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Naumann-Artikel des Bildungswerk Anna Seghers e.V.

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BILDUN...@link-mz.rhein-main.de

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Nov 27, 1995, 3:00:00 AM11/27/95
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NAZITERRORIST PETER NAUMANN

Peter Naumann war in den letzten Jahren immer wieder Ziel unserer
Recherchen. Zahlreiche Artikel und Presseerklärungen fanden Widerhall
in diversen Multiplikatoren. Seine spektakuläre Waffenübergabe vor
laufender Kamera gab unseren Vermutungen recht. Er gehört zum Kreis
bis an die Zähne bewaffneter Nazi-Terroristen. Dank unseres
umfangreichen Materials zu Peter Naumenn konnten wir die
Öffentlichkeit schnell umfassend informieren. Unser folgender Artikel
ist ein Beispiel. Er wurde im September 1995 in der Monatszeitschrift
"Analyse und Kritik" veröffentlicht.


Reuiger Bombenbastler oder gewiefter Taktiker an der Leine des VS ?

Mitte August ging eine Meldung durch die Medien, die bei vielen für
Erstaunen sorgte: Der seit den 70er Jahren aktive NS-Kader Peter
Naumann präsentierte vor den laufenden Kameras des ARD-Magazins
"Panorama" den anwesenden Fahndern zahlreiche Waffendepots. Noch
Anfang des Jahres wurden bei dem Diplom-Chemiker zwei Sprengsätze
gefunden. Der Zusammenhang zu der Briefbombenserie in Österreich, den
Szene-Kenner vermuteten, konnten die deutschen Ermittlungsbehörden
bisher nicht bestätigen.

Naumann blickt auf eine lange Karriere in der NS-Szene zurück. Der
42-jährige schloß sich 1970 den "Jungen Nationaldemokraten", der
Jugendorganisation der NPD an, deren Bundesvorsitzender er 1976 wird.
Im gleichen Zeitraum wird er auch für die NPD-Studentenorganisation
NHB (Nationaldemokratischer Hochschulbund) aktiv. 1975 schießt er bei
einer Plakataktion des NHB mit einer Gaspistole auf Studentinnen und
Studenten der Mainzer Uni. Von 1981 bis 1984 ist er komissarischer
Vorsitzender des Kreisverbandes der NPD Wiesbaden1. 1984 ist er
stellvertretender Vorsitzender neben Hans Schmidt, einem frühen
Vertreter der "Deckert-Linie" in der NPD. Ein Jahr später gründet er,
von seinen Aufgaben als NPD-Kreisvorsitzender entbunden, den
"Völkischen Bund", der auch als "Arbeitsgemeinschaft Nationaler
Verbände/Völkischer Bund" auftritt. Diese rechte Splittergruppe hatte
laut VS-Bericht nur 20 Mitglieder, konnte aber zu Sonnenwendfeiern bis
zu 80 Personen mobilisieren. Die Sonnenwendfeiern waren jeweils
konspirativ organisiert, so daß es AntifaschistInnen nie gelang, den
genauen Veranstaltungsort festzustellen. Zu diesen Sonnenwendfeiern im
Rhein-Main-Gebiet reisten neben NPD-Funktionären wie Hans Schmidt
(später hessischer NPD-Landesvorsitzender) auch Nazi-Größen anderer
Organisationen an. Sie stellten somit eines der vielen Foren für
überparteiliche Absprachen der Neonazis dar. Ansonsten führte der VB
Schulungen durch, auf denen über die Arbeitsweise der
Sicherheitsbehörden aufgeklärt wurde, oder stellte zum Beispiel Ordner
zur Beerdigung des Altnazis Emil Maier-Dorn ab.

Doch alle diese öffentlichen Aktivitäten waren nur eine Seite
Naumanns. Im Hintergrund wirkte er als Drahtzieher diverser
militärischer Vorhaben der westdeutschen Faschistenszene:

Nach mehreren Ermittlungsverfahren wegen rechtsterroristischer
Aktivitäten wird Naumann 1987 verhaftet, "wegen des Verdachtes,
Sprengstoffanschläge auf DDR-Grenzanlagen sowie auf Sende- und
Strommasten in Südtirol beabsichtigt zu haben". Im Oktober 1988 wird
er schließlich vom OLG Frankfurt wegen versuchter Gründung einer
terroristischen Vereinigung und wegen eines im August 1987 verübten
Sprengstoffanschlags auf ein Mahnmal für italienische NS-Opfer in Rom
zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.2

Die Verurteilung ging auf eine Aussage Ottfried Hepps zurück. Hepp
stand ebenfalls Mitte der 80er Jahre in Frankfurt vor Gericht, weil er
zusammen mit Walter Kexel Terroraktionen durchgeführt hatte
("Hepp-Kexel-Gruppe"). Hepp und Kexel, die beide aus dem VSBD
(Volkssozialistische Bewegung Deutschlands) kamen, und später zu
Märtyrern der "nationalrevolutionären" Untergrundzeitschrift
"Schwarzer Rebell" avancierten, hatten neben Banküberfällen zur
Geldbeschaffung Anfang der 80er Jahre Sprengstoffanschläge auf
US-Soldaten durchgeführt.3

Mit Kexel und Hepp, plante Naumann, den in Berlin einsitzenden
Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß zu befreien. Hepps Kumpan Kexel wurde
1985 nach einer Verurteilung zu 14 Jahren Haft erhängt in seiner Zelle
aufgefunden. Hepp behauptete damals, Kexel sei vom BND ermordet
worden, weil er zuviel über die Machenschaften des Dienstes in der
rechten Szene und vor allem auf die "WSG Hoffmann" gewußt habe.4

Das gleiche Schicksal ereilte den Forstmeister Heinz Lembke, zu
Lebzeiten ein Freund Naumanns. Lembke, schon 1980 von Raymund Hörnle,
einem damaligen Aktivisten in Manfred Roeders "Deutschen
Aktionsgruppen", des Anlegens von Waffendepots bezichtigt, wurde im
Oktober 1981 verhaftet, weil ein Waldarbeiter entsprechende Depots
gefunden hatte.5 Während der niedersächsische Innenminister von einem
organisierten Hintergrund ausging ("die Waffen können nicht aus
Diebstählen bei der Bundeswehr stammen, sondern müssen regelrecht
angeliefert worden sein"), klagte Bundesanwalt Rebmann seinerzeit
einen "Einzeltäter" an, nachdem er das Verfahren an sich gezogen
hatte. Das Berliner "Antifa Info" geht davon aus, daß die
umfangreichen Depots (z. B. 50 Panzerfäuste) im Zusammenhang mit der
"Stay behind"-Doktrin der Nato ("Gladio") bereitgehalten wurden6, die
nach Recherchen von Schmidt-Eenboom dem BND unterstellt war.7

In eben diesen Depots fand man schon damals die Fingerabdrücke
Naumanns, wie die Bundesanwaltschaft gegenüber einem Mitarbeiter der
des Bildungswerkes Anna Seghers berichtete. Mit dem Führer der
"Deutschen Aktionsgruppen", Manfred Roeder, der sich laut Hörnle
damals auch aus den Depots des Forstmeisters bediente, störte Naumann
noch im Juni 1995 eine antifaschistische Veranstaltung in der Nähe von
Celle.8 Roeder war wie Naumann im Jahr 1990, als kein Tag ohne
faschistische Anschläge verging, vorzeitig aus der Haft entlassen
worden. Während Roeder sich in der Folgezeit zum Reisekader der
bundesdeutschen Rechten (Südafrika, Südamerika, Großbritannien und zur
"Aufbauarbeit nach Ostpreußen") entwickelte, verschickte Naumann
vordergründig über seine VB-Adresse Hetzpampflete ("Ewig sei der Toten
Tatenruhm"), während er sich im Hintergrund ungestört seiner
Leidenschaft für Waffen und Sprengstoff widmen konnte.

Damit schließt sich der Kreis zum Ausgangspunkt unserer Recherche,
nämlich der "Präsentation" dieser Depots, die auch Material aus alten
Lembke-Beständen enthalten sollen, durch Naumann selbst.
Verfassungsschützer wie der hessische VS-Chef Ferse sehen in Naumann
einen Einzeltäter, der in der rechtsextremistischen Szene "isoliert
und ohne Einfluß" sei, so Ferse gegenüber der Frankfurter Rundschau.9

Der "isolierte Einzeltäter" Naumann bediente sich, um seinen Schritt
für die rechte Szene nachvollziehbar zu machen, namhafter "Zeugen",
während er vor der Presse sein Statement abgab. Anwesend waren Meinulf
Schönborn (ehem. Chef der Nationalistischen Front) und Frank Rennicke
(NPD). Eigentlich sollte auch Günter Deckert kommen, er war aber
verhindert. Schönborn erklärte in einer Nazikreisen herumgeschickten
und über das "Nationale Infotelefon Rheinland" verbreiteten Erklärung
Naumanns Schritt als wegweisend, mutig und mit ihm abgesprochen:
"...wer politischen Weitblick besitzt, dem muß die Bedeutung dieses
Schrittes klar sein. Rechtsterrorismus führt uns in eine endgültige
politische und völkische Sackgasse. Ich hoffe, daß viele Kameraden
diesen Schritt des Kameraden Peter Naumann verstanden haben oder noch
verstehen werden und dann unsere Sache der kämpferischen
Gewaltfreiheit ordentlich fortführen (...). Ich kann an dieser Stelle
versichern, daß Kamerad Peter Naumann weder einen D eal mit dem BKA
gemacht hat, noch aus der Szene aussteigen will. Genau das Gegenteil
ist der Fall. Alle seine Sprengmitteldepots hat er ohne Not,
freiwillig und ohne Zwang offengelegt" Weiter ruft Schönborn dazu auf,
VS-Kontakte öffentlich zu machen und der Presse zu mißtrauen.

Trotz erklärter "kämpferischer Gewaltfreiheit" versucht Schönborn
gerade mit Schulungsmaterial der sogenannten "Reichstreuen", das aus
den Niederlanden verschickt wird, die Kameraden auf den großen Kampf
vorzubereiten. Er mahnt sie ruhig und unauffällig auf ihren Einsatz zu
warten. Bis dahin sollen sie sich körperlich ertüchtigen und sich
inhaltlich mit Nationalsozialismus und Deutschtum beschäftigen. Bisher
waren in Antifa-Kreisen Kontakte Naumanns zu Schönborn, dessen Prozeß
wegen Fortführung der NF vor wenigen Tagen begann, nicht weiter
bekannt. Auffallend ist lediglich eine konzeptionelle Übereinstimmung
zwischen NF und Naumann`s VB: konspiratives Vorgehen und
Schulungsveranstaltungen für die "nationale Jugend". Schönborn
geisterte erst kürzlich wieder durch die Medien, als die
Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach von den Grünen umfangreiches
Material über eine Weiterexistenz der NF vorlegte, die demnach über
830 Unterstützer und 9000 Sympathisanten verfügt. Was Schönborn zu der
Unterstützung Naumanns bewegte, darüber läßt sich nur spekulieren.


Zusammenfassend leiten sich aus dem "Fall Naumann" folgende Fragen ab:

- Warum verliefen die meisten Ermittlungsverfahren gegen Naumann im
Sande, wie z. B. 1982 wegen "Gründung einer terroristischen
Vereinigung" oder zuletzt im März 1995 wegen der Sprengstoffunde in
seiner Wohnung ?

- Warum führte die Feststellung von Naumanns Fingerabdrücken in einem
der Lembke-Depots seinerzeit nicht zu einem Verfahren gegen den
Wiesbadener oder zumindest zur öffentlichen Revidierung der
"Einzeltäter"-Legende ?

- Wie kommt es, daß Naumann von dem hessischen VS-Chef Ferse als
isolierter Einzelgänger bezeichnet wird, während sich eine Woche
später Meinolf Schönborn, der Chef der nach neuesten Erkenntnisen
größten militanten und illegalen Organisation der Rechten in der BRD,
der "Nationalistischen Front", für ihn einsetzt ?

- Läuft Naumann etwa auch, wie Lembke, an der Leine eines
westdeutschen Geheimdienstes, der ihn beauftragte, die Depots
offenzulegen, um zu verhindern daß die Waffen in die Hände von Nazis
gelangen, die ihrerseits nicht den Weisungen der Geheimdienste
unterliegen ? Ein Einsatz dieser Waffen gegen Organe des Staates hätte
zumindest einigen im Geheimdienstapparat den Job gekostet.

- Hat Naumann vielleicht selbst Angst, Opfer eines Mordanschlages zu
werden? Lembke starb einen Tag vor seiner Aussage über die
Hintergründe der Depots in seiner U-Haftzelle. Die Naziszene spricht
noch immer von Mord durch den Geheimdienst. Walter Kexel nahm sich
nach Verkündung des Urteils in der Zelle das Leben. Sein Freund Hepp
machte einen Dienst dafür verantwortlich.

- Oder gab es einen "Deal" Naumanns mit BKA und BAW, die Depots
offenzulegen gegen Verzicht auf eine Anklage in einer anderen Sache
(Briefbomben), zu der BKA und BAW soviel Beweismittel hatten, daß sie
Naumann unter Druck setzen konnten.?

Dieser Beitrag stammt aus unserem Jahresrundbrief 1995 welcher
kostenlos bei uns bestellt werden kann.

Bildungs- und Solidaritätswerk Anna Seghers e.V.
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65195 Wiesbaden

Telefon: 0611 / 44 08 87
Fax: 0611 / 94 90 751

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