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Hoert man Musik?

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Gerald Fix

unread,
Nov 27, 2011, 6:14:18 AM11/27/11
to
Vielleicht eine dumme Frage, aber: Wie beurteilt ein Fachmann eine
Komposition?

In Oliver Hilmes' Alma-Mahler-Biografie heißt es, Alma habe
Kompositionsunterricht genommen; da der Lehrer aber blind gewesen sei,
habe er die Werke nur nach Gehör beurteilen können. Den Laien
wundert's ... er denkt sich, das Ohr sei nicht das Unwichtigste an der
Musik.

--
Viele Grüße
Gerald Fix

Walter Schmid

unread,
Nov 27, 2011, 7:08:43 AM11/27/11
to
Musik ist Zeitkunst. Da die Zeit in einer unumkehrbaren,
eindimensionalen Richtung verläuft, ist es sehr schwer, die
Struktur von Musik ohne grafische Darstellung zu erkennen.
Letztere ist mindestens 2-dimensional und kann auch 'rückwärts'
betrachtet werden.

Ein Blinder müsste ein 'fotografisches Gedächtnis' haben oder
entwickeln, um Musik so zu verstehen, wie das ein sehender
Musikprofi kann. Blinde haben also notwendigerweise einen
laienhaften Erst-Zugang zur Musik, - der aber durch Uebung
beliebig ausgebaut werden kann.

Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?

Hörte nicht J.S.B. auf zu komponieren, als er erblindete?

Gruss

Walter

sabinekleinschmitt

unread,
Nov 27, 2011, 8:16:38 AM11/27/11
to
Walter Schmid schrieb:

> Am 27.11.2011 12:14, schrieb Gerald Fix:
>> Vielleicht eine dumme Frage, aber: Wie beurteilt ein Fachmann eine
>> Komposition?
>>
>> In Oliver Hilmes' Alma-Mahler-Biografie heißt es, Alma habe
>> Kompositionsunterricht genommen; da der Lehrer aber blind gewesen sei,
>> habe er die Werke nur nach Gehör beurteilen können. Den Laien
>> wundert's ... er denkt sich, das Ohr sei nicht das Unwichtigste an der
>> Musik.
>>
>
> Musik ist Zeitkunst. Da die Zeit in einer unumkehrbaren,
> eindimensionalen Richtung verläuft, ist es sehr schwer, die
> Struktur von Musik ohne grafische Darstellung zu erkennen.
> Letztere ist mindestens 2-dimensional und kann auch 'rückwärts'
> betrachtet werden.

Früher, bevor es Tonkonserven gab, und als geschriebene oder
gedruckte Noten noch einen immensen (matieriellen) Wert hatte,
also man sich weder eine Platte noch Songbooks oder Partituren
frei Haus bestellen konnte, da gab es keine andere Möglichkeit
als entweder möglichst viel "Inhalt" entweder gleich vor Ort zu
"verarbeiten" oder sich die Musik sicher einzuprägen, so dass
sie später vor dem "inneren geistigen Auge/Ohr" analysiert werden
kann, wobei natürlich eine Musikausbildung und vor allem Praxis
entscheidend beiträgt.

> Ein Blinder müsste ein 'fotografisches Gedächtnis' haben oder
> entwickeln, um Musik so zu verstehen, wie das ein sehender
> Musikprofi kann.

Der blinde Organist Helmut Walcha http://de.wikipedia.org/wiki/Walcha
hat die Gesamtausgabe von Bachs Orgelwerken, die er im Kopf hat, am
Stück eingespielt.

Aber ein 'fotografisches Gedächtnis' braucht man nicht. Ich, z.B. kann
mir Musik auch ohne 'inneren Rückgriff' auf die graphische Darstellung
vorstellen.

> Blinde haben also notwendigerweise einen
> laienhaften Erst-Zugang zur Musik,

Das hängt, wie ich oben schrieb, von der Vorbildung ab, und galt,
wie ich oben schrieb, die längste Zeit für die meisten "Konsumenten".

> - der aber durch Uebung beliebig ausgebaut werden kann.

Der "Erst-Zugang" kann ausgebaut werden? Dazu brauchst du aber
auch keine Noten.

12-Ton-Themen z.B. können auch die aller meisten musikalisch sehr
geschulten Leute erst (analysierend) 'verstehen', nachdem sie das
Thema in einem (je nach konkretem Thema) langwierigen Prozess
auswendig gelernt haben, denn die meisten Leute könnten anders
solch ein Thema gar nicht nachsingen, innerlich oder laut, geschweige
denn, beim ersten Hören das Notenbild erfassen und sich einprägen.
Es gibt natürlich immer wieder mal Talente, die mit derlei Dingen
keine Mühe hatten, bekannt sind z.B. Toscanini und Karajan

> Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?

Tja, heutzutage geht so was ja durchaus...

Taube Schlagzeuger gibts jedenfalls viele ;)

Da fällt mir Hu Haipeng ein, ein blinder lebender Komponist,
http://lilypond.org/examples.html ganz unten 'Large Projects'.
http://composersforum.ning.com/profile/HuHaipeng

> Hörte nicht J.S.B. auf zu komponieren, als er erblindete?

Was heisst Komponieren? Ohne Aufschreiben war das für Bach
sicherlich keinerlei Problem. Und vielleicht konnte er das
jemandem diktieren.

Aber man weiss darüber praktisch nichts Gesichertes - nur das wenige
was Forkel schrieb, der noch die beiden Bach-Söhne C. P. E. Emanuel
und Wilhelm Friedemann persönlich gekannt hat - er hat aber, soweit
ich mich erinnere, darüber nichts gesagt, Forkel 1882, sagte:

"Dieß war Bachs letzte Reise. Der anhaltende Fleiß,
mit welchem er besonders in seinen jüngern Jahren oft
Tag und Nacht ununterbrochen dem Studium der Kunst oblag,
hatte sein Gesicht geschwächt. Diese Schwäche nahm in
den letzten Jahren immer mehr zu, bis endlich eine
sehr schmerzhafte Augenkrankheit daraus entstand.
Auf Anrathen einiger Freunde, die auf die Geschicklichkeit
des aus England zu Leipzig an = gekommenen Augen = Arztes
großes Vertrauen seßten, wagte er es, sich einer Operation
zu unterwerfen, die aber zweymal verunglückte. Nun war
nicht nur sein Gesicht ganz verloren, sondern auch seine
übrige bisher so dauerhafte Gesundheit war durch den
mit der Operation verbundenen Gebrauch vielleicht
schädlicher Arzeneymittel völlig zerrüttet. Er kränkelte
hierauf noch ein ganzes halbes Jahr hindurch, bis er am
Abend des 30sten Julius 1750 im 66sten Jahre seines Lebens
dieser Welt entschlummerte. (1.Ehe:7Kinder,2.Ehe:13Kinder) "

Möge es ihm gut ergehen, wo immer er auch weilt,
denn Ewige Freude ist das Ende aller Wege zu Gott.

Volker Gringmuth

unread,
Nov 27, 2011, 8:56:10 AM11/27/11
to
Walter Schmid wrote:

> Hörte nicht J.S.B. auf zu komponieren, als er erblindete?

Angeblich hat der blinde Bach das Choralvorspiel BWV 668 „Vor deinen Thron
tret ich hiermit“ seinem Schwiegersohn diktiert. Wird jedoch von aktueller
Forschung be2felt und für einen Marketingtrick oder zumindest eine nette
Tränendrüsengeschichte gehalten.


vG

Matthias Wendt

unread,
Nov 27, 2011, 10:55:57 AM11/27/11
to
On Sun, 27 Nov 2011 13:08:43 +0100, Walter Schmid
>Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?
Einen blindgeborenen nicht, aber soweit ich weiß, ist Moondog
erblindet, bevor er anfing zu komponieren.
Gruß
Matthias

Gerald Fix

unread,
Nov 27, 2011, 12:42:12 PM11/27/11
to
On Sun, 27 Nov 2011 13:08:43 +0100, Walter Schmid
<paulwalt...@vtxmail.ch> wrote:

>> In Oliver Hilmes' Alma-Mahler-Biografie heißt es, Alma habe
>> Kompositionsunterricht genommen; da der Lehrer aber blind gewesen sei,
>> habe er die Werke nur nach Gehör beurteilen können. Den Laien
>> wundert's ... er denkt sich, das Ohr sei nicht das Unwichtigste an der
>> Musik.

>Ein Blinder müsste ein 'fotografisches Gedächtnis' haben oder
>entwickeln, um Musik so zu verstehen, wie das ein sehender
>Musikprofi kann. Blinde haben also notwendigerweise einen
>laienhaften Erst-Zugang zur Musik, - der aber durch Uebung
>beliebig ausgebaut werden kann.
>
>Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?

Ja, ich. Josef Labor - der Lehrer von Alma, um den es hier geht (falls
der von Rang ist).

Wenn Labor als Blinder komponieren konnte, wieso konnte er dann die
Kompositionen seiner Schülerin nicht vollständig beurteilen?

Werner Partner

unread,
Nov 27, 2011, 1:08:45 PM11/27/11
to
Am 27.11.2011 12:14, schrieb Gerald Fix:
Man kann an Hand der Noten die Kompositionsstruktur und auch das
Kompositionskonzept erkennen. Man sieht, welchen Lösungsweg der
Komponist geht, und auch, wie die Stimmenverteilung ist. Damit ist es
auch nachvollziehba und reproduzierbar.

Nur ein hervorragender Musiker (wie z.B. Mozart) erkennt lediglich durch
das Gehör, was der Komponist gemacht hat. Es gibt große Komponisten, die
an Hand des Höreindrucks ein Werk nach dem Hören niederschreiben
konnten, aber das ist eine seltene Fähigkeit.

An Hand des Gehörs kann man erkennen, ob ein Werk schön ist, ob es
Qualität hat, aber die Intention des Komponisten und seine
Vorgehensweise erkennt man am besten, wenn man die Noten sieht.

Werner

Werner Partner

unread,
Nov 27, 2011, 1:10:47 PM11/27/11
to
Das konnte er ja möglicherweise, aber eben nur nach dem Gehör.

Werner

Gerald Fix

unread,
Nov 28, 2011, 10:20:33 AM11/28/11
to
On Sun, 27 Nov 2011 19:08:45 +0100, Werner Partner
<kai...@sonoptikon.de> wrote:

>Man kann an Hand der Noten die Kompositionsstruktur und auch das
>Kompositionskonzept erkennen. Man sieht, welchen Lösungsweg der
>Komponist geht, und auch, wie die Stimmenverteilung ist. Damit ist es
>auch nachvollziehba und reproduzierbar.
>
>Nur ein hervorragender Musiker (wie z.B. Mozart) erkennt lediglich durch
>das Gehör, was der Komponist gemacht hat. Es gibt große Komponisten, die
>an Hand des Höreindrucks ein Werk nach dem Hören niederschreiben
>konnten, aber das ist eine seltene Fähigkeit.

Konnte Mozart nicht sogar ein Werk verbessern, das er nur gehört hatte
- oder ist das eine Erfindung des Mozart-Films?

>An Hand des Gehörs kann man erkennen, ob ein Werk schön ist, ob es
>Qualität hat, aber die Intention des Komponisten und seine
>Vorgehensweise erkennt man am besten, wenn man die Noten sieht.

Danke.

Joachim Pense

unread,
Nov 28, 2011, 11:34:07 AM11/28/11
to
Am 28.11.2011 16:20, schrieb Gerald Fix:

>
> Konnte Mozart nicht sogar ein Werk verbessern, das er nur gehört hatte
> - oder ist das eine Erfindung des Mozart-Films?
>

"In Rom gelang ihm, nachdem er nur ein oder zwei Mal dem neunstimmigen
Miserere von Gregorio Allegri zugehört hatte, das Grundgerüst dieser
(vom Vatikan streng geheim gehaltenen) Partitur aus dem Gedächtnis
fehlerfrei niederzuschreiben. Nicht klar ist, inwieweit die Sänger
Stimmen improvisierend koloriert haben und ob Mozart das aufschreiben
konnte." (WP)

Joachim
Message has been deleted

Johannes Roehl

unread,
Dec 1, 2011, 12:28:30 PM12/1/11
to
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Händel noch komponiert hat, nachdem er
erblindete. Er diktierte dann wohl einem Sekretär. Natürlich war die
Verschlechterung der Sehkraft ein allmählicher Prozess. Es gibt eine
eigenhändige Eintragung in der Jephtha-Partitur, dass er unterbrechen
musste, weil er diebezüglich Schwierigkeiten hatte. Er hat aber
jedenfalls dieses Werk noch zu Ende gebracht und ich meine, ein weiteres
zumindest revidiert. Lt. wikipedia komponierte er jedenfalls noch
einzelne Arien und kleinere Stücke als Blinder (er lebte noch gut sieben
Jahre erblindet).

Jedenfalls gibt es eine große Zahl von hervorragenden blinden Musikern
(Art Tatum zB).
Notierte Musik ist global gesehen eh ein Spezialfall, daher kann ich mir
nicht vorstellen, dass eine sehende Vertrautheit mit unseren üblichen
Notationssystem zum Komponieren unabdingbar sein soll. In vielen
Kulturen sind legendäre Sänger, Dichter oder Musiker "traditionell
blind". (Homer, lt. Rosendorfer auch Musiker im alten China, da sich der
Gast von Schi-Schmi bei einem Konzert wundert, dass die Musiker der
himmlischen Vierheit nicht blind sind.)

J. Rodrigo (Concierto de Aranjuez) war ebenfalls seit dem 3. Lebensjahr
blind, sicher kein grandioser Komponist (aber immerhin bekannter als
Almschis Lehrer).

Joachim Pense

unread,
Dec 1, 2011, 12:50:12 PM12/1/11
to
Am 01.12.2011 18:28, schrieb Johannes Roehl:

> Jedenfalls gibt es eine große Zahl von hervorragenden blinden Musikern
> (Art Tatum zB).
> Notierte Musik ist global gesehen eh ein Spezialfall, daher kann ich mir
> nicht vorstellen, dass eine sehende Vertrautheit mit unseren üblichen
> Notationssystem zum Komponieren unabdingbar sein soll. In vielen

Für Ensemblemusiker ist Blindheit wohl ein Problem, da diese nicht
optisch kommunizieren können.

Joachim

Volker Gringmuth

unread,
Dec 2, 2011, 12:53:47 AM12/2/11
to
Johannes Roehl wrote:

> da sich der Gast von Schi-Schmi bei einem Konzert wundert, dass die Musiker der
> himmlischen Vierheit nicht blind sind.)

Nein, sondern er erklärt seinem zurückgebliebenen Briefpartner, daß die
Tatsache, daß Yo-yang Se-wa-tang Wa'ch im Alter blind war, in dieser Kultur
eine Ausnahme darstellte.


vG

Arno Schuh

unread,
Dec 2, 2011, 12:25:36 PM12/2/11
to
Walter Schmid wrote:
| Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?


Die Einschränkung "von Rang" macht die Antwort schwer. Aber es gab und
gibt jede Menge Komponisten aus dem Orgelbereich, die blind waren.
Angefangen von Konrad Paumann, Arnold Schlick, Antonio de Cabezon, John
Stanley, Alfred Hollins, Louis Vierne, Jean Langlais, Gaston Litaize.
Louis Braille, der Erfinder der Blindenschrift, war selbst auch Organist
und hat 1828 eine Methode entwickelt, um mit Blindenschrift auch Noten
darzustellen. Und die wird, mit gewissen nationalen Abweichungen, auch
noch heute so benutzt.
Was es an Literatur für Blinde gibt, ist natürlich eher zum solistischen
Gebrauch gedacht; also Klavier, Orgel, Gitarre, Gesang usw. Partitionen,
erst recht umfangreiche, gibt es afaIk. nicht in den
Blindenschriftbibliotheken und -druckereien.
Ob Langlais, dessen Orgelwerk rein mengenmäßig kaum kleiner ist als das
Bachs, alles selbst in Braille aufgeschrieben hat oder es jemandem
diktiert hat - keine Ahnung.

Freundliche Grüße

Arno

Volker Gringmuth

unread,
Dec 2, 2011, 1:43:46 PM12/2/11
to
Arno Schuh wrote:

> Ob Langlais, dessen Orgelwerk rein mengenmäßig kaum kleiner ist als das
> Bachs,

Die Orgelwerke bilden ja auch den kleinsten Teil des Bachschen Gesamtwerkes
- was einem aber mal wieder keiner glaubt.


vG

Arno Schuh

unread,
Dec 2, 2011, 2:17:30 PM12/2/11
to
Im Vergleich zu seinen Zeitgenossen, z. B. Telemann, Händel, Scarlatti,
Vivaldi etc. ist es aber schon ganz beträchtlich im Verhältnis zum
Gesamtwerk.
Und bis Langlais gibt es rein mengenmäßig kaum etwas vergleichbares.

Freundliche Grüße

Arno

Joachim Pense

unread,
Dec 2, 2011, 4:48:55 PM12/2/11
to
Am 27.11.2011 13:08, schrieb Walter Schmid:

>
> Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?
>

Francesco Landini ist in seiner Kindheit erblindet, und er war und ist
einer der ganz großen.

Joachim

Johannes Roehl

unread,
Dec 4, 2011, 8:28:56 AM12/4/11
to
Das ist m.E. höchstens dann richtig, wenn man sehr eigentümlich in Teile
einteilt oder nur meint, dass <50% des Gesamtwerks Orgelwerke sind. Die
BWVNummern suggerieren zugegebenermaßen einen größeren Anteil, weil
jeder kleine Choral eine eigene Nummer hat.

Das Orgelwerk Bachs ist umfangreicher als die (erhaltene) Kammer- und
Orchestermusik zusammengenommen. Und beinahe so umfangreich wie die
Werke für andere Tasteninstrumente, wobei in beiden freilich eine große
Zahl von Bearbeitungen und auch unsicheren Werken enthalten ist, was
eine gewisse Unschärfe bedingt, was man nun gewichtiger einschätzen sollte.

Wenn man in geistliche und weltliche Chorwerke unterteilen wollte,
würden letztere ebenfalls einen erheblich geringeren Teil des Oeuvres
ausmachen als die Orgelwerke
Nach der alles dominierenden geistlichen Chormusik käme in jedem Falle
das Orgelwerk nur knapp hinter den Clavierwerken mengenmäßig auf dem
dritten Rang.

Walter Schmid

unread,
Dec 5, 2011, 4:19:58 AM12/5/11
to
Am 27.11.2011 18:42, schrieb Gerald Fix:
Natürlich hat auch ein Blinder eine Raumvorstellung (durch
Ertasten gelernt). Es ist also nicht unmöglich, dass er eine
Partitur ebenso gut im Kopf hat wie ein Sehender. Aber das kann
eben nicht jeder Blinde, - wie es auch nicht jeder Sehende kann.
Eine prinzipielle Unmöglichkeit gibt es für Blinde hier nicht,
aber sie haben es schwerer, sobald es um Strukturen, statt um
Klangfarben, Akkorde, Rhythmus und Tonhöhen geht.

Ein blinder Beethoven ist paradoxerweise unwahrscheinlicher als
ein gehörloser.

Gruss

Walter

Werner Partner

unread,
Dec 5, 2011, 5:21:11 AM12/5/11
to
Am 02.12.2011 18:25, schrieb Arno Schuh:
> Walter Schmid wrote:
> | Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?
>
>
> Die Einschränkung "von Rang" macht die Antwort schwer. Aber es gab und
> gibt jede Menge Komponisten aus dem Orgelbereich, die blind waren.
> Angefangen von Konrad Paumann, Arnold Schlick, Antonio de Cabezon, John
> Stanley, Alfred Hollins, Louis Vierne, Jean Langlais, Gaston Litaize.
> Louis Braille, der Erfinder der Blindenschrift, war selbst auch Organist
> und hat 1828 eine Methode entwickelt, um mit Blindenschrift auch Noten
> darzustellen. Und die wird, mit gewissen nationalen Abweichungen, auch
> noch heute so benutzt.

Wobei es natürlich schwierig ist, die Blindenschrift zu lesen und
gleichzeitig zu spielen ;-)
Blattspiel ist schlecht - es geht nur nacheinander.

Werner

Arno Schuh

unread,
Dec 5, 2011, 2:29:02 PM12/5/11
to
Zumindest, was Instrumentalmusik angeht, muss auswendig gelernt werden.
Beim Gesang wäre evtl. auch vom Blatt möglich, habe aber noch nie
erlebt, dass das jemand gemacht hätte.

Freundliche Grüße

Arno

Werner Partner

unread,
Dec 5, 2011, 4:30:37 PM12/5/11
to
Das Problem ist ja auch, dass die Notenschrift nicht nur sequentiell,
sondern auch räumlich erfasst wird.

Werner

Claus Reibenstein

unread,
Dec 5, 2011, 6:03:44 PM12/5/11
to
Arno Schuh schrieb:

> Werner Partner wrote:
>
>> Wobei es natürlich schwierig ist, die Blindenschrift zu lesen und
>> gleichzeitig zu spielen ;-)
>> Blattspiel ist schlecht - es geht nur nacheinander.
>
> Zumindest, was Instrumentalmusik angeht, muss auswendig gelernt werden.
> Beim Gesang wäre evtl. auch vom Blatt möglich, habe aber noch nie
> erlebt, dass das jemand gemacht hätte.

Ich habe schon mit Blinden zusammen im Chor gesungen, die problemlos vom
Blatt singen konnten.

Gruß. Claus

Arno Schuh

unread,
Dec 6, 2011, 7:07:37 AM12/6/11
to
Claus Reibenstein wrote:
> Ich habe schon mit Blinden zusammen im Chor gesungen, die problemlos
> vom Blatt singen konnten.

Sicher nicht prima vista, sondern nur mit Text und/oder Noten als
Gedächtnisstütze bzw. Übungsunterlage während der Proben.

Freundliche Grüße

Arno

Claus Reibenstein

unread,
Dec 6, 2011, 8:32:49 AM12/6/11
to
Arno Schuh schrieb:
Sowohl bei den Sehenden als auch bei den Blinden gab es welche, die die
Stücke prima vista singen konnten. Es gab keine Unterschiede.

Gruß. Claus

Volker Gringmuth

unread,
Dec 6, 2011, 10:03:48 AM12/6/11
to
Claus Reibenstein wrote:

> Sowohl bei den Sehenden als auch bei den Blinden gab es welche, die die
> Stücke prima vista singen konnten. Es gab keine Unterschiede.

Ein Blinder, der "prima vista" (=auf den ersten Anblick) singt, ist ein
Widerspruch in sich.

"Prima vista" heißt: das Notenbild direkt in die entsprechende Tonfolge
umsetzen, ohne es jemals geübt oder vorher gehört zu haben.

Das können Blinde höchstens mit einer Braille-Notenschrift, aber nicht mit
optisch abzutastendem Material. Und Braille-Notenschrift wiederum geht am
Instrument nicht prima vista, weil man die Finger nicht gleichzeitig zum
Lesen und zum Spielen nutzen kann. (Außer eine Hand reicht zum Spielen und
die andere kann synchron lesen.)


vG

Walter Schmid

unread,
Dec 6, 2011, 12:27:49 PM12/6/11
to
Am 06.12.2011 16:03, schrieb Volker Gringmuth:
> Claus Reibenstein wrote:
>
>> Sowohl bei den Sehenden als auch bei den Blinden gab es welche, die die
>> Stücke prima vista singen konnten. Es gab keine Unterschiede.
******
>
> Ein Blinder, der "prima vista" (=auf den ersten Anblick) singt, ist ein
> Widerspruch in sich.
>
> "Prima vista" heißt: das Notenbild direkt in die entsprechende Tonfolge
> umsetzen, ohne es jemals geübt oder vorher gehört zu haben.
>
> Das können Blinde höchstens mit einer Braille-Notenschrift, aber nicht mit
> optisch abzutastendem Material. Und Braille-Notenschrift wiederum geht am
> Instrument nicht prima vista, weil man die Finger nicht gleichzeitig zum
> Lesen und zum Spielen nutzen kann. (Außer eine Hand reicht zum Spielen und
> die andere kann synchron lesen.)

Zum Singen braucht man afaik keine Finger. ;-)

Gruss

Walter

Volker Gringmuth

unread,
Dec 7, 2011, 1:43:36 AM12/7/11
to
Walter Schmid wrote:

> Zum Singen braucht man afaik keine Finger. ;-)

Deshalb mein dritter Absatz. Danke für die Bestätigung.


vG

Claus Reibenstein

unread,
Dec 7, 2011, 3:30:54 AM12/7/11
to
Volker Gringmuth schrieb:

> Claus Reibenstein wrote:
>
>> Sowohl bei den Sehenden als auch bei den Blinden gab es welche, die die
>> Stücke prima vista singen konnten. Es gab keine Unterschiede.
>
> Ein Blinder, der "prima vista" (=auf den ersten Anblick) singt, ist ein
> Widerspruch in sich.

"prima vista" heißt "auf den ersten Blick". "Anblick" ist etwas Anderes.

Der von dir postulierte Widerspruch entsteht nur dann, wenn man "Blick"
auf die rein optische Wahrnehmung reduziert. Neben dieser wörtlichen
Übersetzung hat der Begriff jedoch noch eine tiefere Bedeutung (wer
hätte das gedacht), die über die reine Optik hinausgeht, und diese
Bedeutung trifft selbstverständlich auch auf Blinde zu.

> "Prima vista" heißt: das Notenbild direkt in die entsprechende Tonfolge
> umsetzen, ohne es jemals geübt oder vorher gehört zu haben.

Genau.

> Das können Blinde höchstens mit einer Braille-Notenschrift

Genau.

> aber nicht mit
> optisch abzutastendem Material.

Natürlich nicht. Davon war bislang aber auch nirgends die Rede.

> Und Braille-Notenschrift wiederum geht am
> Instrument nicht prima vista

Zum Singen - und genau darum geht es gerade - benötigt man kein
Instrument, hat also beide Hände frei, und genau die braucht der Blinde
auch zum Abtasten der Braille-Noten.

Gruß. Claus

Johannes Roehl

unread,
Dec 7, 2011, 4:47:21 AM12/7/11
to
Am 02.12.2011 18:25, schrieb Arno Schuh:
> Walter Schmid wrote:
> | Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?
>
> Die Einschränkung "von Rang" macht die Antwort schwer. Aber es gab und
> gibt jede Menge Komponisten aus dem Orgelbereich, die blind waren.
> Angefangen von Konrad Paumann, Arnold Schlick, Antonio de Cabezon, John
> Stanley, Alfred Hollins, Louis Vierne, Jean Langlais, Gaston Litaize.

Die Häufung gerade bei Organisten ist erstaunlich; spätestens im 19.
Jhd. hätte man vielleicht eine Reihe von Pianisten erwarten können. Gibt
es hier eher musikalische oder soziale Gründe oder bloßer Zufall?

Was ich erstaunlich finde, sind die vielen bedeutenden blinden Musiker
des späten MA und der frühen Neuzeit, von denen etliche (ich habe das
jetzt erst nachgelesen, kannte bislange oft nicht einmal die Namen außer
bei dem von Joachim genannten Landini) zu den bekanntesten ihrer
Zeit/Region zählten und vielfach als Multiinstrumentalisten und
Theoretiker hervorgetreten sind.

Da ich keine Blinden persönlich kenne, frage ich mich, wie das vor
Blindenschrift und anderer moderner Infrastruktur überhaupt möglich
gewesen ist. Diese Menschen müssen ein unglaubliches Gedächtnis gehabt
haben und sehr kundige Helfer, denen sie ihre Werke diktieren konnten.
(Ein Blinder kann ja auch nicht korrekturlesen, er muss es sich vorlesen
oder im Falle von Musik vorspielen lassen.)

Werner Partner

unread,
Dec 7, 2011, 7:59:40 AM12/7/11
to
Am 07.12.2011 09:30, schrieb Claus Reibenstein:
> Volker Gringmuth schrieb:
>
>> Claus Reibenstein wrote:
>>
>>> Sowohl bei den Sehenden als auch bei den Blinden gab es welche, die die
>>> Stücke prima vista singen konnten. Es gab keine Unterschiede.
>>
>> Ein Blinder, der "prima vista" (=auf den ersten Anblick) singt, ist ein
>> Widerspruch in sich.
>
> "prima vista" heißt "auf den ersten Blick". "Anblick" ist etwas Anderes.
>
> Der von dir postulierte Widerspruch entsteht nur dann, wenn man "Blick"
> auf die rein optische Wahrnehmung reduziert. Neben dieser wörtlichen
> Übersetzung hat der Begriff jedoch noch eine tiefere Bedeutung (wer
> hätte das gedacht), die über die reine Optik hinausgeht, und diese
> Bedeutung trifft selbstverständlich auch auf Blinde zu.
>
>> "Prima vista" heißt: das Notenbild direkt in die entsprechende Tonfolge
>> umsetzen, ohne es jemals geübt oder vorher gehört zu haben.
>
> Genau.
>
>> Das können Blinde höchstens mit einer Braille-Notenschrift
>
> Genau.
>
>> aber nicht mit
>> optisch abzutastendem Material.
>

Unteressant ist natürlich, wie Blinde lesen. Es gibt ja den schönen
Versuch, die Buchstaben in den Wörtern umzustellen, und man kann sie
trotzdme lesen, weil wir die Schrift nicht Buchstabe für Buchstabe
lesen, sondern als Ganzheit oder als Bild.

genau so lesen wir ja auch Notenschrift, als räumliche Struktur, aus der
sich unter anderem auch der Harmonikverlauf erschießt. Die Frage ist, ob
man Blindenschrift genau so lesen kann.

Werner

Joachim Pense

unread,
Dec 7, 2011, 10:41:06 AM12/7/11
to
Am 07.12.2011 10:47, schrieb Johannes Roehl:
> Am 02.12.2011 18:25, schrieb Arno Schuh:
>> Walter Schmid wrote:
>> | Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?
>>
>> Die Einschränkung "von Rang" macht die Antwort schwer. Aber es gab und
>> gibt jede Menge Komponisten aus dem Orgelbereich, die blind waren.
>> Angefangen von Konrad Paumann, Arnold Schlick, Antonio de Cabezon, John
>> Stanley, Alfred Hollins, Louis Vierne, Jean Langlais, Gaston Litaize.
>
> Die Häufung gerade bei Organisten ist erstaunlich; spätestens im 19.
> Jhd. hätte man vielleicht eine Reihe von Pianisten erwarten können. Gibt
> es hier eher musikalische oder soziale Gründe oder bloßer Zufall?
>

Erstaunlich, ja. Landini war auch Organist.

> Was ich erstaunlich finde, sind die vielen bedeutenden blinden Musiker
> des späten MA und der frühen Neuzeit, von denen etliche (ich habe das
> jetzt erst nachgelesen, kannte bislange oft nicht einmal die Namen außer
> bei dem von Joachim genannten Landini) zu den bekanntesten ihrer
> Zeit/Region zählten und vielfach als Multiinstrumentalisten und
> Theoretiker hervorgetreten sind.

Joachim

Walter Schmid

unread,
Dec 7, 2011, 12:36:05 PM12/7/11
to
Am 07.12.2011 10:47, schrieb Johannes Roehl:
> Am 02.12.2011 18:25, schrieb Arno Schuh:
>> Walter Schmid wrote:
>> | Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?
>>
>> Die Einschränkung "von Rang" macht die Antwort schwer. Aber es gab und
>> gibt jede Menge Komponisten aus dem Orgelbereich, die blind waren.
>> Angefangen von Konrad Paumann, Arnold Schlick, Antonio de Cabezon, John
>> Stanley, Alfred Hollins, Louis Vierne, Jean Langlais, Gaston Litaize.
>
> Die Häufung gerade bei Organisten ist erstaunlich; spätestens im 19.
> Jhd. hätte man vielleicht eine Reihe von Pianisten erwarten können. Gibt
> es hier eher musikalische oder soziale Gründe oder bloßer Zufall?

Um auf dem Klavier als Einzelspieler die grosse Klangfülle, die
typisch für das 19. Jh. ist, zu erzeugen, sind viele Sprünge und
schnelle Lagenwechsel notwendig (Liszt!). Diese sind blind nie so
gut zu treffen wie sehend. Auf der Orgel kann 1 Hand leicht zwei
Oktaven greifen, sobald sie auf verschiedenen Manualen liegen.
Und da der einzelne Orgelton keine Dynamik, d.h. kaum
Anschlagsnuancen kennt, ist die Finger-Präzision beim Spielen
weniger gefordert als beim Pianoforte. Die Orgel ersetzt dem
Blinden das Orchester, das er vermutlich nie dirigieren kann. Das
Piano erfordert extreme Virtuosität, um ein Orchester auch nur
annähernd vorzutäuschen.

Gruss

Walter

Werner Partner

unread,
Dec 7, 2011, 1:54:39 PM12/7/11
to
Am 07.12.2011 18:36, schrieb Walter Schmid:
> Am 07.12.2011 10:47, schrieb Johannes Roehl:
>> Am 02.12.2011 18:25, schrieb Arno Schuh:
>>> Walter Schmid wrote:
>>> | Kennt jemand einen blindgeborenen Komponisten von Rang?
>>>
>>> Die Einschränkung "von Rang" macht die Antwort schwer. Aber es gab und
>>> gibt jede Menge Komponisten aus dem Orgelbereich, die blind waren.
>>> Angefangen von Konrad Paumann, Arnold Schlick, Antonio de Cabezon, John
>>> Stanley, Alfred Hollins, Louis Vierne, Jean Langlais, Gaston Litaize.
>>
>> Die Häufung gerade bei Organisten ist erstaunlich; spätestens im 19.
>> Jhd. hätte man vielleicht eine Reihe von Pianisten erwarten können. Gibt
>> es hier eher musikalische oder soziale Gründe oder bloßer Zufall?
>
> Um auf dem Klavier als Einzelspieler die grosse Klangfülle, die
> typisch für das 19. Jh. ist, zu erzeugen, sind viele Sprünge und
> schnelle Lagenwechsel notwendig (Liszt!). Diese sind blind nie so
> gut zu treffen wie sehend.

Das ist kein Argument - auf dem Akkordeon spielt man immer blind :-)

Werner

Walter Schmid

unread,
Dec 7, 2011, 2:14:56 PM12/7/11
to
Doch, denn das Akkordeon ist eine 'Orgel' - und kein 'Piano'! :-)

Gruss

Walter

Arno Schuh

unread,
Dec 7, 2011, 2:56:32 PM12/7/11
to
Walter Schmid wrote:
> Um auf dem Klavier als Einzelspieler die grosse Klangfülle, die
> typisch für das 19. Jh. ist, zu erzeugen, sind viele Sprünge und
> schnelle Lagenwechsel notwendig (Liszt!). Diese sind blind nie so
> gut zu treffen wie sehend.

Ich glaube nicht, dass das in erster Linie das Problem ist. Berühmte
Pianisten brauchen auch nicht auf die Tasten zu sehen, um diese richtig
zu treffen. Das passiert ähnlich wie beim Schreiben auf der
Schreibmaschine quasi schon vegetativ.
...
> Das Piano erfordert extreme Virtuosität, um ein Orchester auch nur
> annähernd vorzutäuschen.

Art Tatum war auch blind, allerdings war er kein klassischer Pianist,
sondern Jazz-Musiker. Aber was Virtuosität angeht, stand er da sicher
seinen sehenden Kollegen in nichts nach.

Freundliche Grüße

Arno

Arno Schuh

unread,
Dec 7, 2011, 3:19:07 PM12/7/11
to
Werner Partner wrote:
> genau so lesen wir ja auch Notenschrift, als räumliche Struktur, aus
> der sich unter anderem auch der Harmonikverlauf erschießt. Die Frage
> ist, ob man Blindenschrift genau so lesen kann.

Die Blindennotenschrift ist mit der Notenschrift der Sehenden nicht
vergleichbar. Es handelt sich vielmehr um Buchstaben. Dabei wurden die
Buchstaben der noten um je ein Zeichen versetzt. Die Note c ist
buchstabe d, die Note d Buchstabe e usw. Die Noten werden dabei aus den
oberen vier Punkten gebildet. Das sind Achtelnoten. Viertelnoten
bekommen zusätzlich den Punkt 3 (links unten) hinzu, halbe Noten den
Punkt 6 (rechts unten) und ganze Noten die Punkte 3 und 6.
Um Intervalle (Terzen, Sexten usw.) darzustellen, die Tonlage anzugeben,
Fingersätze, Bindebögen, Haltebögen, Pedalgebrauch usw. zu notieren,
werden den Noten Zeichen vorangestellt bzw. dahinter angefügt.
Und im Bezug auf Klavier und Orgel wird der Notentext natürlich in
sinnvolle Abschnitte jeweils für die rechte und die linke Hand bzw. das
Pedal aufgegliedert. Beim Gesang entfällt das natürlich. Dafür steht
hier in einer zweiten Reihe unterhalb der Noten jeweils der zu singende
Text.
Um prima vista vom Blatt singen zu können, müsste man also mit dem einen
Finger die Noten und dem anderen den Text lesen. Ich selbst habe so
etwas noch nie gemacht, stelle mir das aber schwierig vor. Für unmöglich
halte ich es nicht.

Freundliche Grüße

Arno

Arno Schuh

unread,
Dec 7, 2011, 3:36:06 PM12/7/11
to
Johannes Roehl wrote:
> Die Häufung gerade bei Organisten ist erstaunlich; spätestens im 19.
> Jhd. hätte man vielleicht eine Reihe von Pianisten erwarten können.
> Gibt es hier eher musikalische oder soziale Gründe oder bloßer Zufall?

Ein Organistenamt ist eine zumeist sichere, feste Stelle, ein fest
umrissenes Aufgabengebiet, muss nicht durch die Gegend reisen und
auftreten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und das Reisen war
damals sicher noch erheblich beschwerlicher als heutzutage. Die
ausgedehnten Reisen, die Cabezon damals im Schlepptau seines Herrschers
mitgemacht hat, mitmachen musste, dürften wohl eher die Ausnahme gewesen
sein.
Und was die Häufung der französischen Organisten angeht - da gibt's ein
Nest, das nennt sich Institut national des Jeunes Aveugles.

>
> Was ich erstaunlich finde, sind die vielen bedeutenden blinden Musiker
> des späten MA und der frühen Neuzeit, von denen etliche (ich habe das
> jetzt erst nachgelesen, kannte bislang oft nicht einmal die Namen
> außer bei dem von Joachim genannten Landini) zu den bekanntesten ihrer
> Zeit/Region zählten und vielfach als Multiinstrumentalisten und
> Theoretiker hervorgetreten sind.

Es gab sicher viel, viel mehr blinde Musiker, aber wenn man bei der
Kirche oder bei Hofe angestellt ist, wird alles - Gehalt, Kompositionen,
Geburts- und Sterbedaten schön säuberlich aufgezeichnet und archiviert.
Und somit sind das halt genau die Musiker und deren Werke, die man heute
noch kennt.

Freundliche Grüße

Arno

Joachim Pense

unread,
Dec 7, 2011, 6:20:29 PM12/7/11
to
Ja, blinde Jazzpianisten gibts ja mehr, z.B. Lennie Tristano, George
Shearing, und im Soul hat man Stevie Wonder oder Ray Charles. Aber es
ging wohl mehr um Komponisten, und um Lagenwechsel, wie sie typisch z.B.
für Liszt sind. Da kommen die Jazzer ganz gut ohne aus. Tristano hat vor
allem enge Blockakkorde und Tonleitern, Shearing ebenfalls Blockakkorde.

Joachim

Erhard Schwenk

unread,
Dec 7, 2011, 7:31:14 PM12/7/11
to
Naja, dynamisch geht das Akkordeon durchaus über die Möglichkeiten von
Orgel und Pianoforte hinaus.

Die Orgel kennt praktisch nur Stufendynamik (ja, bei großen Reger-Orgeln
gibts noch Schwellwerke, aber das ist auch nur eine punktuelle
Verbesserung). Und die Dynamik des Klaviers ist rein perkussiv - man
kann einen Ton anschlagen und entscheiden, wann er aufhören soll.
Sprich: die Auswahl der möglichen Hüllkurven ist bei beiden Instrumenten
stark eingeschränkt.

Beim Akkordeon hingegen kann (und muß!) die Dynamik über den gesamten
Ton gestaltet werden - vom Anschlag bis zum Abklingen. Es kann Töne
wiedergeben, die lauter werden, leiser werden, pulsieren oder nahezu
beliebige andere Hüllkurven haben. Ist übrigens eine seiner Stärken:
sowas kann (außer entsprechend ausgestatteter Elektronik natürlich) kaum
ein anderes polyphones Instrument, schon gar kein tragbares.

Allerdings hat auch das Akkordeon dynamische Beschränkungen. So ist es
z.B. nur äußerst eingeschränkt möglich, gleichzeitig klingende Töne
unterschiedlich laut oder dominant zu machen. In der Regel dominiert der
tiefste Ton, dem kann man durch unterschiedliche Registrierung der
beiden Manuale oder in äußerst engen Grenzen mit Anschlagtechnik und
Tastenhub entgegenwirken - wobei Anschlag und Hub nur von sehr guten
Akkordeonisten im erforderlichen Maß kontrolliert werden können. Und
einen unendlichen Ton kriegt der Akkordeonist auch nicht hin, irgendwann
geht ihm zwangsläufig entweder der Balg oder die Armlänge aus.

--
Erhard Schwenk

Akkordeonjugend Baden-Württemberg - http://www.akkordeonjugend.de/
APAYA running System - http://www.apaya.net/
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