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[de.alt.fan.aldi] Re: Welche wiederkehrenden Schnäppchen lohnen *nicht*?

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Dorothee Hermann

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Jul 31, 2008, 6:36:55 AM7/31/08
to
From: HaJo Hachtkemper <juli_zweit...@newsgroups.02368.net>
Date: Tue, 29 Jul 2008 12:31:16 +0200
Subject: Re: Welche wiederkehrenden Schnäppchen lohnen *nicht*?
Newsgroups: de.alt.fan.aldi
Message-ID: <g6n2il...@newsgroups.02368.net>

Ulf Volkert schrieb:
> "Château Migraine" hört sich ja auch erst mal ganz gut an, wenn man
> nicht weiter drüber nachdenkt ...

Aus aktuellem Anlaß also hier die Wein-FAQ:

Sie können mit verbundenen Augen den Unterschied zwischen Hefeweizen
und einem 1952er Chateau Migraine erkennen? Die beiden Rebsorten "Rot"
und "Weiß" sind für sie kein Geheimnis? Sie trinken Rotwein gerne zum
Fisch, Hauptsache er ist schön süß?

Klasse, das langt vollkommen. Aber was passiert, wenn sie im Kreise
wichtiger Freunde oder Bekannter in einem erlesenen Restaurant die
Getränke bestellen "dürfen" und nicht dastehen wollen wie mit offener
Hose?

Folgende Situation: Sie haben neulich bei ALDI einen billigen
mazedonischen Rotwein für die Grillfete erstanden und hatten am
nächsten Morgen so gut wie keine Kopfschmerzen? Glück gehabt. Aber
erwähnen Sie nie im Gespräch mit Geschäftsfreunden: "Also dieser
Aldi-Rotwein für 2,19, der war ja sooo lecker." Man wird sie
ausstoßen, ignorieren und fürderhin keine einzige Silbe mehr mit Ihnen
wechseln.
Korrekt heißt das: "Mein Importeur hat mir neulich einen rassigen
Rotwein vom Balkan empfohlen. Ein einfacher Wein, aber zu
Kurzgebratenem gut trinkbar."
Sie sehen also, richtig formuliert, wirkt das gleich viel weniger
peinlich.

Übrigens "Weinkenner", die behaupten Rebsorte, Jahrgang, Lage,
Weingut, Haarfarbe des Kellermeistes etc. am Geschmack zu erkennen
lügen. Mehr als Rebsorte evtl. noch Region geht meist nicht. Nur
langjährig erfahrene Triebtrinker können ihre Erfahrung einbringen und
"alte Freunde" wiedererkennen.
Ebenso sind Verallgemeinerungen wie: "Frankenwein ist immer trocken"
oder "Moselwein hat mehr Säure" normalerweise völlig an den Haaren
herbeigezogen. Daran erkennt man den Blender. Solche Menschen lassen
wir gekonnt auflaufen. Das Anbaugebiet Baden ist z.B. so vielfältig,
dass hier eigentlich gar keine allgemeine Einordnung möglich ist.

Klugscheißerinfos:
Fällt der Begriff "Schwarzriesling" so erwähnen wir beiläufig, dass es
sich dabei um gar keinen Riesling, sondern um einen "Pinot Meunier"
bürgerlich: "Müllerrebe" handelt.
Barriqueausbau: Weine, die im Holzfass ausgebaut werden kommen immer
mehr in Mode. Sie bekommen meist keine Prädikate etc. da sie nicht
mehr sortentypisch, gebietstypisch usw. schmecken.
Rioja ist ein spanisches Anbaugebiet, keine Rebsorte.
Q.b.A bedeutet "Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete", Analog zu
ausländischen Qualitätsstufen (z.B. D.O.C.). Q.b.A ist kein Prädikat!

Fassen Sie Weingläser immer am Stiel an. Nichts ist peinlicher, als
Fettfinger am Kelch. Wein duftet, schmeckt und sieht nett aus, das
Gehör stimulieren wir durch das Anstoßen. So werden unserer Ohren mit
einem glockenhellen "Ping" auf den Genuß eingestimmt. Proletenfalle:
Packt man das Glas am Kelch ertönt bei der Kollision der Gläser nur
ein plumpes "Pock". Gläser mit kleinem Kelch sind für Weißwein, die
mit großem Kelch für Rotwein. Über die Glasqualität kann man
genausoviel debattieren wie über die des Weines. Bleikristall ist
übrigens pfui, ebenso gefärbtes oder aufwendig geschliffenes Glas,
weil die Weinfarbe dann nicht mehr begutachtet werden kann. Falls man
Ihnen ein typisches regionales Glas, z.B. einen Römer reicht, loben
sie den erfrischend folkloristischen Ansatz. Das zeigt, dass Sie
wissen, dass so ein Glas Unfug ist, aber den Wirt nicht beleidigen
wollen. Solche Gläser nimmt man nur um sich schnell und unkomplizert
die Lichter auszuschießen.

Eine Sektschale weisen wir pikiert zurück, nur im hohen Sektglas kann
man die Perlage in ihrer vollen Schönheit bewundern. Man ist ja Ästhet.

Sollten Sie in die Lage kommen den Wein ordern zu müssen befolgen Sie
die Faustregel: Helles Fleisch: Riesling, dunkles Fleisch: Bordeaux.
Die Chance damit daneben zuliegen geht gegen 0. Auf jeden Fall wird
niemand Einspruch erheben, da er oder sie sonst in Erklärungsnotstand
gerät.

Riesling ist die Perle des deutschen Weines, er hat eine angenehme
Farbe, eine vielschichtiges Aroma, feinnervige Säure, außerdem muß man
danach nicht so furzen. Bei Riesling-Bestellung erwähnen Sie: "Den
ewigen "Pinot Grigio" ("Chardonnay" falls ihr Gegenüber aus Italien
kommt) kann man ja langsam nicht mehr sehen. Vorsicht: Grauburgunder
und Ruländer sind dasselbe wie "Pinot Grigio"!

Bei Bordeaux-Bestellungen: "Die "Rioja"- ("Barolo" falls Sie zu einem
Spanier sprechen) Euphorie legt sich ja zum Glück langsam wieder."

Nie einen "halbtrockenen" Wein bestellen, das ist genauso peinlich wie
"rosé", außer sie wollen betont Liberalität gegenüber gewissen
Sexualgewohnheiten signalisieren. Zum Essen trinkt man trockenen Wein,
zum Dessert süßen, Punkt. Sollte Ihr Mitesser aus der Provence kommen
ist allerdings Vorsicht mit Ressentiments gegenüber Rosé-Weinen
angebracht.

Rotling oder Schillerwein (Würtemberg) ist eine andere Bezeichnung für
einen aus Weiß- und Rotwein gemischten "Rosé".

Bestellen Sie immer einen möglichst alten Wein wenn es um Rotwein geht
(außer sie müssen zahlen). Bestellen Sie einen 2-4 Jahre alten Wein
wenn es sich um Weißwein handelt.

Bestellen Sie nie offene Weine, immer eine ganze Flasche. Wenn das
überhaupt geht, viele kleinere Weinstuben bekommen ihren Rebensaft
nämlich in Schläuchen (s.u.) geliefert (das ist aber kein unbedingter
Qualitätsnachteil). Das Risiko bei offenen Weinen ist, dass man schon
mal einen spanischen Leberkiller als lecker Rioja vorgesetzt bekommt.

Schnüffeln sie am Kork wenn sie wollen, aber seien sie sich der
Tatsache bewußt, dass er in den meisten Fällen nach Kork riecht (so
isser halt). Nur wenn er muffelig riecht ist Vorsicht geboten, ein
erster vorsichtiger Schluck bringt dann den Beweis.

Das Dekantieren des Weines, also das Umfüllen in eine Karaffe dient
haupsächlich dazu, das Depot, also abgelagerte Feststoffe vom Wein zu
trennen. Dazu legt man die Flasche vor dem Dekantieren einige Zeit
schräg, das Depot kann sich dann am Flaschenboden sammeln. Beim
Umgießen, Profis stellen dabei eine Kerze unter den Flaschenhals,
stoppt man, bevor die Brocken in die Karaffe fließen.

Weißweine dekantiert man im allgemeinen nicht, da sie weniger
Feststoffe enthalten und Oxidation durch zuviel Sauerstoff den
Geschmack eher beeinträchtigt (in Richtung Sherry). Bei Rotweinen ist
eine leichte Oxidation dem Geschmack oft zuträglich, bei alten
Flaschen (nicht Loddar M.) hat der Wein oft während der Lagerung schon
durch den Korken geatmet. Hier kann der "Sauerstoffschock" dem Wein
den Rest geben.

Lesen Sie die Jahreszahl auf dem Etikett. Das ist nicht das
Verfallsdatum, sondern das Jahr der Ernte (der Kenner sagt allerdings
"Lese").

Junger Bordeaux hat in etwa den Tanningehalt von Gerberlohe. Sollte
also jemand einen Wein aus dem Bordelais ordern, der weniger als 5
jahre alt ist, bestellen Sie lieber ein Pils. Oder beklagen Sie
lautstark den hohen Gehalt an Polyphenolen.

Die deutschen Weinetikette sind sehr undurchsichtig. Keine Sau weiß,
ob sich hinter einem "Oppenheimer Nierentritt" eine Perle der Önologie
oder ein hinterhältiger Angriff auf unsere Gesundheit verbirgt. Die
Lage des Weines sagt nichts über seine Qualität aus. Ob fürstliche
Domäne im Reingau oder Bahndamm Nordseite aus Friesland, lassen sie
sich nicht blenden, wenn andere mit Lagenbezeichnungen um sich werfen.

Was zählt sind bei deutschen Weinen die Prädikate, unter Q.b.A. geht
nix. O.b.A ist selbst allerdings noch kein Prädikat, sondern sagt nur
aus, dass der Erzeuger nachweisen kann, wo seine Trauben gewachsen
sind. Bei Tafel- und Landweinen ist originelle Artenvielfalt in einer
Flasche durchaus keine Seltenheit.

Wenn sie einmal aus einem "Bocksbeutel" einschenken müssen: Etikett
nach oben, vier Finger unter die Flasche, Daumen auf die Flasche. Wein
im Bocksbeutel ist übrigens mindestens Qualitätswein (Q.b.A).

Es ist wissenschaftlich verbürgt, dass die wichtigsten
Geschmacksinformationen über das Auge transportiert werden. Was auf
dem Etikett steht wird geglaubt. Wenn da "trocken" steht, ist der Wein
trocken, auch wenn sich Zuckerkristalle im Glas absetzen. Praktisch
jeder Wien geht als "halbtrocken" durch, außer er greift schon das
Glas an.

Wir bestellen grundsätzlich Bordeauxweine, die sind normalerweise am
Wort "Chateau" auf dem Etikett zu erkennen. Im Bordelais herrscht ein
relativ strenges Klassifizierungssystem, das dem Kenner ermöglicht den
Wein genau einzuordnen und dem Weinbauern die Freiheit läßt zu
panschen was das Zeug hält. Französische Weine werden in der Regel mit
Zucker versetzt, dass es nur so kracht. Man nennt das dort allerdings
"chaptalisieren". Bei uns ist das Chaptalisieren nur bei Weinen ohne
Prädikat erlaubt. In eine Spätlese darf also kein Zucker rein.
Ein echter Bordeaux besteht aus ca. 3 verschiedenen Weinen, die
assembliert werden. Dadurch befinden sich soviele Aromen in dem Stoff,
dass man mit seiner Geschmackseinschätzung nie völlig daneben liegen
kann. Gut klingen immer: Cassis (schwarze Johannisbeere), Zimt,
Vanille, Zigarrenkistenholz, Kaffeebohne; aber so ziemlich jede
Geschmacksrichtung die Sie auch von der Eisbude kennen, können sie
nennen (Vorsicht mit "Straciatella").

Wenn sie nicht die Flasche gesehen haben beschweren sie sich nicht
über den korkigen Geschmack, der Wein könnte aus einem Schlauch
abgefüllt sein (PVC-Behälter mit integriertem Zapfhahn) und nichts ist
peinlicher wenn der Kellner den Besserwisser korrigiert. (schon selbst
miterlebt, ehrlich).

Sprechen sie nie vom Geschmack, sondern vom Bukett oder von den
Aromen. Es gibt primäre, sekundäre, tertiäre Aromen. Am schönsten sind
die postfermentativen Aromen, also diejenigen, die durch die Lagerung
entstehen. Obacht: Wenn Sie sich darauf beziehen sollte nicht 2003 auf
dem Etikett stehen.

Weißwein sollte kalt, Rotwein bei Zimmertemperatur getrunken werden.
Zimmertemperatur bedeutet nicht 22° Celsius, sondern 18° C. Früher
waren die Menschen nicht so verweichlicht wie wir heute. Mein
Kühlungstipp: Rotwein 1/4h vor den servieren in den Kühlschrank legen,
Weißwein 1/4h vor dem servieren herausholen.

HTH

Ciao/HaJo

--
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