkteinschlaeferung geboten war, doch immerhin erfolgte sie.
Und eine ganze Redaktion eines durchaus wichtigen Printmediums
hat etwas so begriffen, wie es ihnen GNU GPL Freaks nie haetten
beibringen koennen: die elegante Abwehr von Jurologengedroh ;-)


Der von gepruegelten Hackern als "normal" erlebte Vorgang
"Windelweich versucht Computerzeitschrift zu verpruegeln
und verhaut sich dabei selbst" passte zum Bild der
Windel-Kirche bei intelligenten Freiheitskraeften.
Statt Hexenverbrennung und Exkommunikation heisst der Hammer
heute "Streichung des Anzeigen-Etat". Auch die Hamburger
Morgenpost hatte dieses Erlebnis nach ein paar Reisser-
Berichten der MoPo ueber die Tante T.
Anschliessend (!) verkuendete der Geist von Herrn Bertelsmann,
man duerfe nicht mehr kritisch ueber den Buchstaben T schreiben.
Journalistisch ist das "kuschen" und juristisch entspricht
das einer "Bewaehrung". Eine Marktmacht kann mit dieser
Methode gratis ueber Inhalte entscheiden frei nach dem Motto
"Pappi muss keinen Pfennig dafuer bezahlen". Zensur light.


In einer Kirche, auch einer Computerkirche, dauert es
Aeonen, bis irgendein Papst vermeldet, die Erde sei nicht
so flach ist wie eine Benutzeroberflaeche. Fast unbemerkt
verbindet er diese Verkuendigung mit einem neuen Dogma, das
nur zwischen den Zeilen steht und definiert, dass katholische
Dogmen und die Wissenschaft widerspruchsfrei zu sein haben, per
definitionem. Quasi nebenher verkuendet Seine Unfehlbarkeit
windelweich, dass ein Vorgaenger moegliche Widersprueche
zwischen Flacherde-Lehrmeinung und Wissenschaft nicht genug
geprueft hat. Damit war das neu eingefuehrte, schon immer
geltende Dogma der Widerspruchsfreiheit zwischen Religion und
Wissenschaft im Rueckblick verletzt. Dieser Kniff sorgte fuer
die rueckwirkende Einhaltung der Unfehlbarkeit trotz Irrtum.

Das ist Eleganz im katholischen Geistesleben und dieses
Niveau hat Windelweich noch nicht ganz erreicht.
Nur auf der Ebene der Wirtschaftsmacht wird Bill Gitter
bei Staatsbesuchen wie der Kleinstaat Vatikan behandelt;
auf der geistigen Ebene hapert es noch.

Die nichtwirkliche Rehabilitierung von Galilei lief frei
formuliert auf eine amuesante Schlussfolgerung hinaus:
die paepstlichen Berater waren schuld.

Heutzutage heissen die Berater "Jurologen". In Ascii-Land
muessen sie auf jede Reklame einen Warnhinweis aehnlich wie
auf Zigarettenpackungen drucken:
Anwaelte sind wie Nikotin! Wir haben Sie gewarnt!

In Ascii-Lande sind Anwaelte wie Zigarettenautomaten und
Beerdigungsunternehmer rund um die Uhr erreichbar. Die dort
ueblichen ganzseitigen Vierfarb-Anzeigen der Anwaelte sind
aehnlich aufdringlich-diskret wie ein Sargdiscount.
Ganz klein gedruckt am unteren Ende findet sich ein Warntext.
Eine Variante, die in den Berliner CCC-Clubraeumen an die Wand
genagelt wurde (nur Herr Mueller an protestierte), im Wortlaut:

"The hiring of a lawyer is an important decision that should
not be based solely upon advertisements. Before you decide,
ask the lawyer to send you free written information about
their qualification and experience".

Bei der Markteinfuehrung von Windows00 geht es frei nach der
Germanischen Bank um Erdnuesse im Kartoffelformat.
Entsprechendes Erdapfel-Format brauchen die Rechtsanwaelte.

Gegenwaertig macht Windelweich sich IMHO laecherlich.

Im wesentlichen Kern geht es darum, dass Computerhersteller
das Recht haben, ihre Computer bei Auslieferung so zu
konfigurieren, wie sie es wollen.
Der "Grundanstrich", die Bildschirmfaerbung bei Lieferung,
sollte jeder Lieferant nach eigenem Geschmack ab Werk
vornehmen duerfen. Erstmal ist dem zuzustimmen.

Aus Verbrauchersicht ist diese Herstellerfreiheit nicht total.
Denn die Kastration eines Systems - etwa das Weglassen von
DEBUG bei DOS8 - ist fuer Anwender unannehmbar und Hersteller,
die sowas weglassen, gehoeren windelweich gepruegelt.

Die "Farbdroehnung" mit resourcenschonenden Browsern,
NetScape oder der windelweichen Warmdusch-Variante dagegen
steht im Ermessen des Herstellers, solange er die Tueren
zum Einbau anderer Brausen und anderer Software nicht
zunagelt. Auch deshalb gehoert DEBUG dazu: das ist das Minimum
einer Schrottbetrachtungshilfe, die zwingend mitzuliefern ist.

Angesichts des Preisverfalls fuer CD-Rohlinge tut es einem
Hersteller nicht einmal ernsthaft weh, Windelweich den
Stinkefinger zu zeigen und eine Windelweich-Original-CD zu
liefern sowie die eigene Installations-Variante, die einfach
eleganter ist.

Umweltpolitisch waere das natuerlich eine Sauerei und deshalb
ist es geboten, Windelweich den Paragraphenpinsel zu zeigen:
der Fremdanstrich der Bildschirmbits ist erlaubt.

(c) w...@ccc.de

-----== Posted via Deja News, The Leader in Internet Discussion ==-----
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W...@my-dejanews.com

unread,
May 19, 1998, 3:00:00 AM5/19/98
to

Udo Wolter

unread,
May 27, 1998, 3:00:00 AM5/27/98
to

W...@my-dejanews.com writes:

> Spoetter der Rechtssystematik meinten, das fahrlaessige
> Ausloesen einer atomaren Explosion wurde nach BRD-Recht
> milder bestraft als der Anschluss eines Modems.

Das ist heute noch so, wenn auch auf anderen Gebieten. Bei uns zählt Eigentum
eh vor Leben. Leben ist nix wert. Gewaltdelikte werden weniger hart bestraft
als Eigentumsdelikte.



> Diese Sicherheit und Ordnung bis zum Exzess verteidigende
> Deutsche Postrechtskultur hat sich Lenin zum Vorbild genommen:
> er wollte den ganzen Staat nach dem Vorbild der Deutschen
> Post aufbauen. Dieser sozialfuersorgliche Ansatz hatte jedoch
> zur Folge, dass - immerhin war die Leibeigenschaft abgeschafft
> - allzuviele allzu fuersorglich behandelte Untertanen den
> Staat verliessen, indem sie den eisernen Vorhang durchquerten.

Hm, dann haben wir also Lenins Ansatz in deisem Land konsequent
weitergeführt. Wo mittlerweile schon EU-weit die Anzahl der Gasbläschen im
Schampus genormt wird, bleibt bald nicht mehr viel zu regeln. Der deutsche
Amtsschimmel sucht also ständig nach neuen Aufgaben. Mal sehen wann es eine
DIN-Norm, oops, Pardon, EU-Norm oder noch besser ISO-Norm, für die korrekte
Ein- und Ausatmen-Frequenz (natürlich unterschiedlich bzgl. Größe, Geschlecht,
krank/gesund usw.). Womöglich bald auch bei der UN ? Am deutschen Amtswesen
wird die Welt verwesen...

> Ganz klein gedruckt am unteren Ende findet sich ein Warntext.
> Eine Variante, die in den Berliner CCC-Clubraeumen an die Wand
> genagelt wurde (nur Herr Mueller an protestierte), im Wortlaut:
>
> "The hiring of a lawyer is an important decision that should
> not be based solely upon advertisements. Before you decide,
> ask the lawyer to send you free written information about
> their qualification and experience".

Hm, genau, frage den Teufel ob er böse ist, bevor Du ihm Deine Seele
verkaufst. Bestehe auf Broschüren und Präsentationen. Böse Leute haben sowas
nicht. Jaja, ernsthaft ! Nachzulesen in einer Broschüre des Papstes...

Sorry für meine späte Antwort, aber ich lese momentan nicht so oft News. Und so
kam das mit den Telefonkarten auch ganz heftig geballt rüber (habe am Boden
gelegen vor Lachen, Udo hat Euch lieb und sagt DANKE DANKE DANKE !).

Ciao,
Udo
--
Udo Wolter, email: u...@cs.tu-berlin.de
!!! LOW-TECH Page: http://LOW-TECH.home.ml.org !!!

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