[ Zusammenfassung ]
Das Märchen vom gerechten Staat,
Wie er uns mit Steuern abkassiert
Dokumentarfilm von Günter Ederer,
Erstsendung ARD 14.5.07, 21:00
Hallo miteinander,
hier nun die angekündigte Zusammenfassung der Ederer Dokumentation zum
deutschen Steuerchaos. Ich hoffe hiermit die bei einigen von wenig
Sachkunde geprägte Debatte etwas zu versachlichen.
Der xpost wurde wg. der allgemeinen Bedeutung gesetzt. Es ist für alle
angesprochenen Gruppen genügend interessanter Stoff vorhanden. Der fup
(Weiterleitung) wurde wieder auf debs gesetzt. Falls jemand in der
eigenen Gruppe weitermachen möchte, einfach den fup herausnehmen und
statt dessen die eigene Gruppe eintragen.
Ein Skript der Sendung liegt mir vor, einige Punkte habe ich wörtlich
herauskopiert, andere nur zusammengefaßt. Zwecks Kürze und
Arbeitsvereinfachung habe ich den Sprecher zumeist nicht extra
gekennzeichnet, wo dies aus dem Zusammenhang bereits erkenntlich ist.
Der Film ist hier vorübergehend eingestellt:
http://tinyurl.com/2xbkfc
(wmv Video Datei, 117Mb, 45min)
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Kernpunkte der Sendung:
1) Einführung:
Die Chaotik des dt. Steuerverfahrens wird zunächst anhand der skurrilen
Kräuterbesteuerung und der Steuererklärung einer Krankenschwester
exemplarisch erläutert.
Die Krankenschwester muß sich mit einer Fülle unverständlicher und
gegenläufiger Ausnahmereglungen herumschlagen, die nur durch ihren Job
zum Tragen kommen. Die monatliche Lohnabrechnung der Schwester umfaßt
wg. der unzähligen fiskalischen Reglungen bereits 3 Seiten. Dem
Finanzamt ist Hilfestellung bei der Erstellung der Steuererklärungen
nach derzeitigem Recht verboten.
2) Klare, unmißverständliche Aussage eines Verfassungsrichters:
O-Ton Kirchhof:
"Das geltende Steuergesetz ist nicht mehr verfassungsgemäß, weil
es unverständlich ist. Die Grundidee des Gesetzes ist, dass die
Staatsgewalt im Bundesgesetzblatt, in dem Text der dort
geschrieben steht, sagt was, sie vom Bürger erwartet und der
Bürger kann seine Pflichten erkennen, indem er den Gesetzestext
liest. Das ist heute nicht mehr gegeben."
3) Schaulaufen der Lobbyisten in einer Parlamentsanhörung:
Sämtliche Parlamentarierfragen und Aussagen der Sachverständigen werden
stets vorher abgesprochen; es handelt sich demnach bei dem
parlamentarischen Verfahren um eine reine Schauveranstaltung.
4) Finanzbürokratie unterläuft parlamentarische Vorgaben:
2003 wurde von der Regierung eine Bürokratieentlastung für
Kleinunternehmer beschlossen. Diese wurde dann von der Finanzbürokratie
unterlaufen, am Ende war alles noch schlimmer als vorher.
dazu O-Ton Christine Scheel, MdB, Bündnis 90/die Grünen
17´04 Ich habe als Finanzausschussvorsitzende damals dafür gesorgt.
dass die Politik und zwar die gewählten Abgeordneten sich mit
diesem Formularen beschäftigen, das hat auf riesen Widerstand
gestoßen bei der Verwaltung. Das Bundesfinanzministerium war
der Auffassung, die Abgeordneten gehe das überhaupt nichts an
wie die Formulare auszusehen haben. Ich habe damals gesagt das
geht nicht, weil wir das politisch ganz anders haben wollten und
habe deswegen auch sehr stark dafür gearbeitet, dass dieses alte
Formular wegkommt.
17´34 Vergebens: Liebe Christine schrieb ihr die parlamentarische
Staatssekretärin Barbara Hendricks aus dem Finanzministerium,
und verriet auf Seite zwei des Briefes den wahren Grund des
bürgerfeindlichen Formulars.
17´46 "Der Vordruck EÜR (Einnahmen-Überschußrechnung) dient
auch dazu, bessere Kontrollmöglichkeiten zu schaffen"
Sprecherkommentar:
18´24 Das bedeutet: Das Innenleben dieses Klotzes hat sich
verselbstständigt. Die Bürokratie des Finanzministeriums
entzieht sich der demokratischen Kontrolle durch das Parlament,
ja sie gängelt sogar die Parlamentarier. [usw]
5) Fall Burkhard Lenniger, vielfach preisgekrönter Naturfilmer
Im Fall Lenniger wurde ein teures Spezialschiff mit umfangreicher
Studioausstattung im Rahmen einer BP kurzerhand zum Hobbyschiff erklärt.
Mit Rückwirkung, Zinsen und Prozesskosten geht es inzwischen um rd. 500
TEuro. Die Prozesse vor dem FG gingen verloren.
Begründung des FG:
"Wenn sich die Kläger (Lenniger) hier einen Monat lang in der
üblichen Ferienzeit in einem Freizeitgebiet mit ihrem Schiff
aufhalten, so überwiegt dabei das private Interesse das
betriebliche selbst dann, wenn die Kläger hier Filmaufnahmen
machen"
dazu O-Ton Jörg Grune, Niedersächsisches Finanzgericht
25´56 "Nun, es kommt zu solchen Urteilen unter anderem auch deshalb,
weil wir als einzige finanzgerichtliche Tatsacheninstanz oftmals
erst viele Jahre später, in diesem Fall rund 10 Jahre, manchmal
ist es auch länger, mit den Fällen befasst werden und dann ist es
häufig sehr sehr schwer hier bestimmte Umstände nachträglich
noch fest zu stellen."
Das entspricht in etwa der Feststellung, daß bei einem Unternehmer, der
in der üblichen Ferienzeit in einem Feriengebiet eine Grube aushebt, der
Bagger dem privaten Hobbybereich zugeschlagen wird. Mir liegen
inzwischen Statistiken zu den Erfolgsquoten bei FG-Klagen vor, wonach
die Erfolgsaussichten der Kläger in FG-Verfahren letztlich weniger als
4% betragen. Im Zweifelsfall wird von den Finanzgerichten fast immer
zugunsten des Fiskus geurteilt. Vielfache Rechtsbeugung ist bei
deutschen FG-Verfahren offenbar allgemein üblich. (Siehe hierzu mein
posting vom 16.10.06, dsrsb: Arbeitsstil der Finanzjustiz am Beispiel
des Finanzgerichts Muenster)
Rechtsstaatliche Verfahren sind vor deutschen Finanzgerichten schon
aufgrund der Statistik in aller Regel nicht zu erwarten.
Näheres zum Lenniger Fall hier:
http://forschungsschiff-pirol.org
Zur Erfolgsquote von FG-Prozessen:
Spiegel 5-2003, Seite69, Der Fiskus gewinnt fast immer
Zitat:
"Wer sich mit dem Finanzamt anlegt, hat schlechte Karten: Die
Erfolgsquote von Klägern vor deutschen Finanzgerichten liegt
bei nur 3,7 Prozent. Das geht aus einer Studie des Frankfurter
Wirtschaftsprofessors Hans Bartels hervor. Bartels zeigt darin einige
Merkwürdigkeiten auf, die Zweifel an der Unabhängigkeit der
Finanzgerichte rechtfertigen."
6) BFH erachtet eine Norm des Ek-Steuerrechts für verfassungswidrig:
O-Ton Wolfgang Spindler, Präsident des Bundesfinanzhofes
26´56 Wir haben ja in diesem Jahr eine Norm des
Einkommenssteuerrechts für verfassungswidrig erachtet und die
Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, das ist das erste
Mal, dass man solch eine Norm beanstandet und zwar wegen
Kompliziertheit und Unverständlichkeit. Das ist also auch durch
dieses Gericht jetzt festgestellt worden, wobei es nicht darauf
ankommt ob der Richter das Recht versteht, sondern ob der
normale Steuerpflichtige das Recht versteht.
27´23 Gesetze die die höchsten deutschen Finanzrichter nicht mehr
verstehen. Was soll denn noch passieren, damit die Politik
reagiert. Der Gerichtsweg ist kein Ersatz für klare Gesetze. Und
das sieht der Präsident des Bundesfinanzhofs genauso.
O-Ton Wolfgang Spindler, Präsident des Bundesfinanzhofes
27´42 Der Hauptkritikpunkt ist sicher der, dass das Steuerrecht durch
eine Unzahl von Ausnahmen, die aus außersteuerlichen Gründen
in das Steuerrecht eingebaut worden sind, sehr unübersichtlich
geworden ist. Die Ausnahmen sind so vielfältig, dass sie die
eigentliche Systematik der Gesetze verdecken. Das führt
natürlich auch zu einer Vielzahl von Prozessen, das muss man
auch sehen und deshalb müsste das Steuerrecht relativ
unkompliziert sein, so dass es überschaubar ist und das der
einzelne Bürger erkennen kann, so ist es an sich auch vom
Rechtsstaatprinzip gedacht, erkennen kann in welcher
Größenordnung kommt auf mich Steuer zu.
Bemerkung:
Meine eigene diesbezügliche Verfassungsbeschwerde mit sehr ähnlicher
Argumentation wurde ohne Begründung vom VerfG abgewiesen; sie wird mit
im wesentlichen gleichem Inhalt inzwischen vor dem EGMR in Straßburg
fortgeführt. Näheres dazu siehe den Thread 'VerfB Mesenich Engineering
GmbH' vom 16.10.06 (xpost mit fup dsrb). Die Duplizität der Ereignisse
überrascht. Bei Interesse kann ich die EGMR-Beschwerde auch noch einstellen.
7) Gefälschte Steuerstatistiken im Einsatz gegen Kirchhof:
O-Ton Prof. Michael Eilfort, Vorstand Stiftung Marktwirtschaft
30´41 Jeder fälscht sich die Statistik so wie er sie braucht.
30´43 Dazu ein besonders dreistes Beispiel: Diese Studie. Von ihr
behauptet sogar der damalige Finanzminister Hans Eichel, sie sei
von allen 16 Bundesländern berechnet worden und es habe sich
herausgestellt, dass vor allem die Kirchhof´sche
Steuervereinfachung nicht finanzierbar sei.
Dabei stimmt die ganze Geschichte von vorne bis hinten nicht.
Denn: Erstens: Nicht 16 Länder haben gerechnet, sondern nur der
Bund und zwei Länder - nämlich Bayern und Nordrhein-
Westfalen. Alle anderen können gar nicht rechnen, selbst wenn
sie wollten. Sie haben keine Datensätze.
31´24 Zweitens: Die Steuerexperten die da gerechnet haben, warnten
selbst in ihrer Studie davor, dass eine erhebliche
Unsicherheitsmarge besteht , dass es sich um Schätzwerte und
nicht um tatsächliche Genauigkeit handelt.
31´41 Drittens: In der nicht veröffentlichten Studie sind nicht die 163
Ausnahmeregeln, die Kirchhof abschaffen will berücksichtigt,
sondern nur 87 Steuervergünstigungen aufgeführt und das wird
auch nicht begründet.
32´00 Punkt für Punkt beweist die Studie, dass sie ein manipuliertes
Machwerk ist. Aber bis zum heutigen Tag wird sie immer noch
als Hauptargument gegen eine Steuervereinfachung zitiert.
Manchmal haben Lügen lange Beine.
32´17 Ein Mitorganisator der zweifelhaften Studie, der bayerische
Finanzminister Kurt Faltlhauser bei einer Diskussion mit Prof.
Kirchhof. Der radikale Abbau von Steuerprivilegien ist nicht die
Politik der CSU- die will mit Steuern das Volk steuern.
8) Ausnahmen und Privilegien:
O-Ton Prof. Paul Kirchhof, Steuerreformer,ehem. Bundesverfassungsrichter
36´20 Bei 500 Ausnahmen, Privilegien, hat jeder, das sagt die Statistik,
mindestens 2,3,4 Ausnahmen und diese, seine, Ausnahmen, die
ihn vermeintlich begünstigen, möchte er unauffällig und
verschwiegen bewahren und deswegen haben wir eine große
Bevölkerung von verschwiegenen Bewahrern. Die sagen die
große Reform, die Vereinfachung muss sein, weg mit den
Privilegien, runter mit den Steuersätzen, aber bitte nicht meine
drei und deswegen müssen wir in erster Linie aufklären und den
Menschen sagen, dass sie mit ihren vermeidlichen 3 Privilegien
benachteiligt sind, weil ihr Freund 10 hat, ihr Konkurrent 20, ihr
Feind 30 Privilegien.
9) Kosten des Steuerzirkusses:
In der Universität Münster berechnet Professor Heinz
Grossekettler, wie wir Bürger uns alle durch das komplizierte
Steuerrecht selbst schädigen. Er ist Vorsitzender des
wissenschaftlichen Beirats im Finanzministerium. Während die
Machtpolitiker gerne vorrechnen, was eine Vereinfachung der
Steuer an Einnahmeverlusten verursacht, bilanziert er zusammen
mit seinen Mitarbeitern die Kosten, die durch die unbestimmten
und undurchsichten Regeln dem Staat und den Bürgern
entstehen.
O-Ton Prof. Heinz Grossekettler,Finanzwissenschaftler, Uni Münster
37´42 Bei der veranlagten Einkommenssteuer sind es etwa 9% im
Durchschnitt aller Steuern sind es etwa 6%..
Frage: Kann man das irgendwie beziffern?
Kann man mit beziffern ja, wenn wir vom Durchschnittswert
ausgehen, 500 Milliarden etwa Steueraufkommen, da wären 6%
30 Milliarden.
Frage:Kann man das veringern?
Das könnte man sicherlich erheblich verringern, indem man das
Steuersystem vereinfacht.
10) Steuerfall Konrad Martin, Erbschaft verfallener Bauernhof
38´08 Und auch folgende zehnjährige Geschichte aus dem täglichen
Steuerirrsinn wäre bei einem einfachen Steuerrecht nicht nötig
gewesen. Sie hat viel Geld und Nerven gekostet und spielt im
hessischen Ort Eidengesäß.
38´22 Dort lebt der Kaufmann Konrad Martin: rechtschaffen und
fleißig-
38´27 Und das ist der alte Bauernhof, den er von seinen
Schwiegereltern erbte und renovierte.
[Foto der Ruine im Originalzustand]
O-Ton Konrad Martin, Finanzamtsgeschädigter
38´32 off Wir haben zirka 350 000 DM dafür ausgegeben, und habens
dann für 280 000 Mark verkauft
und das Finanzamt hat uns dann den Steuerbescheid geschickt
und danach sollten wir 471 000 DM zahlen.
[...]
O-Ton Konrad Martin,Finanzamtsgeschädigter
40´03 Wieviel haben sie denn jetzt im Endeffekt bezahlt.
Im Endeffekt summasumarum also mit den
Steuerberatungskosten waren das runde 24 000 Euro.
Also wie lange hat das ganze gedauert?
Vom Jahre 1996 bis zum März 2006.
Und hat es jetzt irgendeine Entschuldigung gegeben?
Nein, es hat sich bei mir niemand entschuldigt.
Erklärungen?
Es hat keine Erklärungen dazu gegeben, es war von Seiten des
Finanzamtes Schweigen.
[...]
O-Ton Bernd Stimmel, Steuerberater
41´17 Also der Herr Martin kann was da passiert ist und abgelaufen ist
nicht verstehen als Laie. Selbst Kollegen von mir, die
Landwirtschaft nicht betreuen, haben da Schwierigkeiten. [...]
41´35 Warum berät das Finanzamt da nicht?
41´39 Das Finanzamt darf auf Grund der bestehenden
Abgabenordnungen das nicht tun. Das Finanzamt darf nicht
beratend tätig sein. Das verbietet unser Recht. Das Finanzamt
darf nur die Steuererklärung bearbeiten, wie sie kommt, kann
wenns unklar ist, Rückfragen stellen, soweit ist das ok, aber darf
nicht beratend tätig sein.
11) Finanzbeamte sind von der Beachtung des Rechts faktisch entbunden:
In Celle in Niedersachsen residiert ein Oberlandesgericht. Und
das hat ein Urteil gefällt, dass uns Bürgern klar macht, warum die
Finanzämter, wie im Falle Martin trotz Unrecht immer Recht
haben:
42´18 ...bei der Steuergesetzgebung handelt es sich nicht um eine
Tätigkeit, deren einziges Ziel die Verwirklichung des Rechts ist...
Allerdings hat sich der Finanzbeamte dabei an das Recht zu
halten, ohne daß dieses jedoch seine vordringliche Aufgabe ist.
Weiteres dazu:
http://forschungsschiff-pirol.org/2007/05/21/finanzbeamte-geniesen-immunitat/
(Quelle: NStZ 1986 Heft 11, Seite 513 )
[Rechtschreibfehler durch Blog-Programm;-)]
Ich denke, der Film hat gesessen.
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Zur Abrundung in eigener Sache noch erwähnenswert:
Das FA hat mir kürzlich mit einem Pfändungsversuch mal wieder das Konto
sperren lassen. Die Finanzverwaltung hat bei einer Kontrollmitteilung
irgendwo auf dem deutschen Behördenweg das Komma um zwei Stellen
verschoben, wodurch ich nun fiskalisch zum Millionär geworden bin. Alle
Werte haben sich dadurch verhundertfacht, gnädigerweise wurden mir statt
$129 aber auch $12900 amerikanische Quellensteuern gutgeschrieben.
Gegenüber angeblichen Dividendeneinnahmen von $86200 statt $862 ist das
jedoch nur ein kleines Trostpflaster. Mein vorheriger mehrfacher
Widerspruch wurde nicht beachtet. Das FA Bochum-Mitte hat mir zur
erneuten Klage geraten, ich soll erstmal wieder alles vor Gericht beweisen.
Entsprechende Klagen gleichen hierzulande dem Versuch, einen Pudding an
die Wand zu nageln. Erfahrungsgemäß stellen sich die zuständigen
Finanzrichter in Münster einfach blöd.
Das ganze wäre sicherlich noch eine schöne Story für das Feuilleton. Ich
stehe für Interviews zur Verfügung;-).
Gruß,
Gerhard Mesenich