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Steinbuchs "Lernmatrix" heute ?

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Jürgen Böhm

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Jan 18, 2007, 10:36:51 AM1/18/07
to

Hallo,

ich lese gerade das klassische Buch "Automat und Mensch" von Karl
Steinbuch. Darin wird (in Kapitel 14) ausführlich eine Struktur zur
Datenverknüpfung beschrieben, die Steinbuch (der Erfinder) "Lernmatrix"
nennt.

Er erklärt ihre Funktionsweise anhand des bedingten Reflexes, schlägt
verschiedene Realisierungen mit konkreter Hardware vor, weist auf die
theoretische Möglichkeit zur Softwareimplementation hin (die er aber für
zu langsam hält) und prophezeit die Lösbarkeit fast aller KI Probleme,
wenn man nur genügend große Lernmatrizen geeignet verschaltet.

n x e
|
|
m x b ------o------ m x b
ein aus

Die obige Grafik gibt (vereinfacht) eine Lernmatrix wieder. An der
Stelle "o" treffen n "Eigenschaftsleitungen" e (senkrecht) mit m
"Bedeutungsleitungen" b (waagrecht) in m x n Knoten d_ij zusammen.
Für die Lernmatrix gibt es eine "Lernphase" und eine "Kannphase". In der
Lernphase werden Paare (ei, b(ein)i) (i=1,..,N) von Werten (zum Beispiel
binäre Werte oder auch reelle Werte) angelegt. Dabei ist angenommen, daß
die Stärke der Verknüpfung d_ij von bi mit ej steigt, wenn beide
gleichzeitig aktiviert werden. In der "Kannphase" wird gemäß der
ermittelten d_ij aus einem e-Vektor ein b(aus)-Vektor erzeugt.

Ich glaube jeder erkennt hier die Prinzipien dessen wieder, was später
als "neuronales Netz" noch einmal Furore machte. Deshalb nun meine Frage:

1) Warum ist Steinbuchs "Lernmatrix" in Vergessenheit geraten, so daß
die Idee später als "neural network" wiederentdeckt werden mußte ?

2) Warum sind heute - trotz viel schnellerer Computer zur Simulation der
Matrizen und sogar der Möglichkeit hochintegrierte Spezialhardware für
sie zu schaffen - die von Steinbuch prophezeiten Erfolge der
Lernmatrizen nicht eingetreten ?

(diese waren zB: nahezu perfekte Handschrifterkennung,
sprecherunabhängige Spracherkennung, Schaltungen mit selbsttätiger
Fehlererkennung auf jeder Ebene, Extraktion des Bedeutungsgehaltes von
Sätzen und Texten und deren automatische Übersetzung, sowie - wenn man
hoch zu greifen wagt - Erschaffung einer künstlichen Intelligenz mit den
intellektuellen und sonstigen Fähigkeiten eines höheren Wirbeltieres,
wenn nicht eines Menschen)

MfG

Jürgen

--
Jürgen Böhm www.aviduratas.de
"At a time when so many scholars in the world are calculating, is it not
desirable that some, who can, dream ?" R. Thom

Joachim Pimiskern

unread,
Jan 18, 2007, 3:26:30 PM1/18/07
to
Jürgen Böhm schrieb:

> ich lese gerade das klassische Buch "Automat und Mensch" von Karl
> Steinbuch. Darin wird (in Kapitel 14) ausführlich eine Struktur zur
> Datenverknüpfung beschrieben, die Steinbuch (der Erfinder) "Lernmatrix"
> nennt.
> [...]

> Ich glaube jeder erkennt hier die Prinzipien dessen wieder, was später
> als "neuronales Netz" noch einmal Furore machte. Deshalb nun meine Frage:
>
> 1) Warum ist Steinbuchs "Lernmatrix" in Vergessenheit geraten, so daß
> die Idee später als "neural network" wiederentdeckt werden mußte ?

Die Technologie war unhandlich. Elektrolyse von Silberbromid.
Es gab keine Diskontinuität: die Lernmatrix entstand Anfang der
sechziger Jahre, und ungefähr zur gleichen Zeit wurden auch
Perzeptron, Adaline und Madaline entwickelt. Ich würde sagen,
der Übergang zu Neuronalen Netzen war fließend. Ende der
sechziger Jahre gab es eine kleinere Krise, als Marvin Minsky
und Seymour Papert eine Schrift "Perceptrons" herausbrachten,
in dem sie bewiesen, daß Perzeptrons nur linear separierbare
Klassifikationen vornehmen können. Danach ging's, wenn ich mich
recht entsinne, mit den 'neuen Konnektionisten' wieder aufwärts
mit Neuronalen Netzen.


> 2) Warum sind heute - trotz viel schnellerer Computer zur Simulation der
> Matrizen und sogar der Möglichkeit hochintegrierte Spezialhardware für
> sie zu schaffen - die von Steinbuch prophezeiten Erfolge der
> Lernmatrizen nicht eingetreten ?
>
> (diese waren zB: nahezu perfekte Handschrifterkennung,
> sprecherunabhängige Spracherkennung, Schaltungen mit selbsttätiger
> Fehlererkennung auf jeder Ebene, Extraktion des Bedeutungsgehaltes von
> Sätzen und Texten und deren automatische Übersetzung, sowie - wenn man
> hoch zu greifen wagt - Erschaffung einer künstlichen Intelligenz mit den
> intellektuellen und sonstigen Fähigkeiten eines höheren Wirbeltieres,
> wenn nicht eines Menschen)

Sprecherunabhängige Spracherkennung soll bis 2010 so weit sein.
http://www.golem.de/0610/48242.html

Bis zum Jahr 2020 soll in jedem Haushalt in Korea ein Roboter arbeiten.
http://news.nationalgeographic.com/news/2006/09/060906-robots.html
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21260/1.html
http://www.welt.de/data/2006/12/27/1157157.html

Ein Vorgeschmack:
http://www.bostondynamics.com/dist/BigDog_Feb-26-2006.wmv (28 MB)
http://www.newscientisttech.com/article/dn8802.html

http://cswww.essex.ac.uk/staff/hhu/video/RoboticFish-Essex.wmv (31 MB)
http://cswww.essex.ac.uk/staff/hhu/HCR-Group.html

Grüße,
Joachim


Wolfgang Lorenz

unread,
Jan 19, 2007, 2:39:15 AM1/19/07
to
Jürgen Böhm schrieb:

> und prophezeit die Lösbarkeit fast aller KI Probleme,
> wenn man nur genügend große Lernmatrizen geeignet verschaltet.

Künstliche Genetische Algorithmen lösen auch "fast alle KI Probleme".

Wer ist "man", und was ist "geeignet"? Steht dann da immer ein
Systemanalytiker daneben und verschaltet die Matrizen neu, sobald etwas
Neues gelernt werden soll? "Kaufen Sie unsere Lernmatrix! Das
Bedienpersonal ist selbstverständlich im Preis enthalten!"

Nimm ein beliebiges Computerspiel und gib die Pixel im Sehfocus auf die
n x e Eigenschaftsleitungen einer einzelnen Lernmatrix und die
Bewegungen des Joysticks auf die m x b Ein-/Ausgänge. Und dann versuch
mal, da irgend einen Zusammenhang erkennen zu lassen. Es wird dir nicht
gelingen. Es funktioniert vielleicht, wenn man mehrere Lernmatrizen
sowohl nebeneinander als auch übereinander stapelt. Aber das wird sehr
schnell unübersichtlich. Die Dinger fangen an zu schwingen und du als
Systemdesigner hast keine Ahnung mehr, was die da eigentlich machen. Du
siehst nur, dass das Endergebnis nicht so funktioniert, wie du dir das
vorstellst. Und jetzt versuch mal, den Grund dafür zu finden...

Viele Grüße,
Wolfgang

--
Wieder den ganzen Tag lang nur geredet, und die Aufgabe "Grüne Rote
Wände" auf http://home.arcor.de/w.lorenz65/ki-schule/ ist immer
noch nicht gelöst

Jürgen Böhm

unread,
Jan 25, 2007, 6:59:39 PM1/25/07
to

Hallo Joachim und Wolfgang,

danke für Eure Antworten, ich glaube, ich sehe jetzt einige
Zusammenhänge klarer. Bin leider nicht dazu gekommen eher zu antworten,
da ein kleines Lisp-Projekt derzeit meine ganze Energie absorbiert.

Meine eigenen grundsätzlichen Gedanken zur KI sind übrigens eher
skeptisch, nämlich in dem Sinne, daß das Bewußtseinsproblem immer noch
ungelöst sein wird, selbst wenn wir einmal eine im bloß technischen
Sinne "funktionierende" KI haben - also eine KI, die "von außen gesehen"
ähnliche Leistungen wie natürliche Intelligenz erbringt und sogar "von
innen gesehen" viele Organisationsprinzipien lebender Materie übernimmt,
soweit diese sich auf mathematisierbare Prinzipien zurückführen lassen.

Das Problem ist eben, daß man immer schöne mathematische *Modelle* der
Sinnesqualia aufstellen kann, die Qualia selbst aber weder mathematisch
noch physikalisch erfaßbar sind - sie sind eben Dinge eigener Art. (Mit
Qualia ist - nur zur Erläuterung - der *Inhalt der Sinneserfahrung*
gemeint, im Unterschied zur bloßen Beschreibung der stofflichen Umstände
die ihn regelmäßig evozieren).

Meine (Privat)meinung dazu nähert sich immer mehr der Vermutung an,
daß vermutlich überhaupt keine nichtbeseelte Materie existiert und die
Tatsache, daß Lebewesen Qualia erleben, auf der Organisation beseelter
Materie bis in die subatomare Ebene hinab beruht. Hier folge ich teils
Penrose - mit seinem Gödelschen Argument - und teilweise Fechner mit
seinen Schriften "Zend-Avesta.." und "Nanna" über die Beseeltheit der
Himmelskörper und der Pflanzen.

Mehr kann ich jetzt aus Zeitgründen nicht sagen, es gibt im Usenet auch
einen etwas längeren Artikel dazu von mir unter dem Titel "Some
metaphysical questions about physics", wo ich noch die (optimistische)
Hoffnung vertrete, auch die Qualia würden sich eventuell mathematisieren
lassen. Mittlerweile zweifle ich eher daran...

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