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[de.comp.text.misc] Re: Funktionierende und übersichtliche Textverarbeitung gesucht

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Ulli Horlacher

unread,
Jan 18, 2003, 12:00:07 PM1/18/03
to
From: David Kastrup <d...@gnu.org>
Newsgroups: de.comp.text.misc
Date: 13 Jan 2003 15:35:58 +0100
Subject: Re: Funktionierende und übersichtliche Textverarbeitung gesucht
Message-ID: <x5adi5n...@lola.goethe.zz>

(...)

Kleiner Hinweis am Rande: das Problem mit Word ist nicht, daß es nicht
echtes WYSIWYG hätte. Das Problem ist, daß es überhaupt und
ausschließlich WYSIWYG hat.

WYSIWYG in der oft persiflierten Form WYSIAYG ("What you see is all
you have got") führt zu gravierenden und systematischen
Qualitätsproblemen, an denen der Anwender schuld ist.

Ich kenne Elektrotechniker, die löten sich die Glühbirnen direkt an
die Kabel in der Zimmerdecke oder machen sich auf Feten Würstchen
heiß, indem sie links und rechts eine Gabel reinstecken und an die
Steckdose anschließen. Sachgerecht durchgeführt und beobachtet, kein
Thema (mal abgesehen von der potentiellen Ionisierung der Würstchen,
aber Leute nehmen ja auch Mikrowelle).

Wer so etwas ungeschickt nachmacht und sich dabei schwer verletzt, ist
selbst schuld.

Im freien Handel in Deutschland dürfte man keine fertig montierten
Würstchenstromklemmen verkaufen. Das wäre zu recht verboten, weil
sich jeder unvorsichtige Depp damit umbrächte.

WYSIWYG in seiner Reinform ist genau so ein Produkt, eine
typographische und dokumenttechnische Würstchenstromklemme.

Da dem Autor bei WYSIWYG komplett verborgen bleibt, wie denn nun die
Zeichen auf die Seite kommen, neigt er dazu, sie einfach direkt zu
schreiben. Und wenn er etwas mehr Platz braucht, den mit der
Leertaste einzufügen. Solange bis es paßt. Wechselt man mit einem
solchen Dokument auf einen anderen Drucker oder eine andere
Schriftgröße oder will den Stil von Fußnoten ändern, sind die Folgen
ähnlich verheerend, wie wenn man seinen Würstchenstromklemmenaufbau
nebenan auf die Metallspüle verlagert. Oder mal mit dem Finger
probiert, ob das Würstchen auch heiß genug ist.

Das, was das Dokument und seine Struktur ausmacht, ist das eigentlich
wichtige für Konsistenz und Wartbarkeit eines Dokumentes. Und das
bekommt der Anwender bei WYSIWYG nie zu sehen, obwohl er
verantwortlich dafür ist, es zu produzieren. Er ist ein Gehörloser,
der eine Rede halten muß. Es erfordert sehr viel Disziplin und harte
Arbeit, auch ohne Gehör das Sprechen so zu lernen, daß man es auch
ohne Feedback ordentlich hinkriegt. Die meisten lernen es schlecht
oder nie. Und analog sind die meisten WYSIWYG-Dokumente unter aller
Sau. Ja, es ist möglich, auch mit WYSIWYG wartbare Dokumente zu
erstellen. Aber das erfordert eine systematische Einarbeitung, die
kein Schwein sich antut, weil ja die heutigen Systeme so einfach
sind, daß jedes Kind damit ein Dokument produzieren kann. Aber was
für eins.

Diese Illusion gibt es bei LaTeX nicht. Es ist i.a. umständlicher
oder schwieriger, etwas schlecht zu machen, als vernünftig. Und wenn
einem ein Freund eine Vorlage schickt, sieht man genau, was er da
eigentlich gemacht hat, um diesen Output zu erzeugen.

Und diese Differenz des Arbeitsprinzipes, die dazu führt, daß 90%
aller kursierenden Worddokumente unsäglicher und unwartbarer Schrott
sind (durch Verschulden des Anwenders), ist es, die von LaTeX-Fans
abgelehnt wird. Um ein gutes Dokument mit Word aufzusetzen, braucht
man ähnliche Werkzeuge und Stilmittel wie mit LaTeX. Aber man
bekommt sie nie richtig zu sehen. Das macht die Produktion
_ordentlicher_ Dokumente mit praktisch allen WYSIWYG-Systemen mangels
totalem Feedback schwieriger als mit LaTeX.

--
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